TE Vfgh Erkenntnis 2019/12/12 E1170/2019

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Veröffentlicht am 12.12.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
EMRK Art3
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen aus Somalia; keine Auseinandersetzung mit der schlechten Versorgungslage und den Länderberichten

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Somalia unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia. Am 14. April 2016 stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und führte dazu aus, er sei in Somalia auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Ashraf sowie durch die Terrormiliz Al-Shabaab, der alle seine Freunde sowie ein Nachbar beigetreten seien, bedroht.

2.       Mit Bescheid vom 12. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia gemäß §46 FPG zulässig sei. Schließlich wurde eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

3.       In der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht verwies der Beschwerdeführer unter anderem auf Länderberichte hinsichtlich einer ungenügenden Versorgung mit Grundnahrungsmitteln in Mogadischu. Auf Grund der derzeit in Somalia herrschenden Dürrekatastrophe sei eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mogadischu unzumutbar.

4.       Das Bundesverwaltungsgericht hat am 22. August 2018 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Im Anschluss wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, sich zu den Länderfeststellungen zu äußern. Der Vertreter des Beschwerdeführers brachte vor, es sei zu den allgemeinen ökonomischen Lebensumständen in Mogadischu hinzuzufügen, dass die Regenfälle zu schweren Überflutungen geführt hätten, die sowohl Infrastruktur als auch Saatgut zerstört hätten. Insofern habe sich die verknappte Lebensmittelsituation in und um Mogadischu kaum verändert. Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen.

4.1.    Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe mit seinem Vorbringen eine asylrelevante Bedrohung nicht darzutun vermocht. Selbst bei Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens könnte der Beschwerdeführer durch eine Niederlassung in Mogadischu Sicherheit erlangen. Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit im Falle des Beschwerdeführers, sich in Mogadischu niederzulassen, seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Mogadischu sei weder als unsicher zu qualifizieren, noch würde der Beschwerdeführer in eine hoffnungslose Lage kommen. Zudem verfüge er über ein Netz an Familienangehörigen, sodass er mit einer gewissen Unterstützung rechnen dürfe. Aus den Länderberichten ergebe sich, dass Rückkehrer (v.a. aus dem Westen) bei der Arbeitssuche in Mogadischu wahrscheinlich Vorteile hätten, da sie eher gebildet seien und als einfallsreicher angesehen würden. Dieser Umstand werde auch dem Beschwerdeführer von Nutzen sein. Es seien somit die Voraussetzungen einer innerstaatlichen Fluchtalternative gegeben, weswegen auch aus diesem Grund weder die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten noch die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Betracht komme.

4.2.    Im Rahmen der Beurteilung der Zuerkennung von subsidiärem Schutz führt das Bundesverwaltungsgericht weiter aus, der EGMR habe in einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 die Situation in Somalia zwar als schwierig betrachtet; in einer Gesamtschau habe er aber keine Verletzung des Art3 EMRK erblickt. Maßgebliches Entscheidungsgewicht sei dabei auf den sozialen Rückhalt durch den Familienverband in Somalia gelegt worden. Im vorliegenden Fall wohnten die Eltern sowie eine Schwester des Beschwerdeführers in Mogadischu. Ein soziales Netz sei somit vorhanden. Im Verhältnis zum Jahr 2015 sei zusätzlich im Länderbericht sogar von einer Verbesserung der Situation in Mogadischu die Rede und zwar insbesondere im Sicherheitsbereich.

Darüber hinaus sei erwähnt, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 6.11.2018, Ra 2018/01/0106) subsidiärer Schutz nach der Statusrichtlinie verlange, dass der ernsthafte Schaden durch das Verhalten eines Dritten, also eines Akteurs, verursacht werden müsse und nicht bloß Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten im Herkunftsland sei. Wenn nun im Rahmen der Beschwerdeschrift beispielsweise erfolgte Dürreperioden oder Versorgungsengpässe in Somalia herangezogen würden, um die grundsätzliche Zuerkennung subsidiären Schutzes zu fordern, so vermöge die Beschwerdeseite in Ermangelung eines entsprechenden Akteurs in diesem Zusammenhang mit dieser Argumentation nicht durchzudringen.

4.3.    Zur Lage im Herkunftsstaat trifft das Bundesverwaltungsgericht ua folgende Feststellungen:

"Dürresituation

Vier aufeinanderfolgende Regenzeiten sind ausgefallen. Diese Dürre hat nahezu zu einem Gesamtausfall der Ernte geführt und zur Reduzierung der Arbeitsmöglichkeiten in ländlichen Gebieten beigetragen. Die Dürre hat zu Engpässen bei Wasser und Weideland geführt – und in der Folge zur Verendung von Viehbestand. Insbesondere ärmere Haushalte haben Probleme, die stark angestiegenen Preise für Grundnahrungsmittel bezahlen zu können; und andererseits können sie durch den Verkauf von Vieh kaum Einkommen erwerben (WB 18.7.2017). Drei Jahre Dürre haben zu einer humanitären Krise geführt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist von Nahrungsmittelknappheit, von Kindersterblichkeit und Unterernährung betroffen. Rund 60% des Viehbestands wurde vernichtet, wobei die Viehzucht das Haupteinkommen großer Bevölkerungsteile darstellt (UNHRC 6.9.2017). Dabei hat die Dürre Auswirkungen auf alle ökonomischen Aktivitäten in Somalia, darunter Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei. Mittlerweile machen sich die wirtschaftlichen Auswirkungen der Dürre auch substantiell im Bundesbudget bemerkbar (UNSC 5.9.2017). Allerdings ist der Schaden an Leben und Lebensbedingungen – vor allem von Frauen, Kindern und Benachteiligten – enorm (UNSOM 13.9.2017). Für die Zukunft wird an Programmen gearbeitet, um Resilienz gegenüber künftigen Dürreperioden zu entwickeln (UNSC 5.9.2017).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist nicht gewährleistet (AA 1.1.2017). Die Versorgungslage ist durch geringe Ernteerträge und Trockenperioden anhaltend schlecht. Aufgrund der schwierigen Sicherheitslage und Einschränkungen durch die Aktivitäten diverser Milizen, ist es für humanitäre Organisationen eine Herausforderung benachteiligte Bevölkerungsteile zu erreichen (ÖB 9.2016).

Zu Beginn des Jahres 2017 hatte sich die humanitäre Lage in Somalia mit alarmierender Geschwindigkeit verschlechtert. Der somalische Präsident hat am 28.2.2017 den nationalen Notstand ausgerufen und um verstärkte Hilfe der internationalen Gemeinschaft gebeten (UNSC 9.5.2017). Am 2.2.2017 wurde für Somalia eine Alarm-Erklärung hinsichtlich einer bevorstehenden Hungersnot ('pre-famine alert') ausgegeben. Danach wurden humanitäre Aktivitäten weiter hochgefahren (SEMG 8.11.2017). Zuletzt hat am 5.12.2017 die Regierung von Puntland den Notstand ausgerufen und um Nahrungsmittel- und Wasserlieferungen gebeten (VOA 5.12.2017).

Die somalische Regierung hat aufgrund der Lage in Zusammenarbeit mit humanitären Kräften die Planung von einer Reaktion auf die Dürre ('drought response') bereits auf die Prävention einer Hungersnot ('famine prevention') umgestellt (UNHRC 6.9.2017). Nur die rasche Unterstützung internationaler humanitärer Partner und somalischer Organisationen hat eine Hungersnot verhindert (SEMG 8.11.2017). Hungertote wurden nur sehr sporadisch gemeldet, so etwa im Jänner 2017 aus Bay (UNSOM 16.1.2017) und Gedo (SMN 15.1.2017) sowie im März 2017 aus Bay (BBC 4.3.2017).

Das Risiko einer Hungersnot besteht jedoch auch weiterhin (FEWS 30.12.2017; vgl UNSOM 13.9.2017, UNHCR 30.11.2017b). Die Gu-Regenfälle (März-Juni) sind im Durchschnitt wieder schwach ausgefallen, in Somaliland und Puntland erreichten sie nahezu normale Werte. In einigen Gebieten ist das Risiko einer Hungersnot größer geworden, die Nahrungsmittelsicherheit wird sich auch bis Ende 2017 nicht verbessern. In den Regionen Galgaduud, Gedo, Mudug, Middle und Lower Shabelle wird sogar eine Verschlechterung erwartet. In einigen Gebieten hat sich die Situation also entspannt, aufgrund der Länge der diesmaligen Dürre ist aber von einer tatsächlichen Erholung erst nach zwei aufeinanderfolgenden Perioden guter Regenfälle auszugehen (UNSC 5.9.2017). Auch wenn bisher das Schlimmste verhindert worden ist (UNNS 13.9.2017; vgl UNSC 5.9.2017), besteht auch im zweiten Halbjahr 2017 weiterhin das Risiko einer Hungersnot (UNSC 5.9.2017). Auch die Deyr Regenfälle gegen Ende 2017 sind in den meisten Landesteilen unterdurchschnittlich ausgefallen. Nur einige begrenzte Gebiete in Zentralsomalia sowie entlang der äthiopischen Grenze konnten durchschnittliche oder überdurchschnittliche Niederschläge aufweisen (FEWS 3.1.2018).

Im ersten Trimester 2017 waren 6,2 Millionen Menschen von akuter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen, davon waren knapp drei Millionen auf akute lebensrettende Hilfe angewiesen (UNSC9.5.2017). In der Folge hat sich die Situation verschlechtert, die Zahl der auf Unterstützung angewiesenen Menschen ist auf 6,7 Millionen gestiegen. Davon benötigen 3,2 Millionen akute lebensrettende Hilfe (UNSC 5.9.2017). 70% der Menschen, die unmittelbar auf Hilfe angewiesen sind, befinden sich in Süd-/Zentralsomalia, wo der Zugang durch Sicherheitsprobleme und die al Shabaab behindert wird (UNHRC 6.9.2017); dies betraf sowohl Gebiete außerhalb der als auch unter Kontrolle von al Shabaab. Während aber die Gruppe bei der Hungersnot im Jahr 2011 aufgrund ihrer Blockade erheblich zur hohen Zahl von 260.000 Hungertoten beigetragen hatte, verteilte al Shabaab diesmal – auch zu Propagandazwecken – selbst Hilfsgüter. Dies betraf Gebiete in Bay, Bakool, Galgaduud, Hiiraan, Lower Shabelle und Mudug. Andererseits wurde humanitäre Hilfe von außen auch diesmal behindert oder blockiert; wurde die Einhebung von Steuern verstärkt; wurden humanitäre Bedienstete entführt; und Hilfslieferungen an Straßensperren besteuert. Immerhin wurde diesmal vor der Dürre Flüchtenden in manchen Fällen die Weiterreise gewährt. Auch Behörden haben die Arbeit humanitärer Kräfte auf unterschiedliche Art behindert (SEMG 8.11.2017; vgl USDOS 3.3.2017). Berichte prognostizieren, dass im Jahr 2018 6,2 Millionen Menschen – und damit die Hälfte der Bevölkerung – auf Hilfe angewiesen sein werden (UNHCR 30.11.2017b). […]" (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

5.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

6.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen und auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

II.      Erwägungen

Die vorliegende Beschwerde ist zulässig.

A. Soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, richtet, ist sie auch begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtspre-chung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht hat seiner Entscheidung Länderberichte zugrunde gelegt, aus denen zusammengefasst hervorgeht, dass die anhaltende Dürre in Somalia zu einer humanitären Krise geführt habe sowie dass sich die humanitäre Lage mit alarmierender Geschwindigkeit verschlechtert habe und eine akute Nahrungsmittelunsicherheit herrsche. Der Beschwerdeführer hat in seinem Beschwerdeschriftsatz sowie in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass auf Grund der schlechten Versorgung mit Lebensmitteln eine Rückkehr nach Mogadischu unzumutbar wäre.

2.2. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 4. Dezember 2019, E1199/2019, festgehalten hat, ist gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen – sofern ihm nicht der Status des Asylberechtigten gewährt wurde –, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rechtslage verkannt, indem es im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz nach §8 AsylG 2005 eine Verletzung der von Art3 EMRK geschützten Rechte nur eingeschränkt im Hinblick auf eine Verletzung, die durch Akteure oder durch einen bewaffneten Konflikt droht, prüft. Da das Bundesverwaltungsgericht jegliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach ihm eine Rückkehr nach Somalia auf Grund der schlechten Versorgungslage nicht zumutbar sei, sowie mit den Länderberichten unterlässt, ist seine Entscheidung insoweit mit Willkür belastet.

B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht zu Recht von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens ausgeht, nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Asylstatus richtet, abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

4.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E1170.2019

Zuletzt aktualisiert am

20.02.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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