Entscheidungsdatum
30.07.2019Index
L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung WienNorm
WMG §5 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Fegerl über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40 - Sozialzentrum …, vom 8.4.2019, Zahl …, betreffend Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG), nach durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung am 19.7.2019 (Datum der mündlichen Verkündung des Erkenntnisses), zu Recht e r k a n n t:
I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Bescheid der belangten Behörde 8.4.2019, Zahl …, wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden kurz: BF) vom 21.2.2019 auf Zuerkennung einer Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs (Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs und Mietbeihilfe) gemäß § 5 Abs. 1 und Abs. 2 WMG abgewiesen.
Dagegen richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte Beschwerde.
1.2. Am 19.7.2017 führte das Verwaltungsgericht Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.
Der BF gab als Partei einvernommen Folgendes an:
„Ausgehend vom Datum des Abweisungsbescheides (08.04.2019) bin ich mir ganz sicher, dass ich diesen Bescheid erst über eine Woche nach dem genannten Datum zugestellt bekommen habe. Die Zustellung erfolgte also frühestens am 16.04.2019. Ich habe auch darauf geachtet, dass ich die Beschwerdefrist einhalte.
Der Grund dafür, dass ich im Mai 2011 nach Österreich gekommen bin, war, weil meine damalige Freundin aus Österreich war. Ich habe damals natürlich nach einem Job gesucht und dann ist die Beziehung mit der öst. Freundin, bei der ich auch gewohnt hatte, auseinander gegangen und ich war dann obdachlos. Ich musste mich dann nach einer Wohnmöglichkeit umsehen. Ich konnte noch bis 01.07.2012 bei der Familie meiner Ex-Freundin wohnen und dann habe ich bei der Caritas in der C.-gasse gewohnt. Vorübergehend hatte ich dann im … Wien einen Schlafplatz bis ich zur Caritas in die C.-gasse ziehen konnte. Es ist richtig, dass ich vom Dezember 2011 bis zum März 2019 durchgehend im Bezug von Leistungen der Mindestsicherung gestanden bin. Ich habe in Österreich nie eine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Ich war aber immer beim AMS als arbeitssuchend gemeldet und habe verschiedentlich auch AMS-Leistungen im Zusammenhang mit Schulungen erhalten. Ich hatte mich im Jahr 2011 selbstversichert nach § 16 Abs. 1 ASVG. Die Anmeldebescheinigung wurde mir im Dezember 2011 im Hinblick auf § 51 Abs. 1 Z 2 NAG ausgestellt. Ich habe damals vom September 2011 bis Dezember 2011 Kursgeld vom AMS bezogen und habe gehört, dass man auf dieser Grundlage eine Anmeldebescheinigung bekommt. Die Kursbeihilfe hat glaublich damals fast Euro 800,00 ausgemacht. Zunächst hatte ich einen Kurs vom 05.09.2011 bis 20.01.2012 und dann nochmals vom 12.03.2012 bis 25.05.2012. Als ich nach Österreich kam, hatte ich Ersparnisse, die dann bis zum Herbst 2011 aufgebraucht waren. Sonst hatte ich keine eigenen Mittel bzw. Vermögen, außer dann die Kursbeihilfe und Sozialhilfeleistungen.“
In ihren Schlussausführungen führten der BF und sein Vertreter Folgendes aus:
„An den fallweisen AMS-Kursen und der Arbeitssuche des BF hat sich seit September 2011 nichts geändert. Der BF hat anstandslos vom Dezember 2011 bis März 2019 Mindestsicherung bekommen. Auch mit der Aufenthaltsbehörde gab es nie ein Problem. Der BF hat bereits im Jahr 2016 das Recht auf Daueraufenthalt erlangt. Die Abweisung mangels Gleichstellung erfolgte zu Unrecht.“
2.0. Das Verwaltungsgericht hat erwogen:
2.1. Der BF, ein deutscher Staatsangehöriger, ist seit 3.5.2011 mit Hauptwohnsitz in Österreich (Wien) gemeldet und hier wohnhaft. Er war in Österreich nie beschäftigt bzw. erwerbstätig. Von 2.5.2011 bis 4.9.2011 war er in der Krankenversicherung selbstversichert. Danach weist er Versicherungszeiten (in der Krankenversicherung) nur aufgrund von AMS-Bezügen oder des Bezuges von Mindestsicherung auf. Er war und ist beim AMS als arbeitslos oder in Schulung vorgemerkt. Seit Dezember 2011 bis März 2019 (bis zur gegenständlichen Folgeantragsabweisung) stand der BF im durchgehenden Bezug von Mindestsicherungsleistungen. Seinen Lebensunterhalt bestritt der BF zunächst (von Mai 2011 bis September 2011) aus bescheidenen Ersparnissen, danach aus fallweisen, vorübergehenden AMS-Kursbeihilfen und vor allem aus den Leistungen der Mindestsicherung. Diese Feststellungen gründen sich auf den Akteninhalt, die durchgeführten Datenabfragen und die eigenen Angaben des BF.
2.2. § 5 des Gesetzes zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Wien (Wiener Mindestsicherungsgesetz – WMG), LGBl. 38/2010 idF LGBl. Nr. 2/2018, lautet auszugsweise wie folgt:
„Personenkreis
§ 5. (1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur volljährigen österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu.
(2) Den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie volljährig sind, sich rechtmäßig im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist:
[…]
2. Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der Schweiz, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG) erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben haben und deren Familienangehörige;
[…]“
Die Art. 7 und 13 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (kurz: Unionsbürgerrichtlinie) regeln das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern und deren Familienangehörigen. Die Art. 16 bis 18 dieser Richtlinie regeln das Rechts auf Daueraufenthalt (für Unionsbürger und deren drittstaatsangehörige Familienangehörigen); Art. 19 und 20 dieser Richtlinie enthalten Bestimmungen über die Dokumentation zur Bescheinigung des Daueraufenthaltes. Die Umsetzung der unionsrechtlichen Bestimmungen erfolgte im Wesentlichen in den §§ 51 bis 54a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
Gemäß § 51 Abs. 1 NAG sind EWR-Bürger aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt für mehr als drei Monaten berechtigt, wenn sie
(Z 1) in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind oder
(Z 2) für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen.
Gemäß § 51 Abs. 2 NAG bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1. wegen einer Krankheit oder eine Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des AMS zur Verfügung stellt;
3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf eines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservices zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, … .
Gemäß § 53a Abs. 1 NAG erwerben EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52) unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung über den Daueraufenthalt auszustellen.
Die maßgeblichen Bestimmungen des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege, BGBl. Nr. 258/1969, lauten auszugsweise wie folgt:
„TEIL II
GEWÄHRUNG VON FÜRSORGE UND JUGENDWOHLFAHRTSPFLEGE
Artikel 2
(1) Staatsangehörigen der einen Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhalten, wird Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang und unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt.
[…]
Artikel 8
(1) Der Aufenthaltsstaat darf einem Staatsangehörigen der anderen Vertragspartei nicht allein aus dem Grunde der Hilfsbedürftigkeit den weiteren Aufenthalt versagen oder ihn rückschaffen, es sei denn, daß er sich noch nicht ein Jahr ununterbrochen erlaubt in seinem Hoheitsgebiet aufhält. Sprechen Gründe der Menschlichkeit gegen eine solche Maßnahme, so hat sie ohne Rücksicht auf die Dauer der Anwesenheit im Aufenthaltsstaat zu unterbleiben.
(2) Die Vorschriften dieses Abkommens stehen in keiner Weise dem Recht zur Ausweisung aus einem anderen als dem im vorstehenden Absatz erwähnten Grunde entgegen.
Artikel 9
[…]
(3) Bei Berechnung der Aufenthaltsdauer nach Artikel 8 Absatz 1 werden Zeiträume, in denen der Lebensunterhalt ganz oder teilweise aus Mitteln der Fürsorge des Aufenthaltsstaates gewährt worden ist, nicht berücksichtigt.“
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 22.2.2017, Zl. Ro 2015/10/0051, ausgeführt, dass das Fürsorgeabkommen grundsätzlich anwendbar ist. Es könnten jedoch nur solche deutsche Staatsangehörige, die sich rechtmäßig in Österreich aufhielten, als von Art. 2 Abs. 1 des Fürsorgeabkommens erfasst angesehen werden. Die Auffassung, den Beschwerdeführern sei auf Grund des Abkommens Mindestsicherung wie Österreichern zu gewähren, setze somit voraus, dass diese zum Aufenthalt in Österreich berechtigt seien. Dass Letzteres zutreffe, sei dem angefochtenen Erkenntnis allerdings nicht zu entnehmen; vielmehr habe das Verwaltungsgericht ein "unionsrechtliches Aufenthaltsrecht" explizit verneint und – ohne die Tatbestandsvoraussetzung des rechtmäßigen Aufenthalts weiter zu erörtern – den Anspruch der mitbeteiligten Parteien auf Mindestsicherung gemäß dem Abkommen bejaht.
2.3. Der BF ist deutscher Staatsangehöriger und seit Mai 2011 in Österreich wohnhaft. Der BF war in Österreich nie erwerbstätig. Er hat vom Dezember 2011 bis März 2019 durchgehend Mindestsicherungsleistungen bezogen. Davor und daneben hatte er vorübergehend auch AMS-Bezüge im Zusammenhang mit Schulungsmaßnahmen. Sonstige Einkommen oder Vermögen bzw. nennenswerte Ersparnisse hatte der BF nicht. Der BF war und ist wie gesagt in Österreich nicht erwerbstätig. Die Erwerbstätigeneigenschaft ist auch nicht § 51 Abs. 2 NAG erhalten geblieben. Er verfügte bzw. verfügt auch nicht über ausreichende Existenzmittel, sodass er während seines Aufenthaltes keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen hätte müssen. Vielmehr bestreitet er seinen Lebensunterhalt seit Dezember 2011 ausschließlich aus den Sozialhilfeleistungen und fallweisen Schulungsbeihilfen des AMS. Es ist zu betonen, dass nur eine zu Recht gewährte Sozialhilfeleistung als Substitut für ausreichende eigene Mittel bzw. eine Erwerbstätigkeit angesehen werden kann; eine zu Unrecht gewährte Sozialhilfeleistung macht jedoch den Aufenthalt im Bundesgebiet nicht rechtmäßig. Da sich der BF nicht 5 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, hat er auch nicht das Recht auf Daueraufenthalt gemäß § 53a NAG erworben. Der BF verfügt auch über kein sonstiges unionsrechtliches Aufenthaltsrecht gemäß § 51ff NAG.
Vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Fürsorgeabkommens zwischen Österreich und der BRD (BGBl. Nr. 258/1969) ist weiters darauf hinzuweisen, dass auch nach diesem Abkommen und der jüngsten Judikatur dazu ein rechtmäßiger Aufenthalt für die Gleichstellung zu verlangen ist, wobei über das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht hinaus bei deutschen Staatsangehörigen ein rechtmäßiger bzw. erlaubter Aufenthalt nach Art. 8 des Fürsorgeabkommens in Betracht kommt (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 19.10.2017, GZ VGW-041/002/7116/2017-6, sowie den Beschluss des VwGH vom 27.2.2019, Zl. Ra 2017/10/0207-7). Dazu müsste der BF aber zumindest für ein Jahr ununterbrochen und vor allem ohne Sozialhilfebezug (vgl. Art. 8 iVm Art. 9 Abs. 3 des Fürsorgeabkommens) in Österreich aufhältig gewesen sein. Der BF war jedoch nach seinem Zuzug nach Österreich im Mai 2011 lediglich sieben Monate ohne Sozialhilfebezug hier wohnhaft und erhielt ab Dezember 2011 bereits Mindestsicherung.
2.4. Der BF ist somit österreichischen Staatbürgern weder nach den §§ 51 ff NAG iVm der Unionsbürgerrichtlinie, noch nach dem Deutsch-Österreichischen Fürsorgeabkommen gleichgestellt.
Aus den genannten Gründen kann die angefochtene Abweisung aus dem Grunde der mangelnden Gleichstellung nicht als rechtswidrig erkannt werden.
Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
3. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch liegen sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal lediglich einzelfallbezogene Fragen der Gleichstellung zu beurteilen waren, die aufgrund der eindeutigen Rechtslage und der aktuellen Judikatur klar lösbar sind.
Schlagworte
Anspruchsberechtigter Personenkreis; Unionsbürger; Richtlinie 2004/38/EG; Freizügigkeitsrichtlinie; Fürsorgeabkommen; unionsrechtliches Aufenthaltsrecht; SozialhilfebezugEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.141.002.8042.2019Zuletzt aktualisiert am
14.08.2019