TE Vwgh Erkenntnis 2019/3/28 Ra 2018/14/0286

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Veröffentlicht am 28.03.2019
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §33 Abs2
AVG §73 Abs1
B-VG Art130 Abs1 Z3
VwGVG 2014 §16 Abs1
VwGVG 2014 §8 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2018, Zl. W183 2186000- 1/11E, betreffend Verletzung der Entscheidungspflicht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: X Y, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 1. August 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2 Nach Durchführung der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag traf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 2. August 2016 eine Anordnung zur weiteren Vorgehensweise gemäß § 43 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz

(BFA-VG).

3 Am 2. November 2017 um 8:49 Uhr erhob der Mitbeteiligte per Telefax Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde). Er führte aus, er habe am 1. August 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, sein Verfahren sei am gleichen Tag zugelassen worden und beim BFA seit mehr als 15 Monaten anhängig. Das BFA habe über diesen Antrag bis dato nicht entschieden. Durch Verweis auf die aktenkundige Erstbefragung vom 1. August 2016 mache er glaubhaft, dass seit der Antragstellung die Entscheidungsfrist des § 22 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) von 15 Monaten verstrichen sei.

4 Mit Schreiben vom 12. Februar 2018, beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eingelangt am 14. Februar 2018, legte das BFA die Säumnisbeschwerde unter Anschluss des Verwaltungsaktes dem BVwG vor.

5 Nach Aufforderung durch das BVwG gemäß § 19 Abs. 6 AsylG 2005 führte das BFA am 9. April 2018 eine Einvernahme des Mitbeteiligten durch. Er gab als Fluchtgrund im Wesentlichen an, ihm drohe Blutrache sowie Verfolgung durch die Al-Shabaab.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 11. Oktober 2018 wies das BVwG - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet ab und erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zu. Des Weiteren erteilte es dem Mitbeteiligten eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

7 Begründend führte das BVwG zu seiner Zuständigkeit - soweit für das Revisionsverfahren relevant - im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte habe am 1. August 2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und mit dem am 2. November 2017 beim BFA eingebrachten Schriftsatz Säumnisbeschwerde erhoben. Zum Zeitpunkt der Einbringung der Säumnisbeschwerde seien mehr als 15 Monate vergangen gewesen und somit die 15-monatige Entscheidungsfrist des BFA verstrichen, weshalb sich aufgrund der - unbestrittenen - Säumigkeit des BFA die Beschwerde als zulässig erweise. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz sei damit auf das BVwG übergegangen und dieses habe meritorisch zu entscheiden.

8 In der gegen dieses Erkenntnis vom BFA erhobenen Amtsrevision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, dass die Säumnisbeschwerde vor Ablauf der Entscheidungsfrist eingebracht worden sei und das BVwG sie als unzulässig zurückweisen hätte müssen, anstatt eine inhaltliche Entscheidung über den zugrundeliegenden Antrag zu treffen.

9 Ein Antrag auf internationalen Schutz sei gemäß § 17 Abs. 1 AsylG 2005 gestellt, wenn ein Fremder vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder einer Sicherheitsbehörde um Schutz vor Verfolgung ersuche. Gemäß § 17 Abs. 2 AsylG 2005 gelte dieser Antrag mit der Anordnung des BFA nach § 43 BFA-VG eingebracht. Im vorliegenden Fall habe der Antrag auf internationalen Schutz durch die mitbeteiligte Partei durch die Anordnung zur weiteren Vorgehensweise gemäß § 43 Abs. 1 BFA-VG als eingebracht gegolten. Es gäbe noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob die Entscheidungsfrist des BFA mit Stellung des Antrages iSd § 17 Abs. 1 AsylG 2005, der Übermittlung der Informationen gemäß § 42 BFA-VG oder der Anordnung zur weiteren Vorgehensweise gemäß § 43 Abs. 1 BFA-VG beginne.

10 Ungeachtet dieser Frage sei die Säumnisbeschwerde jedenfalls zu früh eingebracht worden, weil aufgrund § 33 Abs. 2 AVG in jenen Fällen, in denen der letzte Tag einer Frist ein Samstag, Sonntag oder Feiertag sei, der nächste reguläre Werktag als Ende der Frist gelte. Daher habe die Entscheidungsfrist des BFA, weil der 1. November 2017 ein Feiertag gewesen sei, erst am 2. November 2017 geendet.

11 Durch die inhaltliche Entscheidung über die "verfrühte" Säumnisbeschwerde weiche das BVwG von näher angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:

13 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt.

14 Zur maßgeblichen Rechtslage:

Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG lautet:

"(1) Die Verwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden

(...)

3. wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine

Verwaltungsbehörde.

(...)"

15 Die anzuwendenden Bestimmungen des AVG und des AsylG 2005

lauten auszugsweise wie folgt:

§ 73 AVG:

"Entscheidungspflicht

§ 73. (1) Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Sofern sich in verbundenen Verfahren (§ 39 Abs. 2b) aus den anzuwendenden Rechtsvorschriften unterschiedliche Entscheidungsfristen ergeben, ist die zuletzt ablaufende maßgeblich.

(2) Wird ein Bescheid, gegen den Berufung erhoben werden kann, nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen, so geht auf schriftlichen Antrag der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die Berufungsbehörde über (Devolutionsantrag). Der Devolutionsantrag ist bei der Berufungsbehörde einzubringen. Er ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

(...)"

§ 22 Abs. 1 AsylG 2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016 (in Kraft getreten am 1. Juni 2016):

"§ 22 (1) Abweichend von § 73 Abs. 1 AVG ist über einen Antrag auf internationalen Schutz längstens binnen 15 Monaten zu entscheiden."

§ 73 Abs. 15 zweiter Satz AsylG 2005:

"§ 22 Abs. 1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 tritt mit Ablauf des 31. Mai 2018 außer

Kraft."

§ 75 Abs. 24 letzter Satz AsylG 2005:

"§ 22 Abs. 1 gilt für Verfahren, die mit Ablauf des 31. Mai 2018 bereits anhängig waren, auch noch nach dem 31. Mai 2018 weiter."

§ 32 Abs. 2 AVG und § 33 AVG:

"Fristen

§ 32. (2) Nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen enden mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat. Fehlt dieser Tag im letzten Monat, so endet die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monats.

§ 33. (1) Beginn und Lauf einer Frist werden durch Samstage, Sonntage oder gesetzliche Feiertage nicht behindert.

(2) Fällt das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag, Karfreitag oder 24. Dezember, so ist der nächste Tag, der nicht einer der vorgenannten Tage ist, als letzter Tag der Frist anzusehen.

(...)"

16 § 8 Abs. 1 VwGVG lautet:

"Frist zur Erhebung der Säumnisbeschwerde

§ 8. (1) Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B VG (Säumnisbeschwerde) kann erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist."

17 Die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) dient dem Rechtsschutz wegen Säumnis der Behörden. Zweck dieses Rechtsbehelfes ist es, demjenigen, der durch die Untätigkeit einer Behörde beschwert ist, ein rechtliches Instrument zur Verfügung zu stellen, um eine Entscheidung in seiner Sache zu erlangen. Die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde setzt die Säumnis der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde voraus, deren Entscheidungspflicht geltend gemacht wird, und somit die Verpflichtung dieser Behörde, über den bei ihr eingebrachten Antrag mittels Bescheid zu entscheiden. Fehlt es an der Säumnis der Behörde, so ist die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen. Nur bei Vorliegen einer zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde erfolgt nach Vorlage derselben oder nach ungenütztem Ablauf der Nachfrist des § 16 Abs. 1 VwGVG ein Übergang der Zuständigkeit, über die betriebene Verwaltungsangelegenheit zu entscheiden, auf das Verwaltungsgericht (VwGH 10.12.2018, Ro 2018/12/0017, mwN).

18 Wurde die Säumnisbeschwerde vor Ablauf der Frist eingebracht, ist sie als unzulässig zurückzuweisen und wird auch nicht nach Ablauf der Frist zulässig, wenn die Behörde weiterhin säumig ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, Verwaltungsverfahrensrecht6, Rz 632 unter Verweis auf VwGH 15.1.1998, 96/07/0096; siehe auch VwGH 28.1.2004, 2003/12/0147).

19 § 33 Abs. 2 AVG sieht vor, dass sich der Ablauf einer Frist, die an einem Samstag, Sonntag oder Feiertag endet, bis zum Ende des nächsten Werktages verlängert. Mangels gegenteiliger gesetzlicher Anordnung, gilt diese Bestimmung auch für von der Behörde einzuhaltende Fristen (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, § 73 AVG E156;

Hengstschläger/Leeb, AVG I2, § 33 Rz 3 mwN; vgl. auch VwGH 24.4.2013, 2011/03/0208, zur vom Verwaltungsgerichtshof der Behörde gesetzten dreimonatigen Frist im Säumnisbeschwerdeverfahren

nach der Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012).

20 Für den hier vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:

21 Die Säumnisbeschwerde wurde per Telefax am 2. November 2017 um 8:49 Uhr beim BFA eingebracht. Die dem BFA nach §§ 22 Abs. 1 iVm 73 Abs. 15 zweiter Satz und 75 Abs. 24 letzter Satz AsylG 2005 eingeräumte Entscheidungsfrist von 15 Monaten war im Zeitpunkt der Einbringung der Säumnisbeschwerde am 2. November 2017 noch nicht abgelaufen, weil diese aufgrund des Feiertages vom 1. November (jedenfalls) erst mit Ablauf des 2. November 2017 geendet hätte, selbst wenn man davon ausginge, die Entscheidungsfrist hätte bereits mit der Antragstellung im Sinn des § 17 Abs. 1 AsylG 2005 zu laufen begonnen. Eine Säumnis der Behörde lag daher mangels Ablauf der dem BFA zur Verfügung stehenden Entscheidungsfrist nicht vor.

22 Da die Erhebung der vorliegenden Säumnisbeschwerde zum Zeitpunkt ihrer Einbringung mangels Ablaufes der für die hier vorzunehmende Beurteilung weiterhin maßgeblichen Entscheidungsfrist von 15 Monaten nicht zulässig war, war ein Übergang der Zuständigkeit auf das Verwaltungsgericht zur Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz mangels Säumnis der Behörde ausgeschlossen und das Verwaltungsgericht hätte die Säumnisbeschwerde als unzulässig zurückweisen müssen.

23 Die mit dem angefochtenen Erkenntnis erfolgte inhaltliche Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz durch das Verwaltungsgericht erweist sich sohin als rechtswidrig.

24 Bei diesem Ergebnis erübrigt sich hier eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Entscheidungsfrist des BFA mit Stellung des Antrages iSd § 17 Abs. 1 AsylG 2005, der Übermittlung der Informationen gemäß § 42 BFA-VG oder der Anordnung zur weiteren Vorgehensweise gemäß § 43 Abs. 1 BFA-VG zu laufen beginnt.

25 Das angefochtene Erkenntnis war nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufzuheben.

Wien, am 28. März 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018140286.L00

Im RIS seit

18.06.2019

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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