TE Vwgh Erkenntnis 1999/4/16 97/02/0511

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Veröffentlicht am 16.04.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §37;
AVG §52;
StVO 1960 §58 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des GH in G, vertreten durch Dr. Gerhard Rößler, Rechtsanwalt in Zwettl, Hamerlingstraße 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 15. Oktober 1997, Zl. Senat-ZT-97-008, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 15. Oktober 1997 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er habe am 8. August 1996 gegen 23.00 Uhr auf der L 8225, Grenzkontrollstelle Gmünd - Böhmzeil, ein dem Kennzeichen nach bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt, obwohl er sich auf Grund von Übermüdung nicht in der zur Lenkung eines Fahrzeuges erforderlichen körperlichen und geistigen Verfassung befunden habe. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 58 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 3 lit. a Straßenverkehrsordnung 1960 begangen. Es sei daher eine Geldstrafe von S 5.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 120 Stunden) zu verhängen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde ging in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon aus, dass der Beschwerdeführer laut Aussage der die Kontrolle des Beschwerdeführers bei der Einreise nach Österreich durchführenden Gendarmeriebeamten eindeutig Ermüdungssymptome aufgewiesen habe, wobei er auch zugestanden habe, die Nacht zuvor wenig geschlafen zu haben. Gendarmeriebeamten, die für den Einsatz in der Verkehrskontrolle geschult seien, könne die Beurteilung, ob sich ein Fahrzeuglenker in übermüdetem Zustand befinde, zugemutet werden. Den Aussagen dieser Beamten sei daher höhere Glaubwürdigkeit als den Aussagen der über Antrag des Beschwerdeführers einvernommenen Zeugen beizumessen. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe eine ärztliche Untersuchung verlangt, sei angesichts der entgegenstehenden Darlegung der Beamten unglaubwürdig.

Der Beschwerdeführer macht geltend, § 58 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung 1960 könne nur dann Anwendung finden, wenn die für das Lenken eines Fahrzeuges erforderlichen körperlichen und geistigen Voraussetzungen offenbar nicht gegeben seien, weshalb in dieser Hinsicht ein besonders strenger Maßstab anzuwenden sei. Die Feststellung der Übermüdung des Beschwerdeführers beruhe lediglich auf der persönlichen Meinung eines Gendarmeriebeamten, der aus den mit "schläfriges Benehmen, motorische Bewegungen und langsame Sprache" umschriebenen Verhaltensweisen des Beschwerdeführers auf dessen nicht mehr gegebene Verkehrszuverlässigkeit geschlossen habe. Ein derartiges Verhaltensmuster könne aber auch dem allgemeinen Charakter des Beschwerdeführers entsprechen bzw. könnten diese Symptome auch auf das vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren ins Treffen geführte Spielen an einem Automaten in einem verrauchten Lokal zurückgeführt werden, ohne dass daraus der Schluss auf Übermüdung gezogen werden könne. Die Feststellung von Ermüdungssymptomen allein reiche nicht aus, vielmehr müsse die Übermüdung einen solchen Grad erreicht haben, dass die Verkehrszuverlässigkeit ausgeschlossen sei. Um dies zu beurteilen, seien medizinische Kenntnisse erforderlich, die einem, wenn auch für die Verkehrskontrolle besonders geschultem Gendarmerieorgan, fehlten. Es wäre daher Aufgabe der belangten Behörde gewesen, ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Gemäß § 58 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung 1960 darf unbeschadet der Bestimmungen des § 5 Abs. 1 ein Fahrzeug nur lenken, wer sich in einer solchen körperlichen und geistigen Verfassung befindet, in der er ein Fahrzeug zu beherrschen und die beim Lenken eines Fahrzeuges zu beachtenden Rechtsvorschriften zu befolgen vermag. Sind diese Voraussetzungen offenbar nicht gegeben, so sind die Bestimmungen des § 5b sinngemäß anzuwenden.

Die belangte Behörde hat das Nichtvorliegen der im Sinne der angeführten Gesetzesstelle erforderlichen körperlichen und geistigen Verfassung des Beschwerdeführers ausschließlich auf die von den einschreitenden Gendarmeriebeamten beobachtete Verhaltensweise des Beschwerdeführers zurückgeführt. Dass der Beschwerdeführer aber etwa tatsächlich sein Kraftfahrzeug in einer auf die angenommene Übermüdung zurückzuführenden, nicht der Straßenverkehrsordnung 1960 entsprechenden Weise gelenkt oder betrieben hätte, kann den Verwaltungsakten nicht entnommen werden. Da nicht jede Ermüdung eines Kraftfahrzeuglenkers von vornherein auf einen Mangel der gemäß § 58 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung 1960 erforderlichen körperlichen und geistigen Verfassung schließen lässt, bedarf es für die Beantwortung der Frage, ob wahrgenommene Ermüdungssymptome bereits den Schluss auf eine mangelnde Verkehrszuverlässigkeit im Sinne des § 58 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung 1960 zulassen, eingehender, allenfalls auch auf das Gutachten eines Sachverständigen gestützter behördlicher Feststellungen.

In dieser Hinsicht hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen lediglich auf die von den eingeschrittenen Gendarmeriebeamten wahrgenommenen Ermüdungserscheinungen und das Zugeständnis des Beschwerdeführers, die Nacht zuvor wenig geschlafen zu haben, verwiesen und die Auffassung vertreten, Gendarmeriebeamten, die für den Einsatz in Verkehrskontrollen geschult seien, könne es zugemutet werden, feststellen zu können, ob ein Fahrzeuglenker sich in einem übermüdeten Zustand befinde.

Bei Eingehen auf die in den Verwaltungsakten enthaltenen Wahrnehmungen der Gendarmeriebeamten kann zunächst der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer der Grenzkontrollstelle langsam genähert hat, wohl nicht als Indiz für eine Verkehrsunzuverlässigkeit gewertet werden. Die von den eingeschrittenen Beamten wahrgenommenen geröteten Bindehäute (gemeint offenbar: der Augen) berechtigten die belangte Behörde nicht von vornherein zu dem Schluss, diese Rötung könnte ausschließlich auf das Vorliegen von Ermüdung zurückgeführt werden. Vielmehr kommt für dieses Symptom eine Reihe von weiteren Ursachen wie z. B. eine Entzündung oder der Aufenthalt in einer verrauchten Gaststätte in Frage. Insbesondere in dieser Hinsicht lässt der angefochtene Bescheid eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, die wahrgenommenen Ermüdungssymptome könnten auch auf das Spielen an einem Automaten zurückgeführt werden, vermissen. Langsame motorische Bewegungen und eine etwas langsame Sprechweise können nicht ohne weiteres lediglich auf eine Übermüdung, sondern allenfalls auch auf eine persönliche Eigenart zurückgeführt werden. Auch in dieser Hinsicht wäre somit eine auf entsprechenden Ermittlungen aufbauende Feststellung der belangten Behörde erforderlich gewesen. Auch aus dem vom Beschwerdeführer zugegebenen Umstand, er habe die Nacht zuvor wenig geschlafen, vermag ein verlässlicher Schluss auf einen das Lenken eines Fahrzeuges unzulässig machenden Grad einer Ermüdung des Beschwerdeführers nicht gezogen zu werden. Zusammenfassend ergibt sich daher, dass das der Bestrafung des Beschwerdeführers zugrunde gelegte Lenken eines Kraftfahrzeuges in einer durch Übermüdung bedingten, nicht mehr den Anforderungen des § 58 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung 1960 entsprechenden körperlichen und geistigen Verfassung durch die Ergebnisse des behördlichen Ermittlungsverfahrens nicht hinreichend belegt ist.

Da der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, musste der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des erhobenen Antrages auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 16. April 1999

Schlagworte

Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997020511.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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