TE Vwgh Erkenntnis 1999/7/23 97/02/0506

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Veröffentlicht am 23.07.1999
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

ABGB §5;
ArbIG 1993 §4 Abs5;
ArbIG 1993 §8 Abs1;
ArbIG 1993 idF 1995/871 §9 Abs3;
VStG §1 Abs2;
VStG §6;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des FK in G, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ulrich O. Daghofer, Rechtsanwalt in Graz, Albrechtgasse 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 20. September 1996, Zl. UVS 30.11-40/95-17, betreffend Übertretung des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 20. September 1996 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der S-GmbH mit dem Sitz in G. und damit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ dieser GmbH zu verantworten, dass, wie vom Arbeitsinspektionsorgan DI Dr. T anlässlich einer am 14. Oktober 1993 im Büro der K und H GmbH - der Beschwerdeführer sei deren geschäftsführender Gesellschafter - durchgeführten Erhebung festgestellt worden sei, dem Arbeitsinspektionsorgan keine Einsicht in die Arbeitsaufzeichnungen für das Personal der S-GmbH gewährt worden sei. Der Beschwerdeführer habe angegeben , dass er zum Zeitpunkt der Erhebung keine Zeit gehabt habe und daher die verlangten Unterlagen nicht habe bereitstellen können, obwohl der Arbeitgeber dafür zu sorgen habe, dass den Arbeitsinspektionsorganen auf Verlangen Einsicht in die Unterlagen gewährt werde, die mit dem Arbeitnehmerschutz im Zusammenhang stünden. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 24 Abs. 1 Z 2 lit. c des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 (ArbIG), BGBl. Nr. 27/1993, begangen. Es wurde eine Geldstrafe von S 5.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage) verhängt.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 10. Oktober 1997, B 4710/96, die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab und trat diese gleichzeitig an den Verwaltungsgerichtshof ab.

In den die Anfechtung vor dem Verwaltungsgerichtshof betreffenden Beschwerdeausführungen macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

§ 4 Abs. 5 ArbIG lautet:

(5) Die Arbeitgeber/innen haben dafür zu sorgen, dass bei ihrer Abwesenheit von der Betriebsstätte oder von der Arbeitsstelle eine dort anwesende Person den Arbeitsinspektionsorganen die Besichtigung ermöglicht, sie auf deren Verlangen begleitet, die erforderlichen Auskünfte (§ 7) erteilt sowie Einsicht in Unterlagen (§ 8) gewährt.

§ 8 Abs 1 ArbIG lautet:

(1) Arbeitgeber/innen und die gemäß § 4 Abs. 5 und 7 beauftragten Personen sind verpflichtet, den Arbeitsinspektionsorganen auf Verlangen alle Unterlagen zur Einsicht vorzulegen, die mit dem Arbeitnehmerschutz im Zusammenhang stehen. Dies gilt insbesondere für Unterlagen über die Betriebsräumlichkeiten, Betriebseinrichtungen, sonstigen mechanischen Einrichtungen, Betriebsmittel, Arbeitsvorgänge, Arbeitsverfahren und Arbeitsstoffe samt den dazugehörigen Plänen, Zeichnungen, Beschreibungen und Betriebsvorschriften. Dies gilt auch für Kollektivverträge, Betriebsvereinbarungen, Arbeitsverträge, Lehrverträge, Lohn-, Gehalts- und Urlaubslisten sowie insbesondere auch für alle Verzeichnisse, Vormerke oder Aufstellungen, die auf Grund von Arbeitnehmerschutzvorschriften oder von Regelungen für die Heimarbeit zu führen sind.

§ 9 ArbIG lautet:

(1) Stellt die Arbeitsinspektion die Übertretung einer Arbeitnehmerschutzvorschrift fest, so ist der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin oder die gemäß § 4 Abs. 7 beauftragte Person nach Möglichkeit im erforderlichen Umfang mit dem Ziel einer möglichst wirksamen Umsetzung der Arbeitnehmerschutzvorschriften zu beraten und hat das Arbeitsinspektorat den Arbeitgeber/die Arbeitgeberin formlos schriftlich aufzufordern, innerhalb einer angemessenen Frist den den Rechtsvorschriften und behördlichen Verfügungen entsprechenden Zustand herzustellen. Eine Ablichtung der Aufforderung ist den Organen der Arbeitnehmerschaft und dem/der gemäß § 23 Abs. 1 gemeldeten verantwortlichen Beauftragten zur Kenntnis zu übersenden. Den Sicherheitsvertrauenspersonen sowie den Sicherheitsfachkräften und Arbeitsmediziner/innen ist eine Ablichtung der Aufforderung zur Kenntnis zu übersenden, soweit deren Aufgabenbereich berührt ist.

(2) Wird der Aufforderung nach Abs. 1 innerhalb der festgelegten Frist nicht entsprochen, so hat das Arbeitsinspektorat Anzeige an die zuständige Verwaltungsstrafbehörde zu erstatten.

(3) Das Arbeitsinspektorat hat auch ohne vorausgehende Aufforderung nach Abs. 1 Strafanzeige wegen Übertretung einer Arbeitnehmerschutzvorschrift zu erstatten, wenn es sich um eine schwerwiegende Übertretung handelt.

. . . . . . . . . . . . .

§ 9 Abs. 3 ArbIG in der Fassung vor der Novelle

BGBl. Nr. 871/1995 lautete:

(3) Das Arbeitsinspektorat ist berechtigt, auch ohne vorausgehende Aufforderung nach Abs. 1 Strafanzeige wegen Übertretung einer Arbeitnehmerschutzvorschrift zu erstatten. Wenn das Verschulden der verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen nicht geringfügig ist oder die Folgen der Übertretung nicht unbedeutend sind, hat das Arbeitsinspektorat ohne vorausgehende Aufforderung gemäß Abs. 1 Strafanzeige zu erstatten.

§ 18 Abs. 2 ArbIG lautet:

(2) Amtshandlungen gemäß §§ 4 und 5 müssen unangemeldet erfolgen. Eine Anmeldung oder Terminvereinbarung ist nur zulässig, wenn dies der Zweck der Amtshandlung im Einzelfall unbedingt erfordert.

Die belangte Behörde ging in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon aus, dass anlässlich einer Kontrolle durch das Arbeitsinspektorat am 30. September 1993 in der S-GmbH von diesem Unternehmen keine Arbeitsaufzeichnungen hätten vorgelegt werden können, da der sogenannte Time-Master erst in der nächsten Woche ausgewertet werde und erst dann die Arbeitsaufzeichnungen zur Verfügung stünden. Dem Arbeitsinspektor DI Dr. T sei empfohlen worden, sich direkt an den Beschwerdeführer wegen der Arbeitsaufzeichnungen zu wenden. Der Beschwerdeführer sei sowohl geschäftsführender Gesellschafter der Steuerberatungskanzlei K. und H. GmbH als auch Geschäftsführer der S-GmbH. Die K. und H. GmbH vertrete in steuerlichen Belangen die S-GmbH und führe auch die Personalverrechnung durch. Am 14. Oktober 1993 um ca. 10.30 Uhr habe sich der Arbeitsinspektor in die Steuerberatungskanzlei des Beschwerdeführers begeben. Als der Arbeitsinspektor erklärt habe, dass er Einsicht in die Arbeitsaufzeichnungen für die Bediensteten der S-GmbH haben wolle, habe der Beschwerdeführer entgegnet, dass er keine Zeit habe, da er wegen eines dringenden geschäftlichen Termins mit einem Klienten weg müsse. Daraufhin habe der Arbeitsinspektor den Beschwerdeführer darauf aufmerksam gemacht, dass dieser dadurch die Inspektion vereitle und dass gegen ihn eine Strafanzeige eingebracht werde. In der Folge hätten sowohl der Arbeitsinspektor als auch der Beschwerdeführer die Steuerberatungskanzlei verlassen.

Der Beschwerdeführer - dieser ist als handelsrechtlicher Geschäftsführer der S-GmbH und somit als zur Vertretung dieser Körperschaft nach außen berufenes Organ gemäß § 9 VStG für die Verletzung von Pflichten, die diese juristische Person treffen, verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich - macht geltend, die Einsicht in die in § 8 Abs. 1 leg. cit. angeführten Unterlagen sei nur nach vorheriger Anmeldung zulässig. Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Rechtsauffassung im Gesetzestext keine Deckung findet. Vielmehr ist es zufolge § 4 Abs. 5 leg. cit. Pflicht des Arbeitgebers, dafür zu sorgen, dass bei seiner Abwesenheit durch eine andere Person dem Arbeitsinspektor Einsicht in Unterlagen gewährt wird. Auch entspricht es - wie insbesondere auch aus § 18 Abs. 2 leg. cit. zu ersehen ist (arg.: Amtshandlungen gemäß § 4 und 5 müssen unangemeldet erfolgen)- durchaus den mit einer Kontrolltätigkeit verfolgten Zwecken, Kontrollen bzw. Einsichtnahmen in Unterlagen unangemeldet durchzuführen, woraus sich die Verpflichtung des Arbeitgebers ergibt, auch bei unangemeldeten Kontrollen nach Möglichkeit die geforderten Unterlagen zur Einsicht zur Verfügung zu stellen. Dieser Verpflichtung ist der Beschwerdeführer aber insofern nicht nachgekommen, als er dem einschreitenden Arbeitsinspektor, obwohl dieser bereits zum zweiten Mal versuchte, in die angeführten Unterlagen der S-GmbH Einsicht zu nehmen, die Einsichtnahme mit der Begründung verweigerte, einen Termin wahrnehmen zu müssen. Mit dieser Begründung hat der Beschwerdeführer auch nicht zum Ausdruck gebracht, er könne die Einsicht deshalb nicht gewähren, weil sich die Unterlagen entgegen den Angaben von Vertretern der S-GmbH nicht in der Steuerberatungskanzlei befänden, oder dass es ihm unmöglich sei, eine dritte Person, etwa einen Angestellten, mit der Gewährung der Einsicht zu betrauen. Dieses Verhalten des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde zu Recht als Verweigerung der Einsichtnahme und somit als Übertretung des § 8 Abs. 1 ArbIG gewertet, hat doch auch im Fall der Betrauung eines ausserhalb des Betriebes stehenden Unternehmens mit der Führung der arbeitnehmerschutzrechtlichen Unterlagen der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass dem Arbeitsinspektor im beauftragten Unternehmen die Einsicht in diese Unterlagen gewährt wird.

Soweit der Beschwerdeführer ins Treffen führt, er habe sich in einer notstandsähnlichen Situation befunden, ist ihm zu entgegnen, dass gemäß § 6 VStG von einem die Strafbarkeit einer Tat ausschließenden Notstand nur dann gesprochen werden kann, wenn jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, dass er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht. In der Möglichkeit einer wirtschaftlichen Schädigung, durch die die Lebensmöglichkeiten selbst nicht unmittelbar bedroht werden, kann eine unmittelbar drohende Gefahr und somit ein Notstand im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht gesehen werden (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens 5, Wien 1996, S 788f, zitierte Judikatur).

Zum Einwand, der Beschwerdeführer hätte im Fall der Erfüllung seiner Verpflichtung seine beruflichen und standesrechtlichen Pflichten verletzen müssen, ist festzuhalten, dass es, falls der Beschwerdeführer nicht persönlich in der Lage gewesen sein sollte, der Aufforderung zur Bereitstellung der gewünschten Unterlagen nachzukommen, seine Verpflichtung gewesen wäre, dafür zu sorgen, dass ein Dritter für ihn der Aufforderung Folge leistet.

Der Beschwerdeführer versucht, aus der mit BGBl. Nr. 871/1995 erfolgten und vor Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft getretenen Änderung des § 9 Abs. 3 ArbIG, derzufolge der Arbeitsinspektor nur dann ohne vorhergehende Aufforderung Strafanzeige erstatten darf, wenn eine schwerwiegende Übertretung vorliegt, die Unzulässigkeit der gegen ihn erstatteten Anzeige und damit die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides abzuleiten. Diese Norm regelt das Verhalten der Organe der Arbeitsinspektion für den Bereich ihrer zeitlichen Geltung. Dieser Gesetzesstelle ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass dadurch etwa Anzeigen, die von Arbeitsinspektoren vor dem Inkrafttreten der geänderten Fassung erstattet wurden, deswegen von der Behörde nicht mehr beachtet werden dürften, weil die Anzeigelegung nicht in Übereinstimmung mit der neuen Rechtslage erfolgte. Vielmehr ist die Rechtmäßigkeit des Einschreitens des Arbeitsinspektionsorganes an Hand der im Zeitpunkt des Einschreitens bestehenden Rechtslage zu beurteilen. Dies entspricht auch dem Grundsatz, dass ein Sachverhalt im Zweifel unter jenes Gesetz fällt, unter dessen Herrschaft er konkretisiert wurde, welcher durch die hg. Judikatur nicht aufgehoben wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 1979, Zl. 2475/79). Da gemäß § 5 ABGB Gesetze grundsätzlich nicht zurückwirken, haben sie auf vorangegangene Handlungen keinen Einfluss. Vor der Erlassung eines neuen Gesetzes gesetzte Handlungen unterliegen weiterhin dem alten "bereits außer Kraft getretenen" Gesetz (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Juni 1991, Zl. 91/09/0077). Im Hinblick auf das von der belangten Behörde zu Recht als nicht geringfügig erachtete Verschulden des Beschwerdeführers erweist sich die unter Geltung des ArbIG in der Fassung vor der angeführten Novelle erfolgte Strafanzeige als rechtmäßig. Der in diesem Zusammenhang vom Beschwerdeführer erstattete Hinweis auf die gebotene Anwendung der für ihn im Strafverfahren günstigeren Rechtslage geht ins Leere, weil gemäß § 1 Abs. 2 VStG sich die Strafe zwar nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht richtet, es sei denn, dass das zur Zeit der Fällung des Bescheides in erster Instanz geltende Recht für den Täter günstiger wäre. Aus dieser Bestimmung ist für den Standpunkt des Beschwerdeführers aber nichts zu gewinnen, weil es sich bei der (geänderten) Regelung des § 9 Abs. 3 ArbIG nicht um eine Strafnorm handelt (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens 5, Wien 1996, S 746f, zitierte Judikatur).

Die sich somit insgesamt als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 23. Juli 1999

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997020506.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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