TE Vwgh Beschluss 2018/11/13 Ra 2018/21/0098

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Veröffentlicht am 13.11.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §68;
BFA-VG 2014 §22a Abs1 Z3;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. April 2018, Zl. W250 2185753-1/6E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: K D, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, 1170 Wien, Wattgasse 48/3), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Mandatsbescheid vom 30. Jänner 2018 ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den Mitbeteiligten, einen Staatsangehörigen Algeriens, im Hinblick auf das Vorliegen einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung sowie eines auf die Dauer von sieben Jahren befristeten Einreiseverbotes gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG nach dessen Vernehmung die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung an.

Begründend bejahte es das Vorliegen der Voraussetzungen von Fluchtgefahr iSd § 76 Abs. 3 Z 2 und 9 FPG. Der Mitbeteiligte sei entgegen dem erwähnten Einreiseverbot neuerlich in das Bundesgebiet eingereist (§ 76 Abs. 3 Z 2 FPG). Dazu kämen das Fehlen eines Wohnsitzes und eigener Barmittel sowie der bisher unbekannte Aufenthalt im Verborgenen ohne polizeiliche Meldung. Es sei somit die Gefahr eines neuerlichen Untertauchens zu bejahen, der durch eine Anwendung gelinderer Mittel nach § 77 FPG nicht begegnet werden könne.

2 Nach unmittelbar vorangegangener neuerlicher Einvernahme des (durchgehend in Schubhaft angehaltenen) Mitbeteiligten ordnete das BFA mit weiterem - von einem anderen Organwalter verfassten - Mandatsbescheid vom 1. Februar 2018 noch einmal gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft über den Mitbeteiligten zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung an.

Das BFA bejahte in diesem Bescheid das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme von Fluchtgefahr nach § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG. Dass der Mitbeteiligte seine Rückkehr oder Abschiebung umgehe oder behindere (§ 76 Abs. 3 Z 1 FPG), folge daraus, dass er sich seit 1. Februar 2018 im Hungerstreik befinde. Im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 3 FPG ging das BFA des Weiteren davon aus, dass der Mitbeteiligte trotz Bestehens einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Bundesgebiet verblieben sei, obwohl ihm die Ausreise möglich gewesen wäre. Zusätzlich verwies das BFA (neuerlich) im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 9 FPG auf das Fehlen eines Wohnsitzes und einer polizeilichen Meldung, die Mittellosigkeit, mangelnde soziale Verankerung sowie den bisher unbekannten Aufenthalt des Mitbeteiligten im Verborgenen. Es sei somit die Gefahr eines neuerlichen Untertauchens und damit Fluchtgefahr zu bejahen, der durch eine Anwendung gelinderer Mittel nach § 77 FPG nicht ausreichend begegnet werden könne.

3 Am 8. Februar 2018 ordnete das BFA die Aufhebung der Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft an, nachdem die Vertretungsbehörde Algeriens in Aussicht gestellt hatte, die für eine (mangels Reisepapieren notwendige) Ausstellung eines Heimreisezertifikates erforderliche Identitätsprüfung in Algerien könnte vier bis fünf Monate Zeit in Anspruch nehmen.

4 Am 9. Februar 2018 brachte der Mitbeteiligte zwei gesonderte (jeweils am Tag davor verfasste) Beschwerden gemäß § 22a BFA-VG gegen die Mandatsbescheide des BFA vom 30. Jänner 2018 und vom 1. Februar 2018 sowie (jeweils) gegen die fortdauernde Anhaltung "seit 30.01.2017" (gemeint: 2018) ein.

5 Mit (unbekämpft gebliebenem) Erkenntnis vom 4. April 2018 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gegen den Schubhaftbescheid vom 30. Jänner 2018 und die darauf gegründete Anhaltung gerichteten Beschwerde statt, erklärte diesen Bescheid sowie die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft vom 30. Jänner bis zum 1. Februar 2018 für rechtswidrig und sprach diesem Aufwandersatz zu.

6 Mit weiterem, vorliegend angefochtenem Erkenntnis vom 4. April 2018 gab das BVwG auch der gegen den zweiten Schubhaftbescheid vom 1. Februar 2018 und die anschließende Anhaltung erhobenen Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG statt. Es erklärte den Schubhaftbescheid vom 1. Februar 2018 sowie die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft vom 1. bis zum 8. Februar 2018 für rechtswidrig und traf entsprechende Kostenaussprüche. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, das BFA habe mit dem Bescheid vom 1. Februar 2018 trotz Gleichbleibens der für die Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse und der rechtlichen Grundlagen eine weitere Entscheidung in einer bereits entschiedenen Sache erlassen. Dies verstoße gegen das Verbot der Unwiederholbarkeit eines Bescheides und mache diesen daher inhaltlich rechtswidrig.

"Sache" sei dabei der im Bescheid enthaltene Ausspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit, die durch den Bescheid ihre Erledigung gefunden habe, und zwar auf Grund der Sachlage, wie sie in dem von der Behörde angenommenen maßgeblichen Sachverhalt zum Ausdruck komme. Nur ein zeitlich, örtlich oder sachlich maßgeblich differentes Geschehen könne als anderer Sachverhalt angesehen werden.

Zwar sei der Mitbeteiligte am 1. Februar 2018 neuerlich einvernommen worden. Hinweise auf ein Verhalten, das Anlass zu einer neuen Bewertung der Voraussetzungen für die (bereits erfolgte) Anordnung der Schubhaft geben könnte, seien dabei jedoch nicht hervorgekommen. Ebenso sei keine Änderung der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eingetreten. Schließlich lasse sich dem Bescheid vom 1. Februar 2018 nicht einmal die Absicht des BFA entnehmen, seinen Bescheid vom 30. Jänner 2018 abzuändern. Infolge der Erlassung dieses Bescheides hätte bei - fallbezogen anzunehmendem - Gleichbleiben der Verhältnisse somit nicht eine weitere Sachentscheidung ergehen dürfen.

Da der Schubhaftbescheid vom 1. Februar 2018 rechtswidrig gewesen sei, müsse das auch für die auf diesen Bescheid gestützte Anhaltung gelten.

8 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Amtsrevision des BFA erweist sich als unzulässig.

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10 Unter diesem Gesichtspunkt vertritt das BFA vorrangig den Standpunkt, es habe den unzureichend begründeten Schubhaftbescheid vom 30. Jänner 2018 von sich aus durch einen zweiten besser begründeten Schubhaftbescheid vom 1. Februar 2018 ersetzen dürfen und dabei implizit den erstgenannten Bescheid nach § 68 AVG aufgehoben.

11 Dass nachträglich Begründungsmängel saniert werden sollten, trifft jedoch nach der Aktenlage nicht zu, weil sich weder im zweiten Schubhaftbescheid vom 1. Februar 2018 noch in der seiner Erlassung unmittelbar vorangehenden Vernehmung des Mitbeteiligten vom 1. Februar 2018 eine konkrete Bezugnahme auf den ersten Schubhaftbescheid vom 30. Jänner 2018 findet. Schon deshalb kann auch nicht unterstellt werden, dass ein Bescheid nach § 68 AVG ergangen sei. Außerdem wurde der Mitbeteiligte vor der Erlassung des Schubhaftbescheides vom 1. Februar 2018 nicht enthaftet und - entgegen dem Vorbringen der Revision - auch nicht "eine neue Festnahme verfügt". Es fehlt insgesamt - wie das BVwG zutreffend erkannte - jeder Anhaltspunkt für eine im Bescheid vom 1. Februar 2018 zum Ausdruck kommende Korrekturabsicht des BFA. Dessen darauf aufbauende Argumentation in der Amtsrevision geht insoweit daher ins Leere.

12 Weiters führt das BFA ein Abweichen des BVwG von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ins Treffen, nach der die Wiederholung einer gleichartigen Entscheidung den betroffenen Fremden nicht in Rechten verletze.

13 Wieso im vorliegenden Fall keine Rechtsverletzung vorliegen sollte, erschließt sich allerdings nicht, weil die Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides vom 30. Jänner 2018 und der darauf gegründeten Anhaltung des Mitbeteiligten bereits mit (unbekämpft gebliebenem) Erkenntnis des BVwG vom 4. April 2018 bindend festgestellt worden war (vgl. im Übrigen aber auch VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0106, Rn. 21, wonach bei aufrechter Schubhaft für die Erlassung eines neuen Schubhaftbescheides keine Grundlage besteht).

14 Diese rechtskräftige Feststellung, die nicht die rückwirkende Aufhebung des Schubhaftbescheides vom 30. Jänner 2018 zur Folge hatte, ändert entgegen der Revision auch nichts am Vorliegen zweier nebeneinander bestehender und jeweils die Schubhaft anordnender Bescheide.

15 Im Ergebnis vermag die Revision somit insgesamt keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Wien, am 13. November 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210098.L00

Im RIS seit

21.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.12.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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