TE Vfgh Erkenntnis 2018/9/24 V60/2018 (V60/2018-4)

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Veröffentlicht am 24.09.2018
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Index

32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z1
B-VG Art139 Abs3
EStG 1988 §17 Abs6, §20 Abs2, §26
V des Bundesministers für Finanzen über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für Werbungskosten von Angehörigen bestimmter Berufsgruppen, BGBl II 382/2001 idF BGBl II 382/2015 §4 Abs1

Leitsatz

Aufhebung einer Wortfolge der Verordnung über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für Werbungskosten von Angehörigen bestimmter Berufsgruppen betreffend Ausnahmen vom Abzugsverbot für Werbungskosten für Vertreter mangels gesetzlicher Grundlage

Spruch

I. Die Wortfolge ", ausgenommen jene nach §1 Z9 (Vertreter)" in §4 Abs1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für Werbungskosten, BGBl II Nr 382/2001 idF BGBl II Nr 382/2015, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Der Bundesminister für Finanzen ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Bundesfinanzgericht, die Wortfolge ", ausgenommen jene nach §1 Z9 (Vertreter)" in §4 Abs1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für Werbungskosten (in der Folge: Verordnung der Durchschnittssätze für Werbungskosten), BGBl II 382/2001 idF BGBl II 382/2015, als gesetzwidrig aufzuheben.

II.      Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

1.       §17 Abs6 EStG 1988, BGBl 400 idF BGBl I 818/1993, lautet:

"Durchschnittssätze

[…]

(6) Zur Ermittlung von Werbungskosten können vom Bundesminister für Finanzen Durchschnittssätze für Werbungskosten im Verordnungswege für bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen nach den jeweiligen Erfahrungen der Praxis festgelegt werden."

2.       §1 Z9 und §4 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für Werbungskosten, BGBl II 382/2001 idF BGBl II 382/2015, lauten:

"§1. Für nachstehend genannte Gruppen von Steuerpflichtigen werden nach den jeweiligen Erfahrungen der Praxis anstelle des Werbungskostenpauschbetrages gemäß §16 Abs3 EStG 1988 folgende Werbungskosten auf die Dauer des aufrechten Dienstverhältnisses festgelegt:

[…]

9. Vertreter

5% der Bemessungsgrundlage, höchstens 2 190 Euro jährlich.

Der Arbeitnehmer muss ausschließlich Vertretertätigkeit ausüben. Zur Vertretertätigkeit gehört sowohl die Tätigkeit im Außendienst als auch die für konkrete Aufträge erforderliche Tätigkeit im Innendienst. Von der Gesamtarbeitszeit muss dabei mehr als die Hälfte im Außendienst verbracht werden.

[…]

§4. (1) Kostenersätze gemäß §26 EStG 1988 kürzen die jeweiligen Pauschbeträge, ausgenommen jene nach §1 Z9 (Vertreter).

(2) Bei Expatriates gemäß §1 Z11 kürzen Kostenersätze gemäß §26 Z4 EStG 1988 nicht den Pauschbetrag."

III.    Antragsvorbringen

1.       Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1.    Der Beschwerdeführer vor dem Bundesfinanzgericht hat in seiner Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2017 das Werbungskostenpauschale nach §1 Z9 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für Werbungskosten, BGBl II 382/2001 idF BGBl II 382/2015, geltend gemacht. Mit Bescheid des Finanzamtes Gänserndorf Mistelbach vom 27. April 2018 betreffend die Einkommensteuer 2017 wurde das Werbungskostenpauschale nicht anerkannt und begründend darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer von seinem Dienstgeber Ersätze gemäß §26 Z4 EStG 1988 iHv € 5.778,56 erhalten habe. Das Berufsgruppenpauschale gemäß §17 EStG 1988 stehe nicht zu, da die in der Stammfassung der Verordnung (BGBl II 382/2001) enthaltene Ausnahmeregelung, nach der bei Vertretern Kostenersätze nicht gegenzurechnen seien, vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 26. Februar 2018, V45/2017, als gesetzwidrig aufgehoben worden sei.

1.2.    In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Beschwerdeführer vor, dass nach der in Rede stehenden Verordnung in der Fassung BGBl II 68/2018, die Anrechnung von Kostenersätzen bei Vertretern erst ab der Veranlagung für das Jahr 2018 anzuwenden sei.

1.3.    Die Beschwerde wurde gemäß §262 Abs2 lita BAO ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

1.4.    Bei der Behandlung der Beschwerde sind beim Bundesfinanzgericht Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Wortfolge entstanden.

2.       Das Bundesfinanzgericht legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

2.1.    Der Verfassungsgerichtshof habe mit Erkenntnis vom 26. Februar 2018, V45/2017, die Wortfolge ", ausgenommen jene nach §1 Z9 (Vertreter)" in §4 der Stammfassung der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für Werbungskosten von Angehörigen bestimmter Berufsgruppen, BGBl II 382/2001, als gesetzwidrig aufgehoben. Auf Grund dieser Aufhebung sehe sich das Bundesfinanzgericht veranlasst, einen Normenprüfungsantrag hinsichtlich der "Nachfolgefassung", BGBl II 382/2015, zu stellen. Diese "Nachfolgefassung" sei auf Grund der Zeitbezogenheit steuerlicher Normen auf das im Beschwerdefall in Streit stehende Jahr 2017 anzuwenden und daher präjudiziell. Die Bedenken, die zur Aufhebung (der Wortfolge in §4 Verordnung der Durchschnittssätze für Werbungskosten) der Stammfassung BGBl II 382/2001 durch den Verfassungsgerichtshof geführt hätten, ließen sich auf die im Beschwerdefall maßgebliche Fassung BGBl II 382/2015 übertragen, zumal §4 Verordnung der Durchschnittssätze für Werbungskosten dadurch keine inhaltliche Änderung erfahren habe, sondern die angefochtene Wortfolge nunmehr in §4 Abs1 Verordnung der Durchschnittssätze für Werbungskosten zu finden sei.

IV.      Erwägungen

1.       Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1.    Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2.    Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2.       In der Sache

2.1.    Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2.    Der Antrag ist begründet.

2.3.    §4 Abs1 Verordnung der Durchschnittssätze für Werbungskosten, BGBl II 382/2015, sieht vor, dass die in §1 festgelegten Pauschbeträge um die Kostenersätze gemäß §26 EStG 1988 zu kürzen sind, ausgenommen jene nach §1 Z9 (Vertreter).

2.4.    Mit Erkenntnis vom 26. Februar 2018, V45/2017, hat der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge ", ausgenommen jene nach §1 Z9 (Vertreter)" in §4 der Stammfassung der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für Werbungskosten von Angehörigen bestimmter Berufsgruppen, BGBl II 382/2001, mangels gesetzlicher Grundlage als gesetzwidrig aufgehoben. Mit der durch BGBl II 382/2015 erfolgten Novellierung erhielt der bis dahin geltende Text des §4 Verordnung der Durchschnittssätze für Werbungskosten die Absatzbezeichnung "(1)"; zudem wurde der Bestimmung ein (neuer) Absatz 2 angefügt. §4 der Stammfassung, BGBl II 382/2001, ist mit dem – im Beschwerdefall maßgeblichen – §4 Abs1 Verordnung der Durchschnittssätze für Werbungskosten idF BGBl II 382/2015 wortident.

2.5.    Die Erwägungen, die den Verfassungsgerichtshof zur Aufhebung der Wortfolge ", ausgenommen jene nach §1 Z9 (Vertreter)" in §4 der Stammfassung der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für Werbungskosten von Angehörigen bestimmter Berufsgruppen, BGBl II 382/2001, veranlasst haben, sind auf §4 Abs1 Verordnung der Durchschnittssätze für Werbungskosten, BGBl II 382/2015, übertragbar:

Nach §17 Abs6 EStG 1988 ist der Bundesminister für Finanzen ermächtigt, zur Ermittlung von Werbungskosten mittels Verordnung Durchschnittssätze für Werbungskosten für bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen nach den jeweiligen Erfahrungen der Praxis festzulegen. Im Rahmen dieser Ermächtigung regelt §4 Abs1 der Verordnung der Durchschnittssätze für Werbungskosten, BGBl II 382/2015, dass Kostenersätze gemäß §26 EStG 1988 die jeweiligen Pauschbeträge kürzen, womit der Verordnungsgeber die gesetzliche Regelung des §20 Abs2 EStG 1988 beachtet. §17 Abs6 EStG 1988 enthält jedoch keine Ermächtigung, Ausnahmen vom Abzugsverbot für Werbungskosten, für die steuerfreie Kostenersätze gemäß §26 EStG 1988 gewährt werden, vorzusehen. Insoweit überschreitet der Verordnungsgeber mit dem letzten Halbsatz in §4 Abs1 Verordnung der Durchschnittssätze für Werbungskosten, BGBl II 382/2015, die gesetzliche Ermächtigung in §17 Abs6 EStG 1988. Schon aus diesem Grund erweist sich die angefochtene Wortfolge als gesetzwidrig (vgl VfGH 26.2.2018, V45/2017).

V.       Ergebnis

1.       Die Wortfolge ", ausgenommen jene nach §1 Z9 (Vertreter)" in §4 Abs1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für Werbungskosten, BGBl II 382/2001 idF BGBl II 382/2015, ist daher als gesetzwidrig aufzuheben.

2.       Die Verpflichtung des Bundesministers für Finanzen zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z4 BGBlG.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z4 VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Einkommensteuer, Werbungskosten, Steuerbefreiungen, Ausgaben nichtabzugsfähige, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:V60.2018

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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