Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, in der Revisionssache der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land in 4020 Linz, Kärntnerstraße 16, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 28. Mai 2018, LVwG-750543/2/BP/JB, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: U A, vertreten durch Mag. Heimo Lindner, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 35b), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte, eine türkische Staatsangehörige, verfügte zuletzt über eine "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" mit einer Gültigkeit bis zum 8. März 2018. Am 16. März 2018 langte bei der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land (belangte Behörde, Revisionswerberin) ein Schreiben der Mitbeteiligten vom 14. März 2018 betreffend "Verspätete Antragstellung gemäß § 24 Abs. 2 NAG" ein. Am 22. März 2018 brachte die Mitbeteiligte auf Grund eines von der belangten Behörde erteilten Verbesserungsauftrags ihren (als solchen bezeichneten) Verlängerungsantrag persönlich bei der belangten Behörde ein.
2 Mit Bescheid vom 10. April 2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Mitbeteiligten auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gestützt auf § 21 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Z 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung eine Antragseinbringung mit 22. März 2018 zugrunde. Der Antrag sei daher verspätet eingebracht worden und demnach als Erstantrag zu werten. Eine Inlandsantragstellung sei vorliegend nicht zulässig. Der Antrag sei daher abzuweisen gewesen.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 28. Mai 2018 gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten insoweit statt, als der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Erlassung eines Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen wurde. Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.
Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass sich die Mitbeteiligte seit 13 Jahren legal in Österreich aufhalte. Die rund 70-jährige Mitbeteiligte leide - wie den im Akt befindlichen Gutachten zu entnehmen sei - (neben anderen Krankheiten) an massiven Schwindelanfällen, mit denen auch Konzentrationsstörungen und starke Vergesslichkeit einhergingen. Als Zeitpunkt der Antragseinbringung sah das Verwaltungsgericht den 14. März 2018 an, der Antrag sei somit nach Ablauf der Frist gemäß § 24 Abs. 1 NAG eingebracht worden.
Das Verwaltungsgericht hielt fest, dass die belangte Behörde auf die von der Mitbeteiligten vorgebrachten Gründe für das verspätete Einbringen des Anbringens nicht eingegangen sei. Unter Bezugnahme auf das Vorbringen der Mitbeteiligten im Zusammenhang mit ihrem schlechten Gesundheitszustand und ihrer medizinisch begründeten Vergesslichkeit sowie auf die vorgelegte nachvollziehbare Darstellung der behandelnden Hausärztin gelangte das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass die zur Verwechslung der Frist infolge "verminderte(r) geistige(r) Beweglichkeit" führenden Umstände als unvorhersehbar und unabwendbar zu bezeichnen seien. Weiters ging das Verwaltungsgericht von einem minderen Grad des Verschuldens aus. Die in § 24 Abs. 2 NAG genannten Tatbestandsmerkmale (denen zufolge ein nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels gestellter Antrag als Verlängerungsantrag gelte) seien im vorliegenden Fall gegeben.
Die belangte Behörde habe - so das Verwaltungsgericht - die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nicht geprüft, zumal sie von der rechtswidrigen Annahme ausgegangen sei, der Verlängerungsantrag sei verspätet und daher in einen Erstantrag umzudeuten gewesen. Nachdem Inhalt des angefochtenen Bescheides die Abweisung des in Rede stehenden Erstantrages gewesen sei, sei dem Verwaltungsgericht eine materielle Entscheidung über den gestellten Verlängerungsantrag verwehrt. Zudem lägen keine Anhaltspunkte vor, dass die diesbezüglich unterbliebene notwendige Ermittlung des Sachverhalts vom Verwaltungsgericht rascher und effizienter durchgeführt werden könne. Daher sei der Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zurückzuverweisen gewesen.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit zunächst vor, das Verwaltungsgericht sei mit seiner Auffassung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 NAG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen (Verweis auf VwGH 18.1.2017, Ra 2016/22/0096). Vorliegend sei keine Extremsituation bzw. emotionale Ausnahmesituation auf Seiten der Mitbeteiligten gegeben. Aus dem (auch vom Verwaltungsgericht angesprochenen) Umstand, dass die Mitbeteiligte in den "13 Vorjahren" ihre Verlängerungsanträge immer rechtzeitig eingebracht habe, sei abzuleiten, dass diese über ausreichende Erfahrung im Umgang mit Behörden verfüge und von ihr die entsprechende Sorgfalt bei der Einhaltung von Fristen erwartet werden könne. Es könne daher nicht von einem bloß minderen Grad des Versehens der Mitbeteiligten ausgegangen werden.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass die Bestimmung des § 24 Abs. 2 NAG dem § 71 Abs. 1 Z 1 AVG nachgebildet ist und der Sache nach eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Fall der Versäumung der materiell-rechtlichen Frist des § 24 Abs. 1 NAG ermöglichen soll. Die Judikatur zu § 71 Abs. 1 Z 1 AVG kann daher auch für die Auslegung des § 24 Abs. 2 NAG herangezogen werden (vgl. VwGH 10.12.2013, 2011/22/0144, mwN).
8 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis auch in einem inneren, psychischen Geschehen und daher (wie vorliegend angenommen) auch in einem Vergessen oder Versehen liegen kann (siehe VwGH 13.12.2011, 2010/22/0179, mwN).
9 Die Beurteilung, ob ein im Sinn des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG (bzw. des § 33 Abs. 1 VwGVG) unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden zur Versäumnis geführt hat, also die Qualifikation des Verschuldensgrades, unterliegt - als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Abwägung - grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 31.5.2017, Ra 2017/22/0064, Rn. 12, mwN).
10 Vorliegend vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes betreffend das Vorliegen eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses bzw. die Annahme eines bloß minderen Grad des Versehens unvertretbar wäre. Die Revisionswerberin macht geltend, das Verwaltungsgericht sei mit seiner Entscheidung vom Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Jänner 2017, Ra 2016/22/0096, abgewichen. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass die jeweils gegenständlichen Sachverhaltskonstellationen nicht vergleichbar sind. Während dem Erkenntnis Ra 2016/22/0096 ein Fall zugrunde lag, in dem die verspätete Antragstellung zunächst gar nicht und in der Folge (bloß) mit einem Übersehen des Ablaufs des Aufenthaltstitels begründet worden ist, hat die Mitbeteiligte vorliegend ihren schlechten Gesundheitszustand und die daraus resultierende Vergesslichkeit unter Vorlage ärztlicher Bestätigungen ins Treffen geführt. Dass das Verwaltungsgericht darauf gestützt die Tatbestandsvoraussetzungen des § 24 Abs. 2 NAG als gegeben angesehen hat, begründet keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Beeinträchtigung der Rechtssicherheit. Angesichts der auf den aktuellen Gesundheitszustand der Mitbeteiligten abstellenden Einschätzung des Verwaltungsgerichtes vermag auch der von der Revisionswerberin ins Treffen geführte Umstand, die Mitbeteiligte habe in den vergangenen Jahren ihre Verlängerungsanträge stets rechtzeitig gestellt, daran nichts zu ändern.
11 Zudem bringt die Revisionswerberin vor, das Verwaltungsgericht habe die Angelegenheit zu Unrecht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zurückverwiesen. Das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass ihm eine materielle Entscheidung verwehrt sei, weil Inhalt des Bescheides ein Abspruch über einen Erstantrag gewesen sei. Bei der Frage, ob der Antrag als Erstantrag oder Verlängerungsantrag zu werten sei, handle es sich aber nur um eine unterschiedliche rechtliche Qualifikation desselben Antrags (und nicht um verschiedene Anträge) und somit um dieselbe Sache. Das Verwaltungsgericht hätte die Angelegenheit, die von der Revisionswerberin entschieden worden sei, zu erledigen gehabt.
12 Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass dem Verwaltungsgericht dadurch, dass die Revisionswerberin den Antrag - nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes: zu Unrecht - als Erstantrag gewertet hatte, eine inhaltliche Entscheidung über diesen Antrag nicht dem Grunde nach verwehrt war. Die Revision zeigt aber die Relevanz des damit ins Treffen geführten Begründungsmangels nicht auf (vgl. zur Darlegung der Relevanz eines Verfahrensmangels VwGH 23.5.2018, Ra 2018/05/0055, Rn. 17, mwN). Dem angefochtenen Erkenntnis lässt sich nämlich mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass das Verwaltungsgericht die Zurückverweisung auch deshalb als zulässig angesehen hat, weil die Revisionswerberin - auf Grund ihrer rechtswidrigen Annahme des Vorliegens eines unzulässigen Erstantrags - "die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung des intendierten Aufenthaltstitels nicht geprüft" hat. Gegen die damit zum Ausdruck gebrachte Annahme des Vorliegens krasser Ermittlungslücken enthält die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen aber keine substanziierten Ausführungen.
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
14 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen. Wien, am 4. Oktober 2018
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220191.L00Im RIS seit
31.10.2018Zuletzt aktualisiert am
20.12.2018