RS Vfgh 2017/3/15 G219/2016 ua

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Veröffentlicht am 15.03.2017
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Index

27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62a Abs1
RechtsanwaltstarifG §7 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art13

Leitsatz

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Regelung des RechtsanwaltstarifG betreffend den Ausschluss eines Rechtsmittels gegen die gerichtliche Streitwertfestsetzung; keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Rechtsmittelausschluss; keine Überschreitung des rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes im Hinblick auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel einer raschen Klärung der Bewertung des Streitgegenstandes; Einrichtung eines Instanzenzuges nicht erforderlich; Unzulässigkeit auch der Anfechtung einer - vom VfGH aufgehobenen - Bestimmung des VfGG betreffend die Zulässigkeit eines Parteiantrags mangels Präjudizialität

Rechtssatz

Zurückweisung des Parteiantrags auf Aufhebung des §7 Abs2 letzter Satz RechtsanwaltstarifG - RATG sowie des Wortes "zulässiges" in §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 15/2016.

Das Handelsgericht Wien hat in der bei ihm anhängigen Rechtssache, einem zivilprozessualen Verfahren mit dem Begehren auf Erlassung eines Feststellungsurteils, §62a Abs1 VfGG nicht anzuwenden. §62a Abs1 VfGG kommt ausschließlich im Verfahren vor dem VfGH zur Anwendung. Der Antrag auf Aufhebung des Wortes "zulässiges" in §62a Abs1 VfGG idF BGBl I 15/2016 erweist sich schon aus diesem Grund als unzulässig.

Auch eine amtswegige Prüfung des Wortes "zulässiges" in §62a Abs1 VfGG idF BGBl I 15/2016 kommt im Hinblick auf die Aufhebung ua der Wortfolge "rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und" in §62a Abs1 erster Satz VfGG mit E v 02.07.2016, G95/2016, nicht mehr in Betracht, da ein bereits als verfassungswidrig aufgehobenes Gesetz nicht neuerlich Gegenstand eines entsprechenden Gesetzesprüfungsverfahrens sein kann.

Der VfGH sieht auch keinen Grund, eine amtswegige Prüfung des §62a Abs1 VfGG idF BGBl I 107/2016 einzuleiten, zumal den Bedenken, welche die antragstellende Gesellschaft darlegt, bereits mit der Aufhebung der Wortfolge "rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und" in §62a Abs1 VfGG durch das E v 02.07.2016, G95/2016, Rechnung getragen wurde.

Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der VfGH über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels, wobei es sich hiebei um ein zulässiges Rechtsmittel handeln muss.

Dies ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil §7 Abs2 letzter Satz RATG ein Rechtsmittel gegen den Beschluss über die gerichtliche Streitwertfestsetzung ausdrücklich ausschließt. Der VfGH sieht sich aus Anlass dieses Antrages nicht veranlasst, ein amtswegiges Verfahren zur Prüfung des §7 Abs2 letzter Satz RATG einzuleiten.

Die gemäß §7 Abs2 RATG festgesetzte Bewertung des Streitgegenstandes stellt die Bemessungsgrundlage für die Tarifsätze für die Ermittlung der Anwaltskosten (§3 RATG) und für die Festsetzung der Gerichtsgebühren (§18 Abs2 Z1 iVm §6 GGG) dar. Die Bewertung des Streitgegenstandes nach §7 RATG hat darüber hinaus keine rechtliche Bedeutung, etwa hinsichtlich der Gerichtszuständigkeit.

Da Art6 Abs1 EMRK die Einrichtung eines Instanzenzuges nicht fordert, sondern es vielmehr ausreicht, wenn nur eine gerichtliche Instanz über die Sache entscheidet, erweist sich der Rechtsmittelausschluss des §7 Abs2 letzter Satz RATG unter dem Aspekt des Art6 Abs1 EMRK nicht als verfassungswidrig.

Da auch aus Art13 EMRK nicht die Notwendigkeit der Einrichtung eines Instanzenzuges bei gerichtlichen Entscheidungen ableitbar ist, liegt auch keine Verletzung des Art13 EMRK vor.

§7 Abs2 letzter Satz RATG verstößt auch nicht gegen Art7 B-VG.

Angesichts der Zielsetzung einer möglichst raschen Entscheidung durch das Gericht und der damit einhergehenden frühen Klärung der Höhe der Anwaltskosten und der Gerichtsgebühren hat der Gesetzgeber nach Auffassung des VfGH den ihm durch die Verfassung eingeräumten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht überschritten, wenn er die Bekämpfung des Beschlusses des Gerichtes über die Bewertung des Streitgegenstandes sowohl während des erstinstanzlichen Verfahrens als auch im Rechtsmittelverfahren ausschließt, wird doch nur dadurch das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel einer raschen und endgültigen Klärung der Bewertung des Streitgegenstandes konsequent verfolgt und erreicht.

Die Parteien des Verfahrens sind auch keiner "richterlichen Willkür" ausgeliefert, weil die Bewertung des Streitwertes nur innerhalb der von den Parteien behaupteten Beträge erfolgen darf und es dem Gericht nicht gestattet ist, über diese Beträge hinauszugehen oder unter diesen zu bleiben.

Entscheidungstexte

  • G219/2016 ua
    Entscheidungstext VfGH Beschluss 15.03.2017 G219/2016 ua

Schlagworte

VfGH / Parteiantrag, Rechtsanwaltstarif, Streitwert, Rechtsmittel, Instanzenzug, Rechtsschutz, Rechtspolitik, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:G219.2016

Zuletzt aktualisiert am

05.09.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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