TE Vwgh Erkenntnis 2018/8/2 Ra 2017/19/0491

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Veröffentlicht am 02.08.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

VwGG §24a;
VwGG §47;
VwGG §48;
VwGG §61 Abs7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des N M, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. September 2017, W123 2163619-1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 24. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, er sei aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung in Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt.

2 Mit Bescheid vom 22. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3 In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde beantragte der Revisionswerber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und brachte vor, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe die Lage in Afghanistan mangelhaft ermittelt. Die Sicherheitslage und die humanitäre Situation stellten sich wesentlich schlechter dar, als im Bescheid angenommen. Ein alleinstehender Rückkehrer, wie es der Revisionswerber sei, könne sich aus eigener Kraft das Überleben in Afghanistan nicht sichern. Aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit drohe dem Revisionswerber - jedenfalls bei Rückkehr in seine Heimatprovinz - Verfolgung.

4 Mit Schreiben vom 6. September 2017 teilte das Bundesverwaltungsgericht dem Revisionswerber mit, dass es beabsichtige, aufgrund der Aktenlage zu entscheiden. In einem übermittelte es dem Revisionswerber Auszüge aus einem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie zwei Gutachten zur Lage in Afghanistan und forderte den Revisionswerber auf, mehrere Fragen schriftlich zu beantworten und binnen vier Wochen eine Stellungnahme zu den übermittelten Unterlagen zu erstatten.

5 Mit Stellungnahme vom 18. September 2017 beantwortete der Revisionswerber die an ihn gestellten Fragen schriftlich, wiederholte nochmals seinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und bestritt die Richtigkeit der an ihn übermittelten Länderberichte und Gutachten.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig. Seine Feststellungen zur Lage in Afghanistan gründete das Bundesverwaltungsgericht auf die dem Revisionswerber im Beschwerdeverfahren zur Stellungnahme übermittelten Unterlagen. In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es ergebe sich aus den Länderfeststellungen, dass dem Revisionswerber keine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara drohe. Er sei in der Lage, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit in Afghanistan zu verdienen. Durch eine Rückführung des Revisionswerbers in seinen Herkunftsstaat bestehe daher insbesondere keine Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Eine Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können, zumal insbesondere das "Parteiengehör" gewahrt worden sei.

7 Mit Beschluss vom 3. November 2017 bewilligte der Verfassungsgerichtshof zunächst die Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen dieses Erkenntnis. Die in der Folge erhobene Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 14. März 2018 ab. Über nachträglichen Antrag wurde die Beschwerde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 2. April 2018 gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe entgegen der (näher dargestellten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich insbesondere auf Beweismittel gestützt, die es selbst erstmals in das Verfahren eingebracht habe.

10 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

11 Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn dieser Bestimmung "geklärt erscheint", folgende Kriterien beachtlich:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht muss die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 24.5.2018, Ra 2017/19/0202).

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt festgehalten, dass die im Beschwerdeverfahren eingeräumte Möglichkeit, zum Inhalt aktueller Länderberichte zur Situation im Herkunftsstaat schriftlich Stellung zu nehmen, grundsätzlich die Durchführung einer Verhandlung nicht ersetzen kann (vgl. VwGH 19.9.2017, Ra 2017/20/0203; 20.9.2017, Ra 2017/19/0207, jeweils mwN).

13 Im vorliegenden Fall wurden vom Bundesverwaltungsgericht neue Beweismittel beigeschafft, auf die sich die Feststellungen zur Lage in Afghanistan, die das Bundesverwaltungsgericht der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz zugrunde legte, gründeten. Damit wurden sowohl die Feststellungen als auch die Beweiswürdigung gegenüber dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht bloß unwesentlich ergänzt (vgl. VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0164, mwN).

14 Demnach lagen die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Verhandlung nicht vor. Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des - wie hier gegeben - Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 20.9.2017, Ra 2017/19/0207; 15.3.2018, Ra 2017/20/0405, jeweils mwN).

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das auf Ersatz der Eingabengebühr gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil dem Revisionswerber bereits im verfassungsgerichtlichen Verfahren Verfahrenshilfe gewährt wurde, die gemäß § 61 Abs. 7 VwGG auch für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gilt.

Wien, am 2. August 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017190491.L00

Im RIS seit

24.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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