TE Vwgh Erkenntnis 2000/4/11 99/11/0289

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Veröffentlicht am 11.04.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Führerscheingesetz;

Norm

AVG §37;
AVG §38;
AVG §58 Abs2;
AVG §66 Abs4;
FSG 1997 §37 Abs1;
FSG 1997 §37 Abs3 Z1;
FSG 1997 §7 Abs3 Z7 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard, Dr. Graf, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des A in D, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schillerstraße 17, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 3. August 1999, Zl. Ib-277-59/99, betreffend Erteilung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 3. Juli 1998 auf (Wieder-)Erteilung der Lenkberechtigung für die Klasse B abgewiesen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe am 22. Oktober 1998 einen Pkw auf öffentlichen Straßen gelenkt, ohne im Besitz einer gültigen Lenkberechtigung zu sein. Dies werde auf Grund der Anzeige des Landesgendarmeriekommandos Vorarlberg vom 14. Jänner 1999 als erwiesen angenommen. Das wegen dieses Vorfalles eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren sei noch nicht abgeschlossen. Dort würden vom Beschwerdeführer namhaft gemachte Zeugen im Rechtshilfeweg vernommen. In Anbetracht der langen Dauer des Verwaltungsstrafverfahrens beurteile die belangte Behörde den Vorfall vom 22. Oktober 1998 als Verwaltungsübertretung gemäß § 37 Abs. 1 Führerscheingesetz - FSG. Der Ausgang des Verwaltungsstrafverfahrens werde nicht abgewartet.

Nach der verkehrspsychologischen Stellungnahme vom 13. Jänner 1999 sei beim Beschwerdeführer das Reaktionsverhalten hinsichtlich Belastbarkeit beeinträchtigt. Es fänden sich zum Teil höhergradige Einschränkungen sowohl hinsichtlich der Leistungsmenge als auch der Leistungsqualität in allen drei Belastungsstufen. Diese Stellungnahme habe Eingang gefunden in das (von der erstinstanzlichen Behörde eingeholte) amtsärztliche Gutachten vom 21. Jänner 1999. Nach diesem müsse auf Grund der beeinträchtigten kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen, der ungünstigen geistig-charakterlichen Eignungsvoraussetzungen und der aktenkundigen und zum Teil massiven Verkehrsübertretungen ohne gültige Lenkberechtigung die Lenkeignung verneint werden. Der Beschwerdeführer sei in der Zeit vom 12. Mai 1997 bis 11. Dezember 1998 insgesamt 19 mal wegen zum Teil schwer wiegender Verkehrsübertretungen rechtskräftig bestraft worden.

Die Frage, ob der Beschwerdeführer am 22. Oktober 1998 eine Übertretung nach § 37 Abs. 1 FSG begangen habe, sei nicht von der belangten Behörde zu entscheiden. Diese sei berechtigt, diese Frage als so genannte Vorfrage zu beurteilen, und gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer am 22. Oktober 1998 ein Kraftfahrzeug gelenkt habe, ohne im Besitz einer Lenkberechtigung zu sein. Er sei von den erhebenden Beamten als Lenker des Kraftfahrzeuges eindeutig erkannt worden. Somit sei seine Verkehrszuverlässigkeit nicht gegeben.

Es bestehe auch kein Grund, an der Richtigkeit des amtsärztlichen Gutachtens zu zweifeln. Allein die Vielzahl von Verwaltungsübertretungen lasse darauf schließen, dass beim Beschwerdeführer die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides nicht gegeben gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 FSG gilt eine Person als verkehrszuverlässig, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand.

Gemäß § 7 Abs. 3 Z. 7 lit. a FSG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn jemand ein Kraftfahrzeug ohne gültige Lenkberechtigung lenkt.

Wer ein Kraftfahrzeug ohne gültige Lenkberechtigung lenkt, verstößt gegen § 1 Abs. 3 FSG und begeht gemäß § 37 Abs. 1 leg. cit. eine Verwaltungsübertretung, die gemäß § 37 Abs. 3 Z. 1 leg. cit. zu bestrafen ist.

Liegt eine rechtskräftige Bestrafung wegen einer solchen Übertretung vor, haben die zur Vollziehung des FSG zuständigen Behörden auf Grund ihrer Bindung an rechtskräftige Bestrafungen bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit des Betreffenden vom Vorliegen einer bestimmter Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 Z. 7 lit. a FSG auszugehen. Liegt keine rechtskräftige Bestrafung vor und wird das Verfahren nicht gemäß § 38 AVG ausgesetzt, haben die zur Vollziehung des FSG zuständigen Behörden auf Grund der Ergebnisse eines mängelfreien Ermittlungsverfahrens zu beurteilen, ob der Betreffende ein Kraftfahrzeug ohne gültige Lenkberechtigung gelenkt hat. Die Behörden haben in einem solchen Fall die vom Betreffenden zu seiner Entlastung angebotenen Beweise zu beachten und die erforderlichen Ermittlungen selbst durchzuführen.

Dieser Verpflichtung hat die belangte Behörde nicht entsprochen, und zwar - wie insbesondere ihre Ausführungen in der Gegenschrift zeigen - weil sie der Meinung ist, man könne "der Verwaltungsbehörde nicht zumuten, die gleichen Ermittlungen durchzuführen wie die Verwaltungsstrafbehörde". Damit verkennt sie das Wesen der Vorfragenbeurteilung. Die selbständige Vorfragenbeurteilung ermöglicht nämlich kein gegenüber dem Verfahren in der Hauptsache vereinfachtes oder reduziertes Ermittlungsverfahren oder geringere Anforderungen an die Bescheidbegründung betreffend die Beweiswürdigung. Die Behörde, die eine Vorfrage selbständig beurteilen will, kann vielmehr erst nach Durchführung eines vollständigen Ermittlungsverfahrens erkennen, welcher Sachverhalt erwiesen ist. Sie hat ihre diesbezüglichen Erwägungen in der Bescheidbegründung darzulegen.

Die belangte Behörde hat - offenbar ausgehend von ihrer unrichtigen Auffassung betreffend das Wesen der selbständigen Vorfragenbeurteilung - den in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid enthaltenen Beweisanboten des Beschwerdeführers keine Beachtung geschenkt und ihren Bescheid, in dem sie die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführer wegen Vorliegens einer am 22. Oktober 1998 verwirklichten bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 Z. 7 lit. a FSG angenommen hat, mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

Die Versagung der begehrten Lenkberechtigung wäre dann nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde mit Recht die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers wegen mangelnder Bereitschaft zur Verkehrsanpassung hätte verneinen können. In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass die belangte Behörde als Berufungsbehörde im Verfahren zur Erteilung einer Lenkberechtigung zu beurteilen hatte, ob die Erteilungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides vorliegen. Die Frage, ob eine der Erteilungsvoraussetzungen allenfalls zu einem früheren Zeitpunkt gefehlt hat, ist für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht von Bedeutung. Die belangte Behörde kann daher die Versagung der Lenkberechtigung wegen Fehlens der gesundheitlichen Eignung nicht mit Erfolg darauf stützen, beim Beschwerdeführer habe im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung gefehlt.

Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass der amtsärztliche Sachverständige in seinem Gutachten vom 21. Jänner 1999 den Vorfall vom 22. Oktober 1998 berücksichtigt hat, während der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle, die die verkehrspsychologische Stellungnahme vom 13. Jänner 1999 erstattet hat, der Vorfall nach der Aktenlage nicht bekannt war. In dieser Stellungnahme wird der Beschwerdeführer als zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B bedingt geeignet bezeichnet. Soweit sich die davon abweichende Beurteilung durch den amtsärztlichen Sachverständigen auf das Verhalten des Beschwerdeführers am 22. Oktober 1998 stützt, könnte es nur dann das Fehlen der gesundheitlichen Eignung infolge des Mangels der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung begründen, wenn davon ausgegangen werden könnte, dass der Beschwerdeführer dieses Verhalten tatsächlich zu verantworten hat. Dies war aber - wie bereits oben im Zusammenhang mit der Frage der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers dargelegt wurde - infolge Fehlens eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens nicht möglich, sodass sich das amtsärztliche Gutachten insoweit nicht auf gesicherte Sachverhaltsgrundlagen stützen konnte.

Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 11. April 2000

Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Behandlung von Parteieinwendungen Ablehnung von Beweisanträgen Abstandnahme von Beweisen Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche Entscheidungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999110289.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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