TE Lvwg Erkenntnis 2015/8/28 VGW-151/082/10701/2014

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.08.2015
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Entscheidungsdatum

28.08.2015

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

NAG §11
NAG §21
NAG §47

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Trefil über die Berufung (nunmehr Beschwerde) der O. Ow. gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien, MA 35 – Einwanderung und Staatsbürgerschaft, vom 26.4.2013, Zl. MA35-9/2931297-01, mit dem der Antrag vom 13.12.2011 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Angehöriger" nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, gemäß § 47 Abs. 3 NAG abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

I.   Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG in Verbindung mit § 47 Abs. 3 NAG (in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012 in der Novelle des NAG nach dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 – FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38/2011) wird der Beschwerde stattgegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel nach dem NAG für den Zweck "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" für zwölf Monate erteilt.

II.  Gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 76 Abs. 1 und § 53b AVG wird der Beschwerdeführerin der Ersatz der mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 20.8.2015, Zl. VGW-KO-082/466/2015-1, mit 118 Euro bestimmten Barauslagen für die zur mündlichen Verhandlung am 19.8.2015 beigezogene nichtamtliche Dolmetscherin auferlegt. Die Beschwerdeführerin hat die Barauslagen der Stadt Wien durch Banküberweisung auf das Bankkonto mit der Kontonummer IBAN AT16 12000 00696 212 729, BIC BKAUATWW, lautend auf "MA6 BA40" mit dem Verwendungszweck "KO-082/466/2015" binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I.       Gang des Verfahrens:

Die am …1983 geborene Beschwerdeführerin mit ivorischer Staatsangehörigkeit stellte am 13.12.2011 bei der belangten Behörde persönlich einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Angehöriger" zur Herstellung der Familiengemeinschaft mit ihrem Lebensgefährten, namentlich dem am ...1986 geborenen, in Österreich lebenden französischen Staatsangehörigen K. Q..

Bei der behördlichen Einvernahme am 1.6.2012 modifizierte die Beschwerdeführerin ihren Erstantrag vom 13.12.2011 von "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" auf "Aufenthaltskarte - Angehöriger eines EWR-Bürgers" aufgrund "ihrer Tochter, die französische Staatsbürgerin ist". Mit Schreiben vom 31.7.2012 mit dem Betreff "Behebung von Verfahrensmängeln" teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit Hinweis auf § 23 Abs. 1 NAG mit, dass das Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass sie einen anderen als den (nunmehr) beantragten Aufenthaltstitel, nämlich "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" benötige. Die "Ableitung" von ihrer minderjährigen Tochter sei nicht möglich, weil das Kind über seinen Vater vom Freizügigkeitsrecht Gebrauch mache. Daher änderte die niederschriftlich einvernommene Beschwerdeführerin am 14.8.2012 ihren Antrag (wieder) auf "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" und erklärte dazu, dass sie eine Lebensgemeinschaft in Österreich mit dem namentlich oben genannten französischen Staatsbürger führe.

Nach Gewährung von Parteiengehör mit Schreiben vom 12.4.2013, das die Beschwerdeführerin am 24.4.2013 schriftlich beantwortete, wies die belangte Behörde ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ab, weil sie keine Angehörige eines EWR-Bürgers sei. Auch in aufsteigender Linie sei sie keine Verwandte des im Erstantrag genannten Zusammenführenden. Im Herkunftsstaat habe sie von ihm weder Unterhalt bezogen noch im gemeinsamen Haushalt mit ihm gelebt. Sie habe behauptet, dass er der Vater ihrer Tochter sei, einer französischen Staatsbürgerin, ohne "eigeninitiativ geeignete Nachweise dafür beizubringen". Auch dies begründe aber keine Angehörigeneigenschaft zum Zusammenführenden im Sinne des § 47 Abs. 3 NAG.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht am 13.5.2013 die nunmehr als Beschwerde anzusehende Berufung, in der sie ausführte, sie sei Mutter einer Französin und lebe seit über einem Jahr mit dem Vater des Kindes zusammen. Ihn habe sie in Österreich kennengelernt. Er leiste ihr auch Unterhalt, weil sie keiner Arbeit nachgehen könne.

Nach Inkrafttreten der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit mit Ablauf des 31.12.2013 übermittelte die Bundesministerin für Inneres die Verwaltungsakten an das Verwaltungsgericht Wien zur Fortsetzung des bei ihr anhängigen Berufungsverfahrens als Beschwerdeverfahren, die hier am 15.1.2014 einlangten.

Am 19.8.2015 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung am Verwaltungsgericht Wien statt, an der die Beschwerdeführerin, ihr als Zeuge einvernommener Lebensgefährte, ihre gemeinsame Tochter sowie eine allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Dolmetscherin für die französische Sprache teilnahmen. Die geladene belangte Behörde (Zustellnachweis über die Ladungszustellung datiert vom 10.7.2015) entsandte keinen Vertreter. In der Verhandlung legten die Beschwerdeführerin und ihr als Zeuge einvernommener Lebensgefährte weitere Unterlagen im Original vor, die in Kopie zum verwaltungsgerichtlichen Akt genommen wurden. Weiters bestätigte die Beschwerdeführerin, dass sie den fehlenden Zugang zum Arbeitsmarkt mit dem beantragten Aufenthaltstitel "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" in Kauf nehme und dass dies in Ordnung sei, weil sie und ihr Lebensgefährte planten, bald zu heiraten, und sich dadurch in Zukunft eine Erleichterung der Umstände erhofften.

II.      Das Verwaltungsgericht Wien sieht folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Die Beschwerdeführerin wurde am …1983 in … in der Elfenbeinküste geboren. Der ihr zuletzt am 16.3.2015 ausgestellte Reisepass hat eine Gültigkeitsdauer bis 15.3.2020.

Ursprünglich reiste die Beschwerdeführerin im Jahr 2010 mit einem Visum ins Bundesgebiet ein und hielt sich auf Grundlage einer am 22.10.2010 ausgestellten Legitimationskarte mit Gültigkeit bis 4.11.2011 mit dem Funktionsvermerk "Priv. Hausangestellte" des … bei der U. während der (damals bis 11.7.2013 befristeten) Gültigkeitsdauer ihres Reisepasses in Österreich auf. Etwa ein Monat nach Ablauf der Gültigkeit ihrer Legitimationskarte stellte sie persönlich bei der belangten Behörde am 13.12.2011 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels.

Der nunmehrige Lebensgefährte der Beschwerdeführerin, namentlich K. Q., wurde am ...1986 geboren, ist französischer Staatsangehöriger, unbescholten und lebt seit etwa sechs Jahren in Österreich. Seine am 15.6.2011 geschlossene erste Ehe wurde mittlerweile am 19.5.2014 rechtskräftig geschieden (Beschluss des Bezirksgerichts ... über die Scheidung im Einvernehmen vom 29.4.2014, Zl. ...). Nach einem zeitgleich abgeschlossenen, seit 5.6.2014 vollstreckbaren und rechtswirksamen gerichtlichen Scheidungsvergleich verzichteten beide Eheleute wechselseitig auf Unterhalt, auch für den Fall geänderter Verhältnisse. Aus dieser Ehe hat der nunmehrige Lebensgefährte der Beschwerdeführerin keine Kinder. Bis Jänner 2015 arbeitete er fast fünf Jahre im ... Wiener Gemeindebezirk beim selben Arbeitgeber in der Gastronomie und im Catering als Küchenhilfe. Seitdem ist er arbeitslos. Er bezieht Arbeitslosengeld in der Höhe von etwa 800 Euro.

Die Beschwerdeführerin und ihr Lebensgefährte lernten sich in Österreich im Jahr 2010 kennen. Am ...2011 wurde ihre gemeinsame Tochter in Wien geboren. Sie heißt E. Q. und hat den Nachnamen des Vaters sowie nach ihm die französische Staatsbürgerschaft sowie einen am 23.12.2011 von der französischen Botschaft in Wien ausgestellten, bis 22.12.2016 gültigen französischen Reisepass. Weiters hat ihr die belangte Behörde eine Anmeldebescheinigung vom 13.6.2012, Zl. MA35-..., als Angehörige (Verwandte in gerader absteigender Linie) ausgestellt.

Die Obsorge über die unehelich geborene Tochter kommt der Mutter zu. Weitere mit der Obsorge betraute Personen konnten nicht festgestellt werden. Die Kinderbeihilfe für die gemeinsame Tochter bezieht der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin.

Die Beschwerdeführerin und ihr Lebensgefährte leben seit etwa vier Jahren (ungefähr seit der Zeit der Geburt ihrer Tochter Mitte 2011) im gemeinsamen Haushalt im ... Wiener Gemeindebezirk, zunächst in der T.-straße und seit August 2012 am A.. Der Lebensgefährte sorgte aus seiner Erwerbstätigkeit für das gemeinsame Haushaltseinkommen, derzeit aus seinem Bezug von Arbeitslosengeld und der Kinderbeihilfe. Es ist geplant, dass sie in Österreich bleiben. Der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin hat den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Wien. Für ihn kommt eine dauerhafte Rückkehr in sein Herkunftsland Frankreich, obwohl er dort Familie hat, aus heutiger Sicht nicht in Betracht. Auch geht er davon aus, dass er bald wieder einen Arbeitsplatz in Wien finden wird, wobei er auf laufende Bewerbungen verweisen kann.

Ausländische oder inländische fremdenpolizeiliche Maßnahmen, Anordnungen oder anhängige Verfahren gegen die Beschwerdeführerin liegen nicht vor. Gegen die Beschwerdeführerin bestehen in Österreich keine Vorstrafen und keine Vormerkungen oder Hinweise auf laufende, noch nicht abgeschlossene gerichtliche Strafverfahren.

Die Beschwerdeführerin verfügt nur über geringe Deutschkenntnisse und über keinen Nachweis über Sprachbeherrschung zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau.

III.    Das Verwaltungsgericht Wien hat sich bei der Beweiswürdigung von folgenden Erwägungen leiten lassen:

Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf die im Verwaltungsverfahren vorgelegten und im Rechtsmittel- bzw. Beschwerdeverfahren ergänzten Unterlagen und Urkunden sowie auf die Ermittlungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, insbesondere die übereinstimmenden Angaben der Beschwerdeführerin und ihres Lebensgefährten in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht Wien am 19.8.2015.

Die weiteren Feststellungen beruhen auf der im Akt einliegenden Kopie der Legitimationskarte der Beschwerdeführerin, ausgestellt vom Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten vom 22.10.2010, sowie ihres damaligen Reisepasses. Eine Kopie ihres in der mündlichen Verhandlung am 19.8.2015 im Original vorgelegten aktuellen Reisepasses hat das Verwaltungsgericht Wien erstellt. Ebenso gründet sich der festgestellte Sachverhalt auf Kopien weiterer im Original bei der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht Wien vorgelegter Urkunden (gerichtlicher Scheidungsbeschluss und Scheidungsvergleich sowie Reisepass und Anmeldebescheinigung der Tochter).

Die Angaben zur Geburt der gemeinsamen Tochter E. Q. am ...2011, beurkundet durch die Geburtsurkunde vom 12.8.2011, Nr. ..., des Standesamts …, in der die Beschwerdeführerin und ihr Lebensgefährte als Eltern eingetragen sind, wurden auf telefonische Anfrage des Verwaltungsgerichts Wien am 19.8.2015 vom Standesamt bestätigt. Auf eine Übermittlung der Geburtsurkunde wurde – auch im Hinblick auf die anderen vorgelegten Unterlagen zur gemeinsamen Tochter – verzichtet.

Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin und ihres Lebensgefährten ergibt sich aus dem vom Verwaltungsgericht Wien zuletzt eingeholten Strafregisterauszug mit Stichtag 27.8.2015 und 28.8.2015.

IV.      Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

IV.1.   Rechtlicher Rahmen

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (in der Fassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012) erkennen ab 1.1.2014 die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 81 Abs. 26 NAG (BGBl. I Nr. 68/2013 mit Inkrafttreten ab 1.1.2014) sind unter anderem alle mit Ablauf des 31.12.2013 bei der Bundesministerin für Inneres anhängigen Verfahren nach dem NAG wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (§ 73 AVG) ab 1.1.2014 vom jeweils zuständigen Landesverwaltungsgericht nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012 zu Ende zu führen.

§ 11 des mit dem Titel "Allgemeine Voraussetzungen" überschriebenen 4. Hauptstücks des 1. Teils, § 21 und § 47 in der nach der Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 26 NAG anzuwendenden Fassung vor Inkrafttreten des BGBl. I Nr. 87/2012 jeweils samt Überschrift lauten auszugsweise wie folgt (§ 11 Abs. 1 Z 6, dessen Abs. 2 ausgenommen dessen Z 6 und § 21 Abs. 1 - soweit wiedergegeben - in der Stammfassung; § 21 Abs. 2 Z 2 in jener des BGBl. I Nr. 29/2009; sowie alle weiteren, untenstehend zitierten Bestimmungen in der Fassung des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 – FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38/2011, mit Inkrafttreten ab dem 1.7.2011):

"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1.     gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen wurde oder ein aufrechtes Rückkehrverbot gemäß § 54 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 63 oder 67 FPG besteht;

2.     gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

3.     gegen ihn eine durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4.     …

5.     eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder

6.     er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1.     der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2.     der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3.     der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4.     der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5.     durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden, und

6.     der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a rechtzeitig erfüllt hat.

Verfahren bei Erstanträgen

§ 21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

(2) Abweichend von Abs. 1 sind zur Antragstellung im Inland berechtigt:

2.     Fremde bis längstens sechs Monate nach Ende ihrer rechtmäßigen Niederlassung im Bundesgebiet, wenn sie für diese Niederlassung keine Bewilligung oder Dokumentation nach diesem Bundesgesetz benötigt haben;

Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und
'Niederlassungsbewilligung – Angehöriger'

§ 47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.

(2) …

(3) Angehörigen von Zusammenführenden kann auf Antrag eine 'Niederlassungsbewilligung – Angehöriger' erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

1.     Verwandte des Zusammenführenden, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen tatsächlich Unterhalt geleistet wird,

2.     Lebenspartner sind, die das Bestehen einer dauerhaften Beziehung im Herkunftsstaat nachweisen und ihnen tatsächlich Unterhalt geleistet wird oder

3.     sonstige Angehörige des Zusammenführenden sind,

a)     die vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen haben,

b)     die mit dem Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben oder

c)     bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege durch den Zusammenführenden zwingend erforderlich machen.

…"

IV.2.   Rechtliche Vorbemerkungen

Der in Österreich niedergelassene Lebensgefährte der Beschwerdeführerin ist ein Zusammenführender im Sinne der (im vorliegenden Kontext maßgeblichen) Definition des § 47 Abs. 1 NAG.

Die (anwaltlich nicht vertretene) Beschwerdeführerin hat (nach Klarstellung des konkreten Inhalts ihres verfahrenseinleitenden Erstantrags durch das Verwaltungsgericht Wien) einen Aufenthaltstitel für den Zweck "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" beantragt, zumal sie mit ihrem Lebensgefährten nicht verheiratet ist. Eine Verwandtschaft in aufsteigender Linie zum Zusammenführenden scheidet aus (§ 47 Abs. 3 Z 1 NAG). Ebenso ist keine sonstige Angehörigeneigenschaft zu ihm im Sinne eines der Fälle des § 47 Abs. 3 Z 3 NAG gegeben (vgl. die Erkenntnisse des VwGH vom 3.3.2011, 2010/22/0217; und zuletzt 3.4.2009, 2008/22/0864, zum Begriff des "sonstigen Angehörigen", für den bloß freundschaftliche, aber familienähnlich gelebte Beziehungen nicht ausreichend sind sondern das Bestehen familienrechtlicher Bande erforderlich ist).

Es verbleibt daher der (insoweit beantragte) Aufenthaltstitel für den Aufenthaltszweck "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" als Lebenspartnerin des Zusammenführenden gemäß § 47 Abs. 3 Z 2 NAG. Diese Bestimmung knüpft an das nachzuweisende Bestehen einer mit Unterhaltsleistungen einhergehenden Lebenspartnerschaft im Herkunftsstaat an, wobei unter "Herkunftsstaat" nur ein anderer Staat als Österreich gemeint sein kann, selbst wenn die Lebenspartnerschaft bzw. - allgemein gesprochen - die Angehörigeneigenschaft in Österreich begründet worden ist und sich die antragstellende Person zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung (rechtmäßig) im Inland aufhält (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 7.4.2011, 2008/22/0308). Der weitere in dieser Bestimmung verwendete Begriff "Lebenspartner" ist im NAG nicht definiert. Unter einer Lebenspartnerschaft im Sinne dieser Bestimmung ist eine eheähnliche Beziehung zu verstehen, wobei das Vorliegen einer Wohngemeinschaft ein starkes Indiz, jedoch kein unbedingtes Erfordernis darstellt. Je weniger formale Kriterien (beispielsweise ein gemeinsamer Wohnsitz) vorliegen, desto höher sind die Anforderungen an den Nachweis einer besonders gefestigten Beziehung, etwa durch eine regelmäßige gemeinsame Freizeitgestaltung, einen gemeinsamen Freundes- und Bekanntenkreis oder gemeinsame Investitionen (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 23.6.2015, Ro 2014/22/0030, zu den zu erbringenden Anforderungen an den Nachweis abhängig von der Intensität der sozialen bzw. familiären Bindungen zwischen Drittstaatsangehörigen und Zusammenführenden).

Die aus der Elfenbeinküste eingereiste Beschwerdeführerin hat ihren aus Frankreich stammenden Lebenspartner erst in Österreich kennengelernt. Eine Lebenspartnerschaft im Herkunftsstaat (einer der beiden Lebenspartner) lag in der Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt vor. Somit ist bereits diese besondere Erteilungsvoraussetzung gemäß § 47 Abs. 3 Z 2 NAG nicht erfüllt. Zwar liegt zusätzlich kein allgemeines Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 NAG vor, insbesondere weil die Beschwerdeführerin als ehemalige Inhaberin einer Legitimationskarte zur Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 NAG berechtigt war (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 10.11.2010, 2010/22/0162) und aufgrund dieser Antragstellung das Bleiberecht für die Dauer des damit eingeleiteten Verfahrens wohl erhalten blieb (vgl. § 21 Abs. 6 NAG, der auf Abs. 1 Z 2 leg. cit. nicht zurückverweist). Jedoch vermag die Beschwerdeführerin nur wenige allgemeine Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 NAG zu erfüllen und schließlich die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache gemäß § 21a NAG nicht nachzuweisen.

IV.3.   Erteilung des Aufenthaltstitels (Spruchpunkt I)

Dennoch ist der Beschwerdeführerin der beantragte Aufenthaltstitel aus folgenden unionsrechtlichen Erwägungen zu erteilen, die im Wesentlichen auf ihre in Österreich rechtmäßig niedergelassene, heute vierjährige Tochter mit französischer Staatsbürgerschaft zurückzuführen sind:

Nach Art. 20 AEUV hat jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union besitzt, den Status eines Unionsbürgers (vgl. das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8.3.2011, Rs. C-34/09, Zambrano, Rz. 40). Schon zuvor hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in dieser Hinsicht entschieden, dass sich ein Unionsbürger bereits seit seinem Kleinkindalter auf die ihm unionsrechtlich gewährleisteten Rechte berufen kann und dass es deshalb einem drittstaatsangehörigen Elternteil, der für den Unionsbürger tatsächlich sorgt, zu erlauben ist, sich im Mitgliedstaat des Unionsbürgers aufzuhalten (vgl. das Urteil des EuGH vom 19.10.2004, Rs. C-200/02, Zhu und Chen, Rz. 20).

Der EuGH hat mehrfach hervorgehoben, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte verwehrt wird, die ihnen der Status des Unionsbürgers verleiht (vgl. die Urteile des EuGH vom 15.11.2011, Rs. C-256/11, Dereci, Rz. 64; 8.3.2011, Rs. C-34/09, Zambrano, Rz. 42; und 2.3.2010, Rs. C-135/08, Rottmann, Rz. 42). Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt eine solche Auswirkung nationaler Maßnahmen insbesondere dann vor, wenn einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat, in dem seine minderjährigen Kinder leben, die diesem Mitgliedstaat angehören, der Aufenthalt und die Arbeitserlaubnis verweigert werden. Eine solche Aufenthaltsverweigerung hat zur Folge, dass diese Kinder (Unionsbürger) gezwungen wären, das Gebiet der Union zu verlassen, um ihre Eltern zu begleiten. Durch diesen Umstand wird es den Kindern de facto unmöglich, den Kernbestand der Rechte in Anspruch zu nehmen, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht (vgl. abermals das Urteil des EuGH vom 8.3.2011, Rs. C-34/09, Zambrano, Rz. 43-44). Diese Rechtsansicht vertrat der EuGH ebenso in seiner nachfolgenden Rechtsprechung, beschränkte das abgeleitete Aufenthaltsrecht aber auf bestimmte Ausnahmesituationen (vgl. das bereits zitierte Urteil des EuGH vom 15.11.2011, Rs. C-256/11, Dereci, Rz. 66-67).

Diese Rechtsprechung des EuGH liegt auch einer Reihe von Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zugrunde (vgl. die Erkenntnisse des VwGH vom 28.3.2012, 2009/22/0211; 19.1.2012, 2011/22/0309; 24.1.2012, 2008/18/0422; 19.1.2012, 2011/22/0312; und 21.12.2011, 2009/22/0054).

Im vorliegenden Fall weist der festgestellte Sachverhalt einen solchen besonderen Charakter einer Ausnahmesituation auf. Die minderjährige Tochter der Beschwerdeführerin im Alter von heute vier Jahren, die die französische Staatsbürgerschaft besitzt und damit Unionsbürgerin ist, wäre de facto gezwungen, Österreich und womöglich das Gebiet der Union zu verlassen und ihre Mutter in deren Herkunftsstaat Elfenbeinküste zu begleiten, wenn der Beschwerdeführerin kein Aufenthaltstitel erteilt wird, weil sie im Alter von vier Jahren von der Mutter abhängig ist. Dadurch würde dem Kind der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte verwehrt werden, die ihm der Unionsbürgerstatus verleiht. Daher darf ausnahmsweise der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel deshalb nicht verweigert werden, um die Unionsbürgerschaft ihres Kindes nicht ihrer praktischen Wirksamkeit zu berauben. Eine praktische Beschränkung der Unionsbürgerschaft der Tochter ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien im vorliegenden Fall auch dann zu befürchten, wenn sie allein aufgrund ihrer französischen Staatsangehörigkeit auf eine Ausreise mit ihrer Mutter nach Frankreich verwiesen würde, insbesondere auch weil einer Verlegung des Lebensmittelpunkts der dreiköpfigen Familie nach Frankreich wohl eine Aufenthaltsverfestigung des allein den Unterhalt bestreitenden Vaters in Österreich entgegenstünde und im Ergebnis eine abschreckende Wirkung in Bezug auf das tatsächlich ausgeübte Freizügigkeitsrecht von Unionsbürgern hätte (vgl. zu der vom nationalen Gericht vorzunehmenden Abwägung das Urteil des EuGH vom 12.3.2014, Rs. C-457/12, S. und G.).

Für solche Fälle gebietet die Rechtsprechung des EuGH, dass jede Behörde und jedes Gericht mit Unionsrecht nicht im Einklang stehendes nationales Recht unangewendet zu lassen hat (vgl. zur sogenannten "Inzidentkontrolle" Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht10 (2014), Rz 144 f und Rz 193 f mit weiteren Hinweisen zur Rechtsprechung des EuGH), um auf diese Weise der Wirksamkeit und der Geltung des Unionsrechts zum Durchbruch zu verhelfen. Insoweit können nicht erfüllte allgemeine und besondere Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nicht entgegenstehen. Da die Beschwerdeführerin mit ihrem Lebenspartner zusammengezogen ist und seit der Geburt der gemeinsamen Tochter vor vier Jahren im gemeinsamen Haushalt bei gleichzeitigem Erhalt von Unterhalt in einer familiären Situation lebt, erachtet das Verwaltungsgericht Wien den von der Beschwerdeführerin im Erstantrag gewählten Aufenthaltszweck für die auszustellende Niederlassungsbewilligung als rechtlich zulässigerweise in Betracht kommenden und im Ergebnis daher auszustellender Aufenthaltstitel (zumal die Verdrängungswirkung bei den besonderen Erteilungsvoraussetzungen durch unmittelbar anwendbares Unionsrecht auf die damit im nationalen Recht nicht im Einklang stehende Wortfolge "im Herkunftsstaat" in § 47 Abs. 3 Z 2 NAG beschränkt bleibt).

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben und der Beschwerdeführerin der Aufenthaltstitel mit dem beantragten Aufenthaltszweck "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" zu erteilen. Die Gültigkeitsdauer von zwölf Monaten ergibt sich aus § 20 Abs. 1 NAG. Die belangte Behörde hat den hiermit erteilten Aufenthaltstitel in Form einer Karte gemäß § 1 NAG-DV an die Beschwerdeführerin im Inland auszufolgen. Bei Ausfolgung des Aufenthaltstitels ist die Beschwerdeführerin gemäß § 19 Abs. 7 letzter Satz NAG über die Vorschriften im Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels zu belehren.

IV.4.   Kostenersatz von Barauslagen (Spruchpunkt II)

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine klare und verlässliche Verständigung in einer mündlichen Verhandlung zu gewährleisten (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 19.3.2014, 2013/09/0109). Insoweit hat die antragstellende Partei für die in Rechnung gestellten Gebühren von zu diesem Zweck beizuziehenden nichtamtlichen Dolmetschern aufzukommen (vgl. zur Tragung allfälliger Kosten für die zur vollständigen Ermittlung des Sachverhalts erforderlichen Amtshandlungen das Erkenntnis des VwGH vom 20.9.2012, 2010/06/0108; sowie im Zusammenhang mit der Einholung eines Sachverständigengutachtens das Erkenntnis des VwGH vom 30.6.1999, 98/03/0343).

Dem Verwaltungsgericht Wien stand eine amtliche Dolmetscherin oder ein amtlicher Dolmetscher für die französische Sprache nicht zur Verfügung. Für die mündliche Verhandlung hat es daher eine nichtamtliche Dolmetscherin beigezogen. Ihre in der Gebührennote vom 19.8.2015 (nach dem Gebührenanspruchsgesetz – GebAG, BGBl. Nr. 136/1975) verzeichneten Gebühren in der Höhe von 118 Euro hat das Verwaltungsgericht Wien geprüft und mit Beschluss vom 20.8.2015, Zl. VGW-KO-082/466/2015-1, in dieser Höhe für in Ordnung befunden (§ 53b in Verbindung mit § 53a Abs. 2 Satz 1 AVG). Die (Buchhaltungsabteilung der) Stadt Wien wurde mit Schreiben des Verwaltungsgerichts Wien vom 20.8.2015 zur Bezahlung der Gebühr an die Dolmetscherin aus Amtsmitteln angewiesen (§ 53b in Verbindung mit § 53a Abs. 3 Satz 1 AVG).

Gemäß § 17 VwGVG und § 76 Abs. 1 erster und zweiter Satz AVG hat die Beschwerdeführerin für diese Barauslagen aufzukommen. Daher war ihr der Ersatz der Kosten an die Stadt Wien unter Setzung einer angemessenen Leistungsfrist vorzuschreiben.

IV.5.   Unzulässigkeit der ordentlichen Revision (Spruchpunkt III)

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer einheitlichen Rechtsprechung in den hier aufgeworfenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels an eine Drittstaatsangehörige, damit der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, für ein vierjähriges, in Österreich rechtmäßig niedergelassenes Kind mit französischer Staatsbürgerschaft gewahrt wird.

Schlagworte

„de facto Zwang“ bei in Österreich niedergelassenem mj Kind mit französischer Staatsbürgerschaft

Anmerkung

VwGH 22.2.2018, Ra 2015/22/0141; Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2015:VGW.151.082.10701.2014

Zuletzt aktualisiert am

07.03.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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