TE Vfgh Erkenntnis 2017/11/24 E2006/2017

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Veröffentlicht am 24.11.2017
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §10 Abs3, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander wegen Gesetzlosigkeit der Aufrechterhaltung einer Rückkehrentscheidung trotz ersatzloser Behebung des Bescheides betreffend die Zurückweisung des Antrags eines serbischen Staatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die Spruchpunkte A) II. und III. sowie B) des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, beantragte am 28. September 2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Dieses wies mit Bescheid vom 25. Oktober 2016 den Antrag des Beschwerdeführers zurück und erließ eine Rückkehrentscheidung. Weiters stellte es die Zulässigkeit der Abschiebung nach Serbien fest, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab. Die Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl damit, dass der Beschwerdeführer der Aufforderung der belangten Behörde, den Antrag persönlich einzubringen, entgegen §58 Abs5 AsylG 2005 nicht nachgekommen sei.

2.       Auf Beschwerde des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid hin hob das Bundesverwaltungsgericht mit angefochtenem Erkenntnis vom 19. Mai 2017 die Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ersatzlos auf (Spruchpunkt A) I.), wies die Beschwerde gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung sowie gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Serbien ab (Spruchpunkt A) II.), hob die Nichtgewährung einer freiwilligen Ausreisefrist sowie die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung unter Fristsetzung für die freiwillige Ausreise innerhalb von 14 Tagen ab Rechtskraft des Bescheides auf (Spruchpunkt A) III.) und erklärte die Revision für nicht zulässig.

Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht u.a. wörtlich aus:

"Als Folge der Aufhebung des Spruchpunktes I. Satz 1 des angefochtenen Bescheides [betreffend die Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels] tritt das Verfahren diesbezüglich in den Zustand vor Bescheiderlassung zurück, der Antrag des Beschwerdeführers ist nach wie vor unerledigt. Die belangte Behörde wird sohin im fortgesetzten Verfahren über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erneut zu entscheiden haben."

3.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

4.       Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II.      Rechtslage

1.       §10 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 68/2013, lautet:

"Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß §57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z1 bis 5 kein Fall der §§8 Abs3a oder 9 Abs2 vorliegt.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß §57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des §58 Abs9 Z1 bis 3 vorliegt."

III.    Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

3.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich der Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ersatzlos unter Aufrechterhaltung der Rückkehrentscheidung und der damit im Zusammenhang stehenden Aussprüche aufgehoben. Dabei übersieht es, dass die Rückkehrentscheidung und die damit im Zusammenhang stehenden Aussprüche keinen Bestand mehr haben können, weil die Voraussetzungen gemäß §10 Abs3 AsylG 2005 nicht mehr erfüllt sind (vgl. dazu auch zB BVwG 25.8.2016, L516 1248326-3/2E). Da die Voraussetzungen gemäß §10 Abs3 AsylG 2005 nicht vorliegen, ist die Entscheidung diesbezüglich gesetzlos ergangen und sind die Spruchpunkte A) II. und III. sowie B) als verfassungswidrig aufzuheben.

4.       Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die diesbezüglich gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht in der Sache selbst zu entscheiden gehabt hätte, nicht anzustellen.

IV.      Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist durch die Spruchpunkte A) II. und III. sowie B) der angefochtenen Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

4.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

6.       Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E2006.2017

Zuletzt aktualisiert am

14.02.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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