TE Vwgh Erkenntnis 2013/11/20 2011/02/0306

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Veröffentlicht am 20.11.2013
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/01 Sicherheitsrecht;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

SPG 1991 §82 Abs1;
StVO 1960 §58 Abs1;
VStG §35 Z3;
VStG §35;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Senatspräsidentin Dr. Riedinger sowie den Hofrat Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des K in F, vertreten durch Dr. Franz Grauf und Dr. Bojan Vigele, Rechtsanwälte in 9100 Völkermarkt, Hans-Wiegele-Straße 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom 29. Juli 2011, Zl. UVS-181/8/2011, betreffend Maßnahmenbeschwerde i. A. Übertretungen der StVO 1960 und des KFG 1967 (weitere Parteien: 1. Kärntner Landesregierung und 2. Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund und das Land Kärnten haben dem Beschwerdeführer zu gleichen Teilen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Polizeibeamter, wurde im Zuge einer Amtshandlung, die zunächst mögliche Übertretungen der StVO 1960 bzw. des KFG 1967 durch ihn als Lenker eines dem Kennzeichen nach näher bestimmten PKWs betraf, am 13. Oktober 2010 im Anschluss an eine gegen 07.30 Uhr stattgefundene Fahrt auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr gegen 08.00 Uhr festgenommen, auf die PI K. verbracht und dort - nachdem er sich wieder beruhigt hatte - gegen 08.45 Uhr wieder freigelassen.

Gegen die erfolgte Festnahme und Anhaltung richtete der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 19. Jänner 2011 eine Maßnahmenbeschwerde an die belangte Behörde.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29. Juli 2011 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass der Beschwerdeführer durch die bekämpfte Maßnahme in seinen Rechten nicht verletzt worden sei.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird u. a. ausgeführt, seitens des amtshandelnden Beamten GI K. sei als Festnahmegrund "das aggressive Verhalten ihm gegenüber" angegeben worden. Insbesondere hätten die Zeugen I., D. und G. die Angaben des Zeugen K. (amtshandelnder Polizeibeamter) untermauert, wonach der Beschwerdeführer sich provozierend und aufbrausend verhalten habe, sich nicht habe beruhigen wollen und daher nicht mehr in der Lage gewesen sei, ein Fahrzeug zu lenken. Hinsichtlich der Abmahnung, das aggressive Verhalten einzustellen, werde die Darstellung des Zeugen K. durch die Zeugin D. und den Zeugen I. untermauert. Dass die Festnahme nicht deshalb ausgesprochen worden sei, weil - wie der Beschwerdeführer ausführe - er den Fahrzeugschlüssel nicht ausgefolgt habe, ergebe sich ebenfalls aus den Aussagen der Zeugen D., I. und K.

Dass Verwaltungsübertretungen vom einschreitenden Beamten wahrgenommen worden seien, ergebe sich auch aus der in der Folge erstatteten Anzeige hinsichtlich des SPG, der StVO 1960 und des KFG 1967. Die zufolge des gesetzten Verhaltens gesetzlich vorgesehene Abmahnung sei für den Beschwerdeführer verständlich und gesetzeskonform erfolgt. Aufgrund der Gefahr des Weiterlenkens in einem Zustand, der ein Lenken eines Fahrzeuges nicht erlaube, sei ein gelinderes Mittel nicht in Betracht gekommen und zutreffend die Festnahme ausgesprochen und in weiterer Folge nach Eintreffen der Oberstleutnants D. (Bezirkskommandant von K.) die Festnahme wiederum aufgehoben worden. Die Festnahme des Beschwerdeführers sei daher gesetzeskonform gewesen und es könne ein Verstoß gegen Art. 5 EMRK nicht erkannt werden. Dem Beschwerdeführer sei auch die Möglichkeit eingeräumt worden, anlässlich der Amtshandlung in der PI K. mit einer Person seines Vertrauens zu telefonieren, was er auch gemacht habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschiften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

In der Beschwerde wird u.a. ausgeführt, die belangte Behörde führe in ihrem Bescheid nicht explizit aus, aus welchem Grund die Festnahme erfolgt sei. Aus den Feststellungen gehe hervor, dass seitens des GI K. als Festnahmegrund das aggressive Verhalten ihm gegenüber angegeben worden sei. In der rechtlichen Beurteilung werde die Bestimmung des § 82 Abs. 1 SPG zitiert und ausgeführt, dass das Verhalten des Beschwerdeführers als aggressiv zu qualifizieren gewesen sei, weil er herumgeschrien, provoziert und sich in einem Erregungszustand befunden habe. Auf die weiteren Merkmale des § 82 Abs. 1 SPG sei die belangte Behörde nicht eingegangen.

Die drei Beamten I., G. und D., welche von GI K. gerufen worden und bei der Festnahme zugegen gewesen seien, hätten in ihren Aktenvermerken/Sachverhaltsdarstellungen, welche am Vorfallstag angefertigt und von der belangten Behörde zum Akt genommen worden seien und somit der Wahrheit am nächsten kämen, ausgeführt, dass die Festnahme aus dem Grund erfolgt sei, weil der Beschwerdeführer dem GI K. den Fahrzeugschlüssel nicht ausgehändigt habe, sich der Beschwerdeführer jedoch in einem Zustand befunden habe, in welchem er nicht in der Lage gewesen sei, ein Fahrzeug zu lenken. Die Nichtausfolgung des Fahrzeugschlüssels stelle jedoch keinen Festnahmegrund dar. Insbesondere sei vom einschreitenden Beamten GI K. und den Beamten D., I. und G. nicht behauptet worden, dass die Gefahr bestanden habe, der Beschwerdeführer werde sein Fahrzeug in erregtem Zustand in Betrieb nehmen. Der Beschwerdeführer sei auch nicht im Fahrzeug gesessen, sondern ein paar Meter daneben gestanden und habe keinerlei Anstalten gemacht, dieses in Betrieb nehmen zu wollen. Worin sich die Gefahr des Weiterlenkens des Fahrzeuges in einem Zustand, der ein Lenken des Fahrzeuges nicht erlaube, gezeigt habe, sei von der belangten Behörde nicht festgestellt worden.

Vom einschreitenden Beamten sei während der gesamten Amtshandlung und der Festhaltung des Beschwerdeführers kein Festnahmegrund genannt worden. Erst in der mündlichen Verhandlung sei das angeblich aggressive Verhalten als Festnahmegrund genannt worden.

Die Festnahme setze eine "frische Tat" nach § 35 Z. 3 VStG voraus. Als solche käme grundsätzlich § 82 Abs. 1 SPG in Betracht. Der Tatbestand des § 82 Abs. 1 SPG setze aber ein aggressives Verhalten und eine dadurch bedingte "Behinderung der Amtshandlung" voraus. Im gegenständlichen Fall sei es zu keiner Behinderung oder Verzögerung einer Amtshandlung gekommen. Dem angefochtenen Bescheid sei auch nicht zu entnehmen, bei welcher konkreten Amtshandlung der einschreitende Beamte GI K. behindert worden wäre. Vielmehr seien dem angefochtenen Bescheid hiezu überhaupt keine Feststellungen zu entnehmen. Der GI K. habe in der mündlichen Verhandlung auf die Frage, welche seiner Anordnungen nicht befolgt worden sei, bloß angegeben, dass dies die Anordnung gewesen sei, der Beschwerdeführer solle sein aggressives Verhalten ihm gegenüber einstellen. Es stehe somit fest, dass der Beschwerdeführer die Amtshandlung, die Lenker- und Fahrzeugkontrolle des GI K., in keiner Weise behindert oder verzögert habe.

Eine Verwaltungsübertretung gemäß § 82 Abs. 1 SPG liege somit nicht vor und es habe auch der einschreitende Beamte GI K. nicht annehmen können, dass der Beschwerdeführer diesen Tatbestand verwirklicht habe. Die Festnahme durch GI K. sei aus reiner Willkür erfolgt und es sei ihm offensichtlich nur darum gegangen, zu zeigen, dass er als Gruppeninspektor in der konkreten Situation am sogenannten "längeren Ast" sitze und einen in der Diensthierarchie übergeordneten Abteilungsinspektor festnehmen könne.

§ 35 VStG lautet:

"Sicherung des Strafverfahrens und des Strafvollzuges Festnahme

§ 35. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dürfen außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn

1. der Betretene dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist oder

2. begründeter Verdacht besteht, dass er sich der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde, oder

3. der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht."

§ 82 Abs. 1 SPG i.d.F. vor der Novelle BGBl. I Nr. 13/2012 lautet:

"(1) Wer sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während diese ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen, aggressiv verhält und dadurch eine Amtshandlung behindert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 218 Euro zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden."

Es fehlt im vorliegenden Fall an Anhaltspunkten, dass die gegenständliche Festnahme auf § 35 Z. 1 oder 2 VStG gestützt werden könnte; Z. 3 leg. cit. fordert jedoch neben den allgemeinen Voraussetzungen des § 35 VStG, dass der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

Wie in der Beschwerde zutreffend dargelegt wird, fehlt es aber hinsichtlich der allenfalls in Frage kommenden Übertretung des § 82 Abs. 1 SPG an Feststellungen darüber, dass durch das aggressive Verhalten des Beschwerdeführers eine Amtshandlung konkret behindert wurde; nach der Aktenlage sind hiefür ebenfalls keine Anhaltspunkte gegeben, sodass die Festnahme nicht auf eine Übertretung dieser Bestimmung gestützt werden konnte.

§ 58 Abs. 1 StVO 1960 lautet:

"(1) Unbeschadet der Bestimmungen des § 5 Abs. 1 darf ein Fahrzeug nur lenken, wer sich in einer solchen körperlichen und geistigen Verfassung befindet, in der er ein Fahrzeug zu beherrschen und die beim Lenken eines Fahrzeuges zu beachtenden Rechtsvorschriften zu befolgen vermag. Sind diese Voraussetzungen offenbar nicht gegeben, so sind die Bestimmungen des § 5b sinngemäß anzuwenden."

Anhand der Aktenlage und der von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen lässt sich nicht erkennen, dass der Beschwerdeführer bei der Amtshandlung Anstalten gemacht hätte, sein Fahrzeug in Betrieb nehmen zu wollen, wobei sich eine solche Absicht aus der schlichten Weigerung des Beschwerdeführers, den Fahrzeugschlüssel auszuhändigen, noch nicht ableiten lässt. Ferner fehlt es an Anhaltspunkten, dass der Beschwerdeführer beim Lenken eines Fahrzeuges in einem gegen § 58 Abs. 1 verstoßenden Zustand "auf frischer Tat" angetroffen worden wäre, wurde doch das vorgeworfene aggressive Verhalten erst bei der dem Lenken nachfolgenden Amtshandlung festgestellt.

Die in der Begründung des angefochtenen Bescheides angeführten Gründe für eine Festnahme des Beschwerdeführers nach § 35 Z. 3 VStG vermögen daher nicht hinreichend und nachvollziehbar darzulegen, dass diese Festnahme gesetzeskonform war. Es ist auch nicht zu ersehen, dass im vorliegenden Fall allenfalls weitere Übertretungen der StVO 1960 oder des KFG 1967, die nach den Feststellungen der belangten Behörde gesondert zur Anzeige gebracht wurden, eine geeignete Grundlage für eine Festnahme nach § 35 Z. 3 VStG bilden konnten.

Der Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 20. November 2013

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2011020306.X00

Im RIS seit

13.12.2013

Zuletzt aktualisiert am

31.10.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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