TE OGH 2009/11/10 10Ob63/09a

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Veröffentlicht am 10.11.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Patricia S*****, geboren am 26. September 1996, *****, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Amt für Jugend und Familie, Rechtsfürsorge, Bezirk 10, Van der Nüll-Gasse 20, 1100 Wien), über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. April 2009, GZ 45 R 199/09m-U49, womit infolge Rekurses des Kindes der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 13. Jänner 2009, GZ 6 P 51/05g-U39, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs des Kindes wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts ersatzlos aufgehoben wird.

Text

Begründung:

In der Unterhaltsvereinbarung vom 13. 10. 2006 hat sich der Vater Gerald F***** ab 1. 10. 2006 zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 210 EUR für seine am 26. 9. 1996 geborene Tochter Patricia S***** verpflichtet. Der Vereinbarung wurde eine Unterhaltsbemessungsgrundlage von 1.053 EUR monatlich zugrunde gelegt (ON U16). Mit rechtskräftigem Beschluss vom 30. 10. 2006 hat das Erstgericht dementsprechend die Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum von 1. 10. 2006 bis 31. 8. 2008 auf die neue Titelhöhe von 210 EUR erhöht (ON U17). Im Jahr 2007 hat der Jugendwohlfahrtsträger mehrfach mitgeteilt, dass der Vater arbeitslos bzw versicherungsmäßig nicht gemeldet sei. So wurde mit Schreiben vom 20. 12. 2007 eine Bestätigung des AMS vorgelegt, dass der Vater vom 27. 11. 2007 bis 25. 8. 2008 Anspruch auf Arbeitslosengeld von täglich 24,20 EUR habe, weiters eine mit dem Vater aufgenommene Niederschrift, dass er seiner monatlichen Unterhaltsverpflichtung von 210 EUR weiterhin nachkommen werde; der Unterhalt liege in seiner Leistungsfähigkeit (ON U24). Mit rechtskräftigem Beschluss vom 22. 9. 2008 wurden die Titelvorschüsse für den Zeitraum vom 1. 9. 2008 bis 31. 8. 2011 weitergewährt (ON U33). Weiters wurde der Vater mit Beschluss vom 16. 10. 2008 zur Abdeckung eines Sonderbedarfs für eine kieferorthopädische Behandlung in Höhe von 372 EUR verpflichtet (ON U35).

Mit Schreiben vom 5. 1. 2009 teilte der Jugendwohlfahrtsträger mit, dass der Vater laut Drittschuldnererklärung vom 22. 12. 2008 derzeit Pensionsvorschuss in Höhe von 18,39 EUR täglich vom AMS beziehe (ON U38).

Daraufhin schränkte das Erstgericht mit Beschluss vom 13. 1. 2009 die Titelvorschüsse ab 1. 1. 2009 auf monatlich 40 EUR (die monatliche Höhe des Familienzuschlags) ein, weil dem Vater aufgrund der Höhe seines Einkommens die Leistung von Kindesunterhalt nur in der Höhe des Familienzuschlags zugemutet werden könne (ON U39).

Mit Schreiben vom 15. 1. 2009, bei Gericht eingelangt am 20. 1. 2009, legte der Jugendwohlfahrtsträger eine AMS-Bezugsbestätigung und einen Versicherungsdatenauszug des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger vor. Demnach stand der Vater vom 1. 1. 2008 bis 27. 9. 2008 im Bezug von Arbeitslosengeld in einer Höhe von täglich 24,90 EUR und vom 28. 9. 2008 bis 26. 9. 2009 im Bezug von Notstandshilfe („Der Familienzuschlag für mj Patricia S***** wird bereits seit 01. 12. 2007 für das AJF abgezweigt."). Außerdem war der Vater vom 6. 10. 2008 bis laufend als geringfügig beschäftigter Arbeiter zur Sozialversicherung gemeldet (ON U40).

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes nicht Folge. Die Mitteilung, dass der Vater keinen Pensionsvorschuss beziehe, sondern Notstandshilfe von täglich 18,39 EUR und als Arbeiter geringfügig beschäftigt sei, sei erst am 20. 1. 2009 und somit nach der Beschlussfassung erster Instanz beim Erstgericht eingelangt, weshalb es bei der Prüfung des erstgerichtlichen Beschlusses als Neuerung nicht zu berücksichtigen sei; das Kind werde auf einen neuen Unterhaltsvorschussantrag verwiesen.

Aufgrund einer Zulassungsvorstellung nach § 63 AußStrG ließ das Rekursgericht nachträglich den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass die Frage, ob die Tatsache, dass der Vater nie Pensionsvorschuss bezogen habe, bereits zur Zeit der Fassung des Beschlusses erster Instanz schon vorhanden gewesen sei, von grundlegender Bedeutung sei, die über den Einzelfall hinausgehe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Kindes ist zulässig; er ist auch berechtigt.

Im Revisionsrekurs wird vorgebracht, dass der Umstand, dass der Vater nie Pensionsvorschuss, sondern Notstandshilfe bezogen habe, bereits zur Zeit der Beschlussfassung in erster Instanz vorhanden gewesen sei, weshalb er bei der Entscheidung zu berücksichtigen sei.

Dazu wurde erwogen:

1. Das Vorbringen von Tatsachen und Beweismitteln, die zur Zeit der Entscheidung erster Instanz bereits eingetreten oder vorhanden waren (nova reperta), ist grundsätzlich nur zulässig, wenn sie nicht schon vor Fassung des Beschlusses erster Instanz von der Partei vorgebracht werden hätten können (§ 49 Abs 2 AußStrG). Sofern die betreffenden Umstände nicht ohnehin schon eindeutig und zweifelsfrei dem Akteninhalt zu entnehmen sind, hat dann die Partei diejenigen besonderen Umstände darzutun und erforderlichenfalls auch zu bescheinigen, welche die begünstigende Regelung der ausnahmsweisen Berücksichtigung von nova reperta rechtfertigen können (5 Ob 235/05b = SZ 2005/160).

Ein entsprechendes Vorbringen ist dem Rekurs des Kindes nicht zu entnehmen, sodass jedenfalls die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung durch den Vater nicht als zulässige Neuerung anzusehen ist.

2. Anderes gilt für den aktenkundigen Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung durch den Vater. Sowohl bei der Notstandshilfe (§§ 33 ff AlVG) als auch der Bevorschussung von Leistungen aus der Pensionsversicherung in Höhe des Arbeitslosengeldes oder der Notstandshilfe (§ 23 AlVG) handelt es sich um Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, die keinen strukturellen Unterschied aufweisen, vor allem nicht in Bezug auf ihre Einbeziehung in der Unterhaltsbemessungsgrundlage. Dem Akt ist zu entnehmen, dass die dem Vater zuerkannte Leistung aus der Arbeitslosenversicherung (unabhängig von ihrer Benennung) ab dem maßgeblichen Zeitpunkt 1. 1. 2009 eine tägliche Höhe von 18,39 EUR hatte. Entscheidend ist also vorerst, ob schon die Höhe der Leistung von durchschnittlich 551,70 EUR monatlich begründete Bedenken hervorrufen kann, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht im Vergleich zur gesetzlichen Unterhaltspflicht überhöht ist (§ 7 Abs 1 Z 1 in Verbindung mit § 19 Abs 1 UVG). Allerdings ist die Höhe der Leistung aus der Arbeitslosenversicherung nicht allein ausschlaggebend, weil bei Anwendbarkeit des Anspannungsgrundsatzes begründete Bedenken zu verneinen sind (RIS-Justiz RS0076377). Ganz allgemein ist bei Prüfung der Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ein strenger Maßstab anzulegen: Die Bedenken müssen insofern eine spezielle Qualität aufweisen, als eine hohe Wahrscheinlichkeit für die materielle Unrichtigkeit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung besteht (RIS-Justiz RS0108443).

3. Das Rekursgericht ist offensichtlich davon ausgegangen, dass es entscheidend darauf ankomme, ob der Vater ab 1. 1. 2009 Notstandshilfe oder Pensionsvorschuss bezogen habe. Diese Rechtsansicht wird vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt: Bereits unter 2. wurde dargestellt, dass zwischen den beiden Leistungen kein struktureller Unterschied in Bezug auf die Berücksichtigung in der Unterhaltsbemessungsgrundlage besteht.

4. Angesichts des Umstands, dass der Vater laut Bestätigung des AMS in der Zeit vom 27. 11. 2007 bis 25. 8. 2008 Anspruch auf Arbeitslosengeld von täglich 24,20 EUR hatte (= monatlich rund 726 EUR) und auf dieser Grundlage die Unterhaltsvorschüsse mit rechtskräftigem Beschluss vom 22. 9. 2008 in Titelhöhe (210 EUR) weitergewährt wurden, bestand kein Anlass, die Vorschüsse ab 1. 1. 2009 von 210 EUR auf 40 EUR monatlich herabzusetzen, hat sich doch die persönliche Situation des Unterhaltsschuldners, insbesondere seine Einkommenslage nur in einem geringen Maß geändert. Da keine hohe Wahrscheinlichkeit für die materielle Unrichtigkeit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung besteht, sind begründete Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 1 Z 1 UVG, die eine Herabsetzung gemäß § 19 Abs 1 Satz 1 UVG rechtfertigen würden, zu verneinen.

Der angefochtene Beschluss ist daher dahin abzuändern, dass der von Amts wegen gefasste Herabsetzungsbeschluss des Erstgerichts ersatzlos aufzuheben ist.

Textnummer

E92445

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0100OB00063.09A.1110.000

Im RIS seit

10.12.2009

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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