TE Vfgh Erkenntnis 2012/6/30 KI-1/09

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Veröffentlicht am 30.06.2012
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Index

41 INNERE ANGELEGENHEITEN
41/04 Sprengmittel, Waffen, Munition

Norm

B-VG Art138 Abs1 Z2
ABGB §1042
JN §1

Leitsatz

Vorliegen eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen VfGH und OGH; Feststellung der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur Entscheidung über das Begehren der Stadtgemeinde Salzburg gegen den Bund auf Zahlung von Kosten für Sondierungsmaßnahmen betreffend Fliegerbombenblindgänger

Spruch

              I. Zur Entscheidung über das Begehren der antragstellenden Stadtgemeinde Salzburg gegen den Bund auf Zahlung von Kosten für Sondierungsmaßnahmen betreffend Fliegerbombenblindgänger sind die ordentlichen Gerichte zuständig.

              II. Der entgegenstehende Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 5. November 2008, 7 Ob 110/08i, wird aufgehoben.

              III. Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist schuldig, der antragstellenden Stadtgemeinde Salzburg zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

              I. Verfahrensgang und Sachverhalt

              1. Die Stadtgemeinde Salzburg (in der Folge: die antragstellende Partei) beansprucht vom Bund die Erstattung von Aufwendungen, die ihr durch Sondierungsmaßnahmen zur Aufsuchung von Fliegerbombenblindgängern entstanden sind. Diese Fliegerbombenblindgänger sind Kriegsrelikte aus der Zeit des 2. Weltkrieges. Die antragstellende Partei hat die Such- und Sondierungstätigkeiten in den Jahren 1997 bis 2002 auf solchen Grundstücken durchgeführt, die in ihrem Eigentum stehen. Insgesamt beansprucht die antragstellende Partei deswegen vom Bund "€ 851.012,11 samt 4 % Zinsen aus € 648.489,45 seit 15.11.2002, aus € 133.878,66 seit 01.04.2003 und aus € 68.652,09 seit 18.10.2003", die ihr an Kosten für diese Sondierungsmaßnahmen entstanden seien.

              Auf das Wesentliche zusammengefasst, bringt die antragstellende Partei vor, sie habe auf Grund der "Salzburger Bombenkarte", die nach dem 2. Weltkrieg auf Grund von protokollarisch festgehaltenen Angaben von Zeugen gefertigt und zufällig im Jahre 1996 aufgefunden worden sei, die Suche nach Fliegerbomben durchgeführt. Dabei seien auch Luftbildauswertungen nach Recherchen von Text- und Bilddokumenten aus den Archiven in Großbritannien über die (ehemaligen) alliierten Streitkräfte herangezogen worden, die erst seit den 1990er-Jahren freigegeben worden seien.

              Die Erforderlichkeit der Suche begründet die antragstellende Partei insbesondere mit der Gefährlichkeit von Zeitzünderbomben, wobei bei den von ihr durchgeführten Sondierungen nach den Verfahrensergebnissen keine Fliegerbomben mit Zeitzündern gefunden wurden.

              Die antragstellende Partei gründet ihren Anspruch auf "jeden erdenklichen Rechtsgrund", insbesondere auf §1042 ABGB. Sie geht davon aus, dass der Bund auf Grund seiner Kompetenz gemäß Art10 Abs1 Z7 und Z15 B-VG für Waffenrecht (sei es nichtmilitärisches oder militärisches Waffenrecht - s. die Unterscheidung gemäß §42 Abs5 des Bundesgesetzes über die Waffenpolizei, BGBl. I 12/1997 idF BGBl. I 142/2000 [in der Folge: WaffenG]) verpflichtet gewesen wäre, derartige Sondierungsmaßnahmen vorzunehmen.

              2. Mit Beschluss vom 5. November 2008, 7 Ob 110/08i, entschied der Oberste Gerichtshof im Ergebnis, dass dieser Anspruch nicht auf dem Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden könne.

              Dies begründete er im Wesentlichen damit, dass den einzig erdenklichen Rechtsgrund nur §1042 ABGB bilden könne. Damit sei aber nichts darüber ausgesagt, ob dieser Anspruch vor den ordentlichen Gerichten oder gemäß Art137 B-VG (die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde sei auszuschließen) geltend zu machen sei: §1042 ABGB würde nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 3354/1958, 8178/1977, 10.279/1984, 10.933/1986, 11.854/1988) einen allgemeinen Rechtsgrundsatz enthalten, der sowohl für öffentlich-rechtliche als auch für zivilrechtliche Verpflichtungen, die im Sinne des §1042 ABGB ein Dritter übernommen habe, gelte. Die Verpflichtung des Bundes, Fliegerbombenrelikte aufzusuchen, wurzle im öffentlichen Recht, weswegen auch die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches durch einen Dritten gemäß §1042 ABGB dem öffentlichen Recht zuzurechnen sei.

              3. Die daraufhin von der Klägerin des Verfahrens vor den ordentlichen Gerichten gemäß Art137 B-VG erhobene Klage an den Verfassungsgerichtshof (die für den Fall der Zurückweisung mit dem vorliegenden Antrag auf Entscheidung eines Kompetenzkonfliktes gemäß Art138 Abs1 B-VG verbunden wurde) hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 10. März 2011, A4/09, zurückgewiesen.

              Zur Begründung führte der Verfassungsgerichtshof auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass er entsprechend der vom Obersten Gerichtshof zitierten Judikatur seine Zuständigkeit in Bezug auf Ansprüche nach §1042 ABGB etwa dann angenommen habe, wenn der Anspruch im öffentlichen Recht - etwa in Form einer gesetzlichen oder finanzausgleichsrechtlichen Regelung - begründet gewesen sei (s. zB VfSlg. 10.933/1986). Im vorliegenden Fall existiere aber - anders als in VfSlg. 10.933/1986 - keinerlei öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Bundes zur Suche nach Fliegerbombenblindgängern. Selbst wenn nach den allgemeinen Kompetenzbestimmungen der Bund zur Regelung derartiger Angelegenheiten in Gesetzgebung und Vollziehung ermächtigt wäre, existiere keine gesetzliche Vorschrift, die ihn zur Suche nach Fliegerbombenblindgängern verpflichte (anderes trifft für die Bergung zu, vgl. §42 Abs5 WaffenG). Ein auf §2 F-VG 1948 gegründeter Kostenersatzanspruch liege im vorliegenden Fall schon deshalb nicht vor, weil die klagende Partei ihre Klage nicht als Gebietskörperschaft, sondern als Grundstückseigentümerin - und somit als Trägerin von Privatrechten - eingebracht habe.

              4. Der Oberste Gerichtshof legte die Akten des Verfahrens vor den ordentlichen Gerichten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

              II. Erwägungen

              1. Aus den Akten des von der antragstellenden Partei im Instanzenzug angerufenen Obersten Gerichtshofes geht hervor, dass er die auf denselben Rechtsgrund gestützte Klage mit Beschluss vom 5. November 2008, 7 Ob 110/08i, in derselben Weise wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen hat. Angesichts des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 10. März 2011, A4/09, liegt daher ein - verneinender - Kompetenzkonflikt zwischen dem Verfassungsgerichtshof und den ordentlichen Gerichten vor (Art138 Abs1 Z2 B-VG). Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.

              2. Der Antrag ist auch begründet. Zur Entscheidung über das geltend gemachte Begehren sind aufgrund nachstehender Erwägungen die ordentlichen Gerichte zuständig:

              Wie der Verfassungsgerichtshof im erwähnten Beschluss festgehalten hat, existiert keinerlei öffentlich-rechtliche Rechtsvorschrift, die den Bund verpflichten würde, Fliegerbombenrelikte aus dem 2. Weltkrieg aufzusuchen. Mangels einer solchen Verpflichtung des Bundes kann es daher auch keinen im öffentlichen Recht wurzelnden und daher in Verfahren gemäß Art137 B-VG geltend zu machenden Anspruch entsprechend der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur allgemeinen Anwendbarkeit des §1042 ABGB geben (s. VfSlg. 3354/1958, 8178/1977, 10.279/1984, 10.933/1986, 11.854/1988, 12.774/1991, 15.972/2000, 16.959/2003), der den Bund verpflichten könnte, Aufwendungen für die - von wem immer als vermeintliche Pflicht des Bundes - durchgeführte Suche nach solchen Kriegsrelikten zu ersetzen.

              Der Oberste Gerichtshof judiziert ebenso wie der Verfassungsgerichtshof (VfSlg. 10.933/1986, 11.663/1988), dass für die Beurteilung der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte von den Sachbehauptungen der Klage auszugehen ist. Die antragstellende Partei macht nun in den Verfahren vor den ordentlichen Gerichten ausschließlich Ansprüche geltend, die sie daraus ableitet, dass sie auf in ihrem Eigentum stehenden Grundstücken die Suche nach Blindgängern von Fliegerbomben durchgeführt habe. Sie macht daher ihre Ansprüche aus ihrer Stellung als Grundeigentümerin und somit als Trägerin von Privatrechten geltend.

              §1 JN weist die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen, soweit sie nicht durch besondere Gesetze vor andere Behörden oder Organe verwiesen sind, den ordentlichen Gerichten zu. Dies bedeutet, dass es im Hinblick auf vermögensrechtliche Ansprüche in jedem Fall ein Gericht oder eine andere zuständige Behörde gibt, das bzw. die über diese abspricht. Sofern keine Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde gegeben ist, sind daher die ordentlichen Gerichte jedenfalls dazu berufen, über einen solchen Anspruch abzusprechen, wenn es sich um keinen im öffentlichen Recht wurzelnden Anspruch handelt, der gemäß Art137 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen ist.

              Da es sich wie dargelegt im vorliegenden Kompetenzkonflikt sowohl vor den ordentlichen Gerichten als auch vor dem Verfassungsgerichtshof um dieselbe - vermögensrechtliche - Sache handelt, ist auszuschließen, dass hiefür weder der Verfassungsgerichtshof noch die ordentlichen Gerichte zuständig sind, zumal die antragstellende Partei ihre Ansprüche auf das Zivilrecht gestützt hat.

              III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

              1. Der Oberste Gerichtshof hat mit seiner

Entscheidung, dass der Anspruch der antragstellenden Partei nicht auf dem Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden kann, seine Zuständigkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte insgesamt zu Unrecht verneint.

              2. Es ist daher auszusprechen, dass die Entscheidung über den von der antragstellenden Partei geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der Sondierungskosten für Fliegerbombenblindgänger in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fällt. Der entgegenstehende Beschluss des Obersten Gerichtshofes ist aufzuheben. Das davor im Instanzenzug angerufene Oberlandesgericht Linz (OLG Linz 26.2.2008, 1 R 199/07a) hat in der Sache entschieden, weswegen die Aufhebung auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu beschränken ist.

              3. Der Kostenausspruch gründet sich auf §52 VfGG. Im zugesprochenen Betrag von insgesamt € 2.400,-- ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.

              4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Kompetenzkonflikt, Waffenrecht, Zivilrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2012:KI1.2009

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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