TE OGH 2010/7/28 9Ob37/10x

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Veröffentlicht am 28.07.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil, Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers Ferdinand O*****, Landwirt, *****, vertreten durch Dr. Birgit Brass, Rechtsanwältin in Villach, gegen die Antragsgegnerin Sonja O*****, vertreten durch Dr. Silvia Anderwald, Rechtsanwältin in Spittal an der Drau, wegen Einstellung des Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 24. September 2009, GZ 2 R 190/09p-27, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 13. Juli 2009, GZ 40 Fam 51/08i-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Außerstreitsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Antragsteller ist der Vater der am 8. September 1988 geborenen Antragsgegnerin. Aufgrund einer Unterhaltsvereinbarung vom 15. Juli 2003 ist der Antragsteller verpflichtet, für die Antragsgegnerin einen monatlichen Unterhalt von 256 EUR zu zahlen. Die Antragsgegnerin wohnt im Haushalt ihrer Mutter und wird dort versorgt.

Nach Absolvierung von vier Klassen Volksschule und vier Klassen Hauptschule besuchte die Antragsgegnerin die Handelsschule. Sie musste die dritte Klasse wiederholen, schloss die Schule aber dann mit Ende des Schuljahres 2006/2007 positiv ab. Im Schuljahr 2007/2008 versuchte die Antragsgegnerin den Besuch eines Aufbaulehrgangs der Bundeshandelsakademie, konnte jedoch die Klasse nicht positiv abschließen. Über Anraten des Arbeitsmarktservice trat sie im Herbst 2008 eine dreijährige Lehre (in Form einer Fachberufsschule mit Praktika) für die Ausbildung zur EDV-Kauffrau an. Parallel dazu besucht sie in ihrer Freizeit einen Maturakurs, um die Reifeprüfung ablegen zu können. Die Vorbildung durch die Handelsschule wurde der Antragsgegnerin nicht voll angerechnet, weil sie bei einem entsprechenden Test nicht entsprach. Die Antragsgegnerin hat mittlerweile die erste Klasse der Fachberufsschule ***** positiv abgeschlossen. Sie weist im Jahreszeugnis ein Genügend im kaufmännischen Rechnen auf. Das Erstgericht führte weiters aus, dass der Antragsgegnerin „laut ihren Angaben vom Arbeitsmarktservice eine Arbeitsstelle nicht vermittelt werden konnte“ (AS 91).

Der Vater beantragte, mit Wirkung ab 1. Oktober 2008 das zu diesem Zeitpunkt eingetretene Ruhen seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Antragsgegnerin festzustellen. Die Antragsgegnerin habe durch Absolvierung der Handelsschule eine abgeschlossene Berufsausbildung, dennoch habe sie eine weitere Berufsausbildung als EDV-Kauffrau begonnen. Der Antragsteller sei nicht bereit und verpflichtet, diese weitere Ausbildung zu finanzieren. Diesem Vorbringen hält die Antragsgegnerin entgegen, dass es ihr nicht möglich gewesen sei, einen Arbeitsplatz zu finden, sodass sie sich entschlossen habe, den mit wesentlich höheren Berufschancen ausgestatteten Beruf einer EDV-Kauffrau zu erlernen.

Das Erstgericht gab dem Antrag des Vaters Folge und stellte fest, dass die Unterhaltsverpflichtung des Vaters mit Wirkung ab 1. Oktober 2008 erloschen ist. Es vertrat im Wesentlichen die Rechtsauffassung, dass sich die Antragsgegnerin einerseits auf keine überlange Arbeitssuche berufen könne, vielmehr hätte sie nach einer gewissen Zeit der Arbeitssuche sogar Hilfsarbeitertätigkeiten annehmen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Darüber hinaus könne der Antragsgegnerin aufgrund ihrer bisherigen Schulerfolge keine besonders positive Prognose hinsichtlich der Absolvierung der Lehre als EDV-Kauffrau ausgestellt werden. Die positive Absolvierung des ersten Lehr(-Schul-)jahres reiche nicht aus, um eine aufrechte Unterhaltspflicht des Vaters annehmen zu können.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass es den Antrag, das Ruhen der Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Antragsgegnerin festzustellen, abwies. Es sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass ein aufrechter Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin bestehe: Zwar habe sie zunächst erfolglos den Aufbaulehrgang für die Handelsakademie besucht, sei aber während dieser Zeit immer arbeitsuchend gemeldet gewesen und habe somit ihrer Obliegenheit, zielgerichtet einen Arbeitsplatz zu finden, entsprochen. Da es ihr mit dem Handelsschulabschluss alleine nicht möglich gewesen sei, eine Arbeitsstelle zu finden, müsse ihr die Möglichkeit einer weiteren Berufsausbildung ermöglicht werden.

Dagegen richtet sich der „außerordentliche“ Revisionsrekurs des Vaters, der eine hinreichend erkennbare Zulassungsvorstellung iSd § 63 Abs 1 AußStrG enthält. Das Rekursgericht gab diesem Antrag gemäß § 63 Abs 3 AußStrG wegen nicht auszuschließender Verfahrensmängel statt und erklärte den Revisionsrekurs für zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs, der einen Abänderungsantrag, in eventu einen Aufhebungsantrag enthält, ist zulässig und mit letzterem auch berechtigt.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Passage im Beschluss des Erstgerichts „laut ihren Angaben konnte der Antragsgegnerin vom Arbeitsmarktservice eine Arbeitsstelle nicht vermittelt werden“ als Feststellung aufzufassen ist, reicht diese für sich noch nicht aus, um den Berufsausbildungswechsel rechtfertigen zu können. Da die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten gemäß § 140 Abs 1 ABGB nach ihren Kräften anteilig beizutragen haben, ist der zumutbaren Belastung des geldunterhaltspflichtigen Elternteils aufgrund seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besondere Beachtung zu schenken, wenn die Frage zu beantworten ist, ob dieser die Kosten einer zweiten Berufsausbildung des Kindes mehr oder weniger zu tragen hat. Soweit liegt also eine Verschränkung der für die Ermittlung eines Unterhaltsanspruchs des Kindes gemäß § 140 Abs 1 und Abs 3 ABGB zu beachtenden Voraussetzungen vor. Maßgeblich sind nicht nur die Lebensverhältnisse des geldunterhaltspflichtigen Elternteils, sondern auch jene des Kindes. Das bedeutet grundsätzlich, dass der Unterhaltsanspruch erlischt, wenn das Kind die Ausübung einer zumutbaren Erwerbstätigkeit nach Abschluss seiner Berufsausbildung unterlässt, obwohl es eine solche aufgrund der konkreten Verhältnisse des Arbeitsmarkts tatsächlich ausüben könnte und nicht besondere Gründe für das Weiterbestehen der Unterhaltspflicht sprechen. Das Wiederaufleben eines nach diesen Gesichtspunkten erloschenen Unterhaltsanspruchs oder dessen Weiterbestehen ist an strengere Voraussetzungen als an jene gebunden, die für die Finanzierung der Erstausbildung maßgeblich sind. Danach kann einem Kind dann eine zweite Berufsausbildung gegen den Willen, jedoch (ganz oder teilweise) dennoch auf Kosten des Unterhaltspflichtigen zugebilligt werden, wenn es eine ernsthafte Neigung und besondere Eignung sowie ausreichenden Fleiß für eine derartige weitere Ausbildung erkennen lässt, und die sichere Erwartung eines besseren Fortkommens im angestrengten neuen Beruf besteht (SZ 70/36 unter Zitat der stRsp). Im vorliegenden Fall steht zum einen noch nicht ausreichend fest, welche Bemühungen, außer der Tatsache, arbeitsuchend gewesen zu sein, die Antragsgegnerin konkret unternommen hat, insbesondere ob sich ihre Arbeitssuche nur auf die unmittelbare Umgebung ihres Wohnorts oder aber auch auf zumutbare weiter entfernt liegende Orte erstreckt hat. Darüber hinaus wird als wesentlich festzustellen sein, ob - wie behauptet - eine allfällige Erfolglosigkeit der Suche darin begründet war, dass die Handelsschulausbildung allein als nicht ausreichend angesehen wird. Es fehlen aber auch Feststellungen, ob und inwieweit der Antragsgegnerin eine entsprechende Neigung für den neuen Berufswunsch zugemessen werden kann und ob der Beruf, der nunmehr angestrebt wurde, die sichere Erwartung eines besseren Fortkommens in sich birgt. Sollte sich herausstellen, dass entweder die Antragsgegnerin über die besondere Eignung für den zweiten Berufswunsch nicht verfügt (- ein einziges „Genügend“ im Jahreszeugnis lässt diesen Schluss wohl noch nicht zu -) oder aber keine erheblich besseren Berufschancen gegenüber der Erstausbildung bestehen (- was allenfalls durch ein berufskundliches Gutachten geklärt werden kann -), wird auch die Rechtsprechung zu berücksichtigen sein, wonach allein die erfolglose Arbeitsplatzsuche die Unterhaltspflicht nicht ad infinitum andauern lässt, sondern für die bisher Unterhaltsberechtigte die Verpflichtung bestehen kann, eine den Lebensunterhalt sichernde Hilfsarbeitertätigkeit anzunehmen (RIS-Justiz RS0107720).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 78 Abs 1 zweiter Satz AußStrG.

Schlagworte

Unterhaltsrecht

Textnummer

E94792

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0090OB00037.10X.0728.000

Im RIS seit

16.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

13.06.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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