TE OGH 2010/9/1 6Ob101/10m

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Veröffentlicht am 01.09.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj N***** F*****, geboren am *****, über den Revisionsrekurs des Vaters H***** F*****, vertreten durch Mag. Sabine Zambai, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. Dezember 2009, GZ 45 R 485/09w-S-184, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 22. Juni 2009, GZ 13 P 44/05v-S-160, teilweise bestätigt, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die im Übrigen unberührt bleiben, werden in Ansehung der Abweisung des Antrags des Vaters, die derzeitige vor dem Jugendamt am 25. 1. 2006 getroffene Besuchsrechtsregelung am Wochenende pflegschaftsbehördlich zu genehmigen, aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Ehe der Eltern, der der Minderjährige entstammt, ist geschieden. Schon vor der Einleitung des Scheidungsverfahrens stellten beide Eltern Anträge auf alleinige Obsorge. Sie trafen während aufrechter Ehe am 25. 1. 2006 - Anträge der Eltern auf Regelung des Besuchsrechts waren beim Erstgericht bereits anhängig - vor dem Jugendamt für das Besuchsrecht an Wochenenden die Regelung, dass der Vater seinen Sohn wöchentlich am Freitag um 14:00 Uhr von der Schule abholt und am Samstag um 19:00 Uhr zur Mutter zurückbringt und nur am letzten Wochenende im Monat seinen Sohn am Samstag um 11:00 Uhr vom Wohnort der Mutter abholt und am Sonntag um 16:00 Uhr dorthin zurückbringt.

Mit Schriftsatz vom 30. 1. 2006 beantragte der Vater, die Besuchsrechtsregelung pflegschaftsgerichtlich zu genehmigen.

Das Erstgericht wies mit Beschluss vom 9. 5. 2008 von der Vereinbarung über das Besuchsrecht des Vaters vom 25. 1. 2006 abweichende Anträge der Eltern auf Regelung des Besuchsrechts (ON 92 und ON 98) ab. Es bleibe bei der vor dem Jugendamt getroffenen schriftlichen Vereinbarung, seien doch wesentliche Änderungen der Voraussetzungen weder behauptet worden, noch ersichtlich. Die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Vereinbarung sei von keiner der Parteien beantragt worden.

Mit Schriftsatz vom 23. 3. 2009 (ON 148) beantragte der Vater, das Besuchsrecht im „Sinne einer 50:50 Aufteilung“ auszudehnen und wochenweise abwechselnd festzulegen. Für den Fall der Abweisung dieses Antrags beantragte er, sein Besuchsrecht um eine weitere Nächtigung pro Woche auszudehnen. Im Übrigen beantragte er, die „derzeitige und vor dem Jugendamt am 26. 1. 2006 (Anm des Senats: gemeint offenbar 25. 1. 2006) getroffene Besuchsrechtsregelung am Wochenende, nämlich von Freitag 14:00 Uhr bis Samstag 19:00 Uhr und am letzten Wochenende im Monat von Samstag 11:00 Uhr bis Sonntag 16:00 Uhr (in Monaten mit 5 Wochenenden gilt diese Regelung dann eben für das 5. Wochenende im Monat)“ pflegschaftsgerichtlich zu genehmigen.

Die Mutter sprach sich gegen die beantragten Erweiterungen des Besuchsrechts aus, weil sie dem Kindeswohl widersprächen. Sie habe im Jänner 2006 vor dem Jugendamt einem äußerst großzügigen Besuchsrecht zugestimmt, das bislang auch lückenlos eingehalten worden sei. Sie habe keine Einwände gegen eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Vereinbarung vom 26. 1. 2009 (gemeint offenbar: 25. 1. 2006) in dem vom Vater beantragten Umfang (ON 159).

Mit Beschluss vom 22. Juni 2009 wies das Erstgericht - soweit im Revisionsrekursverfahren von Bedeutung - den Antrag des Vaters, die Besuchsrechtsregelung vom 26. 1. 2006 pflegschaftsgerichtlich zu genehmigen (ON 148), ab. Die Mutter habe keine Einwände gegen eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung dieser Vereinbarung in dem vom Vater beantragten Umfang erhoben. Das Recht auf persönlichen Verkehr sei nach Möglichkeit zwischen dem minderjährigen Kind und dem Elternteil einvernehmlich zu regeln. Eine Tätigkeit des Gerichts sei nur zulässig und erforderlich, wenn eine Regelung nicht gelinge. Im Anlassfall liege jedoch eine schriftliche und vor der Jugendwohlfahrtsbehörde abgeschlossene Vereinbarung der Eltern über das regelmäßige Recht auf persönlichen Verkehr zwischen dem Minderjährigen und seinem Vater vor. Weshalb diese nach nunmehr beinahe 3 ½ Jahren genehmigt werden solle, sei weder vorgebracht worden, noch sei hierfür ein Grund ersichtlich. Das Gesetz normiere keinerlei Genehmigungsbedarf und es sei auch tatsächlich kein Grund für den Bedarf einer Genehmigung vorgebracht worden oder erkennbar.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Gemäß § 109 AußStrG habe das Gericht über Vereinbarungen über die Obsorge oder über das Recht auf persönlichen Verkehr eine Niederschrift aufzunehmen. Ob diese Vereinbarung gerichtlich genehmigt werde, habe das Gericht ohne weiteren Antrag zu entscheiden. Gemäß § 110 Abs 1 AußStrG sei ein Verfahren zur zwangsweisen Durchsetzung einer gerichtlichen oder gerichtlich genehmigten Regelung der Obsorge oder des Rechts auf persönlichen Verkehr eine Vollstreckung nach der Exekutionsordnung ausgeschlossen. Wie den Gesetzesmaterialien zu entnehmen sei, nehme die Formulierung „gerichtlich genehmigten Regelung“ darauf Bedacht, dass nicht jede einvernehmliche Regelung der Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr auch in einem Gerichtsverfahren Niederschlag finde. Sei eine Vereinbarung aber gerichtlich genehmigt (etwa aufgrund eines Scheidungsvergleichs oder als einvernehmliches Ergebnis eines Besuchsrechtsverfahrens), solle sie jedenfalls auch vollstreckbar sein. Aus §§ 109, 110 AußStrG ergebe sich, dass nur hinsichtlich der Vereinbarungen über die Obsorge oder über das Recht auf persönlichen Verkehr, die vor Gericht geschlossen worden seien, eine Entscheidung über eine gerichtliche Genehmigung zu ergehen habe. Es bestehe keine Verpflichtung des Gerichts, hinsichtlich der Vereinbarungen der Eltern außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens zu entscheiden, ob die Vereinbarung genehmigt werde oder nicht. Eine außergerichtliche Vereinbarung könne auch nicht iSd § 110 AußStrG durchgesetzt werden. Soweit auch im vorliegenden Pflegschaftsverfahren Vereinbarungen dieser Art pflegschaftsgerichtlich genehmigt worden seien, sei dies eine Gerichtsübung, für die eine gesetzliche Grundlage fehle. Im Übrigen enthalte der Antrag des Vaters auf Genehmigung der Wochenendbesuchsrechtsregelung eine Änderung des seinerzeitigen Wortlauts betreffend Monate mit fünf Wochenenden, sodass die beantragte Genehmigung vom seinerzeitigen Wortlaut abweichen müsste.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des Anspruchs einer Partei auf gerichtliche Genehmigung einer außergerichtlich getroffenen Vereinbarung über das Besuchsrecht fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Mutter beantwortete Revisionsrekurs des Vaters ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Die Ausübung des Rechts des minderjährigen Kindes und des mit ihm nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Elternteils, miteinander persönlich zu verkehren (§ 148 Abs 1 Satz 1 ABGB; „Besuchsrecht“), sollen gemäß dem durch das KindRÄG 2001 eingefügten zweiten Satz des § 148 Abs 1 ABGB das Kind und die Eltern einvernehmlich regeln. Soweit ein solches Einvernehmen nicht erzielt werden kann, hat das Gericht über Antrag die Ausübung des Besuchsrechts zu regeln (§ 148 Abs 1 Satz 3 ABGB). Eine gerichtliche Regelung kommt also nur in Betracht, wenn sich Kind und Eltern nicht einigen können und das Kindeswohl (vgl § 148 Abs 2 ABGB) ein staatliches Eingreifen verlangt. Bei hinreichender Einigung ist, solange sich die Beteiligten einig bleiben, eine gerichtliche Regelung nicht notwendig (Ferrari-Hofmann-Wellenhof, Zum Besuchsrecht des geschiedenen Ehegatten, in Harrer/Zitta, Familie und Recht 621, 623). Dass das Kind und die Eltern die Ausübung des Besuchsrechts einvernehmlich regeln können und sollen, entspricht dem im Rahmen des Art 8 EMRK verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundsatz der Familienautonomie (Schrammel/Schur, Partei- und Verfahrensfähigkeit im Besuchsrechtsverfahren, EF-Z 2007/99 (165) mwN; Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 148 Rz 8 mwN).

Von der Frage des fehlenden staatlichen Regelungsbdürfnisses bei Vorliegen einer Besuchsrechtsvereinbarung ist die Frage deren pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung zu unterscheiden, wie § 109 AußStrG zeigt, wonach das Gericht von amtswegen über die Genehmigung der von ihm protokollierten Vereinbarung über das Besuchsrecht zu entscheiden hat.

Die gerichtliche Genehmigung einer einvernehmlichen Regelung des Besuchsrechts ist Voraussetzung ihrer zwangsweisen Durchsetzbarkeit (§ 110 Abs 1 und 2 AußStrG; 2 Ob 133/07h). Zur Rechtslage vor dem KindRÄG 2001 war es herrschende Meinung, dass eine Vereinbarung der Eltern über die Ausübung des Besuchsrechts als solche unverbindlich sei und es zu ihrer Verbindlichkeit der Genehmigung durch das Pflegschaftsgericht bedürfe; erst die Genehmigung binde die Eltern an die geschlossene Vereinbarung (2 Ob 568/92 mwN; RIS-Justiz RS0048011; Stabentheiner in Rummel3, ErgBd § 148 ABGB Rz 1c mwN). Es ist weiterhin davon auszugehen, dass einer Besuchsrechtsvereinbarung ohne pflegschaftsgerichtliche Genehmigung keine bindende Wirkung zukommt (Stabentheiner in Rummel3, ErgBd § 148 ABGB Rz 1c; aA Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 148 Rz 13), hat sich doch durch das KindRÄG 2001 zu dieser Frage keine veränderte Beurteilungsgrundlage ergeben. Ist die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einer Besuchsrechtsvereinbarung zu ihrer Verbindlichkeit und zwangsweisen Durchsetzung notwendig, so folgt daraus zwanglos das Bedürfnis an pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung. Daran fehlt es aber naturgemäß dann, wenn die Parteien eine Besuchsrechtsvereinbarung treffen, die das Besuchsrecht für die Zukunft nicht verbindlich festlegen soll (vgl Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 148 Rz 12).

Der Rechtsauffassung des Rekursgerichts, dass einer Entscheidung über eine gerichtliche Genehmigung nur vor Gericht geschlossene Besuchsrechtsvereinbarungen zugänglich seien, ist nicht zu folgen. Dagegen spricht bereits § 55a Abs 2 EheG. Danach können die Ehegatten die schriftliche Vereinbarung über die Scheidungsfolgen - ua das Besuchsrecht - außergerichtlich schließen und dem Gericht unterbreiten oder vor Gericht schließen. Für alle im § 55a Abs 2 EheG angeführten, die Kinder betreffenden Angelegenheiten ist die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich (2 Ob 568/92; Schwimann/Weitzenböck in Schwimann, ABGB3 § 55a EheG Rz 15; Stabentheiner in Rummel3 § 55a EheG Rz 12). Es ist kein überzeugender Grund erkennbar, weshalb dem Kind und seinen Eltern, die außergerichtlich eine Vereinbarung treffen, die die Ausübung des Besuchsrechts für die Zukunft verbindlich festlegen soll, die zur Verbindlichkeit und zwangsweisen Durchsetzung der Vereinbarung notwendige pflegschaftsgerichtliche Genehmigung nicht erreichbar sein soll, sofern die Vereinbarung - wie im vorliegenden Fall -bestimmt ist.

Besuchsrechtsvereinbarungen nach § 148 Abs 1 Satz 2 ABGB unterliegen keinen Formvorschriften und können auch stillschweigend erfolgen (Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 148 Rz 8). Der obsorgeberechtigte Elternteil stimmt sowohl für das unmündige Kind als auch im eigenen Namen der Besuchsrechtsvereinbarung zu (Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 148 Rz 11; vgl Hopf in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB2 § 148 Rz 3). Von der vor dem Jugendamt am 25. 1. 2006 geschlossenen Vereinbarung wollten beide Eltern - das Kind war damals im achten Lebensjahr - abgehen (Anträge ON 92 und 98). Nach ihrem Vorbringen haben sie die Vereinbarung aber auch nach der Abweisung der Anträge ON 92 und 98 mit Beschluss vom 9. 5. 2008 weiterhin bis zuletzt durchgeführt. Auch wenn der Vater mit dem Antrag ON 148 eine Ausdehnung seines Besuchsrechts anstrebte, die die Mutter ablehnte, lässt sich doch aus dem ebenfalls in ON 148 gestellten Antrag des Vaters auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Vereinbarung und dem dazu erklärten Einverständnis der Mutter ableiten, dass die Eltern (die Mutter auch im Namen des Kindes) eine verbindliche Regelung des Besuchsrechts mit dem einvernehmlich praktizierten Inhalt der Vereinbarung vom 25. 1. 2006 wollen; insoweit sind sie sich einig. Der Genehmigungsantrag des Vaters weicht nicht vom Inhalt der Vereinbarung ab. Vereinbart ist ua, dass er am letzten Wochenende im Monat seinen Sohn am Samstag um 11:00 Uhr vom Wohnort der Mutter abholt und am Sonntag um 16:00 Uhr dorthin zurück bringt. Die Beifügung im Antrag ON 148 („in Monaten mit 5 Wochenenden gilt diese Regelung dann eben für das 5. Wochenende im Monat“) ist keine Änderung des Inhalts, sondern erläutert nur Selbstverständliches, kann doch ein Monat nicht sechs Wochenenden haben.

Wenngleich die von den Vorinstanzen ins Treffen geführten Gründe nicht zur Abweisung des Genehmigungsantrags führen, ist die Sache nicht entscheidungsreif, weil das Erstgericht keine Feststellungen getroffen hat, die die Beurteilung erlaubten, dass die Besuchsrechtsvereinbarung dem Kindeswohl entspricht. Es war daher mit Aufhebung in die erste Instanz vorzugehen.

Schlagworte

Familienrecht

Textnummer

E95023

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0060OB00101.10M.0901.000

Im RIS seit

01.10.2010

Zuletzt aktualisiert am

04.07.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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