TE OGH 2011/7/21 10ObS20/11f

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Veröffentlicht am 21.07.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*****, vertreten durch Dr. Michael Mäntler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Ausgleichszulage, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. November 2010, GZ 9 Rs 126/10f-17, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 30. Juni 2010, GZ 22 Cgs 49/10x-13, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Antrag des Klägers auf Zuspruch von Kosten der Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 21. 1. 1922 geborene Kläger, ein rumänischer Staatsbürger, ist seit 5. 11. 2001 verwitwet und lebt seit 2001 in Wien bei seinem Sohn C*****. Seit sechs Jahren hat er diese Wohnung nicht mehr verlassen. Am 3. 6. 2004 erklärte C***** gegenüber der Aufenthaltsbehörde, dass er dem Kläger „zur Deckung seiner Bedürfnisse Unterhalt gewähre und ihm eine ortsübliche Unterkunft zur Verfügung stelle“. Tatsächlich leistet C***** keine Unterhaltszahlungen an seinen Vater, er kommt aber für alle gemeinsamen Lebenshaltungskosten auf. Er bezahlte bis 10. 2. 2010 auch die Beiträge zur Selbstversicherung des Klägers in der Krankenversicherung bei der Wiener Gebietskrankenkasse in Höhe von 84,48 EUR monatlich. Seither wird die Krankenversicherung des Klägers vom rumänischen Versicherungsträger übernommen. Der Kläger bezieht (seit vielen Jahren) von einem rumänischen Sozialversicherungsträger eine Alterspension, deren Höhe ab 1. 1. 2009 umgerechnet 303,10 EUR; ab 1. 4. 2009 276,25 EUR, ab 1. 7. 2009 278,30 EUR, ab 1. 10. 2009 277,35 EUR, ab 1. 1. 2010 272,91 EUR und ab 1. 4. 2010 282,72 EUR betrug. Seit April 1999 bezieht der Kläger vom Magistrat der Stadt Wien Pflegegeld der Stufe 1.

C***** verdient (aufgrund einer unselbständigen Erwerbstätigkeit) 2.203 EUR brutto bzw 1.467,36 EUR netto monatlich. Er bezahlt unter anderem für Medikamentenkosten des Klägers ca 100 EUR monatlich.

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt wurde der Antrag des Klägers vom 5. 2. 2009 auf Gewährung einer Ausgleichszulage mit der Begründung abgelehnt, dass sich sein Sohn C***** verpflichtet habe, während des Aufenthalts seines Vaters in Österreich unbefristet für dessen Unterhalt aufzukommen. Von dieser Verpflichtungserklärung seien auch die Kosten für Fürsorgeleistungen umfasst.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem Begehren auf Gewährung der Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß ab Antragstellung im Wesentlichen mit der Begründung, die Patronatserklärung seines Sohnes vom 3. 6. 2004 bewirke kein Erlöschen seines Anspruchs auf Ausgleichszulage.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Gemäß § 11 Abs 2 Z 4 NAG dürfe einem Fremden ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könne. Die Auszahlung einer Ausgleichszulage an den Kläger würde eine Gebietskörperschaft (Land bzw Bund) finanziell belasten. Da sich darüber hinaus der Sohn des Klägers verpflichtet habe, für den Unterhalt seines Vaters aufzukommen, bestehe kein Anspruch des Klägers auf Ausgleichszulage.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger eine monatliche Ausgleichszulage in Höhe von 37,02 EUR vom 5. 2. 2009 bis 31. 3. 2009, von 63,87 EUR vom 1. 4. 2009 bis 30. 6. 2009, von 61,82 EUR vom 1. 7. 2009 bis 30. 9. 2009, von 62,77 EUR vom 1. 10. 2009 bis 31. 12. 2009, von 75,10 EUR vom 1. 1. 2010 bis 28. 2. 2010, von 160,58 EUR für den Monat März 2010 sowie von 150,77 EUR vom 1. 4. 2010 bis 30. 6. 2010 zu gewähren. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht dahin, dass der Pensionsberechtigte, solange er einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe, gemäß § 292 ASVG Anspruch auf Ausgleichszulage habe, sofern die Bruttopension zuzüglich eines aus den übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens und der gemäß § 294 ASVG zu berücksichtigenden Beträge nicht die Höhe des für ihn geltenden Richtsatzes iSd § 293 ASVG erreiche. Habe ein Fremder bei einem Aufenthalt im Inland einen gesetzlichen Anspruch auf Ausgleichszulage, werde dieser Anspruch nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl 10 ObS 176/94 = SSV-NF 8/113) nicht dadurch beseitigt, dass sich ein Dritter im Rahmen einer Patronatserklärung zur subsidiären Unterhaltsgewährung an den Anspruchsberechtigten verpflichtet habe. Im vorliegenden Fall bestehe daher ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Ausgleichszulage. Bei der Berechnung der Höhe dieses Anspruchs sei zu berücksichtigen, dass der Kläger bei seinem Sohn freie Kost und Logis in Anspruch nehme, wobei der im ASVG für die Anrechnung vorgesehene Fixwert 246,80 EUR (2009) bzw 250,50 EUR (2010) betrage. Auch die vom Sohn des Klägers bezahlten Medikamentenkosten seien als Einkommen des Klägers zu berücksichtigen. Hingegen sei das dem Kläger gewährte Pflegegeld nicht anzurechnen. Unter Berücksichtigung der jeweils geltenden Umrechnungskurse ergebe sich ein Anspruch des Klägers auf Ausgleichszulage in der im Spruch jeweils angeführten Höhe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei in der Hauptsache keine Folge. Es führte in seiner rechtlichen Beurteilung im Wesentlichen aus, das dem Kläger auch von der beklagten Partei in Österreich zugestandene Aufenthalts- und Niederlassungsrecht räume ihm letztlich auch einen gesetzlichen Anspruch auf Ausgleichszulage ein, welcher nach der Rechtsprechung nicht dadurch beseitigt werde, dass sich der Sohn des Klägers zu einer subsidiären Unterhaltszahlung verpflichtet habe. Die allein aus dem Fremdenrecht erklärbare Verpflichtungserklärung des Sohnes des Klägers sei daher nicht geeignet, dessen Anspruch auf Ausgleichszulage zu schmälern. Dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründet habe, werde auch von der beklagten Partei nicht in Zweifel gezogen. Die österreichische Ausgleichszulage ergänze eine Alters- oder Invaliditätsrente. Sie habe Sozialhilfecharakter, soweit sie dem Empfänger im Fall einer unzureichenden Rente ein Existenzminimum gewährleisten solle. Die Ausgleichszulage gebühre nur demjenigen, der einen Anspruch auf eine Direktpension habe. Da der Kläger unstrittig eine monatliche Rente aus der rumänischen Sozialversicherung beziehe, habe er als EU-Bürger auch Anspruch auf eine Ausgleichszulage zu seiner Pension. Die vom Erstgericht ermittelte Höhe der dem Kläger gebührenden Ausgleichszulage sei im Berufungsverfahren nicht mehr strittig.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die bereits vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

Die beklagte Partei macht im Wesentlichen geltend, die „Pension“, auf die sich im gegenständlichen Fall der Kläger iSd § 292 ASVG stütze, stelle eine rumänische Pension dar, die allein aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen in den sachlichen Geltungsbereich der VO 1408/71 bzw VO 883/2004 falle und dadurch eine Gleichstellung erlange. Die Inanspruchnahme der Vorteile des Gemeinschaftsrechts (Gleichstellung der Leistungen, Niederlassungsfreiheit) bedinge jedoch im Gegenzug die Berücksichtigung der bereits im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen der Freizügigkeit bei der Auslegung des § 292 ASVG im Zusammenhang mit den Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG).

Die Unionsbürgerschaft (vgl Art 21 AEUV sowie RL 2004/38/EG) verleihe jedem, der Staatsbürger eines Mitgliedstaats sei, das persönliche Recht, sich im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats vorbehaltlich der im Vertrag und in den Durchführungsverordnungen vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Die RL 2004/38/EG schränke dieses Aufenthaltsrecht insoweit ein, als Unionsbürger, die sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten und dort weder erwerbstätig, noch studierend oder arbeitsuchend sind, „während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Mitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen sollen“.

Der Kläger halte sich nicht aus dem Titel der Freizügigkeit als Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft auf, sondern könne sein Aufenthaltsrecht nur auf einen „privaten“ Aufenthalt stützen. Im Einklang mit Art 7 Abs 1 lit b RL 2004/38/EG und § 51 Abs 1 Z 2 NAG würden für einen solchen Aufenthalt unter anderem ausreichende Existenzmittel gefordert. Das Gemeinschaftsrecht räume demnach den Mitgliedstaaten die Befugnis ein, Beschränkungen in ihre nationalen Bestimmungen aufzunehmen. Der österreichische Gesetzgeber habe von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und das Recht auf Niederlassung von Unionsbürgern, die keine Arbeitnehmer im Sinne der VO 1612/68 seien, an die Voraussetzung geknüpft, dass diese über ausreichende Existenzmittel und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügten. Die diesbezüglichen innerstaatlichen Regelungen seien im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) enthalten.

Die Ausgleichszulage stelle ihrer Finanzierung nach eine vom Bund zu tragende Sozialhilfeleistung dar, sodass jedenfalls eine finanzielle Belastung des Bundes als Gebietskörperschaft iSd § 11 Abs 5 NAG gegeben wäre, wenn keine die Existenz sichernden Unterhaltsmittel vorhanden wären. Diese Mittel könnten jedoch durch Verpflichtungserklärungen bzw Haftungserklärungen, welche nach dem NAG keinen subsidiären Charakter mehr hätten, nachgewiesen werden. Diese Verpflichtungserklärungen bzw Haftungserklärungen seien daher entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen bei der Beurteilung des Anspruchs auf Ausgleichszulage zu berücksichtigen.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

1. Mit dem am 1. 1. 2007 wirksam gewordenen Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union (Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Republik Bulgarien und Rumänien über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumänien zur Europäischen Union vom 25. 4. 2005, ABl Nr L157 vom 21. 6. 2005, BGBl III 2006/185) ist der Kläger freizügigkeitsberechtigter EWR-Bürger geworden. Nach Art 45 Abs 1 AEUV ist innerhalb der Union die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet. Weiters verleiht die Unionsbürgerschaft jedem, der Staatsbürger eines Mitgliedstaats ist, das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten (vgl Art 21 Abs 1 AEUV).

2. Zutreffend macht die beklagte Partei geltend, dass sich der Kläger nicht aus dem Titel der Freizügigkeit als Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft in Österreich aufhält, zumal er bereits seit langer Zeit aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist und eine rumänische Alterspension bezieht. Auch auf die Eigenschaft als „Familienangehöriger“ eines Wanderarbeitnehmers iSd VO 1408/71 beruft sich der Kläger nicht.

3. Der Kläger kann daher einen Anspruch auf Ausgleichszulage mit Erfolg nur auf das jedem Unionsbürger in Art 21 AEUV eingeräumte Grundrecht auf Bewegungsfreiheit und Aufenthalt stützen. Dieses Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt knüpft lediglich an die Unionsbürgerschaft und damit an die Staatsangehörigkeit eines der EU-Mitgliedstaaten an (Art 20 AEUV) und ist unmittelbar anwendbar. Danach hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Demnach gilt das Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger nicht uneingeschränkt, sondern nur vorbehaltlich der im EU-Vertrag und dem AEUV sowie in den dazu ergangenen Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen.

3.1 Zu den „Durchführungsvorschriften“ gehören die einschlägigen sekundärrechtlichen Bestimmungen. Dazu zählt in erster Linie die RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Unionsbürger-RL). Die RL 2004/38/EG regelt die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten genießen. Hinsichtlich des Aufenthaltsrechts ist zu unterscheiden: Das Aufenthaltsrecht bis zu drei Monaten (Art 6), das Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate (Art 7) sowie das Recht auf Daueraufenthalt, das grundsätzlich erworben wird, wenn sich der Unionsbürger rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat (Art 16).

3.2 Das Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate (Art 7) wird für Arbeitnehmer und Selbständige im Aufnahmemitgliedstaat ohne weitere Voraussetzung gewährt, während es für nicht-erwerbstätige Unionsbürger und Studenten an die Bedingungen einer ausreichenden Krankenversicherung und notwendiger Existenzmittel geknüpft ist, damit die Unionsbürger nicht die Sozialhilfe des Aufnahmestaats in Anspruch nehmen müssen. Die RL 2004/38/EG enthält in Art 14 und 24 - in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH zum Diskriminierungsverbot von Unionsbürgern bei sozialen Leistungen - Bestimmungen betreffend die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen (vgl Kolonovits in Mayer [Hrsg], EUV/AEUV Art 21 AEUV Rz 43 mwN).

3.3 Art 16 der RL 2004/38/EG sieht für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen ein Daueraufenthaltsrecht nach einem ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren im Aufnahmemitgliedstaat vor. Dieses allgemeine Daueraufenthaltsrecht wird allein durch den rechtmäßigen Aufenthalt in dem genannten Zeitraum erworben. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist nicht erforderlich. Dieses Recht auf Daueraufenthalt ist auch nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III (Art 6 ff), insbesondere daher auch nicht an die Bedingungen und Beschränkungen eines Aufenthaltsrechts nach Art 7 (ausreichende Existenzmittel und umfassender Krankenversicherungsschutz) geknüpft (Art 16 Abs 1). Hält sich somit ein Unionsbürger rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat auf, so gilt er als hinreichend in die Gesellschaft integriert und ist diesbezüglich einem Inländer gleichzustellen (vgl Beck, Unionsbürgerschaft und Ausgleichszulage, SozSi 2010, 262 ff [262 FN 7 und 270]). Der EuGH hat zu Art 16 Abs 1 der RL 2004/38/EG bereits entschieden, dass auch ununterbrochene Aufenthaltszeiten von fünf Jahren, die vor dem 30. 4. 2006 (= Datum für die Umsetzung dieser Richtlinie) zurückgelegt wurden, für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art 16 Abs 1 zu berücksichtigen sind (EuGH Rs C-162/09, Lassal, Rn 29 ff).

3.4 Schließlich normiert Art 24 Abs 1 der RL 2004/38/EG ein Recht auf Gleichbehandlung. Demnach genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts - vorbehaltlich spezifischer oder ausdrücklich im Vertrag und im Sekundärrecht vorgesehener Bestimmungen - die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Für die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ihrerseits Unionsbürger sind, ist dieses Recht nicht neu, sondern bekräftigt lediglich die Verpflichtung zur Gleichbehandlung, die im primären Gemeinschaftsrecht (Art 21 iVm Art 18 AUEV) niedergelegt ist. Ein Unionsbürger hat daher aufgrund des Art 21 iVm Art 18 AEUV in allen anderen Mitgliedstaaten (Aufnahmestaaten) einen Anspruch auf gleiche rechtliche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Staats, die sich in der gleichen Situation befinden, wenn der Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt und keine Beschränkungen und Bedingungen im Vertrag oder in den Durchführungsvorschriften vorgesehen sind, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen (Kolonovits in Mayer [Hrsg], EUV/AEUV Art 21 AEUV Rz 14 mwN).

3.5 Unionsbürger können daher alle staatlichen Sozialleistungen erlangen, die Staatsbürgern in einer vergleichbaren Situation zustehen. Dies zeigen auch die bisher in der Judikatur des EuGH behandelten Sozialleistungen (vgl Hesse, Unionsbürgerschaft und Ansprüche auf Sozialleistungen, DRdA 2005, 564 ff [567] mwN; Kolonovits in Mayer [Hrsg], EUV/AEUV Art 21 AEUV Rz 20 ff mwN). So betraf beispielsweise die Entscheidung des EuGH vom 20. 9. 2001, Rs C-184/99, Grzelczyk, Slg 2001, I-06193, die vorübergehende Gewährung einer beitragsunabhängigen Sozialleistung wie eines Existenzminimums (belgisches „Minimex“) an Studenten.

4. Die RL 2004/38/EG wurde in Österreich im Rahmen des Fremdenrechtspakets 2005 durch das Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und AufenthaltsG - NAG), BGBl I 2005/100, innerstaatlich umgesetzt. Das 4. Hauptstück des 2. Teils (§§ 51-57) regelt das gemeinschaftsrechtliche Aufenthalts- und Niederlassungsrecht. Das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht ergibt sich in diesen Fällen nicht aus einer nationalen gesetzlichen Berechtigung, sondern kraft unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts. Dieses bereits nach dem Gemeinschaftsrecht bestehende Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht ist durch besondere Dokumente nachzuweisen, denen aber lediglich deklaratorische Wirkung zukommt und die die Existenz des bestehenden subjektiven Rechts an sich nicht betreffen (vgl Bruckner/Hudsky/Marth/ Taucher/Vogl, Fremdenrecht4, 496 f). § 51 NAG regelt das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate in Anlehnung an Art 7 RL 2004/38/EG. Gemäß § 53a Abs 1 NAG erwerben EWR-Bürger, denen das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthalts auszustellen.

5. Nach § 292 Abs 1 ASVG in der für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom 5. 2. 2009 bis 30. 6. 2010 noch maßgebenden Fassung vor der Änderung durch das Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl I 2010/111, hat der Pensionsberechtigte, solange er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnitts Anspruch auf eine Ausgleichszulage zur Pension, sofern die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens und der gemäß § 294 ASVG zu berücksichtigenden Beträge nicht die Höhe des für ihn geltenden Richtsatzes (§ 293 ASVG) erreicht.

6. Der Umstand, dass es sich bei der vom Kläger bezogenen rumänischen Alterspension um eine Pensionsleistung handelt, die dem sachlichen Geltungsbereich der sozialen Sicherheit unterliegt, und sie damit so wie eine Pensionsleistung im Inland eine taugliche Grundleistung für einen Anspruch des Klägers auf Ausgleichszulage darstellt (vgl Beck, Unionsbürgerschaft und Ausgleichszulage, SozSi 2010, 262 ff [266 f]), ist ebenso wenig strittig wie der weitere Umstand, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.

7. Zur allein strittigen Frage, ob dem Kläger aufgrund seiner Unionsbürgerschaft ein Anspruch auf Ausgleichszulage zusteht, ist unter Berücksichtigung der oben dargelegten Rechtslage Folgendes auszuführen:

7.1 Der Kläger hält sich nach den Feststellungen seit dem Jahr 2001 ohne Unterbrechung bei seinem Sohn in Österreich auf. Es wird auch von der beklagten Partei nicht bestritten, dass sich der Kläger in diesem Zeitraum rechtmäßig im Inland aufgehalten hat (vgl die Aufenthaltstitel des Klägers in ON 15 sowie im Pensionsakt). Der Kläger hat damit gemäß Art 16 Abs 1 RL 2004/38/EG (vgl auch § 53a NAG) das Recht auf Daueraufenthalt im Inland erlangt. Dieses Recht ist, wie bereits dargelegt wurde, nicht an die sonst üblichen Voraussetzungen (insbesondere ausreichende Existenzmittel und umfassender Krankenversicherungsschutz) geknüpft. Im Sinne der nach Art 21 iVm Art 18 AEUV bzw Art 24 RL 2004/38/EG gebotenen Gleichbehandlung hat auch der Kläger als Unionsbürger für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom 5. 2. 2009 bis 30. 6. 2010 unabhängig vom (seinerzeitigen) Vorliegen der Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 lit b RL 2004/38/EG (umfassender Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel - vgl auch § 51 Abs 1 Z 2 NAG) unter den gleichen Voraussetzungen wie ein Inländer einen Rechtsanspruch auf Ausgleichszulage erworben, sofern seine Pensionsleistung samt sonstigen Einkommen nicht den für ihn in Betracht kommenden Richtsatz erreicht. Die vom Sohn des Klägers seinerzeit über Aufforderung der Aufenthaltsbehörde abgegebene Haftungserklärung vermag diesen dem Kläger aufgrund des Gemeinschaftsrechts - nach den auch für Inländer geltenden Voraussetzungen - zustehenden Rechtsanspruch auf Ausgleichszulage nicht zu beseitigen oder zu schmälern (vgl RIS-Justiz RS0058853).

7.2 Zusammenfassend ergibt sich daher aufgrund der dargelegten Erwägungen ein Anspruch des Klägers auf Ausgleichszulage in der vom Erstgericht unbestritten ermittelten Höhe.

Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40 und 50 ZPO. Die Revisionsbeantwortung des Klägers ist in der Sache völlig inhaltsleer und besteht nur aus der Floskel, dass die Ausführungen der beklagten Partei nicht stichhältig seien und der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs widersprächen. Es besteht daher kein Anlass, diese Revisionsbeantwortung zu honorieren (vgl 9 ObA 29/05p; 10 ObS 125/94 ua).

Schlagworte

12 Sozialrechtssachen,

Textnummer

E98098

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:010OBS00020.11F.0721.000

Im RIS seit

02.09.2011

Zuletzt aktualisiert am

03.06.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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