RS UVS Oberösterreich 1995/11/27 VwSen-260155/2/Wei/Bk

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 27.11.1995
beobachten
merken
Beachte
VwSen-220701 v. 3.11.1994 Rechtssatz

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 9.3.1989, Wa-XX, wurde der V-A S L GesmbH u.a. aufgrund des § 32 WRG 1959 die wasserrechtliche Bewilligung zur Errichtung und zum Betrieb von Abwasserbeseitigungsanlagen für die neue Bandbeschichtungsanlage im Bereich des Kaltwalzwerkes 2 und zur Ableitung der anfallenden Betriebsabwässer über die werksinterne Kanalisation zur Kanalisation der S-Stadtbetriebe L GesmbH und weiter zur Regionalkläranlage A unter Bedachtnahme auf das der S eingeräumte Maß der Wasserbenutzung zur Einleitung in die Donau erteilt. Die gegenständlich relevanten qualitativen Anforderungen wurden vorgeschrieben.

Mit Bescheid vom 13.11.1992, Wa-XX, wurde festgestellt, daß die ausgeführte Anlage der erteilten wasserrechtlichen Bewilligung im wesentlichen entspricht. Hinsichtlich einzelner festgestellter Mängel wurden Vorschreibungen erlassen. Der Spruchpunkt I.2. lautet:

"Es ist durch Optimierung der Anlagenbetreibung zu gewährleisten, daß die festgelegten Grenzwerte eingehalten werden können. Dazu gehört auch, daß im Falle von Störungen unverzüglich das zuständige Personal alarmiert wird und sofort mit der Behebung der Störung beginnen kann, z.B. akustische Alarmierung bei Störung im Bereich des Kiesfilters."

Im Punkt 3. wurde dafür eine Frist bis 31.12.1992 eingeräumt. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im Zusammenhang mit der notwendigen Arbeitsteilung im Wirtschaftsleben ist dem Unternehmer die Übertragung von Angelegenheiten an andere Personen zur selbstverantwortlichen Besorgung und die eigene Beschränkung auf eine angemessene Kontrolle zuzubilligen. Beim Ungehorsamsdelikt iSd § 5 Abs.1 VStG habe der Unternehmer aber nachzuweisen, daß er alle Maßnahmen getroffen hat, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften mit gutem Grund erwarten lassen. Dabei muß auch für eine geeignete Kontrolle der beauftragten Person Vorsorge getroffen worden sein (vgl dazu die zahlreichen Judikaturnachweise bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,

4. A 1990, 719 E 47ff zu § 5 VStG und 765 E 40ff zu § 9 VStG). Andererseits dürfen die Anforderungen an die gebotene Sorgfaltspflicht auch nicht überspannt werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat daher auch klargestellt, daß nicht die Versäumung bloßer Sorgfaltsmöglichkeiten, sondern erst die Verletzung von Sorgfaltspflichten, die die Rechtsordnung nach den Umständen vernünftigerweise auferlegen darf, das Wesen der objektiven Sorgfaltswidrigkeit ausmacht (vgl VwSlg 12947 A/1989; VwGH 28.10.1980, 2244/80; VwSlg 9710 A/ 1978).

In der strafrechtlichen Literatur und Judikatur ist anerkannt, daß der das Maß der objektiven Sorgfalt begrenzende Vertrauensgrundsatz iSd § 3 StVO für Bereiche arbeitsteiligen Zusammenwirkens analogiefähig erscheint (vgl zum Ganzen Burgstaller, Wiener Kommentar, § 6 Rz 54 und § 80 Rz 45 u 52; Leukauf/Steininger, Kommentar zum StGB, 3.A 1992, § 6 Rz 13a; Kienapfel, Grundriß des österreichischen Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5.A 1994, Z 25 Rz 20; Triffterer, Österreichisches Strafrecht Allgemeiner Teil, 2.A 1994, 148 Rz 116). Dies bedeutet, daß man nicht grundsätzlich mit dem Fehlverhalten seiner Mitarbeiter rechnen muß, sondern darauf vertrauen kann, daß sich andere Personen sorgfaltsgemäß verhalten. Ein solches Vertrauen entfällt aber, wenn das sorgfaltswidrige Verhalten erkennbar ist oder aufgrund konkreter Umstände naheliegt. Bei hierarchischen Strukturen ergeben sich Einschränkungen aus allfälligen Organisationsmängeln. Nur wer selbst seinen Auswahl-, Überwachungs- und Begleitpflichten genügt, kann sich auf den Vertrauensgrundsatz berufen (vgl mwN Kienapfel, Grundriß des österreichischen Strafrechts, Besonderer Teil I, 3.A 1990, § 80 Rz 69 und 71).

Zur problematischen Frage der Entlastungspflicht beim Ungehorsamsdelikt hat der Verfassungsgerichtshof in gewissem Gegensatz zur dargestellten ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in jüngster Zeit die Ansicht vertreten, daß § 5 Abs.1 Satz 2 VStG nicht etwa bewirke, daß ein Verdächtiger seine Unschuld nachzuweisen hat. Vielmehr habe die Behörde die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes und bei Anhaltspunkten, die am Verschulden zweifeln lassen, auch die Verschuldensfrage von Amts wegen zu klären (vgl VfGH 20.6.1994, B 1908/93 u B 1971/93; VfGH 17.6.1995, B 2343/94 u B 2713/94).

Entgegen der belangten Strafbehörde ist der erkennende Verwaltungssenat der Ansicht, daß die wechselseitige Berichtspflicht der Geschäftsführer untereinander über "alle Vorkommnisse von Bedeutung" verbunden mit der Möglichkeit zur Einsichtnahme in Unterlagen der Gesellschaft grundsätzlich als ausreichende Organisation auf der hierarchisch gleichen Vorstandsebene angesehen werden muß. Es ist bei Anlegung vernünftiger Sorgfaltsmaßstäbe undenkbar, daß ein Geschäftsführer den anderen stets überwachen und kontrollieren müßte. Eine Kontrolle und Überwachung kann nach dem verallgemeinerungsfähigen Grundgedanken des oben dargestellten Vertrauensgrundsatzes nur dann indiziert sein, wenn aufgrund konkreter Umstände, die aber im gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren nicht hervorgekommen sind, mit Fehlleistungen des zuständigen Geschäftsführers Dipl.-Ing H hätte gerechnet werden müssen. Auf die unbestimmte Formulierung zur Berichtspflicht über "alle Vorkommnisse von Bedeutung" kommt es dabei nicht entscheidend an. Der unabhängige Verwaltungssenat hält diese Wortwahl nicht für so unklar, daß das Berichtssystem von vornherein als ungeeignet einzustufen wäre. Auch der Gesetzgeber verwendet zur Regelung von Lebenssachverhalten immer wieder unbestimmte Begriffe, bei denen die Konkretisierung erst durch die Rechtsanwendung erfolgt. Es ist nämlich gar nicht möglich, allgemeingültige Regelungen ohne Abstraktion zu treffen. Außerdem ist es bei lebensnaher Betrachtungsweise von vornherein unvorstellbar, daß sich Vorstandsmitglieder eines Großbetriebes über alle auftretenden Probleme unterhalten und Beschlüsse fassen müßten. Deshalb erscheint die Formulierung "Vorkommnisse von Bedeutung" durchaus angemessen. Im übrigen durfte mangels gegenteiliger Anhaltspunkte jeder Geschäftsführer darauf vertrauen, daß ihn der ressortzuständige Kollege über wichtige Probleme informiert und die Bedeutung der Angelegenheit auch beurteilen kann. Eine Haftung der für den Geschäftsbereich "Organische Beschichtung" nicht zuständigen Geschäftsführer scheidet gegenständlich schon aus diesen Überlegungen aus.

Im hierarchischen Verhältnis zu Untergebenen greifen allerdings strengere Überwachungspflichten, deren gebotene Intensität von Fall zu Fall verschieden sein kann. Dabei muß es eine Rolle spielen, ob ausreichend ausgebildete und tüchtige Personen, die ihre Fähigkeiten im praktischen Betrieb schon hinlänglich bewiesen haben, zum Einsatz kommen. Allgemein wird gelten: Je besser ausgebildet, erfahrener und erprobter eine Person ist, desto weniger bedarf es einer begleitenden Kontrolle. Außerdem sind Notfallpläne für vorhersehbare kritische Situationen bei gefahrenträchtigen Betriebsanlagen zu erarbeiten, die eine unverzügliche Schadensbehebung erwarten lassen (vgl auch Kienapfel, Besonderer Teil I § 80 Rz 22a).

Im vorliegenden Fall steht fest, daß der zuständige Geschäftsfeldleiter Dipl.-Ing. F den vorgesetzten Geschäftsführer (Vorstand) über die wiederholt aufgetretenen Grenzwertüberschreitungen überhaupt nicht informierte, weil er sie für großteils marginal hielt. Die Berichtspflicht über "besondere Vorkommnisse" wurde dadurch nach der Einschätzung dieses Untergebenen nicht verletzt. Insofern ist der unabhängige Verwaltungssenat mit der belangten Strafbehörde der Ansicht, daß es Aufgabe des zuständigen Geschäftsführers gewesen wäre, den Begriff "besondere Vorkommnisse" mit dem Untergebenen in der Weise klarzustellen, daß ihm jedenfalls über fortgesetzte Grenzwertüberschreitungen berichtet wird, deren Ursache von den zuständigen Spezialisten zunächst nicht geklärt und behoben werden konnte.

Es war auch nach der Darstellung in der Berufung eine monatelange Ursachenforschung erforderlich, um jene Kenntnisse über den Ursachenzusammenhang zu erlangen, die zur Optimierung der Abwasserbeseitigungsanlage erforderlich erschien. Auch die Berufung bezweifelt daher nicht die Berichtspflicht, meint aber, daß der Bw darauf hätte vertrauen dürfen. Dies trifft mangels ausreichender eigener Vorsorge, derartige Mißverständnisse über Berichtenswertes zu vermeiden, nicht zu. Außerdem wäre zu erwarten gewesen, daß dem zuständigen Vorstandsmitglied zumindest der gemäß dem § 121 WRG 1959 ergangene Überprüfungsbescheid vom 13.11.1992 zur Kenntnis gelangt, in dem ausdrücklich die Optimierung der Anlage zur Einhaltung der vorgeschriebenen Grenzwerte angesprochen wurde. Nach der unbestrittenen Darstellung der Strafbehörde erfuhr der Geschäftsführer demgegenüber erstmals durch die Aufforderung zur Rechtfertigung vom 12.3.1993 von der gegenständlichen Problematik. Ein ausreichendes Kontrollsystem konnte demnach nicht vorgelegen haben.

Das für den Berufungsstandpunkt zitierte h. Erkenntnis vom 3.11.1994, VwSen-220701, in dem ein ausreichendes Organisations- und Kontrollsystem hinsichtlich der Einhaltung von gewerberechtlichen Vorschriften angenommen wurde, ist sachlich nicht vergleichbar, zumal dort der Informationsfluß durch die getroffenen Vorkehrungen, insbesondere durch eine aktive Kontrolltätigkeit des Vorstandsmitgliedes gewährleistet erschien. Allein die unterlassene Berichterstattung in einem Einzelfall war naturgemäß kein Grund für eine Haftung des Vorstandes, wenn dieser ohnehin alle aus seiner Sicht erforderlichen und zumutbaren Auswahl- und Kontrollpflichten selbst erfüllt hatte. Da auch kein Betriebsgeschehen vorlag, auf das der Vorstand unabhängig von den ihm erteilten Informationen das Augenmerk zu richten hatte, konnte und mußte er sich auf seine Mitarbeiter verlassen.

Hat der Vorgesetzte die ihm auferlegten Sorfaltspflichten erfüllt, kommt ihm der Vertrauensgrundsatz als Anwendungsfall des erlaubten Risikos (dazu näher Kienapfel, Besonderer Teil I, 3.A, § 80 Rz 57ff) zugute, weil die Rechtsordnung keine übertriebenen und lebensfremden Anforderungen an die objektiv gebotene Sorgfalt stellen darf.

Dennoch ist die Strafbehörde im Ergebnis nicht im Recht. Denn auch ein optimales Kontrollsystem hätte bei der gegebenen Sachlage die Grenzwertüberschreitungen nicht verhindern können. Die nach Darstellung der betriebsinternen Techniker verantwortlichen Hauptursachen (Fehlfunktion der Redox-Elektrode durch vorzeitige Bildung von Oberflächenbelägen sowie ungünstige Situierung des Automatikventils, das die Ableitung vom Reaktionsbecken in den Schlammpuffer steuert) für die Störung des Abwasserentgiftungsvorganges konnten erst nach monatelangen Erfahrungen mit der Anlage ermittelt werden. Auch im wasserrechtlichen Überprüfungsbescheid vom 13. November 1992 wurde daher eine Frist zur Optimierung der Anlage bis Ende des Jahres 1992 eingeräumt. Diese Optimierung der Betriebsanlage war schon deshalb nicht einfach, weil die Grenzwertüberschreitungen mit Ausnahme des insoweit nicht signifikanten Störfalles vom 6. Juli 1992 eher als gering einzustufen waren.

Der von der Strafbehörde ergänzend befragte Amtssachverständige des Amtes der o.ö. Landesregierung, konnte die Zeugenaussagen der zuständigen Techniker nicht widerlegen Vielmehr bestätigte er die richtige Schilderung der Problematik, soweit diese bekannt war, und erwartete sich eine Verbesserung der Ablaufqualität aufgrund der getroffenen Maßnahmen. Zur Frage der Rechtzeitigkeit dieser Maßnahmen (Verkürzung der Reinigungszyklen der Redox-Elektrode, neuer Elektrodentyp, Versetzung des Automatikventils zum Reaktionsbecken), meinte er, daß die Beurteilung schwer wäre. Er verwies darauf, daß eine Konsensüberschreitung bezüglich Chrom-VI bereits 1991 mit einer fehlerhaften Redox-Elektrode begründet worden wäre, konnte aber im übrigen eine frühere Erkennbarkeit der Problematik durch Eigenüberwachung nicht behaupten. Schon deshalb ist zumindest im Zweifel davon auszugehen, daß die Grenzwertüberschreitungen nicht auf sorgfaltswidrige Versäumnisse der beteiligten Techniker zurückgeführt werden können. Eine Bestrafung des zuständigen Geschäftsführers (Vorstands) wegen Organisationsverschuldens setzt aber voraus, daß pflichtwidrige Versäumnisse bei den betrieblichen Abläufen festgestellt werden konnten, die durch ein wirksames begleitendes Kontrollsystem hätten vermieden werden können. Dieser entscheidungswesentliche Umstand kann nach der Aktenlage gerade nicht angenommen werden. Der Berufung ist daher zuzubilligen, daß ein rechtmäßiges Alternativverhalten nichts geändert hätte. Auch die rechtzeitige und vollständige Information des zuständigen Geschäftsführers hätte keine bessere oder frühere Lösung der aufgetretenen technischen Optimierungsprobleme mit der Betriebsanlage erwarten lassen. Im wasserrechtlichen Bewilligungsbescheid vom 9. März 1989 finden sich auch keinerlei einschlägige Nebenbestimmungen zur Vermeidung der aufgetretenen Problematik. Es kann aber nach Ansicht des erkennenden Verwaltungssenates vom Anlagenbetreiber grundsätzlich kein höheres Maß an Voraussicht und Kenntnis des Standes der Technik erwartet werden, als ihn die Wasserrechtsbehörde hatte. Der strafbehördliche Vorwurf des unzureichenden Kontrollsystems geht daher im gegebenen Fall an der Sache vorbei.

Zum Störfall vom 7. Juli 1992, der unstrittig auf menschliches Versagen zurückzuführen war, weil ein Arbeiter übersah, die notwendigen Entgiftungschemikalien beizumischen, ist zu sagen, daß derartige vereinzelte menschliche Fehlleistungen auch durch ein wirksames Kontrollsystem nicht verhindert werden können, weil eine permanente Kontrolle von Untergebenen weder möglich noch zumutbar erscheint. Allenfalls könnte ein Auswahlverschulden vorliegen, wofür aber im vorgelegten Strafakt keine Anhaltspunkte zu finden sind.

Abgesehen davon handelt es sich bei einem solchen Vorfall nicht um einen Fall des § 32 WRG 1959, sondern bei nachgewiesener Gewässerverunreinigung allenfalls um einen solchen des § 31 Abs.1 WRG 1959, weil keine planmäßige und beabsichtigte Einbringung von Abwässern unter Verwendung von Anlagen angenommen werden kann, was aber nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes zur Abgrenzung dieser Tatbestände Anwendungsvoraussetzung des § 32 WRG 1959 wäre (vgl VwGH 10.11.1981, 81/07/0113; VwGH 1.2.1983, 82/07/0227; VwGH 2.10.1990, 89/07/0168; VwGH 29.10.1991, 90/07/0159). Diese Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes muß für die Straftatbestände des § 137 Abs.3 lit.g WRG 1959 und des § 137 Abs.2 lit.h WRG 1959, die beide eine wasserrechtliche Bewilligung nach § 32 WRG zur Grundlage haben, gleichermaßen Bedeutung haben. Ein vereinzelter Störfall ist daher grundsätzlich unter dem Aspekt des § 31 Abs.1 WRG 1959 zu untersuchen.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten