RS UVS Oberösterreich 1996/08/21 VwSen-220842/18/Ga/La

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 21.08.1996
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VwSen-220903 v. 10.7.1996; VwSen-221060 v. 3.2.1995 Rechtssatz

Gegen die Erfüllung des objektiven Tatbildes sowie gegen die Verantwortlichkeit des Berufungswerbers ist auch in der Verhandlung nichts vorgebracht worden. Insgesamt steht die Tatbestandsmäßigkeit als erwiesen fest.

Die spruchmäßig allein als verletzt zugrundegelegte Verbotsnorm des § 43 Abs.1 BArbSchV verlangt als wesentliches Tatmerkmal, daß auf den Beginn der Dacharbeiten abzustellen ist. Anders als in dem denselben Beschuldigten betreffenden und mit h. Erkenntnis vom 10.7.1996, VwSen-220903/6/Ga/La, entschiedenen Fall ist vorliegend das Fehlen jeglicher Sicherheitsmaßnahmen vom Anbeginn der Arbeiten auf dem Dach eindeutig erwiesen und war dieser Umstand schon im Verfahren vor der Strafbehörde nicht streitig. Auch letzteres würdigend erachtet daher der unabhängige Verwaltungssenat in einer Gesamtbeurteilung des Falles das tatbestandsmäßig gebotene Abstellen auf den Beginn der Dacharbeit als von der Formulierung des Schuldspruchs gerade noch hinreichend - im Lichte des Bestimmtheitsgebotes gemäß § 44a Z1 VStG und der hiezu von der Judikatur entwickelten Anforderungen - miterfaßt.

Ohne Schaden für die Tatbestandsmäßigkeit war hingegen die Einbeziehung der vom Maschinenring abgestellten Arbeitnehmer aus dem Schuldspruch zu eliminieren, weil nicht zweifelsfrei hervorgekommen ist, daß diese Arbeitnehmer auf der in Rede stehenden Baustelle im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses zu der hier als Arbeitgeber belasteten Gesellschaft von eben dieser Gesellschaft auf dem Dach beschäftigt wurden. Nach Inhalt und Zweck des ANSchG besteht die Vorsorgeverantwortung des Arbeitgebers nur für (rechtlich) eigene Arbeitnehmer; nur für die schuldhafte Verletzung seiner Sicherungspflicht gegenüber seinen Arbeitnehmern hat er einzustehen (vgl das h. Erkenntnis vom 3.2.1995, VwSen-221060/10/Ga/La, mit weiterführendem Judikatur-Zitat; bestätigt mit Beschluß des VwGH vom 28.7.1995, 95/02/0162). Bestritten hingegen ist die subjektive Tatseite. Mit dem - erstmals in der Berufung vorgebrachten - Einwand, ihn treffe an der Übertretung der Schutzvorschrift kein Verschulden, weil er zur Gewährleistung des Arbeitnehmerschutzes in seinem Betrieb nicht nur ein lückenloses Kontrollsystem, sondern verbunden damit auch bestimmte disziplinäre Maßnahmen, die er im einzelnen darstellte, vorgekehrt habe, weckte der Berufungswerber Zweifel an seinem Verschulden. Die gesetzliche Schuldvermutung des § 5 Abs.1 zweiter Satz VStG war daher - trotz Vorliegens eines Ungehorsamsdeliktes - gegen ihn nicht mehr anwendbar, sodaß zur objektiven Tatseite auch der Nachweis seines Verschuldens materiell geführt werden mußte (vgl VfGH vom 20.6.1994, B 1908/93-10 uwZ).

Die Zweifel sind in der öffentlichen mündlichen Verhandlung allerdings nicht bekräftigt worden. Im Gegenteil ist hervorgekommen, daß schon das Kontrollsystem bei weitem nicht "lückenlos" oder "vorbildlich" eingerichtet gewesen ist. Immerhin zwar wurde durch Zeugenbeweis bestätigt - das erkennende Mitglied gewann nicht den Eindruck der Unglaubwürdigkeit des alles in allem sicher und widerspruchsfrei antwortenden Zeugen -, daß, wie in der Berufung behauptet, der Vorarbeiter aus Anlaß des zugrundeliegenden Vorfalls die entsprechende Baustellenzulage für die folgenden zwei Monate nicht ausbezahlt bekommen hatte und daß diese Maßnahme dem Vorarbeiter gegenüber als Sanktion für den Vorfall begründet wurde.

Allerdings: Eine Degradierung des Vorarbeiters wurde nicht ausgesprochen. Arbeitsrechtlich besehen hätte daher - ohne daß dies vom unabhängigen Verwaltungssenat näher zu prüfen gewesen wäre - die trotz kollektivvertraglicher Absicherung einbehaltene Zulage vom Vorarbeiter wohl mit guter Aussicht auf Erfolg zurückgefordert werden können. Davon ausgehend aber dekuvriert sich die Maßnahme als Schein-Disziplinierung, als in Wahrheit harmlose Sanktionskulisse. Diese Beurteilung erfährt dadurch, daß der Vorarbeiter selbst die Maßnahme "moralisch" für gerechtfertigt empfunden hatte, keine Änderung.

Für den Berufungsfall kommt es darauf jedoch nicht mehr an. Entscheidend ist vielmehr, daß unter der organschaftlichen Verantwortung des Berufungswerbers das betriebliche Kontrollsystem zur Einhaltung des Arbeitnehmerschutzes schon an der Wurzel schwerwiegend mangelhaft war. Weder nämlich durch lückenlose Einzelweisungen noch durch ein generelles Organisationskonzept war sichergestellt, daß der erfahrungsgemäß unterschiedlichen Beschaffenheit jeder Dacharbeiten-Baustelle aus dem Blickwinkel des Arbeitnehmerschutzes rechtzeitig vor Beginn der Arbeiten ausnahmslos auf den Grund gegangen wird und die verschafften Kenntnisse sodann verläßlich, zB im Wege einer Vorbesprechung, den eingeteilten Arbeitnehmern bzw dem jeweiligen Vorarbeiter zwecks Vorbereitung und Mitnahme der erforderlichen und geeigneten Sicherungsgerätschaften weitergegeben werden. Gerade diese - naheliegende und zumutbare - Vorsorge (als fester Bestandteil des Kontrollsystems) war für den involvierten Betrieb nicht getroffen. Es konnte daher immer wieder, so jedenfalls bei der gegenständlichen Baustelle, geschehen, daß eine Polierpartie ohne Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten erstmals zur Baustelle kommt und erst dort feststellen muß, daß die Eigenheiten des Daches und der Arbeiten die Verwendung einer bestimmten, jedoch nicht mitgenommenen (und wegen womöglich größerer Entfernung des Betriebes auch nicht rasch beschaffbaren) Sicherung von Beginn an erfordern und ohne Verwendung dieser Sicherung daher mit den Arbeiten nicht begonnen werden dürfte.

Auf der Hand liegend bedeutet dieser Organisationsmangel die Überwälzung der Verantwortung des Arbeitgebers bzw für ihn des Geschäftsführers auf den eingeteilten Vorarbeiter, der noch dazu einer speziellen fachlichen Schulung in Belangen des Arbeitnehmerschutzes gar nicht unterzogen gewesen ist. Gegebenenfalls war dann der Vorarbeiter obendrein noch mit der - in Anbetracht seiner bloß nachgeordneten Funktion - unzumutbaren Entscheidung belastet, entweder die Arbeiten ungesichert zu beginnen oder dies - rechtstreu - nicht zu tun und dadurch aber uU beträchtliche Kostenfolgen für seinen Arbeitgeber auszulösen. Darin aber, daß der Berufungswerber, wie aus allen diesen Gründen abzuleiten ist, hinsichtlich des in seinem konkreten Betrieb erforderlichen, effizienten Kontrollsystems nicht das bei Ausnutzung aller ihm tatsächlich und rechtlich zur Verfügung stehenden Mittel Mögliche und Zumutbare vorgekehrt hat (vgl VwGH 6.12.1983, 11/2999/80), liegt der haftungsauslösende Sorgfaltsmangel, der nach Auffassung des unabhängigen Verwaltungssenates über bloß leichte Fahrlässigkeit bereits hinausreicht. Nach den Gegebenheiten dieses in einem wesentlichen Punkt lückenhaften Kontrollsystems mußte nämlich für den Berufungswerber - ohne Überspannung der ihm obliegenden Gewissenhaftigkeit - erkennbar sein, daß es zu Vorfällen wie hier eher früher als später kommen werde. Zugunsten des Berufungswerbers wird angenommen, daß er dennoch auf den Nichteintritt des Erfolges bloß leichtfertig vertraut hatte. Demnach steht aber fest, daß er der Fehleinschätzung des Risikos immerhin grob fahrlässig erlegen ist.

Im Ergebnis haben sich die Zweifel an der Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes als nicht berechtigt, sondern im Gegenteil (auch) die Schuld des Berufungswerbers als somit erwiesen herausgestellt.

Zusammenfassend war der Schuldspruch zu bestätigen. Die gleichzeitig verfügte Ergänzung der Spruchteile gemäß § 44a Z2 und Z3 VStG bedeutet keine unzulässige Erweiterung des Abspruchsgegenstandes und entspringt der Richtigstellungspflicht des unabhängigen Verwaltungssenates.

Zur Strafhöhe: Ausgehend vom Ergebnis, daß ein "vorbildliches Kontrollsystem", wie vom Berufungswerber behauptet, gerade nicht eingerichtet war und weiters auch nicht zutrifft, daß das Verschulden "außerordentlich gering" war, kann der unabhängige Verwaltungssenat nicht finden, daß die mit einem Fünftel, und somit im unteren Bereich des Strafrahmens verhängte Geldstrafe nach den Umständen dieses Falles - insbesondere unter Hinweis auf den von der belangten Behörde zutreffend als erheblich gewerteten Unrechtsgehalt - nicht tat- und schuldangemessen ist. Für die Beurteilung der Höhe der verhängten Geldstrafe darf der Berufungswerber zudem nicht außer Acht lassen, daß in seinem Fall - im Einklang mit § 19 Abs.2 VStG - eine einschlägige, sein Verschulden insofern erschwerende Wiederholungstat zu ahnden war. Besondere Milderungsgründe andererseits hat der Berufungswerber nicht geltend gemacht und waren nach der Sachlage solche Gründe auch vom unabhängigen Verwaltungssenat nicht anzunehmen. Daher mußte der Berufung auch gegen die Strafhöhe der Erfolg versagt bleiben.

Zur Berufung des Arbeitsinspektorats

Die Amtspartei bemängelt, daß die Geldstrafe auf 10.000 S "herabgesetzt" wurde und ihr dazu entgegen § 11 Abs.2 ArbIG keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde.

In dieser Pauschalität erweist sich die Verfahrensrüge als aktenwidrig. Aus dem Strafakt ist ersichtlich, daß die belangte Behörde das niederschriftlich festgehaltene Begehren des Beschuldigten nach "Herabsetzung" der - in der Anzeige noch mit 30.000 S beantragten - Strafe mit Schreiben vom 25.11.1993 dem Arbeitsinspektorat zur Stellungnahme übermittelt hatte. Gleichzeitig erging die Aufforderung mitzuteilen, ob einer "Herabsetzung" der beantragten Strafhöhe zugestimmt werde. Das Arbeitsinspektorat gab mit Stellungnahme vom 7.12.1993 bekannt, einer "Herabsetzung" auf 25.000 S zuzustimmen.

Aus diesem Vorgang wird deutlich, daß die Verfahrensparteien in diesem Punkt einer Fehldeutung des § 11 Abs.2 ArbIG iVm gewissen Eigenheiten des Verwaltungsstrafverfahrens erlegen sind. Inhaltlich räumt die zitierte Bestimmung dem zur Anzeige und zum Strafantrag berufenen Arbeitsinspektorat ein aus der Parteistellung erfließendes, schlichtes Anhörungsrecht ein. Keinesfalls ist damit ein qualifiziertes (konditional ausgestattetes) "Zustimmungsrecht" gewährt. Weder hat ein bestimmter Strafantrag bindende Wirkung (vgl VfGH 17.6.1995, B 2343/94-13 uwZ) noch ist die Nichtgewährung des Stellungnahmerechtes in einem konkreten Fall unmittelbar sanktioniert. Trotz Strafantrages und trotz der ausdrücklichen Erklärung, nur der "Herabsetzung" der Strafe auf ein bestimmtes Ausmaß "zuzustimmen", obliegt es vor der Verfahrensrechtsordnung allein der Beurteilung durch die zur Ermessensentscheidung anhand der Kriterien des § 19 VStG berufenen Strafbehörde, in welchem Ausmaß eine Verwaltungsübertretung strafwürdig sei. Vorliegend wurde dem Arbeitsinspektorat mit dem oben bezeichneten Schreiben vom 25.11.1993 das Recht zur Stellungnahme umfänglich eingeräumt. Bereits damit ist das Anliegen des § 11 Abs.2 ArbIG erfüllt worden. Daß in dem bezüglichen Aufforderungsschreiben eine bestimmte Höhe der Strafe, auf die "herabzusetzen" beabsichtigt sei, hätte genannt werden müssen, entspricht ebensowenig dem Gesetz wie die Auffassung, daß für die Strafbehörde ein (weiteres) Unterschreiten eines dennoch genannten Betrages nur nach neuerlich eingeräumter Stellungnahme statthaft sei.

In der Sache selbst hält der unabhängige Verwaltungssenat dem - zulässigen - Verschlechterungsantrag (von 10.000 S auf 25.000 S) folgendes entgegen:

Zum einen war nach der - auch in der Verhandlung unstrittig gebliebenen - Aktenlage als erschwerend iSd § 33 Z2 StGB nur eine ungetilgte Übertretung der BArbSchV als Vortat zu berücksichtigen. Die beiden weiteren im Vorstrafenauszug für den Beschuldigten angegebenen Übertretungen der BArbSchV betreffen technische Schutzvorschriften im Zusammenhang mit Bauaufzügen (Bedienungsstand; Lade- und Entladestelle eines schwenkbaren Aufzuges) und sind hier nicht einschlägig. Dem ausgewiesenen Erschwerungsgrund hat die belangte Behörde dadurch entsprochen, daß sie für die nunmehrige Wiederholungstat eine im Vergleich zur Vortat immerhin doppelt so hohe Strafe verhängte. Weitere Erschwerungsgründe hat die Amtspartei nicht aufgezeigt und waren solche nach dem Ergebnis des Verfahrens auch nicht zu berücksichtigen.

Zum anderen sieht sich der unabhängige Verwaltungssenat aus dem Blickwinkel der Strafbemessung in diesem Fall nicht veranlaßt, den Unrechtsgehalt der Tat, dh das Gewicht der konkreten Rechtsgutverletzung schwerwiegender zu veranschlagen, als das Arbeitsinspektorat selbst: Dieses hat, wie hervorgekommen ist, in Kenntnis des Umstandes, daß den Arbeitnehmern an der Baustelle am Tag der Kontrolle keine geeigneten Sicherungsvorrichtungen zur Verfügung standen, die Fortführung der (ungesicherten) Arbeiten dennoch nicht untersagt. Daraus kann abgeleitet werden, daß eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der betroffenen Arbeitnehmer durch den Verstoß nicht bewirkt worden war. Den dementsprechend für das Strafübel zu wertenden Unrechtsgehalt aber hat die belangte Behörde mit der spruchgemäß verhängten Geldstrafe nach Auffassung des erkennenden Mitgliedes angemessen und an Hand der Kriterien des § 19 VStG nachvollziehbar gewürdigt.

Zusammenfassend erweist sich die unter dem Aspekt der Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit erhobene Berufung des Arbeitsinspektorats als unbegründet. Der Berufungsantrag war daher abzuweisen und der Strafausspruch des angefochtenen Straferkenntnisses hingegen zu bestätigen.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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