TE UVS Steiermark 1997/04/03 30.11-105/96

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Veröffentlicht am 03.04.1997
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Gerhard Wittmann

I. über die Berufung der Frau Renate L, vertreten durch Ferdinand L, St, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Feldbach vom 2.10.1996, GZ.: 15.1 1996/1648, wegen zweier Übertretungen der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV), wie folgt entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird die Berufung in beiden Punkten dem Grunde nach abgewiesen.

Hinsichtlich der Höhe der Geldstrafen wird der Berufung insoweit Folge gegeben, als die Geldstrafen in beiden Punkten auf jeweils S 5.000,-- (im Uneinbringlichkeitsfall jeweils ein Tag Ersatzarrest) herabgesetzt werden.

Dadurch vermindern sich die Verfahrenskosten erster Instanz in beiden Punkten auf jeweils S 500,-- (insgesamt S 1.000,--). Die nunmehr neu festgesetzten Geldstrafen sowie die Verfahrenskosten erster Instanz sind binnen vier Wochen ab Zustellung dieses Bescheides bei sonstiger Exekution zu leisten.

II. über die Berufung des Arbeitsinspektorates Graz gegen die Höhe der im Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Feldbach vom 2.10.1996, GZ.: 15.1 1996/1648, über die Beschuldigte Renate L verhängten Geldstrafen, wie folgt entschieden.

Die Berufung wird gemäß § 66 Abs 4 AVG in Verbindung mit § 24 VStG in beiden Punkten abgewiesen.

Der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses wird wie folgt präzisiert:

Sie sind als handelsrechtliche Geschäftsführerin der Ferdinand L GesmbH mit Sitz in St für folgende Übertretungen der Allgemeinen Arbeitnehmerschutz-verordnung verantwortlich:

1.) Der Arbeitnehmer Johannes B betrat am 27.2.1996 um ca. 10.30 Uhr den Lagerraum Nr. 19, obwohl nicht genug atembare Luft in der Zelle vorhanden war. Vor dem Betreten der Zelle durch den Arbeitnehmer B wurde keine Frischluft in die Zelle geblasen und stand dem Arbeitnehmer auch kein Atemschutzgerät zur Verfügung. Die Einhaltung der Schutzmaßnahmen wurde nicht durch eine ständig anwesende Aufsichtsperson sichergestellt.

2.) Vor dem Betreten des Lagerraumes Nr. 19 am 27.2.1996 um ca.

10.30 Uhr durch Herrn B wurde der Sauerstoffgehalt in der Zelle nicht kontrolliert. Es wurde auch keine Frischluft eingeblasen und es waren keine geeigneten Atemschutzgeräte bereitgestellt."

Die übertretenen Rechtsvorschriften lauten wie folgt:

1.) § 60 Abs 1 zweiter Satz AAV in Verbindung mit § 109 Abs 2 ASchG

2.) § 59 Abs 8 zweiter Satz AAV in Verbindung mit § 109 Abs 2

ASchG

Im übrigen bleibt der Spruch unberührt.

Text

Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 2.10.1996, GZ.: 15.1 1996/1648, wurden über die Beschuldigte Renate L wegen zweier Übertretungen der AAV Geldstrafen von jeweils S 10.000,-- (im Uneinbringlichkeitsfall je zwei Tage Ersatzarrest) verhängt. Gegen dieses Straferkenntnis erhob die Beschuldigte fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung und führte aus, daß es im Unternehmen der Ferdinand L GesmbH eine Aufgabenteilung gegeben habe und daß sie nur für den Geschäftsbereich "Transport" zuständig sei, während sich für die anderen Belange ihr Gatte Ferdinand L kümmere. Daher ersuche sie um Einstellung der Strafverfahren. Gegen die Höhe der über die Beschuldigte verhängten Geldstrafen erhob das Arbeitsinspektorat Graz Berufung und begründete dies damit, daß kein Milderungsgrund vorliege und wurde beantragt, über die Beschuldigte Geldstrafen von jeweils S 20.000,-- zu verhängen. Auf Grund einer am 13.1.1997 durchgeführten öffentlichen, mündlichen Berufungsverhandlung ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Die Beschuldigte Renate L ist neben ihrem Gatten, Ferdinand L, handelsrechtliche Geschäftsführerin der Ferdinand L GesmbH mit Sitz in St. Am 27.2.1996 um ca. 10.30 Uhr wollte der Lagerarbeiter Johannes B mit einem Stapler Kisten mit Äpfel herausheben. B sah in der Zelle ein Kabel herunterhängen und wollte dieses entfernen. Zu diesem Zweck kletterte er in sechs Meter Höhe, um zum Kabel zu kommen. Dabei verlor B das Bewußtsein. Einige Minuten später kam ein Arbeitskollege von B nachschauen, fand B und konnte ihn mit Hilfe eines weiteren Arbeitskollegen bergen. B wurde mit der Rettung abtransportiert, blieb noch vier Tage im Krankenhaus, erlitt aber keine weiteren Verletzungen.

Zum Zeitpunkt, als sich B in der Zelle Nr. 19 aufhielt, gab es keine atembare Atmosphäre. B stand kein Atemschutzgerät zur Verfügung und es wurde in die Zelle auch keine Frischluft eingeblasen. Die Türe zur Zelle stand ungefähr zwei Stunden, bevor sich B in die Zelle begab, offen.

Der festgestellte Sachverhalt stützt sich, soweit er die Ereignisse des 27.2.1996 betrifft, auf die Aussagen der beiden Arbeiter Johannes B und Josef H. Letzterer war der Arbeiter, der B in der Zelle fand und mit Hilfe eines weiteren Kollegen bergen konnte. Gemäß § 59 Abs 8 zweiter Satz AAV sind als Schutzmaßnahmen insbesondere das Einblasen von Frischluft möglichst in die Nähe der Atmungsorgane, eine ausreichende, allenfalls mechanische Lüftung der Betriebseinrichtung und das Bereitstellen von geeigneten Atemschutzgeräten außerhalb der Betriebseinrichtung anzuwenden. Gemäß § 60 Abs 1 AAV ist, wenn Betriebseinrichtungen, wie Behälter, Silos, Schächte, Gruben, Kanäle oder Rohrleitungen, Arbeiten durchgeführt werden, eine geeignete, fachkundige Person zu bestellen, welche die notwendigen Schutzmaßnahmen für die Durchführung der Arbeiten schriftlich anordnet. Die Einhaltung dieser Schutzmaßnahmen muß durch eine ständig anwesende Aufsichtsperson sichergestellt sein.

Das Ermittlungsverfahren hat ergeben, daß zwar die Türe zur Zelle ca. zwei Stunden vor Betreten durch den Arbeitnehmer B geöffnet wurde.

Wie der Arbeitsinspektor Ing. K bei der Unfallerhebung feststellen konnte, war in der Zelle zum Tatzeitpunkt keine ausreichende atembare Atmosphäre von mindestens 17 % Volumsanteil von Sauerstoff in der Luft enthalten. Feststeht nach dem durchgeführten Ermittlungsverfahren, daß vor dem Betreten der Zelle durch den Lagerarbeiter B weder Frischluft in die Zelle eingeblasen wurde, noch dem Lagerarbeiter ein geeignetes Atemschutzgerät zur Verfügung gestellt wurde. Es gab auch keine Aufsichtsperson, die auf die Einhaltung der Schutzmaßnahmen geachtet hätte. Es sind daher die Übertretungen als erwiesen anzusehen. Wenn die Beschuldigte in diesem Zusammenhang darauf verweist, daß die Türe zur Zelle bereits zwei Stunden vorher geöffnet gewesen sei, so ist ihr zu entgegnen, daß es darauf ankommt, ob eine ausreichend atembare Luft in der Zelle vorhanden ist. Das Öffnen der Zellentüre für sich stellt aber keine geeignete Maßnahme dar. Das zur Verfügungstellen eines Atemschutzgerätes ist dann erforderlich, wenn

eben nicht genug atembare Luft vorhanden ist, nicht aber erst dann - wie die Beschuldigte offenbar vermeint - wenn die zuvor geschlossene Zelle betreten wird.

Zum Einwand der Beschuldigten, sie sei für die Übertretungen der Arbeitnehmerschutzvor-schriften nicht zuständig, ist folgendes auszuführen:

§ 9 VStG ("besondere Fälle der Verantwortlichkeit") lautet auszugsweise:

(1) Für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder Personengemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit ist, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist.

(2) Die zur Vertretung nach außen Berufenen sind berechtigt und, soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist, auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereich des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereich des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden.

(3) Eine physische Person, die Inhaber eines räumlich oder sachlich gegliederten Unternehmens ist, kann für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche ihres Unternehmens einen verantwortlichen Beauftragten bestellen.

(4) Verantwortlicher Beauftragter kann nur eine Person mit Wohnsitz im Inland sein, die strafrechtlich verfolgt werden kann, ihrer Bestellung nachweislich zugestimmt hat und der für den ihrer Verantwortung unterliegenden klar abzugrenzenden Bereich eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen ist."

§ 23 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 - ArbIG - ("Bestellung von verantwortlichen Beauftragten") lautet:

(1) Die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs 2 und 3 des Verwaltungstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52, in der jeweils geltenden Fassung für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und für die Einhaltung dieses Bundesgesetzes wird erst rechtswirksam, nachdem beim zuständigen Arbeitsinspektorat eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des/der Bestellten eingelangt ist. Dies gilt nicht für die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten auf Verlangung der Behörde gemäß § 9 Abs 2 VStG.

(2) Arbeitnehmer/innen können für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und für die Einhaltung dieses Bundesgesetzes zu verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs 2 und 3 VStG rechtswirksam nur bestellt werden, wenn sie leitende Angestellte sind, denen maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind.

(3) Der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin hat den Widerruf der Bestellung und das Ausscheiden von verantwortlichen Beauftragten nach Abs 1 dem zuständigen Arbeitsinspektorat unverzüglich schriftlich mitzuteilen."

Beim Arbeitsinspektorat Graz ist keine Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten hinsichtlich der Ferdinand L GesmbH eingegangen. Die Beschuldigte verantwortete sich auch damit, daß es firmenintern zu einer Aufgabenteilung gekommen sei. Diese firmeninterne Aufteilung befreit die Beschuldigte aber nicht von ihrer grundsätzlichen verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit. Dazu hätte es der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten bedurft

und hätte diese Bestellung überdies dem Arbeitsinspektorat Graz gemeldet werden müssen.

Bei der Beurteilung, ob die über die Beschuldigte verhängten Geldstrafen als schuld- und tatangemessen anzusehen sind, ging der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark von folgenden Überlegungen aus:

Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

Die Bestimmungen des § 60 Abs 1 zweiter Satz sowie des § 58 Abs 8 AAV sollen dazu dienen, daß die Gesundheit der Arbeiter geschützt wird, einerseits durch die zur Verfügung-stellung von geeigneten Schutzeinrichtungen und andererseits durch die Beistellung einer Aufsichtsperson. Im gegenständlichen Fall betrat der Lagerarbeiter B die Zelle, ohne daß irgendwelche Maßnahmen getroffen worden wären, die sichergestellt hätten, daß genug atembare Luft in der Zelle vorhanden ist. Der Arbeitnehmer verlor in der Zelle das Bewußtsein und nur durch Glück und die Aufmerksamkeit anderer Arbeiter wurde schlimmeres vermieden. Der Schutzzweck der genannten Bestimmungen wurde erheblich verletzt, zumal es nicht nur zu einer abstrakten Gefährdung der Gesundheit eines Arbeitnehmers gekommen ist, sondern konkret zu einem Arbeitsunfall. Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen. Als mildernd war die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit der Beschuldigten zu werten. Aus dem Ermittlungsverfahren hat sich ergeben, daß sich die Beschuldigte firmenintern um den Bereich "Transport" gekümmert hat und um alle Belange, die mit Obst zu tun haben, der zweite handelsrechtliche Geschäftsführer Ferdinand L. Wenn die Beschuldigte zwar grundsätzlich für die Übertretungen verantwortlich ist, so war bei der Beurteilung ihres Verschuldens doch zu berücksichtigen, daß firmenintern für diese Belange der zweite handelsrechtliche Geschäftsführer zuständig war. Das Verschulden ist daher geringer als jenes ihres Gatten Ferdinand L anzusehen. Der Strafrahmen für die der Beschuldigten vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen beträgt gemäß § 130 Abs 5 Z 1 ASchG S 2.000,-- bis S 100.000,--.

Die Beschuldigte ist verheiratet, hat Sorgepflichten für ein minderjähriges Kind, verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen von S 35.000,-- und ist Hälfteeigentümerin eines Grundbesitzes von ca. 150 ha Ackerfläche.

Auf Grund des geringfügigeren Verschuldens sowie der bisherigen Unbescholtenheit der Beschuldigten sind die in erster Instanz verhängten Geldstrafen trotz der Verletzung des Schutzzweckes (Arbeitsunfall) als überhöht anzusehen und waren daher auf nunmehr jeweils S 5.000,-- herabzusetzen. Wenn das Arbeitsinspektorat Graz in der Berufung anführt, daß kein Milderungsgrund vorliege, so wird übersehen, daß die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit sehr wohl einen Milderungsgrund darstellt. Richtig ist, daß in der Begründung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses als Milderungsgrund auch das volle Geständnis angeführt ist. Bei der Protokollierung des mündlich verkündeten Straferkenntnisses in erster Instanz wurde ein Formblatt verwendet, wobei bei den Milderungsgründen als Vordruck auch das volle Geständnis vermerkt ist. Daß natürlich kein volles Geständnis vorliegt, ergibt sich bereits daraus, daß im gesamten erstinstanzlichen Strafverfahren die Verantwortlichkeit der Beschuldigten von dieser bestritten wurde. Im erstinstanzlichen Straferkenntnis, welches sofort mündlich verkündet und nur protokolliert wurde - dürfte vergessen worden sein, den Vordruck "als mildernd neben dem vollen Geständnis" zu streichen. Durch die Herabsetzung der Geldstrafen in beiden Punkten waren auch die Verfahrenskosten erster Instanz im selben Ausmaß (je 10 % der verhängten Geldstrafen) zu mindern. Da der Berufung der Beschuldigten zumindest hinsichtlich der Strafhöhe Folge gegeben wurde, entstanden keine Verfahrenskosten für das Berufungsverfahren.

Schlagworte
Betriebseinrichtungen Lagerraum Frischluft Atemschutzgerät Tür Schutzmaßnahme
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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