TE UVS Wien 1997/07/23 02/P/13/3/97

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.1997
beobachten
merken
Betreff

Die Festnahme des Beschwerdeführers war rechtswidrig, da ein Angriff gemäß § 270 StGB nicht vorlag und eine Abmahnung im Sinne des § 82 SPG nicht erfolgte.

Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Dr Helm über die Beschwerde des Herrn Jürgen S, vertreten durch Rechtsanwalt, gemäß § 67a Abs 1 Z 2 AVG und Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Zuge einer gegen ihn gerichteten Amtshandlung vom 21.10.1997, P, welche zu seiner Festnahme zwecks Identitätsfeststellung durch einen Beamten der Bundespolizeidirektion Wien führte, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 14.5.1998 und am 16.7.1998, entschieden:

Der Beschwerde wird gemäß § 67 c Abs 4 AVG insoferne stattgegeben, als die Festnahme für rechtswidrig erklärt wird.

Das Begehren nach Feststellung weiterer Rechtsverletzungen durch die in Beschwerde gezogene Amtshandlung wird abgewiesen. Der Bund (Bundesminister für Inneres) als Rechtsträger der belangten Behörde hat den Beschwerdeführer binnen 14 Tagen S 8.400,-- für Schriftsatzaufwand, S 10.400,-- für den Verhandlungsaufwand und S 120,-- für Stempelgebühren, zusammen somit S 18.920,--, zu leisten.

Text

Begründung:

1. Der Beschwerdeführer brachte am 7.11.1997, somit fristgerecht, eine "Beschwerde über Amtshandlung am 21.10.1997, P" ein, in welcher er folgendes vorbringt:

"Am 21.10.1997 um ca 14.25 Uhr befand ich, Jürgen S, mich gemeinsam mit Frau Aglaja V und Frau Irene M, in der Bahnhofshalle P. Wir waren mit dem Verzehr einer Kebabsemmel beschäftigt und wurden dort Zeugen einer Amtshandlung. Ein Exekutivbeamter verwies zwei Männer, die im Eingang des Supermarktes "B" Platz genommen hatten aus der Bahnhofshalle. Die beiden leisteten seiner Aufforderung keinen Widerstand und verließen die Halle. Ein anderer Mann der vor dem Eingang der Halle stand sagte zu dem Beamten deutlich hörbar: "Einmal im Leben möcht ich ein Kibara sein". Der Beamte ging auf ihn zu und forderte ihn ebenfalls auf, das Gelände zu verlassen. Der Mann antwortete mit den Worten: "I kaun net amoi mehr kreun, mir durt eh scho ois weh." Der Beamte forderte ihn erneut auf, das Gelände zu verlassen. Da sich der Mann scheinbar nicht schnell genug bewegte, verdrehte der Beamte dem Mann den rechten Arm auf den Rücken, und schob ihn unter Anwendung der Gewalt vor sich her in Richtung der Straßenbahnlinie. Der Mann stöhnte vor Schmerzen auf, leistete aber keinen Widerstand. Ich ging zu dem Polizisten und stellte nur die Frage, ob diese Gewaltanwendung nicht vermieden werden könne. Da ich darauf keine Antwort erhielt, befragte ich den amtshandelnden Beamten nach seiner Dienstnummer. Dieser nannte mir die Nummer 13. Die beiden oben genannten Frauen waren nun an meiner Seite, und hörten den gesamten Dialog mit. Ich wollte eine Karte mit der Dienstnummer oder zumindest einen Ausweis sehen, erhielt allerdings keine Antwort. Das Gesicht des abgeführten Mannes war mir abgewandt und wurde durch den Armgriff des Polizisten 13 in dieser Lage gehalten. Ich wollte daher hinter den beiden vorbeigehen, um mich auf die andere Seite, nun die linke, zu stellen. Als ich mich genau hinter dem Beamten befand, schlug mir dieser mit seinem Ellenbogen in den Rücken. Ich schrie auf. Auch meine beiden Begleiterinnen hatten diesen Vorfall genau beobachtet und protestierten ebenfalls. Der Polizist drehte sich zu mir um und sagte wörtlich: "Zupfen sie mich nicht an der Uniform." Ich sagte ihm, daß ich ihn nicht gezupft hätte, sondern er mir in den Rücken geschlagen hätte. Darauf erhielt ich wieder keine Antwort. Der Beamte brachte, wieder unter Anwendung von Gewalt den Mann über die Straßenbahnschienen und nötigte ihn, sich auf die Einfriedung einer Grünanlage zu setzen. Nun drehte er sich zu uns um. Ich forderte meine Bekannte, Frau Irene M, auf, die Situation zu fotografieren. Da sie keine Batterien mehr in ihrer Kamera hatte, lief sie weg und wollte welche besorgen. Es wurden daher keine Fotos der Amtshandlung gemacht. Im folgenden kam es zu einem Dialog zwischen dem amtshandelnden Polizisten und mir. Frau Aglaja V war Zeugin dieses Gesprächs.

Polizist: "Sie haben mich an der Uniform gezupft."

Ich: "Ich habe sie nicht gezupft, aber sie haben mich geschlagen."

Frau Aglaja V bestätigte diese Aussage und sagte ebenfalls: "Er hat sie nicht gezupft, sie haben ihn geschlagen."

Der Beamte schlug nun kurz einen freundschaftlichen Ton an und sagte: "Mischen sie sich nicht in fremde Angelegenheiten."

Ich: "Als Bürger dieses Landes habe ich ein Recht darauf."

Polizist: "Sie behindern eine Amtshandlung in einem Rechtsstaat."

Ich: "Wenn ich mir das hier ansehe, ist es kein Rechtsstaat sondern ein Polizeistaat"

Polizist: "Das ist nur ihre Meinung."

Ich: "Ich werde mich über sie beschweren.

Polizist: "Das können sie dort auf der Amtsstube tun."

Ich: "Ich beschwere mich lieber schriftlich direkt bei ihren

Vorgesetzten."

Polizist: "Können sie sich ausweisen."

Ich: "Nein, ich habe keinen Ausweis dabei."

Polizist: "Dann müssen sie mitkommen."

Ich: "Wie bitte."

Polizist: "Begleiten sie mich auf die Amtsstube."

Ich: "Wird das eine Festnahme."

Polizist: "Ja"

Ich: "Wollen sie mir Handeschellen anlegen."

Polizist: "Nein, gehen wir."

Da ich mich scheinbar nicht schnell genug bewegte, ereilte mich nun das gleiche Schicksal wie dem mir unbekannten Mann von vorhin. Ich wurde grob am Arm gepackt, und mit Gewalt, obwohl ich keinerlei Widerstand geleistet hatte, zur Amtsstube gebracht. Am

Weg sagte der Polizist: "Sie sind doch eine lächerliche Gestalt."

Ich zog es vor darauf nicht zu antworten: Beim Eingang zur Wachstube sagte der Beamte: "Passen Sie auf, daß Sie sich Ihren Kopf nicht anschlagen." Ich sagte: "Passen Sie auf meine Jacke auf." Daraufhin ließ er mich endlich aus seinem brutalem Griff los. Auf der Amtsstube mußte ich meine genauen Daten angeben. Name, Geburtsort, Meldeadresse, Beschäftigung. Meine beiden Bekannten waren ebenfalls mit auf die Wachstube gekommen. Aglaja V wollte eine Aussage machen und sagte: "Ich möchte hier aussagen, daß Herr S den Beamten nicht an der Uniform gezupft hat und dieser meinen Bekannten geschlagen hat." Die Aussage wurde allerdings nicht aufgenommen. Der amtshandelnde Polizist sagte: "Der Herr S bleibt hier, bis wir einen Ausweis gesehen haben." Ich staunte nur noch und schüttelte den Kopf. Fr Irene M gibt an, daß sie bezeugen kann, daß es sich bei mir um jene Person handelt, deren Daten ich angegeben habe. Zusätzlich wurden meine Daten über das Meldeamt überprüft und stellten sich als richtig heraus. Es wurde mir schießlich mitgeteilt, daß wir gehen können, was wir auch taten."

Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, er habe während des gesamten Zeitraumes kein Gesetz übertreten, habe weder eine Amtshandlung gestört noch einen Polizisten tätlich angegriffen, sondern habe nur seine Rechte als Bürger dieses Landes wahrnehmen wollen. Der Polizist habe ihn mit dem Ellenbogen in den Rücken geschlagen, ihn beschimpft und bedroht und schließlich ohne Angabe von Gründen abgeführt.

Da dem Schriftsatz nicht zu entnehmen war, ob es sich um eine Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Artikel 129 a Abs 1 Z 2 B-VG und § 67a Abs 1 Z 2 AVG oder um eine Richtlinienbeschwerde gemäß § 89 Abs 2 des Sicherheitspolizeigesetzes handelte, zumal das Begehren nicht näher präzisiert wurde, hat der Unabhängige Verwaltungssenat Wien mit Schreiben vom 26.11.1997 dem Beschwerdeführer einen Auftrag zur Mängelbehebung gemäß § 67c Abs 3 AVG erteilt, in dem der Beschwerdeführer auch über den Unterschied zwischen beiden Beschwerdemöglichkeiten die jeweils nötigen Formerfordernisse informiert wurde. Insbesondere wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, daß das Anbringen vorbehaltlich seiner näheren Konkretisierung im Hinblick auf die Verletzung sicherheitspolizeilicher Richtlinien binnen der gesetzten Frist nicht als Richtlinienbeschwerde gewertet werde.

Mit Schreiben vom 25.12.1997 ist der Beschwerdeführer fristgerecht dem Auftrag zur Mängelbehebung nachgekommen und hat insbesondere ausdrücklich verlangt, den betreffenden Verwaltungsakt, nämlich die Amtshandlung vom 21.10.1997 für rechtswidrig zu erklären, und damit die Formerfordernisse des § 67c Abs 2 AVG erfüllt. Auf eine allfällige Verletzung sicherheitspolizeilicher Richtlinien gemäß § 31 SPG ist der Beschwerdeführer in diesem Schreiben nicht eingegangen.

2. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien ersuchte die Bundespolizeidirektion Wien um Vorlage des bezughabenden Verwaltungsaktes und der Erstattung einer Gegenschrift, die am 16.1.1998 vorgelegt wurden. Der Verwaltungsakt wird zur Zl Kr 2924-L/97 geführt. In der zur AZ P 378/a/98 erstatteten Gegenschrift wird bekanntgegeben, daß das Original des Verwaltungsaktes am 29.1.1998 dem Bezirksanwalt beim BG-Donaustadt übermittelt worden ist und daher nur eine Kopie vorgelegt wird. Weiters wird die Durchführung von Vorerhebungen wegen der vom Beschwerdeführer erhobenen Mißhandlungsvorwürfe bekanntgegeben. Inhaltlich wird ausgeführt, daß entgegen den Auffassungen des Beschwerdeführers schon seiner Sachverhaltsdarstellung zu entnehmen sei, daß der einschreitende Sicherheitswachebeamte sowohl die Festnahme ausgesprochen als auch die Gründe hierfür mitgeteilt habe. Eine verbale Bedrohung des Beschwerdeführers durch den einschreitenden Sicherheitswachebeamten wird in Abrede gestellt; sie wäre auch nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (so etwa VfGH 29.9.1992, B 590/89-34) nicht als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzusehen. Insofern wird die kostenpflichtige Zurückweisung der Beschwerde als unzulässig beantragt. Hinsichtlich der Anwendung von Körperkraft wird ausgeführt, daß zur Überwindung eines auf die Vereitelung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes sowie zur Erzwingung einer rechtmäßigen Festnahme gemäß §§ 2 und 4 des Waffengebrauchsgesetzes 1969 selbst der Gebrauch von Dienstwaffen zulässig wäre, wenn ungefährliche und weniger gefährliche Maßnahmen, wie insbesondere die Aufforderung zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes, die Anwendung von Körperkraft oder verfügbare gelindere Mittel ungeeignet scheinen oder sich als wirkungslos erwiesen haben. Der einschreitende Sicherheitswachebeamte habe sich durch einen Ellenbogenstoß aus dem Griff des Beschwerdeführers befreit, welcher ihn festgehalten habe, um ihn allem Anschein nach an einer laufenden Amtshandlung zu hindern. Auch zur Erzwingung der Festnahme habe der einschreitende Sicherheitswachebeamte Körperkraft nur maßhaltend eingesetzt, da der Beschwerdeführer die Aufforderung, zwecks Identitätsfeststellung auf das Wachzimmer mitzukommen, nicht befolgt und passiven Widerstand geleistet habe.

Zu den beiden letztgenannten Punkten wird die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, wobei Kosten gemäß Aufwandersatzverordnung UVS, BGBl Nr 855/95, verzeichnet werden. Im Verfahren hat die belangte Behörde einen weiteren Schriftsatz, datiert mit 18.5.1998, erstattet, in dem der Verhandlungsaufwand beantragt wird. Des weiteren werden Widersprüche zwischen den Aussagen des Beschwerdeführers und der am 13.5.1998 vernommenen Zeugin geltend gemacht. Der Schriftsatz enthält ferner Ausführungen über die Verpflichtung von Sicherheitswachebeamten zur Identifizierung gegenüber von ihrer Amtshandlung Betroffenen und rechtlicher Ausführungen zu § 270 StGB, wonach unter Verweis auf die diesbezüglich sehr strenge, im Wiener Kommentar vertretene Auslegung bereits das Festhalten eines Polizisten an der Jacke als tätlicher Angriff zu werten sei. Zur dazu ergangenen Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 17.7.1998 wurde seitens der belangten Behörde keine weitere Gegenäußerung erstattet.

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien ist aufgrund seiner im Auftrag zur Mängelbehebung enthaltenen Ausführungen und Rechtsbelehrungen in Verbindung mit dem diesem Auftrag nachkommenden Schreiben des Beschwerdeführers vom 25.12.1997, davon ausgegangen, daß eine Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß § 129a Abs 1 Z 2 B-VG und § 67a Abs 1 Z 2 AVG vorliegt, und daß eine allenfalls mit demselben Verwaltungsakt begangene Richtlinienverletzung gemäß § 89 Abs 2 SPG nicht in Beschwerde gezogen werden soll.

In Beschwerde gezogen wird offensichtlich die gesamte Amtshandlung, insofern sie sich gegen den Beschwerdeführer richtete, dh vom ersten Einsatz von Körperkraft bis zur Entlassung aus dem Wachzimmer P. Damit stehen die Ausführungen des Beschwerdeführervertreters in der Verhandlung vom 13.5.1998 im Einklang, wonach sich die Beschwerde gegen die Festnahme bzw Identitätsfeststellung sowie gegen den in der Beschwerde beschriebenen Ellenbogenstoß richte. Auch wenn sich die in der Beschwerde geübte Kritik sicherlich auch auf den Umstand erstreckt, daß die Festnahme nicht korrekt ausgesprochen worden sei, wie die belangte Behörde zutreffend anmerkt, so steht es doch entgegen der Auffassung der belangten Behörde außer jedem Zweifel, daß auch die Festnahme, ja gerade diese, selbst Gegenstand der Beschwerde ist.

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien beraumte für den 13.5.1998 eine öffentliche mündliche Verhandlung an, zu der die beiden Verfahrensparteien sowie die Zeugen Insp Andreas R, Irene M und Aglaja V geladen waren. Da die letztgenannte Zeugin wegen schwerer Erkrankung nicht erschienen war, wurde die Verhandlung am 16.7.1998 zu ihrer Vernehmung fortgesetzt.

3.1. Aufgrund der Aussage der obgenannten Zeugen und der Vernehmung des Beschwerdeführers in der öffentlichen mündlichen Verhandlung sowie aufgrund des vorgelegten Verwaltungsaktes wird folgender Sachverhalt festgestellt:

Am 21.10.1997 kurz nach 14.00 Uhr verwies der Sicherheitswachebeamte der Bundespolizeidirektion Wien, Insp Andreas R, zwei Obdachlose aus der Halle des Bahnhofs P und wandte sich sodann einem weiteren, vor dem Halleneingang stehenden Obdachlosen zu, welcher zuvor gegenüber dem Beamten eine Unmutsäußerung abgegeben hatte. Als er diesen Obdachlosen gewaltsam zur gegenüberliegenden Grünfläche eskortieren wollte, näherte sich der Beschwerdeführer in Begleitung der beiden obgenannten Zeuginnen und fragte den Beamten sinngemäß, ob eine derart brutale Behandlung des Obdachlosen notwendig sei. Dabei ist es möglich, daß eine leichte Berührung des Beamten an der Uniformjacke, wie sie zur Aufnahme eines Gespräches oder als die Eindringlichkeit des Gesagten unterstreichende Geste vorkommt, stattgefunden hat.

Da der Beamte auf die Frage nicht in einer für den Beschwerdeführer zufriedenstellenden Weise reagierte und im übrigen bemüht war, die Eskortierung des Obdachlosen fortzusetzen, welchen er mit dem linken Arm festhielt und in abgewendeter Position fixierte, wechselte der ursprünglich rechts befindliche Beschwerdeführer hinter dem Rücken des Beamten auf die linke Seite, um sich auch dem Obdachlosen sichtbar zu machen. Durch das Vorbeigehen des Beschwerdeführers hinter seinem Rücken, möglicherweise aber auch durch eine Handbewegung, welche als versuchte Berührung interpretiert werden konnte, hielt der Beamte einen bevorstehenden Angriff für möglich und stieß mit dem rechten Ellenbogen rückwärts gegen den Oberkörper des Beschwerdeführers, um einer möglichen Bedrohung durch diesen präventiv entgegenzuwirken. Diese Präventivabwehr eines noch gar nicht stattgefundenen, sondern erst befürchteten Angriffs war aus der Sicht des Beamten schon deshalb erforderlich, da er Tätlichkeiten von seiten des Obdachlosen befürchten mußte, hätte er seine Aufmerksamkeit von diesem abgewendet.

Diese Vorgänge fanden in Anwesenheit beider Zeuginnen statt; anschließend entfernte sich Frau Irene M über Aufforderung des Beschwerdeführers, um Batterien für ihren Fotoapparat zu besorgen. Der Beamte führte nunmehr die Eskortierung des Obdachlosen zu Ende, ohne daß sich der Beschwerdeführer neuerlich eingemischt hätte, und kehrte anschließend zum Beschwerdeführer und zur Zeugin V zurück. Es entstand ein kurzer Disput über die Berechtigung des Beschwerdeführers, sich für derartige Angelegenheiten zu interessieren bzw darin einzumischen, sowie darüber, ob eine Berührung stattgefunden habe oder nicht. Der Beamte gab zwar seine Dienstnummer bekannt, der Beschwerdeführer beharrte jedoch darauf, diese auch schriftlich ausgehändigt zu bekommen oder den Dienstausweis zu sehen und stellte dem Beamten eine Beschwerde in Aussicht. Dieser forderte den Beschwerdeführer nunmehr seinerseits zur Ausweisleistung auf. Da sich der Beschwerdeführer mangels eines mitgeführten Ausweises nicht legitimieren konnte, forderte ihn der Beamte auf, aufs Wachzimmer mitzukommen und bestätigte auf Nachfrage, daß es sich um eine Festnahme handle.

Spätestens zum Zeitpunkt des möglicherweise emotional, aber keineswegs in störender Lautstärke geführten Disputes war auch aufgrund des Umstandes, daß auf den präventiven Ellenbogenstoß keinerlei tätliche Reaktion seitens des Beschwerdeführers erfolgt war, offenkundig, daß der Beschwerdeführer lediglich verbale Kritik an der Vorgangsweise des Beamten beabsichtigt und in keiner Weise Tätlichkeiten oder eine körperliche Hinderung des Beamten an der Eskortierung des Obdachlosen auch nur in Erwägung gezogen hatte. Der Beschwerdeführer wurde auch nicht wegen aggressiven Verhaltens abgemahnt; für andere verwaltungsstrafrechtlich sanktionierte Verhaltensweisen gibt es keinen Anhaltspunkt. Der Beschwerdeführer wurde sodann unter Anwendung von körperlichem Zwang durch den eingeschrittenen Beamten in das Wachzimmer P gebracht, wobei ihm die Zeugin V im kurzen Abstand folgte. Ob die Warnung des Beamten, der Beschwerdeführer möge sich den Kopf nicht anschlagen, als Drohung zu verstehen war, kann nicht mit der nötigen Sicherheit festgestellt werden. Die inzwischen zurückgekehrte Zeugin M folgte in etwas größerem Abstand und wurde über ihr Ersuchen hineingelassen; da sie einen Ausweis mitführte, konnte sie als Identitätszeugin für den Beschwerdeführer einschreiten, worauf dieser nach Einholung von Auskünften zu seiner Person um 14.25 Uhr freigelassen wurde.

3.2. Bei der Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes wurde der nachvollziehbaren Darstellung des Beschwerdeführers und den glaubwürdigen Aussagen der Zeuginnen Irene M und Aglaja V im wesentlichen gefolgt; hierbei wurde nicht verkannt, daß es sich bei den beiden Zeuginnen um Bekannte des Beschwerdeführers handelt und diese daher versucht gewesen sein könnten, eine seinem Anliegen tendenziell günstige Haltung einzunehmen. Beide Zeuginnen machten jedoch einen persönlich gefestigten und sozial integrierten Eindruck, sodaß ihnen keinesfalls zugemutet werden kann, sie würden sich mit der Ablegung einer falschen Aussage im Sinne des § 289 StGB auch nur abfinden.

In wesentlichen Punkten wurde jedoch auch dem Zeugen Inspektor Andreas R gefolgt, dem ein ernstliches Bemühen um die Wahrheitsfindung nicht abgesprochen werden kann, der aber verunsichert wirkte und den Eindruck hinterließ, in belastenden Situationen - wie es auch eine Einvernahme als Zeuge der eigenen Amtshandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien darstellt - leicht zu überreagieren. Nichtsdestoweniger konnte seiner Darstellung betreffend die Eskortierung des Obdachlosen uneingeschränkt gefolgt werden. Insbesondere bestand kein Grund, daran zu zweifeln, daß er die Eskortierung sachgemäß mit der gebotenen Vorsicht vorgenommen hat und eine Abwendung seiner Aufmerksamkeit von dem ihm persönlich bekannten Obdachlosen wegen dessen Neigung zur Gewalttätigkeit nicht riskieren konnte. Im übrigen erscheint die Darstellung des Zeugen Insp Andreas R aber stark dramatisiert und in wesentlichen Punkten übertrieben zu sein, wobei zuzugestehen ist, daß ihn die Kritik des Beschwerdeführers während der Eskortierung eines zu Tätlichkeiten neigenden Obdachlosen in besonderem Maße lästig erschienen sein muß. Es ist daher möglich - und bis zum Abschluß der Eskortierung auch verständlich - daß er das Verhalten des Beschwerdeführers subjektiv als Bedrohung gewertet hat, obwohl es objektiv für ihn keine Bedrohung darstellte. Bereits die eigene Aussage des Zeugen Insp R läßt aber erkennen, daß er von dem einmal gefaßten Entschluß, das Verhalten des Beschwerdeführers als tätlichen Angriff auffassen zu wollen, auch trotz gegenteiliger Wahrnehmungen nicht abzugehen bereit war; es entsteht sogar der Eindruck, der Zeuge habe diese für ihn feststehende Bewertung als "Aufhänger" benützt, um über Retorsions - und Sanktionsmöglichkeiten gegenüber dem als lästig oder vorlaut empfundenen Beschwerdeführer zu verfügen. So findet eine derartige eigene Einmischung unbeteiligter Passanten nach Aussage des Zeugen öfters statt; daß er dem gegenständlichen Vorfall größere Bedeutung als sonst üblich beigemessen habe, begründet der Zeuge damit, "daß der Beschwerdeführer keine Ruhe gegeben hat". Besonders auffallend ist, daß der Zeuge bei seiner Vernehmung die Aufforderung zur Ausweisleistung an den Beschwerdeführer zunächst damit begründet, daß er bei Übergabe der Visitenkarte mit seiner Dienstnummer den Namen des Empfängers auf der Karte vermerken wollte, und sich erst auf Nachfrage daran erinnert, daß er ja eigentlich auch das Tatbild des § 270 StGB als erfüllt gesehen habe. Auf den Punkt gebracht hat er das Motiv der Festnahme offensichtlich durch den Satz "wenn der Beschwerdeführer das trotz Ermahnung nicht einsieht, muß er zur Kenntnis nehmen, daß es kracht" (welcher auch ohne die ausdrückliche Präzisierung des Zeugen nicht in Richtung eines Schußwaffengebraches verstanden worden wäre, sondern nur den Sanktionscharakter der Festnahme treffend beleuchtet).

Die von der belangten Behörde mit Schriftsatz vom 18.5.1998 geltend gemachten Widersprüche zwischen den Aussagen des Beschwerdeführers und der Zeugin M sowie Divergenzen zum Beschwerdeschriftsatz sind bei näherer Betrachtung unbedeutend. Der Schriftsatz ist keine Aussage über persönliche Wahrnehmungen; auch eine lediglich von der Zeugin V vernommene Äußerung des Obdachlosen kann darin Eingang gefunden haben. Die Beobachtung "relativ raschen" Gehens kann gerade die Relation zu dem Umstand beinhalten, daß dabei jemand gewaltsam geschoben wird. Ob man Vorgänge beim Eingang einer Bahnhofshalle in der Erinnerung außerhalb oder innerhalb sieht, sagt ebenfalls wenig über die Glaubwürdigkeit eines Zeugen und die Verläßlichkeit seiner sonstigen Angaben aus.

Letztlich wurde bei der Beweiswürdigung auch in Rechnung gestellt, daß den Beschwerdeführer selbst vom persönlichen Eindruck her wohl ein beharrliches, möglicherweise auch objektiv gesehen "lästiges", aber keineswegs ein aggressives Verhalten unterstellt werden kann.

3.3. In rechtlicher Hinsicht ergibt sich daraus, daß die Festnahme des Beschwerdeführers zu Unrecht erfolgt ist. Die behauptete Notwendigkeit einer Identitätsfeststellung kann nicht als Rechtfertigung dienen, da ein gesetzlicher Grund hierfür nicht gegeben war. Die Aufforderung zur Legitimierung selbst ist als gesonderter "Befehl" jedoch nicht objektivierbar, zumal sie als Replik auf den Wunsch des Beschwerdeführers verstanden werden konnte, den Ausweis des Sicherheitswachebeamten zu sehen. Da die Festnahme auch zuvor nicht angedroht, sondern gleich durchgeführt wurde, erübrigt sich ein gesonderter Abspruch über die Rechtmäßigkeit dieser Aufforderung und war diesbezüglich nur über die Festnahme zu erkennen.

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien ist nicht der Auffassung, daß eine allfällige flüchtige Berührung eines Beamten im Zuge eines Gespräches das Tatbild des tätlichen Angriffes auf einen Beamten erfüllt. Abgesehen davon konnte der Beamte jedoch keineswegs vertretbarerweise davon ausgehen, daß der Tatbestand auch in subjektiver Hinsicht vom Beschwerdeführer verwirklicht worden wäre. Auch eine Verwaltungsübertretung des Beschwerdeführers lag offensichtlich nicht vor; der Tatbestand des aggressiven Verhaltens gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht gemäß § 82 SPG setzt eine diesbezügliche Abmahnung voraus, welche nicht erteilt worden ist. Unter diesen Voraussetzungen stellt sich die Festnahme des Beschwerdeführers letztlich als Sanktion für seine vorangegangene "Einmischung" dar, bei der er die Notwendigkeit der Gewaltanwendung durch den Sicherheitswachebeamten in Frage gestellt hat, aber auch als Retorsionsmaßnahme für die dem Beamten in Aussicht gestellte Beschwerde.

Wenngleich es menschlich verständlich sein mag, daß der Sicherheitswachebeamte dieses Infragestellen seiner ohnehin schwierigen Tätigkeit als unangenehme Belästigung empfunden hat, so ist dazu anzumerken, daß es für Verhaltensweisen Dritter, welche über bloße Kritik hinaus eine Amtshandlung tatsächlich behindern, durchaus geeignete Sanktionen gibt.

Ein Infragestellen der polizeilichen Tätigkeit und der hiebei angewendeten Mittel muß jedoch in einer demokratischen Gesellschaft nicht nur möglich sein, sondern die Diskussion hierüber stellt vielmehr geradezu die Essenz eines demokratischen Rechtsstaats dar. Dies schließt auch ein, daß ein lediglich seine Pflicht versehender Sicherheitswachebeamter darauf gefaßt sein muß, wenn interessierte Mitbürger Erklärungen für eine bestimmte Amtshandlung oder Vorgangsweise erwarten. Er ist deshalb keineswegs verpflichtet, sich vor diesen Personen öffentlich zu rechtfertigen, sollte aber in der Lage sein, ein aggressionsfreies Hinterfragen seiner Vorgangsweise nicht nur als Belästigung, sondern auch als Interesse an seiner Arbeit und als Ausdruck demokratischer Kultur zu betrachten. Selbstverständlich gilt das nur soweit, als die Erfüllung seiner Pflichten dadurch nicht behindert wird und er sich nicht in einer Gefahrensituation befindet oder in eine solche gerät.

Aus den zuletzt angestellten Überlegungen kann der ebenfalls in Beschwerde gezogene Ellbogenstoß gegen den Oberkörper des Beschwerdeführers nicht einfach als Mißhandlung im Vorfeld der Festnahme beurteilt werden. Der festgestellte Sachverhalt erfordert vielmehr eine abgesonderte Bewertung. Grundsätzlich ist schon zweifelhaft, ob es sich hierbei überhaupt um eine Zwangsmaßnahme handelt, da der Stoß neben der Abwehr eines befürchteten Angriffes allenfalls noch dem Zweck gedient haben könnte, den Beschwerdeführer zu größerer Distanz von der Person des Sicherheitswachebeamten zu veranlassen. Selbst dann wäre aber der ausgeübte Zwang bloß ein Nebenaspekt der Abwehrreaktion. Jedenfalls mußte der Sicherheitswachebeamte in der gegebenen Situation seine gesamte Aufmerksamkeit dem von ihm abgeführten Obdachlosen zuwenden und konnte daher nicht abwarten, ob eine möglicherweise bedrohliche Bewegung oder ein solches Verhalten des Beschwerdeführers sich im Ergebnis auch tatsächlich als Bedrohung herausstellen werde. In dieser Situation war seine Befürchtung, er könnte vom Beschwerdeführer tätlich angegriffen werden, im Vorhinein betrachtet vertretbar und seine Reaktion dieser Befürchtung angemessen. Da es sich somit um eine wenn auch präventive, so doch den Umständen nach zulässige Abwehrmaßnahme handelte, kann eine Mißhandlung, entwürdigende Behandlung oder eine sonstige Rechtsverletzung in diesem Verhalten nicht erblickt werden.

Sonstige Einzelheiten des in Beschwerde gezogenen Vorgangs, die - abgesehen vom Konnex einer hier nicht angestrebten Richtlinienbeschwerde gemäß § 89 SPG - eine Rechtsverletzung darstellen könnten, finden sich in den Feststellungen nicht. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.4 Bei der Kostenentscheidung wurde von der Einheit des gesamten Verwaltungaktes ausgegangen, welcher, beginnend mit der präventiven Abwehr eines befürchteten Angriffes, letztlich zu einer Festnahme geführt hatte, obwohl sich die Befürchtung in der Zwischenzeit als haltlos herausgestellt hatte. Der Beschwerdeführer ist daher obsiegende Partei im Sinne des § 79a AVG iVm der Aufwandersatzverordnung UVS, BGBl Nr 855/ 1995. Eine Untergliederung des Verwaltungsaktes in mehrere Teilakte im Hinblick auf die Verfahrenskosten wäre nicht nur notwendigerweise willkürlich, sondern würde auch den Intentionen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, welcher mit der Beschwerde gemäß § 67a Abs 1 Z 2 eine einfache Rechtsschutzmöglichkeit für die Betroffenen zu schaffen bestrebt war.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten