Der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland hat durch sein Mitglied Mag Grauszer über die am 03 08 2000 eingelangte Beschwerde gemäß § 88 Abs 2 Sicherheitspolizeigesetz - SPG, der Frau ***(BF), slowakische Staatsbürgerin, wohnhaft in SK-***, wegen behaupteter Rechtswidrigkeit
der Einhebung einer Geldstrafe von ITL 70 000,-- mit der Organstrafverfügung Nr 54910/03 durch ein Grenzkontrollorgan der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See (belangte Behörde, BH) am 16
07 2000 um 00 10 Uhr anlässlich ihrer Ausreise beim Grenzübergang Kittsee ? Jarovce, zu Recht erkannt:
Gemäß § 88 Abs 2 SPG in Verbindung mit § 67c Abs 3 AVG wird der Beschwerde Folge gegeben und die bekämpfte Einhebung für rechtswidrig
erklärt.
1.1. Im Schriftsatz vom 28 07 2000 richtet sich die BF gegen die im Vorspruch genannte Einhebung einer Geldstrafe mittels Organstrafverfügung. Bei ihrer Ausreisekontrolle sei beanstandet worden, dass in ihrem Pass der Einreisestempel gefehlt habe, weshalb sie der illegalen Einreise verdächtigt worden sei. Sie sei mit ihrem Mann per Autobus mit einer Reisegesellschaft am 07 07 2000 nach Österreich eingereist, um in die Ferien nach Italien zu fahren, und habe dem Beamten erklärt, dass sie nichts dafür könne, wenn sein Kollege bei der Einreisekontrolle vergessen habe, einen solchen Stempel einzudrücken. Sie sei von ihm verhört worden, wo und zu welchem Zweck genau sie in Italien gewesen sei und warum sie nicht mit
ihrem Mann und mit dem Bus zurückgefahren sei. In Italien hätten sie Freunde aus dem Nachbardorf getroffen, weshalb sie wegen der ?kürzeren? Rückreise getrennt in den zwei Autos der Freunde zurückgefahren seien. Der Beamte habe die Bezahlung einer Geldstrafe von ATS 500,-- verlangt und ihr für den Fall der Nichtzahlung gedroht, dass er ihren ?Pass für die Einreise nach Österreich und die
Länder der EU für die Dauer von fünf Jahren sperren? würde. Mit Hilfe
der Freunde habe sie den Betrag von ITL 70 000,-- zusammengebracht und die Strafe bezahlt. Ihr Mann hätte im anderen Auto der Freunde vor
ihr anstandslos die Grenze passieren können. Sie habe nichts Unrechtes
getan, weshalb sie um Überprüfung dieses Vorgehens des Beamten und Rückerstattung der ihr zu Unrecht auferlegten Geldstrafe ersuche.
Ihrer Eingabe war der Beleg Nr 52910/03 der BH betreffend eine Organstrafverfügung gem § 50 VStG über die Einhebung einer Geldstrafe
von ?LIT 70 000,-, Grund (Tat): § 107/1 Z4 iVm § 31 FrG, begangen in:
Güst Kittsee am 16 7 200 um 00 10 Uhr?, ausgestellt am selben Tag, angeschlossen.
1.2. Hiezu erstattete die BH eine Gegenschrift, in der ausgeführt wird, dass der BF ?offenbar in einem Irrglauben des Beamten ein Delikt
vorgehalten worden sei und ihr der Beamte dafür ein Organmandat angeboten? habe, was auch bezahlt worden sei. Sie habe sich bei ihm auch über die Folgen der Nichtzahlung informiert. Seine Erklärung habe
sie offenbar falsch verstanden ?bzw als Druckausübung ausgelegt.?
Es
liege keine Rechtsverletzung, die dem § 88 Abs 2 SPG zu unterstellen wäre, vor. Die Abweisung der Beschwerde wurde begehrt.
1.3. Die BH hat den einschreitenden Beamten (Herrn VB/S ***) zum Vorfall als Zeugen einvernommen. Dabei gab er laut der mit ihm am 18 08 2000 aufgenommen Niederschrift an:
?Die BF stellte sich der Ausreisekontrolle, wobei sie Beifahrerin in einem Privatfahrzeug war. Bei der Kontrolle der Reisepässe stellte ich
fest, dass die BF in ihrem Reisepass keinen Einreisestempel hatte.
Da
dies sehr ungewöhnlich war, habe ich vorschriftsgemäß eine genauere Kontrolle des Reisepasses vorgenommen. Dieser Reisepass war vollkommen
neu und verfügte, soweit ich mich erinnern kann über keinen einzigen Stempel im gesamten Reisepass. Da die Amtshandlung ohne Verständigungsschwierigkeiten geführt werden konnte, zumal ich mich auf Grund meiner kroatischen Muttersprache auch mit slowakischen StA ausreichend verständigen kann, wurde dieser Umstand der Beschuldigten
mitgeteilt. Diese teilte daraufhin mit, dass sie in einem Reisebus nach Österreich gekommen wäre und in Italien war. Dies war im Zuge der
Amtshandlung unglaubwürdig, zumal mir bekannt ist, dass bei den Kontrollen der Reisebusse auf alle Fälle ein Stempel in allen Reisepässen angebracht wird. Da die BF jedoch überhaupt keinen Stempel
im Reisepass hatte, wurde sie von mir aufgefordert den behaupteten Aufenthalt in Italien mir glaubhaft darzulegen, zumal ich auf Grund meiner Feststellungen davon ausgehen konnte, dass die BF auch schon länger im Schengengebiet aufhältig war. Da sie jedoch nichts dergleichen vermochte, ging ich zum damaligen Zeitpunkt davon aus, dass sich die BF unrechtmäßig im Schengengebiet aufgehalten habe. Sollten die Ausführungen der BF in ihrer Beschwerde hinsichtlich ihres
Aufenthaltes in Italien zutreffend sein, was ich nicht überprüfen kann, so wäre die Organstrafverfügung tatsächlich zu Unrecht eingehoben worden.?
In der Folge enthält die Niederschrift seine Angaben zur behaupteten Drohung mit einer Sperre des Reisepasses. Diese Angaben werden hier im
Hinblick auf das Ergebnis dieses Verfahrens nicht wiedergegeben.
2.0. Hierüber wurde erwogen:
2.1. Nach § 88 Abs1 SPG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitspolizeilicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG). Außerdem erkennen sie nach Abs 2 über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern
dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist.
Die Beschwerde richtet sich erkennbar gegen die Einhebung eine Geldstrafe mit einer Organstrafverfügung durch einen Grenzkontrollbeamten. Schon von Vornherein lässt dies nicht auf die Zulässigkeit einer Maßnahmenbeschwerde nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG oder § 88 Abs 1 SPG schließen. Die BF bringt auch weder ausdrücklich noch indirekt vor, dass ihr der Grenzkontrollbeamte im gegebenen Zusammenhang einseitig einen Befehl erteilt oder physischen Zwang ausgeübt hätte. Dies ist auch nach der Aktenlage nicht erkennbar.
Die
angeblich angedrohte ?Reisepasssperre? beinhaltet zudem keine Drohung
mit ?physischen? Zwang sondern erkennbar mit einer gewaltfreien Maßnahme zur Vermeidung weiterer Einreisen der BF, wobei dahin gestellt bleiben kann, wie dies verwaltungstechnisch hätte durchgeführt werden können und wer dazu berechtigt gewesen wäre. Deshalb liegt hier keine ?faktische Amtshandlung? vor.
Es war daher weiters zu prüfen, ob eine ?andere Besorgung der Sicherheitsverwaltung?, die nicht in Bescheidform erfolgte, gegeben ist. Aus dem Beschwerdevorbringen und der Zeugenaussage ergibt sich übereinstimmend und zweifelsfrei, dass die Geldstrafe von einem Grenzkontrollbeamten wegen einer Übertretung des Fremdengesetzes anlässlich der Grenzkontrolle bei der Ausreise eingehoben wurde, weshalb dies gemäß § 2 Abs 2 SPG in Besorgung der Sicherheitsverwaltung erfolgte. Diese auf § 50 VStG gestützte Maßnahme ist nach der Judikatur des VwGH einem Bescheid nicht gleichzuhalten (vgl. hiezu die in HAUER/LEUKAUF, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5 Auflage, Linde-Verlag, auf Seite 1041 zitierten Erkenntnisse). Auch der VfGH vertritt diese Auffassung. Ein Teil der Lehre ist anderer Meinung. Aus § 50 Abs 1 VStG erfließt das Recht eines Betroffenen, dass eine Geldstrafe mit Organstrafverfügung nur bei Einhaltung der dort geregelten Voraussetzungen eingehoben wird. Insoweit liegt auch eine Möglichkeit
zur subjektiven Rechtsverletzung vor.
Diese Angelegenheit, nämlich die Bekämpfung einer rechtswidrigen Einhebung einer Geldstrafe mit einer Organstrafverfügung, kann auch in
keinem (anderen) Verwaltungsverfahren ausgetragen werden, weil gegen die Organstrafverfügung weder ein Rechtsmittel wie die Berufung an den UVS (siehe § 50 Abs 6 erster und zweiter Satz VStG) noch eine Beschwerde an die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts zulässig ist.
Diese
Rechtswidrigkeit kann auch nicht mittels Klage nach Art 137 B-VG bekämpft werden, weil dort kein Verwaltungsverfahren abläuft und damit
auch weder die Aufhebung der Organstrafverfügung noch die Feststellung
ihrer Gesetzwidrigkeit in zulässiger Weise begehrt werden kann. Insoweit verbleibt nur die SPG ? Beschwerde als Rechtsbehelf.
Insgesamt ergibt sich daraus, dass diese Einhebung der Geldstrafe mit
der Organstrafverfügung mit Beschwerde nach § 88 Abs 2 SPG bekämpft werden darf. Daran ändert nichts, dass diese Beschwerde zur Bekämpfung
sog. ?schlichten Polizeihandelns? herangezogen wurde, wozu man
bisher
Organstrafverfügungen nicht zählte.
2.2. Die bekämpfte Einhebung der Geldstrafe ist rechtswidrig :
Nach § 50 Abs 1 VStG darf eine Behörde besonders geschulte Organe der
öffentlichen Aufsicht ermächtigen, wegen bestimmter von ihnen dienstlich wahrgenommener oder vor ihnen eingestandener Verwaltungsübertretungen mit Organstrafverfügungen Geldstrafen einzuheben. Die in der Organstrafverfügung bezeichnete Verwaltungsübertretung nach ?§ 107/1 Z 4 iVm § 31 FrG? betrifft den ?unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet (§ 31)?. Die Voraussetzungen für den rechtmäßigen Aufenthalt regelt der § 31 FrG in
seinem Abs 1 Z 1 bis 4, wo auf eine gesetzmäßige Einreise, keine Umgehung der Grenzkontrolle, einen zum Aufenthalt berechtigenden Aufenthaltstitel oder eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz
abgestellt wird.
Es war daher zu prüfen, welcher Sachverhalt, der obgenanntem Tatbestand mit Grund subsummiert werden kann, vom Beamten bei der Ausreisekontrolle wahrgenommen wurde. Er sah den Reisepass der BF ohne
österreichischen Einreisestempel und kannte ihre Darstellung ihrer Einreise nach Österreich und ihres Ferienaufenthalts in Italien, den sie nicht ?belegen? konnte. Sie stellte sich auf der Rückreise in die
Heimat der Ausreisekontrolle. Für ihn war aus diesen Tatsachen nur erkennbar, dass sie sich auf der Durchreise durch Österreich befand, wofür sie kein Visum benötigte. Einen ? nach obigem Tatbestand nur strafbaren ? unberechtigten Aufenthalt ?in Österreich? hatte er nicht
selbst wahrgenommen. Ein diesbezügliches Geständnis der BF liegt auch
nicht vor. Sohin lagen die Voraussetzungen für die Einhebung einer Organstrafverfügung nicht vor.
Aus 1.3. geht hervor, dass der Beamte der BF wegen des fehlenden Einreisestempels ihre Darstellung der Einreise nach Österreich und wegen der unterbliebenen Glaubhaftmachung den angegebenen Ferienaufenthalt in Italien nicht glaubte. Erkennbar vermutete er deswegen einen ?längeren Aufenthalt? der BF in Italien (möglicherweise zu einer Arbeitstätigkeit), weshalb er offenbar von einem hiefür erforderlichen Aufenthaltstitel oder ein Schengenvisum (und nicht von
ihrer sichtvermerksfrei zulässigen Durchreise) ausging. Seine Annahme
war jedoch eine reine Vermutung, weil er keine objektiven Anhaltspunkte hatte, die auf eine solche Dauer und einen solchen Zweck
des Aufenthalts der BF, der einen Aufenthaltstitel oder ein Schengenvisum erforderlich gemacht hätte, mit Grund hätten schließen
lassen. Ihre eine sichtvermerksfreie Durchreise stützende Darstellung
?glaubte? er aus unzutreffenden Gründen nicht. Der fehlende Einreisestempel beweist nicht, dass die BF nicht mit dem Bus und einer
Reisegesellschaft am 7 7 2000 nach Österreich einreiste, weil selbst dann, wenn bei der Einreise tatsächlich alle Reisepässe kontrolliert wurden, was nur unterstellt aber wohl nicht bewiesen werden kann, nicht auszuschließen ist, dass der Eindruck des Stempels vergessen wurde. Aber selbst wenn er deshalb mit Grund hätte zweifeln dürfen, dass sie nicht an diesem Tag unter den genannten Umständen eingereist
sei, geht daraus noch nicht hervor, dass sie einen Aufenthaltstitel für Österreich benötigt hätte oder illegal nach Österreich eingereist
wäre. Auch die fehlende Glaubhaftmachung des Ferienaufenthalts in Italien indizierte nicht, dass sie zu einem Zweck durch Österreich nach Italien und zurück gereist und in Italien so lange oder zu einem
solchen Zweck aufhältig gewesen wäre, der sie verpflichtet hätte, ein
Visum zu erwerben. Diese ?Würdigung? von Tatsachen hat im Rahmen eines
?Verfahrens? vor der ?Erlassung? eines Organmandats keinesfalls stattzufinden, dies kommt ausschließlich der zuständigen Verwaltungsstrafbehörde zu. Der Beamte hat auch übersehen, dass er von
der BF - bei der Ausreisekontrolle in die Slowakei - nicht die Glaubhaftmachung ihres zurückliegenden Aufenthalts und dessen Zwecks in Italien verlangen durfte, weil dies im Gesetz nicht (wie etwa bei
der Einreisekontrolle) vorgesehen ist. Da ihre behauptete Einreise nach Österreich nicht durch einen Einreisestempel bewiesen war und sie
ihm ihren Ferienaufenthalt in Italien nicht glaubhaft machte, schloss
er auf ihren unrechtmäßigen Aufenthalt in Italien (siehe hiezu oben 1.3., insbesondere den letzten wiedergegebenen, kursiv hervorgehobenen
Satz seiner Zeugenaussage). Auch dies zeigt, dass er die ?Tat? nicht
selbst wahrgenommen hat, sondern sie nach einer unzutreffenden Schlussfolgerung vermutet hat. Gerade für die Ahndung einer nur vermuteten Tat steht die Organstrafverfügung nicht zur Verfügung. Nicht einmal der begründete Verdacht, der hier nicht erkennbar ist, reicht dazu aus. Der oben wiedergegebene Verwaltungsstraftatbestand bezieht sich auch auf einen Aufenthalt in Österreich und nicht im Ausland. Ob die BF in Italien unrechtmäßig aufhältig war, hatte der Beamte im gegebenen Zusammenhang nicht zu beurteilen. Aber selbst wenn
er daraus einen inländischen unrechtmäßigen Aufenthalt ableitete, beruhte dies nur auf einer Vermutung. Er ist offenbar rechtsirrig davon ausgegangen, dass die BF verpflichtet gewesen wäre, seine Vermutung zu widerlegen.
2.3. Ob auf die BF mit der behaupteten Drohung der Sperre des Reisepasses Druck zur Bezahlung der Geldstrafe ausgeübt wurde, was nach
der gegebenen Situation bei der Grenzkontrolle und Lage der Dinge jedenfalls nicht von Vornherein von der Hand zu weisen ist, braucht im
Hinblick auf das Ergebnis dieses Verfahrens nicht mehr beurteilt werden. Im Rahmen dieses Verfahrens hatte der Verwaltungssenat auch nicht zu überprüfen, ob der Beamte bei seiner rechtswidrigen Vorgangsweise schuldhaft gehandelt hatte.