TE Vfgh Erkenntnis 1998/12/3 KI-1/98

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Veröffentlicht am 03.12.1998
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6650 Flurverfassung

Norm

B-VG Art138 Abs1 lita
Tir FlVLG 1996 §37
ABGB §835

Leitsatz

Zuständigkeit der Agrarbehörde zur Vornahme einer Benützungsregelung betreffend eine Wegbenützung zur Bewirtschaftung einer Almhütte samt Jausenstation; keine Zuständigkeit der Gerichte zur Entscheidung über die Vereinbarkeit einer solchen Nutzungsregelung mit den agrarrechtlichen Vorschriften auch zur Vermeidung einer allfälligen Konkurrenz zwischen Gericht und Agrarbehörde

Spruch

Zur Entscheidung über das Begehren der Antragstellerin, eine (gerichtliche oder verwaltungsbehördliche) Regelung hinsichtlich der Benützung des auf den Grundstücken Nr. 2282/1, 2282/2 und 2282/3, jeweils in Einlagezahl 142, Grundbuch 86035 Steeg, befindlichen Weges vorzunehmen, ist das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz zuständig.

Der entgegenstehende Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz vom 22. Jänner 1998, Zl. IIIb1 - 1240 R/10-1998, wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, der Antragstellerin, zu Handen ihres Rechtsvertreters, die mit S 29.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Dem Parteienvorbringen und den vorgelegten Akten zufolge ist die Antragstellerin dieses Verfahrens auf Entscheidung eines Kompetenzkonfliktes (im folgenden: Einschreiterin) alleinige Eigentümerin der Grundstücke Nr. 2266, 2267, 2268 und 2269, jeweils in Einlagezahl (EZ) 490 des Grundbuches 86035 Steeg (Tirol). Auf dieser Fläche befindet sich die Almhütte und Jausenstation "Bockbachalm". Zu ihr führt ein Weg, der unter anderem über die Grundstücke Nr. 2282/1, 2282/2 und 2282/3 in EZ 142 verläuft.

Die Grundstücke der EZ 142 stehen - über die Mitgliedschaft bei der "Bockbach-Melkalp-Interessentschaft" (einer unregulierten Agrargemeinschaft - s. unten) - im Miteigentum einer Reihe von Personen, darunter auch zu 46/384 Anteilen in jenem der Einschreiterin. Dies deshalb, weil mit dem Eigentum an der EZ 490 (Stammsitzliegenschaft) ein Anteilsrecht in der genannten Höhe an den agrargemeinschaftlichen Grundstücken EZ 142 verbunden ist.

b)aa) Die Einschreiterin stellte mit Schriftsatz vom 20. Jänner 1997 beim Bezirksgericht Reutte den Antrag, ihr wolle

"die Benützung des auf den Gst.Nrn. 2282/1, 2282/2 und 2282/3 je in EZl. 142 der KG 86035 Steeg befindlichen Weges für die Bewirtschaftung der Almhütte samt Jausenstation 'Bockbachalm' auf Gst.Nrn. 2266, 2267, 2268 und 2269 je in EZl. 490 der KG Steeg uneingeschränkt bewilligt werden".

Als Antragsgegner wurden die übrigen Miteigentümer der EZ 142 bezeichnet.

Die Einschreiterin begründete ihren Antrag an das Bezirksgericht Reutte wie folgt:

"Die Antragstellerin hat den auf den Gst.Nrn. 2282/1, 2282/2 und 2282/3 in EZ 142 KG Steeg verlaufenden Weg immer schon gewerblich genutzt. Dieser Weg wurde, soweit er über die Gst.Nr. 2282/1, 2282/2 und 2282/3 führt, von der Antragstellerin auch selbst errichtet. Dieser Weg wird auch schon seit etlichen Jahren zur Bewirtschaftung der Almhütte und Jausenstation 'Bockbachalm' unbeanstandet benützt. Die Antragstellerin ist auch Miteigentümerin der vorgenannten Parzellen, auf denen sich der Zufahrtsweg befindet. Aufgrund der jahrelangen unbeanstandeten Übung ist davon auszugehen, daß jedenfalls eine stillschweigende Gebrauchsordnung bereits vorliegt. Aufgrund von Differenzen und Meinungsverschiedenheiten, die mit gegenständlicher Angelegenheit nicht in direktem Zusammenhang stehen, verweigern die übrigen Miteigentümer die Anerkennung dieser Regelung."

bb) Das Bezirksgericht Reutte wies mit Beschluß vom 14. Feber 1997, Zl. 2 Nc 22/97z, diesen Antrag auf Benützungsregelung wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück, weil die in Rede stehende Angelegenheit in die Zuständigkeit der Agrarbehörde falle.

Dem dagegen von der Einschreiterin erhobenen Rekurs gab das Landesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 4. Dezember 1997, Zl. 52 R 29/97i, keine Folge und begründete diese Entscheidung im wesentlichen folgendermaßen:

"Für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsweges und das einzuhaltende Verfahren kommt es (...) auf die Natur des Anspruches nach dem Tatsachenvorbringen der Antragstellerin an. Die Antragstellerin leitet ihren Anspruch allein aus ihrer Mitgliedschaft (Miteigentum) an der Bockbach-Melkalp-Interessentschaft, einer Agrargemeinschaft im Sinn des §34 TFLG (= Tiroler Flurverfassungslandesgesetz - s. unten) (...) ab und strebt eine Benützungsregelung für den über die agrargemeinschaftlichen Gst-Nr. 2282/1, 2282/2 und 2282/3 je in EZl. 142 KG Steeg ver-laufenden Weg für die Bewirtschaftung der Almhütte samt Jausenstation 'Bockbachalm' auf Gst-Nr. 2266, 2267, 2268 und 2269 je EZl. 490 KG Steeg in uneingeschränktem Ausmaß an. Bei einer gemeinschaftlichen Nutzung der Alpe durch die Mitglieder bzw. (Mit-)Eigentümer hat gemäß §37 Abs2 TFLG (LGBl. 74/1996) über Streitigkeiten, die zwischen den Mitgliedern einer Agrargemeinschaft untereinander aus dem Mitgliedschaftsverhältnis entstehen, die Agrarbehörde unter Ausschluß des Rechtsweges zu entscheiden."

c)aa) Daraufhin brachte die Einschreiterin beim Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz mit Schreiben vom 8. Jänner 1998 einen Antrag auf Vornahme einer Benützungsregelung ein. Dieser Antrag ist mit jenem, den sie an das Bezirksgericht Reutte gerichtet hatte (s.o. I.1.b.aa), inhaltsgleich; auch die Begründung der beiden Anträge ist ident.

bb) Das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz wies mit Bescheid vom 22. Jänner 1998, Zl. IIIb1 - 1240 R/10-1998, dieses Begehren als unzulässig zurück. Dem §37 Abs2 TFLG 1996 zufolge wäre die Zuständigkeit der Agrarbehörde nur dann gegeben, wenn der beantragten Vornahme einer Benützungsregelung eine im Mitgliedschaftsverhältnis wurzelnde Streitigkeit zwischen der Agrargemeinschaft bzw. deren Mitgliedern und der Antragstellerin zugrundeläge:

"Es ist ständige Rechtssprechung des Landesagrarsenates und pflichtet die erkennende Behörde auch den Ausführungen bei Lang, Tiroler Agrarrecht II, S 212 f, bei, daß die Agrarbehörde nicht schlechthin zur Entscheidung von allen Streitigkeiten zwischen einer Agrargemeinschaft und ihren Mitgliedern bzw. deren Mitgliedern untereinander zuständig ist. Eine die Zuständigkeit der Agrarbehörde zur Entscheidung bedingte Voraussetzung ist, daß sich der Streit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis ergeben muß. Eine Streitigkeit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis ist dadurch gekennzeichnet, daß sie Rechte (Pflichten) der Agrargemeinschaft gegenüber dem Mitglied und Rechte (Pflichten) des Mitgliedes gegenüber der Agrargemeinschaft zum Gegenstand hat. Somit kann nur das Gegenstand der Entscheidung der Agrarbehörde sein, was das Gesetz (TFLG), Regulierungspläne und Satzungen über das Mitgliedschaftsverhältnis bestimmen. Streitigkeiten, die über diesen Rahmen hinausgehen und mit dem Mitgliedschaftsverhältnis nichts mehr zu tun haben, sind gem. §1 JN vor den ordentlichen Gerichten auszutragen.

Eine Streitigkeit aus dem (agrarrechtlichen) Gemeinschaftsverhältnis liegt vor, wenn dieses für den geltend gemachten Anspruch dem Grunde nach bestimmend ist. Bei der Beurteilung, ob ein Streit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis vorliegt oder nicht, kann davon ausgegangen werden, daß ein solcher Streit dann nicht gegeben ist, wenn das Mitglied durch einen Außenstehenden, also ein Nichtmitglied ersetzt werden kann. Ist der Streit zwischen einer Agrargemeinschaft und dem Mitglied auch dann denkbar, so ist das Verhältnis zur Agrargemeinschaft nicht ausschlaggebend. Streitigkeiten, die ihrer Art nach nicht auf Mitglieder beschränkt sind und bei deren Entscheidung Mitglieder der Agrargemeinschaft auch keinen Vorrang gegenüber Nichtmitgliedern genießen, zählen nicht zu den Streitigkeiten aus dem Gemeinschaftsverhältnis.

Auf den vorliegenden Antrag bezogen, ergibt sich aus den eingangs getroffenen Sachverhaltsfeststellungen, daß für die gegenständliche Streitigkeit, deren Entscheidung in der Vornahme einer Benützungsregelung bestehen soll, das Mitgliedschaftsverhältnis der Antragstellerin zur Agrargemeinschaft 'Bockbach-Melkalp-Interessentschaft' ohne Belang ist. Die Streitigkeit ist für das Gemeinschaftsverhältnis in keiner Weise typisch, sie könnte ebenso zwischen der Agrargemeinschaft und einem Nichtmitglied entstanden sein.

Dem Grunde nach handelt es sich gegenständlich um eine dienstbarkeitsrechtliche Streitigkeit. Die Almhütte und Jausenstation 'Bockbachalm' befindet sich außerhalb der agrargemeinschaftlichen Grundstücke in EZ 142. Die 'Bockbachalm' könnte genausogut im Eigentum eines Nichtmitgliedes der Agrargemeinschaft 'Bockbach-Melkalp-Interessentschaft' stehen, von welchem das Bestehen eines Zufahrtsrechtes geltend gemacht wird. Eine aus der agrargemeinschaftlichen Anteilsnutzung erfließende Streitigkeit liegt jedenfalls nach Ansicht der erkennenden Behörde nicht vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war."

2. Mit der vorliegenden, auf Art138 Abs1 lita B-VG (§46 Abs1 VerfGG) gestützten Eingabe behauptet die Einschreiterin das Vorliegen eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen einem Gericht und einer Verwaltungsbehörde.

Sie stellt den Antrag, der Verfassungsgerichtshof

"wolle den vorliegenden Kompetenzkonflikt entscheiden und entweder die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Reutte oder des Amtes der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz zur Entscheidung über den Antrag auf Vornahme einer Benützungsregelung feststellen und der Gebietskörperschaft, deren Behörde ihre Kompetenz zu Unrecht abgelehnt hat, den Ersatz aller in diesem Verfahren von der Antragstellerin verzeichneten Prozeßkosten auferlegen, ...".

3.a) Das Landesgericht Innsbruck legte die bezughabenden Gerichtsakten erster und zweiter Instanz vor und gab eine Stellungnahme ab, in der es die Richtigkeit seines Beschlusses vom 4. Dezember 1997 verteidigt.

b) Das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor. Von der Erstattung einer schriftlichen Äußerung nahm es Abstand und verwies auf die in seinem Bescheid vom 22. Jänner 1998 vertretene Rechtsansicht.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Antrag ist zulässig:

Nach Art138 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden. Ein solcher Kompetenzkonflikt liegt vor, wenn ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde in derselben Sache angerufen wurden und beide Behörden eine Entscheidung in der Sache aus dem Grunde der Unzuständigkeit abgelehnt haben, eine aber zu Unrecht (verneinender Kompetenzkonflikt; §46 VerfGG, s. z. B. VfSlg. 13069/1992, 14553/1996).

Dies ist hier der Fall.

Der Entscheidungsgegenstand des gerichtlichen und des agrarbehördlichen Verfahrens war ident. Sowohl die Agrarbehörde als auch das Gericht haben die Zuständigkeit zur Erledigung des an sie gerichteten Begehrens abgelehnt.

Für die Zulässigkeit eines Antrages auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes ist nicht erforderlich, daß die Prozeßparteien in den zugrundeliegenden Verfahren den Instanzenzug ausgeschöpft haben (vgl. z.B. VfSlg. 3798/1960, 13030/1992, 13087/1992, 13824/1994).

2.a) Die für die Lösung des vorliegenden Kompetenzkonfliktes maßgebenden Bestimmungen finden sich im Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1996 (TFLG 1996), LGBl. 74. Die hier relevanten Vorschriften lauten:

"Agrargemeinschaftliche Grundstücke

§33. (1) Agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne dieses Gesetzes sind Grundstücke, die von allen oder mehreren Mitgliedern einer Gemeinde oder von den Mitgliedern einer Nachbarschaft, einer Interessentschaft, einer Fraktion oder einer ähnlichen Mehrheit von Berechtigten kraft einer mit einer Liegenschaft (Stammsitzliegenschaft) verbundenen oder einer persönlichen (walzenden) Mitgliedschaft gemeinschaftlich und unmittelbar für land- und forstwirtschaftliche Zwecke auf Grund alter Übung genutzt werden. ...

(2) ..."

"Agrargemeinschaften

§34. (1) Die Gesamtheit der jeweiligen Eigentümer der Liegenschaften, an deren Eigentum ein Anteilsrecht an agrargemeinschaftlichen Grundstücken gebunden ist (Stammsitzliegenschaften), bildet einschließlich jener Personen, denen persönliche (walzende) Anteilsrechte zustehen, eine Agrargemeinschaft.

(2) ..."

"Aufsicht über Agrargemeinschaften

§37.(1) Die Agrargemeinschaften unterliegen der Aufsicht durch die Agrarbehörde. Die Aufsicht erstreckt sich auf

a) die Einhaltung der Bestimmungen dieses Gesetzes und der Satzungen,

b) die Zweckmäßigkeit der Bewirtschaftung der agrargemeinschaftlichen Grundstücke und des sonstigen

Vermögens der Agrargemeinschaften.

(2) Über Streitigkeiten, die zwischen der Agrargemeinschaft und ihren Mitgliedern oder zwischen den Mitgliedern untereinander aus dem Mitgliedschaftsverhältnis entstehen, hat die Agrarbehörde unter Ausschluß des Rechtsweges zu entscheiden.

(3) ..."

§72 TFLG 1996 (betreffend die Zuständigkeit der Agrarbehörde im Zuge eines Zusammenlegungs-, Flurbereinigungs-, Teilungs- oder Regulierungsverfahrens) ist mangels Anhängigkeit eines solchen Verfahrens im vorliegenden Fall ohne Bedeutung.

b) Das Problem reduziert sich darauf, ob es sich beim Anliegen der Einschreiterin um eine Streitigkeit handelt, die aus dem Mitgliedschaftsverhältnis zur Agrargemeinschaft "Bockbach-Melkalp-Interessentschaft" entstanden ist (§37 Abs2 TFLG 1996). Das Gericht bejaht diese Frage; die Agrarbehörde verneint sie.

Der Verfassungsgerichtshof teilt die Auffassung des Gerichtes:

Die Einschreiterin hat im Außerstreitverfahren beim Bezirksgericht beantragt, ihr die uneingeschränkte Benützung eines Weges (für die Bewirtschaftung einer Almhütte samt Jausenstation) zu bewilligen. Die sich aus jahrelang unbeanstandet gebliebener Übung ergebende Gebrauchsordnung werde von den Miteigentümern nicht anerkannt. Nach Ansicht des Bezirksgerichts hat sie demnach eine rechtsgestaltende Benützungsregelung begehrt (wie sie im Außerstreitverfahren zu erfolgen hätte); es gehe darum, in welchem Ausmaß die Einschreiterin als Miteigentümerin die agrargemeinschaftliche Liegenschaft benützen dürfe (worüber aber im Zusammenlegungsverfahren die Agrarbehörde nach §72 Abs4 TFLG 1996 zu entscheiden habe). Das Landesgericht geht gleichfalls davon aus, daß die Einschreiterin ihren Anspruch allein aus ihrem Miteigentum und damit aus ihrer Mitgliedschaft an der Agrargemeinschaft ableitet (weshalb ohne Rücksicht auf die strittige Einbeziehung in ein Agrarverfahren die Zuständigkeit der Agrarbehörde nach §37 Abs2 TFLG 1996 begründet sei).

Den gleichartigen Antrag an die Agrarbehörde wertet diese als einen Streit um den Bestand oder Nichtbestand einer Dienstbarkeit.

Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Einschätzung durch die Agrarbehörde nicht. Auch vor ihr hat sich die Einschreiterin nicht auf eine (ihr eingeräumte oder von ihr ersessene) Dienstbarkeit berufen oder auf Einhaltung eines Vertrages gedrungen, sondern die der staatlichen Behörde eingeräumte Möglichkeit in Anspruch genommen, die Benutzung einer gemeinsamen Liegenschaft durch die Miteigentümer im Sinne der zu §835 ABGB entwickelten Rechtsprechung zu regeln ("Benützungsregelung"). Der Umstand, daß sie die Zweckmäßigkeit einer solchen Regelung durch den Hinweis auf eine "jahrelange unbeanstandete Übung" und die dadurch eingetretene "stillschweigende Genehmigung" dartut (deren Anerkennung die Miteigentümer jetzt eben verweigerten), kann am ausdrücklichen Begehren einer Benützungsregelung nichts ändern. Die Einschreiterin will nicht als Eigentümerin eines Nachbargrundstücks, die gleichsam zufällig auch Miteigentümerin ist, ein Recht auf der agrargemeinschaftlichen Liegenschaft erwerben oder erworben haben (wofür ihr Vorbringen auch keine Grundlage böte), sondern ihre Stellung als Miteigentümerin dazu verwenden, innerhalb der Agrargemeinschaft eine Benützungsregelung zu erwirken, die eine bessere Benutzung ihrer Stammsitzliegenschaft ermöglichen würde. Grundlage ihres Begehrens ist mithin ausschließlich das Miteigentum an der Liegenschaft und daher die Mitgliedschaft in der Agrargemeinschaft, Ziel des Antrags die Regelung des Verhältnisses der Mitglieder der Agrargemeinschaft zueinander in bezug auf die Benützung des agrargemeinschaftlichen Grundstücks.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich daher wesentlich von dem - weder in der Entscheidung des Gerichts noch in jener der Agrarbehörde erwähnten - Fall des Streites einer Agrargemeinschaft mit einem ihrer Mitglieder (VfSlg. 7799/1976), dem diese das Recht zur Errichtung eines Lifts eingeräumt hatte und das Bauvorhaben einstellen sollte, die ihm nach Meinung der Agrargemeinschaft nicht genehmigt worden seien, wofür der Verfassungsgerichtshof die ordentlichen Gerichte für zuständig erachtete (vgl. dazu die von der Agrarbehörde bezogenen Ausführungen von Lang, Tiroler Agrarrecht II, 1991, 212 f.).

Der Verfassungsgerichtshof hält es für ausgeschlossen, daß angesichts der Aufgabe der Agrarbehörde, die Zweckmäßigkeit der Bewirtschaftung der agrargemeinschaftlichen Grundstücke zu überwachen (§37 Abs1 litb TFLG 1996) und gegebenenfalls die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei solchen Grundstücken durch Regulierung vorzunehmen (§§41, 62 ff. und 71 TFLG 1996), neben Entscheidungen über Streitigkeiten aus dem Mitgliedschaftsverhältnis (§37 Abs2 TFLG 1996) auch eine Benützungsregelung durch die ordentlichen Gerichte treten könnte. Eine solche gerichtliche Benützungsregelung könnte in unlösbaren Widerspruch zu den genannten Aufgaben der Agrarbehörde geraten. Ob ein Mitglied der Agrargemeinschaft unter bloßer Berufung auf sein Mitgliedschaftsrecht erwirken kann, daß ihm die Benützung eines Weges für außerhalb der Agrargemeinschaft liegende Zwecke in Anrechnung auf seinen Anteil gestattet wird, und wie dann gegebenenfalls der erforderliche Ausgleich in bezug auf die Nutzungen der anderen Mitglieder erfolgt, hat daher die Agrarbehörde zu entscheiden, und zwar auch dann - bloß eben negativ -, wenn die gesetzlichen Vorschriften einer solchen Regelung der Nutzung entgegenstehen sollten. Es kann nicht Aufgabe der Gerichte sein, in Konkurrenz zur Agrarbehörde über die Vereinbarkeit einer solchen Nutzungsregelung mit den agrarrechtlichen Vorschriften zu befinden. Für die Zuständigkeit kommt es nicht darauf an, ob ein Anspruch begründet ist, sondern nur darauf, wer über ihn zu entscheiden hat.

c) Es sind folglich nicht die ordentlichen Gerichte, sondern die Agrarbehörden zur Entscheidung über die begehrte Benützungsregelung zuständig (§37 Abs2 TFLG 1996).

d) Der dieser Feststellung entgegenstehende Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz ist gemäß §51 VerfGG aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §52 erster Satz VerfGG. Der begehrte Streitgenossenzuschlag war nicht zuzusprechen.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 4.500,-- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Bodenreform, Flurverfassung, Agrarbehörden, Zuständigkeit, VfGH / Kompetenzkonflikt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:KI1.1998

Dokumentnummer

JFT_10018797_98K00I01_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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