TE UVS Wien 2008/03/07 03/P/36/11064/2007

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.03.2008
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch die Vorsitzende Dr. Rotter, den Berichter Mag. Fritz und den Beisitzer Mag. Pichler über die Berufung des (am 23.5.1981 geborenen) Herrn Mischeel B. gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat Josefstadt für die Bezirke 7, 8 und 9, vom 26.11.2007, Zl. S 173.902/J/07/Pre./Arz., betreffend Übertretung des Führerscheingesetzes, nach am 5.3.2008 durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

Gemäß § 65 VStG wird dem Berufungswerber kein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.

Text

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat Josefstadt für die Bezirke 7, 8 und 9, vom 26.11.2007 wurde der Berufungswerber (Bw) schuldig erkannt, er habe am 15.9.2007 um 23:22 Uhr in Wien, R-platz Kreuzung U-straße das Kraftfahrzeug mit dem behördlichen Kennzeichen W-65 gelenkt, obwohl er nicht im Besitz einer gültigen inländischen Lenkberechtigung der Klasse B zum Lenken des gegenständlichen Fahrzeuges gewesen sei. Der Bw habe dadurch § 1 Abs 3 des Führerscheingesetzes (FSG 1997) verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über den Bw gemäß § 37 Abs 1 und 3 Z 1 FSG 1997 eine Geldstrafe in der Höhe von 2.180,-- Euro, falls diese uneinbringlich sei, eine Ersatzfreiheitsstrafe von 42 Tagen, verhängt. Gleichzeitig wurden die vom Bw zu ersetzenden Verfahrenskosten mit 218,-- Euro bestimmt.

Zur Begründung dieses Straferkenntnisses stützte sich die Erstbehörde auf die Anzeige vom 15.7.2007 (richtig: vom 17.9.2007), welche aufgrund eigener dienstlicher Wahrnehmung erstattet worden sei. Der Bw habe sich im erstinstanzlichen Verfahren nicht gerechtfertigt, weshalb das Verfahren ohne seine Anhörung durchgeführt habe werden müssen. Da kein Grund gefunden worden sei, die Glaubwürdigkeit der Angaben in Zweifel zu ziehen, sei sohin spruchgemäß zu entscheiden gewesen. Strafmildernd habe kein Umstand gewirkt, erschwerend seien hingegen 13 einschlägige verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen gewesen. Es sei von durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen ausgegangen worden; Sorgepflichten hätten nicht berücksichtigt werden können. Das Strafausmaß entspreche dem Unrechtsgehalt der vorliegenden Verwaltungsübertretung.

In seiner gegen dieses Straferkenntnis innerhalb offener Frist erhobenen Berufung brachte der Bw vor, die Anzeige sei zurückzunehmen, da er im Besitz einer gültigen Lenkberechtigung sei (Führerschein mit der Nr. CO 10 AMNED 01, ausgestellt am 12.3.2007 in Berlin).

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien holte im Zuge des Berufungsverfahrens Auskünfte verschiedener Stellen ein (Meldeanfrage, Anfrage an den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, Ersuchen an das Verkehrsamt um Übermittlung der dort aufliegenden Akten des Bw) und führte am 5.3.2008 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu der der Bw unentschuldigt nicht erschienen ist. In dieser Verhandlung wurde der Berufungsbescheid mündlich verkündet.

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat erwogen:

Die Richtlinie Nr. 91/439/EWG des Rates vom 29.7.1991, ABl. Nr. L 237/1 vom 24.8.1991 in der Fassung der Richtlinie 2006/103/EG des Rates vom 20.11.2006, Abl. Nr. L 363 vom 20.12.2006 (in der Folge: Führerschein-RL), welche unter anderem dem Zweck dient, einen Beitrag zur gemeinsamen Verkehrspolitik zu leisten, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern und die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedsstaat als dem niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben, enthält folgende Bestimmungen:

"Artikel 1

(1) Die Mitgliedstaaten stellen den einzelstaatlichen Führerschein gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie nach dem EG-Muster im Anhang I oder Ia aus.

(2) Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.

...

Artikel 7

(1) Die Ausstellung des Führerscheins hängt außerdem ab

a) vom Bestehen einer Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen, vom Bestehen einer Prüfung der Kenntnisse und von der Erfüllung gesundheitlicher Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III;

b) vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student - während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten - im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats.

...

(5) Jede Person kann nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein.

Artikel 8

(1) Hat der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet, so kann er einen Antrag auf Umtausch seines Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen; es ist Sache des umtauschenden Mitgliedstaats, gegebenenfalls zu prüfen, ob der vorgelegte Führerschein tatsächlich gültig ist.

(2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.

...

(4) Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde. Ein Mitgliedstaat kann es außerdem ablehnen, einem Bewerber, auf den eine solche Maßnahme in einem anderen Mitgliedstaat angewendet wurde, einen Führerschein auszustellen.

(5) Die Ersetzung eines Führerschein infolge insbesondere von Verlust und Diebstahl kann bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats erlangt werden, in dem der Führerscheininhaber seinen ordentlichen Wohnsitz hat; ...

Artikel 9

Im Sinne dieser Richtlinie gilt als ordentlicher Wohnsitz der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder - im Falle eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen - wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt. ..."

Die hier wesentlichen Bestimmungen des FSG 1997, in der Fassung

BGBl. I Nr. 152/2005, lauten:

?§ 1

...

(3) Das Lenken eines Kraftfahrzeuges und das Ziehen eines Anhängers ist, ausgenommen in den Fällen des Abs 5, nur zulässig mit einer von der Behörde erteilten gültigen Lenkberechtigung für die Klasse oder Unterklasse (§ 2), in die das Kraftfahrzeug fällt. Das Lenken von Feuerwehrfahrzeugen gemäß § 2 Abs 1 Z 28 KFG 1967 ist jedoch außerdem mit einer Lenkberechtigung für die Klasse B in Verbindung mit einem Feuerwehrführerschein (§ 32a) zulässig. Weiters ist das Ziehen von anderen als leichten Anhängern, die gemäß § 2 Abs 1 Z 28 KFG 1967 Feuerwehrfahrzeuge sind, mit Zugfahrzeugen für die Klassen C oder D oder die Unterklasse C1 zulässig, wenn der Besitzer einer Lenkberechtigung für die Klasse B+E einen Feuerwehrführerschein (§ 32a) besitzt.

(4) Eine von einer zuständigen Behörde eines EWR-Staates ausgestellte Lenkberechtigung ist einer Lenkberechtigung gemäß Abs 3 gleichgestellt. Das Lenken von Kraftfahrzeugen mit einer solchen Lenkberechtigung ist jedoch nur zulässig, wenn der Lenker das in § 6 Abs 1 genannte Mindestalter erreicht hat. Das Lenken eines Kraftfahrzeuges mit einer in einem Nicht-EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung ist nur im Rahmen der Bestimmungen des § 23 zulässig.

§ 3

(1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

1. das für die angestrebte Klasse erforderliche Mindestalter erreicht haben (§ 6),

2.

verkehrszuverlässig sind (§ 7),

3.

gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),

 4. fachlich zum Lenken eines Kraftfahrzeuges befähigt sind (§§ 10 und 11) und

 5. den Nachweis erbracht haben, in lebensrettenden Sofortmaßnahmen bei einem Verkehrsunfall oder, für die Lenkberechtigung für die Klasse D, in Erster Hilfe unterwiesen worden zu sein.

(2) Personen, denen eine Lenkberechtigung mangels Verkehrszuverlässigkeit entzogen wurde, darf vor Ablauf der Entziehungsdauer keine Lenkberechtigung erteilt werden.

...

§ 30

(1) Besitzern von ausländischen Lenkberechtigungen kann das Recht, von ihrem Führerschein in Österreich Gebrauch zu machen, aberkannt werden, wenn Gründe für eine Entziehung der Lenkberechtigung vorliegen. Die Aberkennung des Rechts, vom Führerschein Gebrauch zu machen, ist durch ein Lenkverbot entsprechend § 32 auszusprechen. Für die Aberkennung ist die Behörde zuständig, in deren örtlichem Wirkungsbereich der Führerscheinbesitzer seinen Aufenthalt hat; sie hat den Führerschein abzunehmen und bis zum Ablauf der festgesetzten Frist oder bis zur Ausreise des Besitzers zurückzubehalten, falls nicht gemäß Abs 2 vorzugehen ist. Hat der betroffene Lenker keinen Wohnsitz (§ 5 Abs 1 Z 1) in Österreich, ist seiner Wohnsitzbehörde auf Anfrage von der Behörde, die das Verfahren durchgeführt hat, Auskunft über die Maßnahme der Aberkennung zu erteilen.

(2) Betrifft das Verfahren gemäß Abs 1 den Besitzer eines Führerscheines, der in einem Staat ausgestellt wurde, der Vertragspartei eines Übereinkommens über die gegenseitige Anerkennung einer Maßnahme bei Verkehrsdelikten ist, so ist dessen Führerschein zusammen mit einer Sachverhaltsdarstellung an den Herkunftstaat zu übermitteln, wenn die Aberkennung auf Grund eines in diesem Übereinkommen genannten Deliktes erfolgt ist.

(3) Betrifft das Verfahren gemäß Abs 1 den Besitzer einer in einem EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung, der seinen Wohnsitz (§ 5 Abs 1 Z 1) nach Österreich verlegt hat, so hat die Behörde eine Entziehung auszusprechen und den Führerschein des Betroffenen einzuziehen und der Ausstellungsbehörde zurückzustellen. Nach Ablauf der Entziehungsdauer hat der Betroffene einen Antrag auf Ausstellung und Ausfolgung eines österreichischen Führerscheines gemäß § 15 Abs 3 zu stellen, oder, falls die Entziehungsdauer mehr als 18 Monate war, auf Erteilung einer österreichischen Lenkberechtigung.

§ 37

(1) Wer diesem Bundesgesetz, den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen, Bescheiden oder sonstigen Anordnungen zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist, sofern in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist, mit einer Geldstrafe von 36 Euro bis zu 2 180 Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen. Zuwiderhandlungen gegen Bestimmungen nach diesem Bundesgesetz, die einen bestimmten Alkoholgrenzwert zum Lenken oder Inbetriebnehmen von Kraftfahrzeugen festlegen, sind unbeschadet des Abs 3 Z 3 jedoch nur dann zu bestrafen, wenn keine Übertretung der StVO 1960 oder des § 37a vorliegt. Dies gilt auch für Zuwiderhandlungen, die auf dem Wege von einer österreichischen Grenzabfertigungsstelle, die auf ausländischem Gebiet liegt, zur Staatsgrenze begangen werden. Auch der Versuch einer solchen Zuwiderhandlung ist strafbar.

...

(3) Eine Mindeststrafe von 363 Euro ist zu verhängen für das Lenken

1. eines Kraftfahrzeuges entgegen der Bestimmung des § 1 Abs 3, sofern der Lenker überhaupt keine gültige Klasse von Lenkberechtigungen besitzt, ...?

Dem gegenständlichen Verfahren liegt eine Anzeige des Insp. F. vom 17.9.2007 zugrunde. Nach dem Inhalt dieser Anzeige habe am 15.9.2007 um 23:22 Uhr im Zuge des motorisierten Streifendienstes der Bw als Lenker des Fahrzeuges mit dem Kennzeichen W-65 vom Meldungsleger (und Herr RvI W.) in Wien, R-platz, Kreuzung U-straße zu einer Verkehrskontrolle angehalten werden können. Im Zuge der Lenker- und Fahrzeugkontrolle habe sich der Bw mit einem deutschen Führerschein mit der Nr. C010AMNED01, ausgestellt in Berlin ausgewiesen. Auf die Frage, warum er als österreichischer Staatsbürger einen deutschen Führerschein besäße, habe er sinngemäß angegeben, er habe den Führerschein in Deutschland gemacht, weil er dort ca. ein halbes Jahr lang gelebt habe. Er sei erst seit kurzem wieder in Österreich und lebe derzeit zu gleichen Teilen in Deutschland und Österreich. Er habe noch nie einen österreichischen Führerschein besessen, da er wissentlich aufgrund seiner Strafen keinen bekomme. Er sei deshalb nach Deutschland gefahren, um dort einen zu machen. Er habe nicht gewusst, dass sein deutscher Führerschein in Österreich nicht als Lenkberechtigung gelte.

Eine EKIS-Anfrage im zentralen Führerscheinregister habe ergeben, dass es für den Bw eine Abweisung eines Antrages einer Lenkberechtung der Klassen A und B gebe. Da der Bw in Österreich ein Fahrzeug gelenkt habe, ohne die entsprechende Lenkberechtigung zu besitzen, werde er gemäß § 1 Abs 3 FSG 1997 zur Anzeige gebracht. Ebenso habe er sich als Fahrzeuglenker nicht über die geltenden Bestimmungen, die das Lenken eines Kraftfahrzeuges betreffen, informiert. Weitere Erhebungen hätten ergeben, dass der Bw bereits mehrfach Fahrzeuge gelenkt habe, ohne eine gültige Lenkberechtigung zu besitzen. Diesbezüglich seien auch noch Strafakte ausständig. Es bestehe der dringende Verdacht, dass der Bw einen deutschen Führerschein gemacht habe, um auch in Österreich ein Fahrzeug zu lenken und so seine Abweisung des Führerscheinantrages zu umgehen. Der Bw sei über die rechtliche Situation aufgeklärt und von den Anzeigen in Kenntnis gesetzt worden; weiters sei ihm die Weiterfahrt untersagt worden.

Aus dem im erstinstanzlichen Akt einliegenden Vorstrafenverzeichnis geht hervor, dass der Bw in den Jahren 2004 bis 2006 13 mal wegen Übertretungen des § 1 Abs 3 FSG 1997 (rechtskräftig) bestraft worden ist (und auch noch wegen weiterer Übertretungen, etwa nach § 20 Abs 2 StVO 1960, nach § 38 Abs 5 StVO 1960, nach § 5 Abs 1 StVO 1960).

Im erstinstanzlichen Verwaltungsstrafakt liegt auch (auf den AS 23-25) eine Auflistung der Bundespolizeidirektion Wien ein, auf der in 20 Punkten von ?Abweisung? und ?Entziehung? (unter Angabe entsprechender Aktenzahlen) die Rede ist.

Der Bw hat im erstinstanzlichen Verwaltungsstrafverfahren zu dem gegen ihn erhobenen Tatvorwurf keine Rechtfertigung abgegeben. In der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses wird mit keinem Wort der ? vom Bw bei der gegenständlichen Verkehrskontrolle vorgezeigte - deutsche Führerschein erwähnt.

Aus den vom Verkehrsamt beigeschafften (den Bw betreffenden) Verwaltungsakten geht hervor, dass das Verkehrsamt mit Schreiben (vom 22.10.2007 und 20.12.2007) die Fahrerlaubnisbehörde Berlin um Bekanntgabe ersucht hat, wann der deutsche Führerschein mit der Nr. C010AMNED01 tatsächlich ausgestellt worden sei. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, vom 20.11.2000, Zl. III-A 11921/VA/00, war der Antrag des Bw vom 26.5.1999 auf Erteilung einer Lenkberechtigung für die Klassen A und B gemäß § 3 Abs 1 Z 2 FSG 1997 abgewiesen worden. In der Begründung dieses Bescheides war darauf hingewiesen worden, dass der Bw vom Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt zur Zl. S 44686/00 wegen zweier Übertretungen nach § 1 Abs 3 FSG 1997 angezeigt worden sei, weil er am 25.3.2000 ohne gültige Lenkberechtigung ein Kraftfahrzeug gelenkt habe; das anhängige Verwaltungsstrafverfahren habe noch nicht zum Abschluss gebracht werden können. Weiters habe er am 3.10.1999 ein Kraftfahrzeug gelenkt, ohne im Besitz einer gültigen Lenkberechtigung gewesen zu sein. Diesbezüglich sei er von der BH We. wegen einer Übertretung gemäß § 1 Abs 3 FSG 1997 rechtskräftig bestraft worden. Gemäß § 3 Abs 1 Z 2 FSG 1997 dürfe unter anderem die Lenkberechtigung nur an Personen erteilt werden, die verkehrszuverlässig seien. § 7 Abs 1 FSG 1997 lege fest, dass eine Person nur dann als verkehrszuverlässig gelte, wenn nicht aufgrund bestimmter Tatsachen und ihrer Wertung angenommen werden müsse, dass sie aufgrund ihrer Sinnesart die Verkehrssicherheit gefährden werde, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr durch Trunkenheit oder durch einen durch Suchtgift oder Medikamente beeinträchtigten Zustand. Ein neuerliches Ansuchen könnte frühestens in zwölf Monaten, gerechnet ab Zustellung dieses Bescheides, positiv erledigt werden, wenn er sich bis dahin in jeder Hinsicht einwandfrei verhalten habe.

Am 11.1.2008 richtete die Berufungsbehörde an das Verkehrsamt das folgende Schreiben:

?Am 15.9.2007 wurde Herr B. Mischeel als Lenker des Fahrzeuges mit dem Kennzeichen W-65 zu einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle angehalten. Er hat einen deutschen Führerschein mit der Nr. C010AMNED01 (ausgestellt in Berlin) vorgelegt.

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 26.11.2007 (Kopie liegt bei) wurde Herr B. Mischeel wegen Übertretung des § 1 Abs 3 Führerscheingesetz 1997 schuldig erkannt und über ihn eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Dagegen hat er berufen (liegt bei).

In der Anzeige (liegt in Kopie bei) wird auf Seite 2 zweiter Absatz angemerkt, für Herrn B. Mischeel gebe es im Zentralen Führerscheinregister eine Abweisung eines Antrages einer Lenkberechtigung der Klasse A und B. In dem vom Verkehrsamt vorgelegten Akt findet sich ein solcher abweisender Bescheid vom 20.11.2000. Aus dem vorgelegten Akt ergibt sich kein Hinweis darauf, dass Herr B. Mischeel jemals bisher in Österreich eine Lenkberechtigung besessen

hätte.

Im Hinblick auf die Richtlinie 91/439 EWG des Rats vom 29.7.1991 über den Führerschein (Führerschein-Richtlinie) darf ich um Mitteilung ersuchen, ob es auch nach dortigem Wissensstand tatsächlich so ist, dass Herr B. Mischeel bisher in Österreich noch keine Lenkberechtigung besessen hat. Auf einer im Akt einliegenden Liste (liegt bei) ist an mehreren Stellen von Entziehung die Rede und Geschäftszahlen angeführt. Da Herr B. Mischeel ja offenbar in Österreich noch keine Lenkberechtigung besessen hat, gehe ich davon aus, dass es auch keinen Entziehungsbescheid (einer in Österreich erteilten Fahrerlaubnis) noch gibt. Es ergibt sich aus dem vorgelegten Akt auch kein Hinweis darauf, dass gegen Herrn B. Mischeel Fahrverbote ausgesprochen worden wären (§ 30, 32 FSG 1997). Da im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren zu prüfen ist, ob Herr B. Mischeel aufgrund des vorgelegten deutschen Führerscheines zum Lenken eines Fahrzeuges berechtigt gewesen ist, darf ich um eine Äußerung zu den oben aufgeworfenen Fragen ersuchen. Gleichzeitig darf ich um Mitteilung ersuchen, wenn ein Antwortschreiben der Fahrerlaubnisbehörde Berlin (zur dortigen Anfrage, wann der deutsche Führerschein mit der Nr. C010AMNED01 ausgestellt worden sei) einlangt.?

Mit Antwortschreiben vom 18.1.2008 teilte die Bundespolizeidirektion Wien, Sicherheits- und Verkehrspolizeiliche Abteilung, Verkehrsamt, mit, dass der Bw noch nie im Besitz einer österreichischen Lenkberechtigung gewesen sei. Im zentralen Führerscheinregister werde lediglich jedes hier einlangende Schriftstück unter einer ?Entzugszahl? registriert, welches als Grund bzw. Voraussetzung gewertet werden könnte, um ein Entzugsverfahren einzuleiten, sollte der Betroffene im Besitz einer Lenkberechtigung sein bzw. diese erwerben wollen. Weiters werde mitgeteilt, dass dem Bw eine Fahrerlaubnis der Klasse B, M, S, L am 12.3.2007 nach bestandener Prüfung von Berlin erteilt worden sei.

Laut einer Auskunft aus dem zentralen Melderegister war der Bw in der Zeit vom 16.10.2006 bis 8.1.2007 in Wien, S-gasse (mit Hauptwohnsitz) gemeldet. In der Zeit vom 3.5.2007 bis 14.6.2007 war er im Polizeianhaltezentrum (in Wien, R-Lände). Ab 3.8.2007 scheint wieder die Anschrift Wien, S-gasse als Hauptwohnsitz des Bw auf. Wie das Verkehrsamt mitgeteilt hat, wurde dem Bw am 12.3.2007 in Berlin eine Fahrerlaubnis der Klasse (u.a.) B erteilt. Der Bw ist zur mündlichen Verhandlung am 5.3.2008 unentschuldigt nicht erschienen. Er konnte daher nicht näher befragt werden, über welchen Zeitraum hindurch er sich in Deutschland aufgehalten haben will (bzw. an welcher deutschen Adresse er gemeldet gewesen sein solle).

In der dem gegenständlichen Verfahren zugrunde liegenden Anzeige vom 17.9.2007 wird zum Ausdruck gebracht, es bestehe der Verdacht, dass der Bw seinen deutschen Führerschein nur gemacht habe, um auch in Österreich ein Fahrzeug zu lenken und so seine Abweisung des Führerscheinantrages zu umgehen (im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Antrag des Bw im Hinblick auf die Vielzahl seiner einschlägigen Vormerkungen von der zuständigen Behörde gemäß § 3 Abs 1 Z 2 FSG 1997 iVm § 7 Abs 3 Z 6 lit b FSG 1997 abgewiesen worden wäre, geht es doch im vorliegenden Fall allein um die Frage, ob der Bw zur Tatzeit an der Tatörtlichkeit ein Fahrzeug gelenkt hat, ohne im Besitz einer gültigen Lenkberechtigung der Klasse B gewesen zu sein oder nicht). Anzumerken ist, dass vom Meldungsleger übersehen worden sein dürfte, dass gemäß § 1 Abs 4 FSG 1997 eine von einer zuständigen Behörde eines EWR-Staates (wie im vorliegenden Fall: Deutschland) ausgestellte Lenkberechtigung einer Lenkberechtigung gemäß Abs 3 gleichgestellt ist.

Auch brauchte von der Berufungsbehörde nicht näher überprüft zu werden, ob der Bw tatsächlich vor Erlangung seines Führerscheines in Berlin seinen Wohnsitz nach Deutschland verlegt gehabt hat (siehe dazu Art. 9 der Führerschein-RL). In diesem Zusammenhang ist nämlich auf das Urteil des EuGH vom 29.4.2004 in der Rechtssache C-476/01, Felix Kapper hinzuweisen, in dem er Folgendes ausgeführt hat:

?45. Nach ständiger Rechtsprechung sieht Artikel 1 Abs 2 der Richtlinie 91/439 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor (Urteile Skanavi und Chryssanthakopoulos, Randnr. 26, sowie Awoyemi, Randnr. 41). Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klare und genaue Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen lässt, die zu ergreifen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen (Urteile Awoyemi, Randnr. 42, und vom 10. Juli 2003 in der Rechtssache C246/00, Kommission/Niederlande, Slg. 2003, I7485, Randnr. 61).

46. Der Gerichtshof hat im Urteil Kommission/Niederlande bereits ausdrücklich die Möglichkeit für den Aufnahmemitgliedstaat ausgeschlossen, Verfahren der systematischen Kontrolle einzuführen, die gewährleisten sollen, dass die Inhaber von Führerscheinen, die von anderen Mitgliedstaaten ausgestellt wurden, die in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 9 der Richtlinie 91/439 vorgesehene Voraussetzung eines Wohnsitzes im Ausstellungsmitgliedstaat tatsächlich erfüllt haben. In Randnummer 75 dieses Urteils hat der Gerichtshof nämlich entschieden, dass die Behörden, die einen Führerschein ausstellen, zu prüfen haben, ob der Antragsteller seinen ordentlichen Wohnsitz in dem Staat hat, der diesen Führerschein ausstellt, und dass der Besitz eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins als Nachweis dafür anzusehen ist, dass der Inhaber des Führerscheins die in der Richtlinie 91/439 vorgesehenen Voraussetzungen für die Ausstellung erfüllt hat. Folglich verstößt der Aufnahmemitgliedstaat gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen, wenn er vom Führerscheininhaber verlangt, dass er den Nachweis führt, dass er die in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 9 der Richtlinie 91/439 vorgesehenen Voraussetzungen tatsächlich erfüllt hat.

47. Daraus folgt, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine es dem Aufnahmemitgliedstaat auch verbietet, bei einer in seinem Hoheitsgebiet vorgenommenen Straßenverkehrskontrolle die Anerkennung eines Führerscheins, der dem Führer eines Kraftfahrzeugs von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurde, mit der Begründung zu verweigern, dass der Inhaber des Führerscheins nach den Informationen, über die der Aufnahmemitgliedstaat verfügt, zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats und nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellungsstaats gehabt habe (Beschluss vom 11. Dezember 2003 in der Rechtssache C408/02, Silva Carvalho, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 22). Denn wie der Generalanwalt in Nummer 44 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, gelten die in Randnummer 75 des Urteils Kommission/Niederlande enthaltenen Erwägungen, die sich auf den systematischen Nachweis der Wohnsitzvoraussetzung durch den Führerscheininhaber im Rahmen eines Verfahrens zur Registrierung des Führerscheins in einem anderen als dem ausstellenden Mitgliedstaat beziehen, auch für die gelegentlichen Überprüfungen und Ermittlungen, die dieser Mitgliedstaat vornimmt, um entscheiden zu können, ob er den Führerschein anerkennt oder nicht.

48. Da die Richtlinie 91/439 dem Ausstellungsmitgliedstaat eine ausschließliche Zuständigkeit verleiht, sich zu vergewissern, dass die Führerscheine unter Beachtung der in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 9 dieser Richtlinie vorgesehenen Wohnsitzvoraussetzung ausgestellt werden, ist es allein Sache dieses Mitgliedstaats, geeignete Maßnahmen in Bezug auf diejenigen Führerscheine zu ergreifen, bei denen sich nachträglich herausstellt, dass ihre Inhaber diese Voraussetzung nicht erfüllt haben. Hat ein Aufnahmemitgliedstaat ernsthafte Gründe, die Ordnungsmäßigkeit eines oder mehrerer von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellter Führerscheine zu bezweifeln, so hat er dies dem anderen Mitgliedstaat im Rahmen der gegenseitigen Unterstützung und des Informationsaustauschs nach Artikel 12 Absatz 3 der Richtlinie mitzuteilen. Falls der Ausstellungsmitgliedstaat nicht die geeigneten Maßnahmen ergreift, könnte der Aufnahmemitgliedstaat gegen diesen Staat gegebenenfalls ein Verfahren nach Artikel 227 EG einleiten, um den Gerichtshof einen Verstoß gegen die Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/439 feststellen zu lassen.?

Der Bw hat zur Tatzeit an der Tatörtlichkeit ein Fahrzeug gelenkt gehabt. Nach dem Anzeigeinhalt hat sich der Bw mit dem deutschen Führerschein mit der Nr. C010AMNED01 ausgewiesen. Mit Schreiben vom 18.1.2008 teilte das Verkehrsamt Wien mit, dass dem Bw am 12.3.2007 eine Fahrerlaubnis u.a. der Klasse B nach bestandener Prüfung in Berlin erteilt worden sei. Das Verkehrsamt wies weiters darauf hin, dass der Bw noch nie im Besitz einer österreichischen Lenkberechtigung gewesen sei (d.h. dem Bw ist nach der Aktenlage also auch noch nie eine österreichische Lenkberechtigung entzogen worden). Der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses lässt sich nicht entnehmen, aus welchen Gründen die Erstbehörde davon ausgeht, der Bw wäre zur Tatzeit aufgrund des von ihm vorgewiesenen deutschen Führerscheines nicht (iSd § 1 Abs 4 FSG 1997) berechtigt gewesen, ein Kraftfahrzeug zu lenken. In der dem gegenständlichen Verfahren zugrunde liegenden Anzeige wird darauf hingewiesen, dass der Bw schon mehrmals Fahrzeuge gelenkt hat, ohne eine gültige Lenkberechtigung zu besitzen. Es bestehe der Verdacht, dass er einen deutschen Führerschein gemacht habe, um auch in Österreich ein Fahrzeug zu lenken und so seine Abweisung des Führerscheinantrages zu umgehen. Der Meldungsleger ist offenbar davon ausgegangen, dass der ihm vorgewiesene deutsche Führerschein des Bw diesen nicht dazu berechtige, in Österreich ein Fahrzeug zu lenken, weil dieser zuvor schon mehrmals wegen Übertretungen des § 1 Abs 3 FSG 1997 bestraft worden ist und ein vom Bw in Österreich gestellter Antrag auf Erteilung einer Lenkberechtigung wohl abschlägig beschieden worden wäre. Damit hat der Meldungsleger (wie erwähnt, hat die Erstbehörde ihr Straferkenntnis, außer dem Hinweis, dass sie sich auf die Anzeige stütze und der Bw keine Rechtfertigung abgegeben habe, nicht näher begründet) aber die Rechtslage verkannt, lässt sich doch für die Annahme, die Gültigkeit einer in einem anderen EWR-Staat ausgestellten Lenkberechtigung sei nicht anzuerkennen, wenn der betreffende Lenker im Bundesgebiet zuvor schon mehrmals wegen Übertretungen des § 1 Abs 3 FSG 1997 bestraft worden ist (nochmals ist darauf hinzuweisen, dass der Bw bisher noch nie eine österreichische Lenkberechtigung besessen hat; es war ihm daher vor dem Vorfallszeitpunkt eine österreichische Lenkberechtigung auch nicht entzogen gewesen), keine gesetzliche Grundlage finden. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang auf das Verfahren gemäß § 30 FSG 1997 hinzuweisen.

Hinweise darauf, dass der Bw nicht in Deutschland einen Fahrkurs besucht und dort eine Prüfung absolviert habe und ihm dort von der zuständigen Behörde eine Lenkberechtigung ausgestellt worden sei, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Unter Bedachtnahme auf die obigen Ausführungen ist somit davon auszugehen, dass der im Straferkenntnis erhobene Tatvorwurf (Lenken eines Fahrzeuges, ohne im Besitz einer ?gültigen inländischen Lenkberechtigung der Klasse B? gewesen zu sein) zu Unrecht erhoben worden ist, sodass der Berufung Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren spruchgemäß einzustellen war. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 65 VStG.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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