TE Vfgh Erkenntnis 1998/12/11 V231/97

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Veröffentlicht am 11.12.1998
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Index

60 Arbeitsrecht
60/03 Kollektives Arbeitsrecht

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsumfang
VfGG §57 Abs1
Betriebsrats-GeschäftsO 1974 §63
ArbVG §105
ArbVG §161 Abs1

Leitsatz

Keine Gesetzwidrigkeit der Konkretisierung der Fünftagefrist des ArbVG für die Abgabe einer Stellungnahme des Betriebsrates zu einer beabsichtigten Kündigung in der Betriebsrats-GeschäftsO 1974

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Das Oberlandesgericht Wien beantragt die Aufhebung des §63 Abs1 der vom Bundesminister für soziale Verwaltung erlassenen Betriebsrats-Geschäftsordnung 1974 in der Fassung der Verordnungen BGBl. 364/1987, 690/1990 und 814/1993, in eventu (für den Fall, daß er mittlerweile aufgehoben wird) den Ausspruch, daß §63 Abs1 verfassungwidrig war. Diese Verordnungsbestimmung, die in der Stammfassung BGBl. 355/1974 in Geltung steht, und abweichend von der sonst eingehaltenen Ordnung - wohl versehentlich - keine eigene Überschrift führt, bezieht sich auf die Regelung über die Anfechtung von Kündigungen in §105 Arbeitsverfassungsgesetz und lautet:

"Für die Berechnung der Frist von fünf Arbeitstagen, innerhalb der der Betriebsrat zu einer beabsichtigten Kündigung Stellung nehmen kann, sind nur solche Tage heranzuziehen, an denen auf Grund der betrieblichen Arbeitszeiteinteilung die Mehrzahl der Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt ist."

1. Das antragstellende Gericht hat über die Berufung gegen ein Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien zu entscheiden, worin festgestellt wird, das Dienstverhältnis der Klägerin bestehe ungeachtet einer ausgesprochenen Kündigung fort, weil diese Kündigung vor Ablauf der in §105 Abs1 ArbVG vorgesehenen (Sperr-)Frist von fünf Arbeitstagen nach Verständigung des Betriebsrates von der beabsichtigten Kündigung ausgesprochen worden sei. Der beklagte Verein betreibe eine Einrichtung zur Betreuung von Kindern mit durchlaufendem Dienst, weshalb die Erzieher und das Küchenpersonal - anders als die Reinigungskräfte, die Näherin, die Wäscherin und die beiden Hausarbeiter - auch an Samstagen und Sonntagen beschäftigt würden, an denen allerdings von sieben Kindergruppen höchstens drei bis vier anwesend seien. An dem in die Frist fallenden Wochenende seien samstags drei und sonntags sechs Erzieher und das Küchenpersonal im Dienst gewesen, an den beiden vorangegangenen Tagen jeweils neun Erzieher und auch das Verwaltungspersonal und die sonstigen Hilfsdienste. Das Erstgericht habe diesen Sachverhalt dahin beurteilt, daß am Wochenende weniger als die Hälfte der sonst üblicherweise beschäftigten Arbeitnehmer tätig gewesen sei und diese beiden Tage daher nicht in die Frist einzurechnen seien.

Das antragstellende Gericht erachtet bei Entscheidung über das Rechtsmittel §63 Abs1 BRGO anwenden zu müssen und trägt dagegen folgende Bedenken vor:

"Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist zwar aufgrund der allgemeinen Ermächtigung der Verwaltungsbehörden gemäß Art18 Abs2 B-VG befugt, Verordnungen aufgrund der Gesetze innerhalb seines Wirkungsbereiches zu erlassen (Durchführungsverordnungen). Diese Kompetenz erstreckt sich jedoch nicht auf die Erlassung gesetzesergänzender und gesetzändernder Verordnungen. Die Durchführungsverordnungen dürfen daher die gesetzlichen Regelungen nur präzisieren und der Inhalt der Verordnung muß in dem betreffenden Gesetz determiniert sein.

Im vorliegenden Fall hat der §63 Abs1 BRGO 1974 jedoch eine authentische Interpretation des Begriffes des 'Arbeitstages' vorgenommen.

Der Begriff des Arbeitstages bezeichnet im üblichen Sprachgebrauch, der grundsätzlich dem Gesetzgeber zu unterstellen ist (§§6 und 7 ABGB), entweder einen Tag, an dem ein bestimmter Arbeitnehmer eine Arbeitstätigkeit entfaltet hat, oder einen Tag, an dem eine wirtschaftliche Organisationseinheit (Betrieb) jene Produkte oder Dienstleistungen hervorbringt, für die sie eingerichtet ist.

Der §63 Abs1 BRGO 1974 ändert den Inhalt des Gesetzes ab und läßt nur solche Tage als Arbeitstage gelten, an denen die 'Mehrzahl der Arbeitnehmer' im Betrieb beschäftigt ist. Bei dieser Regelung bleibt darüber hinaus unklar, ob die Wendung 'Mehrzahl der Arbeitnehmer' auf die insgesamt einem Betrieb zugeordneten Arbeitnehmer abstellt oder nur auf den Durchschnitt der an sonstigen Arbeitstagen üblicherweise tätigen Arbeitnehmer.

Von der Definition dessen, was ein Arbeitstag ist, hängt die Bemessung der Frist zur Stellungnahme des Betriebsrates und in weiterer Folge die Wirksamkeit einer Kündigung ab. Daher verändert die im §63 Abs1 BRGO 1974 gegebene Definition des Arbeitstages eine vom Gesetzgeber vorgesehene Frist bzw. greift in diese ein. Wie das vorliegende Verfahren exemplarisch zeigt, führt dieser Eingriff dazu, daß im Einzelfall umfangreiche Feststellungen erforderlich sind, ob eine Frist nun abgelaufen ist oder nicht, was nicht nur einen hohen Verwaltungsaufwand verursacht, sondern auch zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit führt.

Im Gegensatz dazu wird etwa die Frist des §10 Abs2 letzter Satz MSchG, die bei der Bekanntgabe der Schwangerschaft ebenfalls auf fünf 'Arbeitstage' abstellt, so berechnet, daß nur solche Kalendertage als 'Arbeitstage' gelten, an denen nach der für den Betrieb geltenden generellen Arbeitszeitverteilung gearbeitet wird und an denen auch die Schwangere zu arbeiten gehabt hätte (DRdA 1991, 299 (Petrovic); OGH 27.5.1992, 9 ObA 114/92, Infas 6/92, 19).

Die Bedenken des erkennenden Gerichtes gegen die Regelung des §63 Abs1 BRGO 1974 in der hier anzuwendenden Fassung lassen sich dahin zusammenfassen, daß eine Verwaltungsbehörde nicht ermächtigt ist, in einer Durchführungsverordnung eine authentische Interpretation eines vom Gesetz verwendeten Begriffes in der Weise vorzunehmen, daß von dem ursprünglichen Begriffsinhalt - ohne Ermächtigung und Determinierung durch den Gesetzgeber - abgewichen und die dem Gesetzgeber zusinnbare Absicht, eine praktikable Fristenregelung vorzunehmen, unterlaufen wird. Nur der Gesetzgeber selbst wäre befugt, Gesetzesbegriffe authentisch zu interpretieren."

2. Die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales verweist auf die Ausführungen in den Kommentaren zum Arbeitsverfassungsgesetz (Floretta/Strasser, 668, und Mayr, 245), mit denen die Verordnung übereinstimme, macht auf den andersartigen Zweck der Fünftagefrist nach §10 (Abs2) MutterschutzG aufmerksam und beantragt den Ausspruch, daß §63 Abs1 BRGO nicht als gesetzwidrig aufgehoben werde, allenfalls die Setzung einer Frist von sechs Monaten für das Inkrafttreten der Aufhebung.

Die Klägerin des Anlaßverfahrens hat gleichfalls eine Äußerung abgegeben, in der sie davon ausgeht, daß mit der Maßgeblichkeit von "Arbeitstagen"

"... sichergestellt sein soll, daß dem Betriebsrat im Betrieb eine ausreichende Zeitspanne zur Verfügung steht, um eine sachlich richtige und fundierte Erklärung zur Kündigung abgeben zu können. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß Vorgespräche mit dem betroffenen Arbeitnehmer ebenso erforderlich sein werden, so auch Erkundigungen bei der Interessensvertretung und vor allem Gespräche mit dem Arbeitnehmer oder dessen Stellvertreter bzw. Vorgesetzten. Insbesondere in jenen Fällen, wo der Arbeitgeber persönliche Kündigunsgründe geltend macht (§105 Abs3 Z2 lita), wird unter Umständen auch eine Befragung bzw. ein Gespräch mit den Arbeitskollegen des zu kündigenden Arbeitnehmers erforderlich sein, um die Rechtfertigung der Kündigung ergründen und die Interessensabwägung vornehmen zu können. Vor allem ist auch auf die Möglichkeit eines Sozialvergleiches zu verweisen. Zu all diesen Zwecken werden Gespräche und Erhebungen im Betrieb, und zwar nicht nur in der Betriebsörtlichkeit, sondern im Sinne der in §34 ArbVG niedergelegten Definition, erforderlich sein.

Um sohin das Mitwirkungsrecht bei Kündigungen sinnvoll ausüben zu können, muß der Betriebsrat innerhalb seiner Stellungnahmefrist alle Möglichkeiten der Kommunikation im Betrieb ausschöpfen können. Dies ist aber nur dann gewährleistet, wenn tatsächlich 'voller Betrieb' herrscht."

Deshalb sei

"... für die Beratung zur Vorbereitung der Stellungnahme des Betriebsrates zur Kündigung gerade essentiell, daß der betroffene Arbeitnehmer, aber auch dessen Vorgesetzte, Arbeitskollegen und vor allem die anderen Betriebsratsmitglieder, die infolge Kürze der Frist nur an ihrem Arbeitsplatz kontaktierbar sind, befragt werden. Dies kann dann gewährleistet werden, wenn an der Anwesenheit der Mehrzahl der Arbeitnehmer angeknüpft wird. Für die effiziente Ausübung des Mitwirkungsrechtes des Betriebsrates bei Kündigungen ist es gerade nicht relevant, ob nun im Betrieb an diesen Tagen ein Produkt hergestellt wird, ob einzelne Tätigkeiten weiterverrichtet werden, etc. Hingegen ist ausschlaggebend, daß die genannten Personen kontaktiert und die einzelnen Betriebsratsmitglieder zusammen kommen können, um eine entsprechende Beschlußfassung im Kollegialorgan zu fassen. Umlaufbeschlüsse sind bekanntlich nicht zulässig. Es ist daher durchaus im Sinne des Gesetzes, wenn §63 Abs1 BRGO bei der Definition des Arbeitstages auf die Anwesenheit von zumindest der Mehrzahl der Arbeitnehmer Bedacht nimmt (vgl Cerny/Haas-Laßnigg/Schwarz/Trenner, ArbVG, Band 3, 200)."

Die Befürchtung des antragstellenden Gerichts, die im Einzelfall erforderlichen Feststellungen würden einen hohen Aufwand erfordern, könne nicht geteilt werden:

"Es ist leichter und vor allem frei von allenfalls nur einem Sachverständigen zugänglichen Wertungen feststellbar, wie viele Arbeitnehmer an einem bestimmten Tag im Betrieb beschäftigt waren und wie viele Arbeitnehmer generell im Betrieb beschäftigt sind. Wesentlich schwieriger als das dem Gericht zumutbare Abzählen von Arbeitnehmern ist die Vornahme der Abgrenzung, ob nun tatsächlich der Betrieb seine üblichen Produkte hervorbringt oder etwa nur Instandhaltungs- bzw. Infrastrukturtätigkeiten geleistet werden. Es ist daher schwer nachvollziehbar, weshalb gerade die durch §63 BRGO gewählte, objektiv leicht feststellbare Anzahl der Arbeitnehmer zu einer 'Rechtsunsicherheit' führen soll, wie dies das Oberlandesgericht Wien vermeint. Es kommt hiebei auf eine durchschnittliche Betrachtung, nicht aber darauf an, ob diese im konkreten Fall schwierig ist oder erst durch das Vorbringen des Prozeßgegners kompliziert gemacht wurde."

Die Rechtsprechung zum MutterschutzG passe auf das Verfahren nach §105 ArbVG nicht.

Zu beachten sei ferner, daß die Verordnung ebenso wie die Verordnungsermächtigung (§161 ArbVG) aus einer Zeit stamme, in der das Anfechtungsverfahren noch vor dem Einigungsamt stattfand. Erst das Arbeits- und SozialgerichtsG habe die Vollziehung dem Gericht übertragen; das Betriebsverfassungsrecht selbst sei davon nicht berührt worden.

Abschließend rügt die Klägerin des Anlaßverfahrens, daß die Aufhebung der (auf Abs1 verweisenden) Abs2, 4 und 5 des §63 BRGO nicht begehrt wurde; diese Absätze würden mit Wegfall des Abs1 unverständlich und unanwendbar.

II. Der Antrag ist zulässig.

Daß das antragstellende, zur Entscheidung in zweiter Instanz berufene Gericht den bekämpften §63 Abs1 BRGO in der bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte, ist nicht zweifelhaft geworden. Ob die Abs2, 4 und 5 auch nach Wegfall des Abs1 im Hinblick auf ihren sonstigen Inhalt verständlich und noch anwendbar wären, kann dahingestellt bleiben, weil allein der Umstand, daß andere mit ihr verbundene Vorschriften unanwendbar werden, der Aufhebung einer Vorschrift nicht entgegensteht; daß der Inhalt des restlichen Textes durch die Aufhebung des Abs1 etwa in eine andere falsche Richtung hin mißzuverstehen wäre, tut auch die Klägerin des Anlaßverfahrens nicht dar.

Da die angegriffene Bestimmung noch in ihrer Stammfassung in Geltung steht und die vom antragstellenden Gericht genannten Novellen der BRGO andere Teile der Verordnung betreffen, besteht auch keine Unklarheit darüber, welche Fassung nun eigentlich aufgehoben werden soll.

Auch sonst sind alle Prozeßvoraussetzungen gegeben.

III. Der Antrag ist aber nicht

begründet.

1. Der mit "Vorbehalt weiterer Vorschriften" überschriebene §161 Abs1 ArbVG ermächtigt den zuständigen Bundesminister,

"durch Verordnung insbesondere näher zu regeln, ... 3. die Geschäftsführung ... des Betriebsrates, ...". Die hier enthaltene

Aufzählung der Materien, bei denen die Erlassung einer Durchführungsverordnung für erforderlich gehalten wird, ist (arg. "insbesondere") nicht abschließend und schränkt die durch Art18 Abs2 B-VG jeder Verwaltungsbehörde in ihrem Wirkungsbereich zustehende Befugnis, gesetzliche Bestimmungen durch Verordnung zu konkretisieren, nicht nur nicht ein, sondern enthält seinerseits eine über diesen Katalog hinausgehende allgemeine Ermächtigung. Schon daraus ergibt sich, daß den vom antragstellenden Gericht angedeuteten Bedenken, einer näheren Regelung wäre nur die interne Geschäftsführung des Betriebsrates zugänglich, nicht beigepflichtet werden könnte.

Der Umstand, daß nunmehr (seit Inkrafttreten des Arbeits- und SozialgerichtsG) auch zur Entscheidung über eine Anfechtung von Kündigungen und Entlassungen die Gerichte zu entscheiden haben, ändert daran schon deshalb nichts, weil über die Wirksamkeit der Kündigung - im Hinblick auf ihren Ausspruch während der fünftägigen Stellungnahmefrist - als Hauptfrage immer schon von den Gerichten zu befinden war.

Eine nähere Regelung des Begriffs "Arbeitstag" im §105 Abs1 ArbVG durch eine Verordnung des zur Vollziehung berufenen Bundesministers ist daher zulässig.

2. Sie entspricht auch inhaltlich dem Gesetz:

Weder die Parteien des Verordnungsprüfungsverfahrens noch jene des Anlaßverfahrens vor dem antragstellenden Gericht bezweifeln die besondere Konkretisierungsbedürftigkeit des Begriffs "Arbeitstag" im Zusammenhang des §105 ArbVG. Das antragstellende Gericht meint aber, die in §63 Abs1 BRGO enthaltene Umschreibung dieses Begriffs weiche vom Inhalt des Gesetzes ab (und verändere daher die vom Gesetzgeber vorgesehene Frist). Nach dem üblichen Sprachgebrauch sei dies entweder ein Tag, an dem ein bestimmter Arbeitnehmer eine Arbeitstätigkeit entfalte, oder aber ein Tag, in dem eine wirtschaftliche Organisationseinheit (Betrieb) jene Produkte oder Dienstleistungen hervorbringe, für die sie eingerichtet sei; auf eine "Mehrzahl der Arbeitnehmer" komme es dabei nicht an.

Schon der vom antragstellenden Gericht gezogene Vergleich mit der Regelung des §10 Abs2 MutterschutzG zeigt indes, daß die Frage, was unter einem "Arbeitstag" zu verstehen ist, nicht ohne Bedachtnahme auf den Zweck der Vorschrift beantwortet werden kann. Dort kann die Kündigung nämlich fünf Arbeitstage nach ihrem Ausspruch durch Bekanntgabe der Schwangerschaft an den Arbeitgeber unwirksam gemacht werden. Die Frist ist also für eine Erklärung der werdenden Mutter gesetzt, weshalb die Rechtsprechung annimmt, daß als "Arbeitstag" nur ein solcher - aber auch jeder solche - gilt, an dem nach der im Betrieb geltenden generellen Arbeitszeiteinteilung gearbeitet wird und an dem auch die Schwangere arbeitet oder zu arbeiten hätte (OGH, DRdA 1991/33, S 299 = Infas 6/92, 18). Die Fünftagesfrist des §63 Abs1 BRGO steht aber dem Betriebsrat für die Abgabe seiner Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung offen. Hier kann es nicht darauf ankommen, ob der zu kündigende Arbeitnehmer innerhalb der Frist arbeitet oder nicht. Auf den Betriebsrat als solchen kann aus naheliegenden Gründen gleichfalls nicht abgestellt werden. In der Lehre wird vielmehr zurecht angenommen, daß als Arbeitstag jeder anzusehen sei, an dem die betriebliche Tätigkeit im ganzen Umfang oder teilweise fortgeführt wird, ohne Rücksicht darauf, ob die Mitglieder des Betriebsrates an diesem Tag arbeiten oder nicht (Floretta, in: Floretta/Strasser, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz, 1975, 668), auch wenn nur eine Betriebsabteilung oder ein Teilbetrieb arbeitet (Mayr, in: Adametz ua., Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz, 1974, 245), daß es aber nicht genügt, wenn an einem betrieblichen Ruhetag von einigen Arbeitnehmern nur Dienste verrichtet werden, die der Instandhaltung oder Wiederaufnahme des Betriebes oder der Aufrechterhaltung eines solchen Betriebes dienen - einschließlich von Aufräumungsarbeiten - (Floretta, aaO), etwa nur der Portier oder ein Kontrollorgan zur Überwachung technischer Anlagen tätig (Mayr, aaO) oder lediglich ein Bereitschaftsdienst aufrecht erhalten wird (B. Schwarz, in: Cerny ua., Arbeitsverfassungsrecht III, 1994, 200). Das antragstellende Gericht sucht diesen Auffassungen offenkundig damit Rechnung zu tragen, daß es auf die Hervorbringung jener "Produkte oder Dienstleistungen" abstellt, für welche der Betrieb bestimmt ist.

Ob jene Produkte und Dienstleistungen hervorgebracht werden oder genauer wohl, an der Hervorbringung jener Produkte und Dienstleistungen gearbeitet wird, kann indessen die notwendige, am Sinn des Gesetzes orientierte Feinabgrenzung zwischen Arbeitstagen und Ruhetagen nicht ausmachen. Jede betriebliche Tätigkeit dient in irgendeiner Weise dem näher oder ferner liegenden Betriebszweck, und es kann unter Umständen ein erheblicher Teil der Belegschaft eine gewisse Zeit lang mit bloßen Vorbereitungs- oder Kontrollarbeiten - etwa der periodischen Wartung von Maschinen oder der Inventur - beschäftigt sein und umgekehrt ein einzelner Arbeitnehmer gelegentlich eine für den betrieblichen Arbeitsablauf wichtige Aufgabe erfüllen.

Sinn und Zweck des Gesetzes, dem Betriebsrat nicht durch Einrechnung von Ruhetagen Zeit und Gelegenheit, sich die für eine Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung nötigen Informationen zu beschaffen und sich über seine Vorgangsweise schlüssig zu werden, ungebührlich abzukürzen, legen es vielmehr nahe, statt auf die Art der im fraglichen Zeitraum entfalteten Tätigkeit auf deren Umfang zu sehen. Die von den genannten Autoren herangezogenen Beispiele zeigen nämlich auch Tätigkeiten von typisch untergeordnetem Umfang, die aus dem Ruhetag noch keinen Arbeitstag machen, und stellen umgekehrt klar, daß eine bloße Einschränkung des Betriebs an der Einordnung als Arbeitstag noch nichts ändert. Geht man von diesem Ansatz aus, bedarf es einer auf den Umfang der betrieblichen Tätigkeit abstellenden Grenze. Dabei ist in Betracht zu ziehen, daß mit einer gegenüber dem Normalbetrieb sinkenden Zahl von Beschäftigten die Schwierigkeiten der Kontaktnahme zu Mitarbeitern und Vorgesetzten typischerweise steigen, und das im besonderen Maß, wenn der eingeschränkte Betrieb nur eine bestimmte Gruppe von Mitarbeitern und Vorgesetzten in Anspruch nimmt.

Unter diesen Umständen ist es gewiß nicht die einzig mögliche, aber eine dem Wortlaut und Sinn des Gesetzes entsprechende Konkretisierung des §105 Abs1 ArbVG, wenn die angegriffene Verordnung auf die Zahl der Beschäftigten abstellt und als Arbeitstage jene zählt, in denen die Mehrzahl der Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt ist. Dabei stellt §63 Abs1 BRGO nicht auf die tatsächliche Anwesenheit ab, sondern darauf, wie viele Arbeitnehmer "auf Grund der betrieblichen Arbeitszeiteinteilung" beschäftigt sind, und schließt damit Zufälligkeiten wie plötzliche Erkrankungen oder sonstige Verhinderungen und Manipulationen durch absichtliches Fernbleiben aus. Er läßt aber auch in Ansehung der Bezugsgröße eine Auslegung zu, wonach nicht etwa die Gesamtzahl der Arbeitnehmer eines Betriebs ohne Rücksicht darauf maßgeblich ist, daß allenfalls eine bestimmte Quote wegen Krankheit oder Urlaub ausfällt oder Teilzeitbeschäftigte alternierend eingesetzt werden, sondern nur die in der Arbeitszeiteinteilung für den Normalbetrieb (auch in Form eines Schichtbetriebes) vorgesehenen Beschäftigten zählen, weshalb zB auch auf eine Herabsetzung des Beschäftigtenstandes wegen Kurzarbeit oder Betriebsurlauben von Teilen der Belegschaft Bedacht genommen werden kann.

Die Bedenken des antragstellenden Gerichtes treffen daher nicht zu.

Der Antrag ist abzuweisen.

Von einer mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden (§19 Abs4 Satz 1 VerfGG).

Schlagworte

Arbeitsverfassung, Betriebsrat, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Formerfordernisse, Verordnungserlassung, Fristen, Gesetz demonstrativ - taxativ, DurchführungsV

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:V231.1997

Dokumentnummer

JFT_10018789_97V00231_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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