TE Vwgh Erkenntnis 2003/6/24 2001/01/0583

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.06.2003
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/01 Sicherheitsrecht;

Norm

AVG §60;
AVG §67c Abs2;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
SPG 1991 §35 Abs1;
SPG 1991 §81;
VStG §35 Z1;
VwGG §28 Abs1 Z4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des H in G, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 9. Juli 2001, Zl. UVS 20.3-52,53,54/2000-13, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 6. Oktober 2000 fand auf dem G Hauptplatz im Vorfeld der Wahlen zum Steiermärkischen Landtag eine Wahlkampfveranstaltung der ÖVP unter Teilnahme des Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern, Edmund Stoiber, statt, in deren Zuge Organe der Bundespolizeidirektion G gegen eine Gruppe von Demonstranten sicherheitspolizeilich einschritten.

In der - unter anderem auch vom Beschwerdeführer eingebrachten - "Sammelbeschwerde" an den Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark (die belangte Behörde) vom 16. November 2000 wurde betreffend die Person des Beschwerdeführers vorgebracht, die Polizei habe vorerst den

"Versuch, gemeinsam mit einigen anderen Personen ... ein Transparent mit einem Zitat von Edmund Stoiber ... zu entrollen,"

ohne Begründung verhindert. In weiterer Folge habe sich der Beschwerdeführer zu einer Gruppe von elf bis zwölf Personen begeben, die versucht hätten, ein anderes Transparent hochzuhalten. Die Polizeieinheit "Taurus", bestehend aus etwa 15 bis 20 Beamten, habe sofort die Gruppe mit dem Beschwerdeführer eingekesselt und begonnen, das Transparent herunterzureißen und zu zerstören. Dies sei unter aktiver Mithilfe von ÖVP-Sympathisanten geschehen, was die Polizei geduldet habe. Anschließend sei das Transparent beschlagnahmt worden. Danach habe die Polizei den Kessel um die Personengruppe geschlossen. Als eine Person diesen Kessel habe verlassen wollen, sei ihr dies verwehrt worden, womit auch dem Beschwerdeführer klar gewesen sei, dass er den Kessel nicht verlassen dürfe. Einige der eingekesselten Personen hätten wiederholt "Stoiber ist ein Rassist!" gerufen, dies sei allerdings nur in der unmittelbaren Umgebung dieser Gruppe zu hören gewesen. Nach dem Ende der Veranstaltung hätte die Gruppe mit dem Beschwerdeführer den Hauptplatz verlassen wollen, wobei die Personen einander an den Händen und Armen hielten. Die umringenden Polizisten hätten begonnen, die Gruppe abzudrängen und wegzuschieben und sodann unter Anwendung körperlicher Gewalt auseinander zu reißen. Ein Polizist habe den Beschwerdeführer ohne Vorwarnung am Hals genommen und ihn in den "Schwitzkasten" genommen, wodurch sein Blick zu Boden gerichtet worden sei. Der Beschwerdeführer sei zu Boden geschleudert und mit dem Gesicht nach unten zu liegen gekommen. Ein oder mehrere Polizisten hätten sich in einer dem Beschwerdeführer nicht erkennbaren Stellung auf dessen Rücken befunden. Erst jetzt hätten die Polizisten den Ausweis des Beschwerdeführers verlangt, den er ausgehändigt habe. Daraufhin hätten die Polizisten den Beschwerdeführer wieder hochgerissen und gegen die Wand eines Marktstandes gestoßen, wo der Beschwerdeführer auf Befragen weitere Angaben über seine Person gemacht habe. Der Beschwerdeführer habe hiebei seine Brille verloren und sie beschädigt am Boden vorgefunden. Als er von der Polizei eine Rechtfertigung für die Beschädigung verlangt habe, habe man ihn mit einer Anzeige wegen "Widerstandes gegen die Staatsgewalt" gedroht. Er habe während der gesamten Amtshandlung keinerlei Widerstand geleistet und sich in keiner Weise gewehrt. Das Zerreißen und die Beschlagnahme des Transparentes durch die Polizeieinheit sei rechtlich nicht gedeckt. Das Einkesseln des Beschwerdeführers und anderer Personen durch die Polizeieinheit stelle eine durch das SPG nicht gedeckte Einschränkung seiner persönlichen Freiheit dar. Obwohl der Beschwerdeführer keine Gewalt angedroht oder angewendet habe, sei er in den "Schwitzkasten" genommen, mit dem Gesicht nach unten zu Boden geschleudert und zu Boden gedrückt worden. Die Feststellung der Identität des Beschwerdeführers sei ohne Anlass nach § 35 Abs. 1 SPG und überdies in einer erniedrigenden Art und Weise, während er von Polizisten zu Boden gedrückt worden sei und liegend seinen Ausweis habe reichen müssen, erfolgt.

In der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 12. März 2001 brachte der Vertreter des Beschwerdeführers - nach dessen Einvernahme - vor, dass sich das Maßnahmenverfahren auf das "in den Schwitzkastennehmen, das zu Bodenbringen, Einkesseln und die Art und Weise der Identitätsfeststellung" richte. "Bezüglich des Transparentes" und "hinsichtlich der Richtlinienverletzung" werde die Beschwerde zurückgezogen (Seite 132 der vorgelegten Verwaltungsakten).

In den mündlichen Verhandlungen vom 12. und 13. März sowie vom 5. April 2001 vernahm die belangte Behörde neben dem Beschwerdeführer zahlreiche andere, in dessen Beschwerde beantragte Zeugen und insbesondere auch die einschreitenden Polizeibeamten ein.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die "Beschwerde über eine Amtshandlung durch Organe der Bundespolizeidirektion G am 6. Oktober 2000 von ca. 16.00 Uhr bis ca. 18.30 Uhr in G, Hauptplatz" als unbegründet ab.

Begründend führte sie nach Wiedergabe des Beschwerdevorbringens sowie des Vorbringens der Bundespolizeidirektion G aus:

"II.1. Auf Grund des Akteninhaltes, sowie der Einvernahme des Beschwerdeführers, der Einvernahme der Beschwerdeführer B., B., H., K., S. und U., die als Zeugen beteiligten Meldungsleger, der Zeugen A., B., K., P., K., R., T., L., F., C. und K. geht der Unabhängige Verwaltungssenat von nachfolgendem entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus:

Am 6. Oktober 2000 fand eine Wahlveranstaltung der ÖVP auf dem G Hauptplatz unter Teilnahme des bayrischen Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber als Gastredner statt. Die Veranstaltung begann um 16.00 Uhr und es waren ca. 2.000 Personen anwesend. Kurz vor Ansprache des Ministerpräsidenten drängte sich eine Gruppe von ca. 20 Personen, unter denen sich auch der Beschwerdeführer befand, ca. 20 m vor dem Rednerpult bzw. 10 m vor dem Brunnen. Die Teilnehmer der Gruppe begannen ein Transparent mit der Aufschrift 'Widerstand organisieren - Antifaschistische Linke" hochzuhalten und zu entrollen. Der Beschwerdeführer beteiligte sich hiebei nicht, sondern rief mit den anderen Mitgliedern der Gruppe Sprechchöre mit dem Inhalt 'Widerstand' und 'Stoiber ist ein Rassist'. Darauf kam es zu Unmutsäußerungen der übrigen Teilnehmer der Wahlkampfkundgebung. Auf Grund dessen - die Situation mit den übrigen Teilnehmern der Veranstaltung begann allmählich zu eskalieren - wurde vom Kommandanten Oberstleutnant K. eine Sondereinheit 'Taurus 31', bestehend aus acht Personen, zur Gruppe der Aktivisten geschickt, um durch die Umkreisung Übergriffe von Seiten der ÖVP-Sympathisanten hintan zu halten. Der Abstand zwischen den einzelnen Exekutivorganen bei der Bildung des Kreises um die Gruppe hatte eine unterschiedliche Distanz von unmittelbar nebeneinander bis zu einem Abstand von zwei bis drei Meter. Als die Exekutivbeamten bei der Gruppe eintrafen, war das entrollte Transparent bereits durch andere Teilnehmer der Veranstaltung heruntergerissen bzw. gerade im Gange. Der Beschwerdeführer hat nicht versucht die Gruppe zu verlassen.

Der Zeuge Oberstleutnant K., der sich ebenfalls neben den acht Einsatzkräften bei der Aktivistengruppe aufhielt, sagte lautstark nach dem letzten Redner der Wahlveranstaltung zur Gruppe, dass sie angezeigt würden und sich daher auszuweisen bzw. die Daten sonst bekannt zu geben haben. Es lag der Verdacht der Störung der öffentlichen Ordnung (§ 81 SPG) bzw. der Anstandsverletzung vor. Auch bestand gegen Einzelne der Verdacht einer strafbaren Handlung, nämlich der versuchten Störung einer Versammlung nach dem Strafgesetzbuch. Daraufhin fasste die Gruppe der Aktivisten den Entschluss, den Standort zu verlassen. Dies geschah in der Art und Weise, dass sich die Teilnehmer untereinander eingehakt haben und sich in einem Pulk in Richtung Westen weiterbewegten, wobei sie von den Exekutivbeamten eskortiert wurden, da sich der Pulk relativ ungestüm durch die Menschenmasse bewegte. Die Gruppe wurde keinesfalls von den begleitenden Exekutivbeamten geschoben, sondern entwickelte offensichtlich eine Eigendynamik in der Bewegung und begab sich mit rascher Gehgeschwindigkeit durch die Teilnehmer der Wahlkampfveranstaltung, sodass Gefahr für ältere und nicht so mobile Teilnehmer gegeben war. Mittels Funk wurde vom Zeugen K. zwischenzeitlich eine zweite Gruppe, ebenfalls bestehend aus acht Polizisten, aus der Fgasse (Seitengasse zum Hauptplatz) angefordert und traf diese sodann auf den an der westlichen Seite des Hauptplatzbrunnens zum Stillstand gekommenen Pulk. Zu dem Zeitpunkt hat sich der Beschwerdeführer bei anderen Aktivisten der Gruppe eingehängt und kniete. Andere Aktivisten hatten sich teilweise hingesetzt und waren ebenfalls in enger Umklammerung untereinander. Der Zeuge K. stieg sodann auf das Plateau des Hauptplatzbrunnens und forderte die Personen mehrmals auf sich auszuweisen, wobei er jedoch keinen Lautsprecher benutzte. Die Aufforderung wurde jedoch mit Gejohle beantwortet und gab er sodann, als er keine Reaktion sah, den Einsatzbeamten den Auftrag, die Ausweiskontrolle durchzuführen und die Daten aufzunehmen, sowie den Knäuel der Aktivisten zu lösen.

Zum Beschwerdeführer kamen die Zeugen RI M. und RI St. Der kniende Beschwerdeführer wurde vom Zeugen M. aufgefordert sich von der Gruppe zu lösen, da er die Identität auf Grund des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung feststellten wollte. Der Beschwerdeführer reagierte nicht darauf und ist er auch nicht der neuerlichen Aufforderung nachgekommen, obwohl ihm die Festnahme angedroht wurde. Ganz im Gegenteil hängte sich der Beschwerdeführer daraufhin fester ein und wurde vom Zeugen M. daraufhin von der Gruppe mittels Armwinkelsperre herausgelöst, wobei ihm sein Kollege RI S. assistierte. Zuvor wurde vom Zeugen M. die Festnahme nach dem VStG ausgesprochen. Beim Herauslösen aus der Gruppe hat der Beschwerdeführer um sich geschlagen und wurde dann mittels Armwinkelsperre zu einem fünf bis zehn Meter entfernten Marktwagen gebracht. Vorerst folgte der Beschwerdeführer der Aufforderung dort hin zu gehen freiwillig, jedoch machte er plötzlich eine ruckartige Bewegung nach vorne, wobei die beiden Exekutivbeamten als auch der Beschwerdeführer stolperten, jedoch nicht zu Fall kamen. Hiebei verlor er auch die Brille und wurde diese vom Zeugen M. aufgehoben und dem Beschwerdeführer zurückgegeben. Als die beiden Beamten mit dem Beschwerdeführer sodann zum Marktwagen kamen, wurde der Beschwerdeführer mit erhobenen Händen schräg hingelehnt und sagte er sodann, dass er den Ausweis zeige. Es wurden sofort seine Daten aufgenommen und der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen. Der Beschwerdeführer wurde während der gesamten Amtshandlung nie in den Schwitzkasten genommen und wurde gefragt, ob er verletzt worden sei, wobei er dies verneinte. Eine Rötung am Hals des Beschwerdeführers wurde vom Zeugen M. nicht wahrgenommen. Die Dauer der Anhaltung betrug fünf Minuten, und zwar von 18.15 Uhr bis 18.20 Uhr."

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, der festgestellte Sachverhalt gründe sich vor allem auf die Zeugenaussagen der Meldungsleger, insbesondere von Oberstleutnant K., RI St. und RI M. Die Aussagen seien in sich schlüssig und logisch nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer habe mit seinen Angaben keinesfalls die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen in Frage stellen können. Ein weiterer Beschwerdeführer, K., habe angegeben, dass er die Amtshandlung mit dem Beschwerdeführer beobachtet hätte, jedoch wäre er vom Zeugen P. "nach einer halben Minute" aufgefordert worden, zu gehen, weil er die Amtshandlung stören würde. Der weitere Zeuge, K., habe angegeben, dass er den Beschwerdeführer an der Wand des Marktwagens hätte stehen gesehen und beobachten können, wie er die Brille gerichtet hätte, weil ein Bügel weggestanden wäre. Im Übrigen hätte er gesehen, wie K. von einem Polizisten aufmerksam gemacht worden sei, dass dieser die Amtshandlung mit dem Beschwerdeführer störte. Der Zeuge T. habe angegeben, er hätte gesehen, wie der Beschwerdeführer von einem Polizisten zu Boden gerissen worden wäre und die Hände des Beschwerdeführers auf den Rücken gegeben worden wären. Die Aussagen der Zeugen deckten sich somit grosso modo mit denen der Meldungsleger, wobei die Beobachtung des Zeugen T. sich insoweit mit der Aussage des Zeugen RI St. decke, der angegeben habe, dass der Beschwerdeführer, nachdem er von der Gruppe herausgelöst worden wäre, um sich geschlagen hätte, sodass er am Boden mittels Armwinkelsperre hätte fixiert werden müssen. Der Beschwerdeführer gebe bezüglich der "Einkesselung" selbst an, nie versucht zu haben, die Gruppe zu verlassen, und der Entschluss, den Standort zu verlassen, wäre von der Gruppe und nicht von den umringenden Polizisten gefasst worden. Wenn der Beschwerdeführer angebe, dass er in den Schwitzkasten genommen worden wäre, so werde dem kein Glauben geschenkt. Im Übrigen decke sich jedoch die Darstellung insoweit mit der der Meldungsleger, als der Beschwerdeführer zu Boden gekommen und mittels Armwinkelsperre fixiert worden sei. Der Beschwerdeführer habe die Frage nicht beantworten können, ob er nach einem Ausweis gefragt worden sei oder nicht bzw. habe er sich nicht erinnern können, ob er nach einem Ausweis gefragt worden sei, als er noch bei anderen Aktivisten eingehakt gewesen sei. Auch habe der Beschwerdeführer angegeben, mit erhobenen Händen zum Marktwagen hingestoßen worden zu sein, jedoch nicht mehr zu wissen, ob absichtlich von den Exekutivbeamten oder aus dem Schwung des Wiederaufstehens heraus, weil alles sehr schnell gegangen wäre. Die übrigen Abweichungen von der Darstellung des Meldungslegers, insbesondere, dass der Beschwerdeführer angebe, die Brille selbst aufgehoben zu haben, seien nicht von Entscheidungsrelevanz. Dass bei der Durchführung der Demonstration die Überwachungskamera am Hauptplatz nicht eingeschaltet gewesen sei, könne nicht zu Lasten der belangten Behörde gehen, jedoch wäre es sicher gerade bei einer derartigen Veranstaltung wünschenswert, sich einer bereits installierten Überwachungskamera zu bedienen. In rechtlicher Hinsicht schloss die belangte Behörde, sie gehe auf Grund des festgestellten Sachverhaltes davon aus, dass sich der Beschwerdeführer in keinem geschlossenen "Kessel" befunden habe. Er selbst habe angegeben, nie versucht zu haben, die Gruppe zu verlassen, sodass sich seine diesbezügliche Wahrnehmung ausschließlich auf das eigene Empfinden bezogen habe. Dass er sich als Aktivist einer Gruppe von etwa 20 Personen bei einer Wahlkampfveranstaltung - bei der es erfahrungsgemäß emotional zugehe - eingekesselt gefühlt habe, weil die Gruppe mit Transparenten und Sprechchören den Unmut der übrigen Wahlkampfteilnehmer hervorgerufen habe, sei nachvollziehbar, jedoch nicht der belangten Behörde zurechenbar. Auch sei es bereits auf Grund der festgestellten Zahlen nicht möglich, dass es zu einer geschlossenen "Einkesselung" der Aktivisten durch die Exekutive gekommen sei, weil die Gruppe der Aktivisten etwa 20 Personen umfasst habe, die Einsatztruppe "Taurus" neun Exekutivbeamte (samt Einsatzleiter). Die Aufgabe der Exekutivbeamten habe vielmehr darin bestanden, die Gruppe der Aktivisten vor Übergriffen von wütenden ÖVP-Sympathisanten zu schützen. Eine Einkesselung der Gruppe sei zahlenmäßig nicht möglich gewesen. Der Abstand zwischen den einzelnen Polizisten habe zeitweise zwei bis drei Meter betragen, sodass auch ein Verlassen der Gruppe möglich gewesen wäre. Gemäß § 35 Z 1 VStG dürften die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, außer in gesetzlich besonders geregelten Fällen, Personen, die auf frischer Tat betreten würden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn der Betretene dem anhaltenden Organ unbekannt sei, sich nicht ausweise und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar sei. Auf Grund des wahrgenommenen Sachverhaltes habe für die einschreitenden Beamten der Verdacht einer Verwaltungsübertretung - zumindest nach § 81 SPG - bestanden, wobei zur Sicherung des Strafverfahrens die Identitätsfeststellung notwendig gewesen sei. Da der Beschwerdeführer dem einschreitenden Organ nicht bekannt gewesen sei, er laut festgestelltem Sachverhalt aufgefordert worden sei, sich auszuweisen, und dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, sei seine Festnahme nach Vorankündigung durch den Meldungsleger im Sinn des § 35 Z 1 VStG gerechtfertigt gewesen. Wenn der Beschwerdeführer angebe, er könne sich nicht mehr erinnern, ob er zur Ausweisleistung aufgefordert worden sei, gehe dies sicher zu seinen Lasten, weil beide Meldungsleger unmittelbar neben ihm gewesen seien, als er aufgefordert worden sei, seine Daten bekannt zu geben. Da er nach der Loslösung aus der Kette der Demonstranten um sich geschlagen habe, habe er vorerst am Boden fixiert werden müssen. Dies sei den einschreitenden Exekutivbeamten mittels Armwinkelsperre gelungen. Die Anwendung dieser Körpergewalt sei notwendig und auch vorerst das gelindeste Mittel gewesen, um die Festnahme zu erzielen. Der Beschwerdeführer sei hiebei laut festgestelltem Sachverhalt nicht in den Schwitzkasten genommen worden. Dass der Beschwerdeführer bei der Festnahme auf Grund des Tumultes zu Boden gekommen sei, sei durchaus denkmöglich, jedoch sei die Absicht der Meldungsleger sicherlich nicht darauf gerichtet gewesen, ihn zu Boden zu bringen, sondern ihn mittels Armwinkelsperre zu fixieren. Soweit der Beschwerdeführer mit hoch gehaltenen Händen zum Marktwagen gelangt sei, sei das aus dem Schwung des "Wiederaufstehens" nach dem Stolpern zu verstehen, umso mehr, als der Zeuge M. angegeben habe, dass sich der Beschwerdeführer teilweise aus der Armwinkelsperre vom Kollegen St. hätte lösen können. Der Beschwerdeführer sei unmittelbar nach der Ausweisleistung freigelassen worden. Seine Anhaltung habe fünf Minuten gedauert, sodass keinesfalls von einer unnotwendigen Verlängerung der Anhaltung habe gesprochen werden können. Dass er im Laufe des Tumultes seine Brille verloren habe, sei ebenfalls denkmöglich und könne den Meldungslegern nicht zum Vorwurf gemacht werden, weil ihre Absicht nicht auf das Herunterreißen der Brille gerichtet gewesen sei. Die Amtshandlung mit dem Beschwerdeführer, bei der es zu einer Festnahme und fünfminütigen Anhaltung sowie zur Identitätsfeststellung gekommen sei, sei somit rechtmäßig gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete, vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 27. November 2001, B 1226/01, abgetretene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Beschwerde erblickt eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vorerst darin, dass das Zerreißen und die Beschlagnahme des Transparentes der Demonstranten durch die Polizeieinheit nicht im SPG Deckung finde. Hinzu komme, "dass die Sicherheitsbehörden gegen ihre Richtlinien gem. § 31 Abs 2 Zif 5 SPG iVm der RLV verstoßen" hätten. Dieses Vorbringen geht jedoch schon deshalb ins Leere, weil - wie eingangs dargestellt - der Vertreter des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde vom 12. März 2001 die Beschwerde "bezüglich des Transparentes" und "hinsichtlich der Richtlinienverletzung" zurückzog und damit den Verwaltungsakt in diesem Umfang einer Überprüfung durch die belangte Behörde entzog (zur Umschreibung des angefochtenen Verwaltungsaktes in tatsächlicher Hinsicht und zur Bestimmung des Gegenstandes des Verfahrens vor dem unabhängigen Verwaltungssenat vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. September 1998, Zl. 97/01/0407, mwN).

Die Beschwerde bringt gegen die Feststellungen der belangten Behörde über die Amtshandlung gegen den Beschwerdeführer zusammengefasst vor, der bekämpfte Bescheid entbehre jeglicher Begründung, weshalb die belangte Behörde den Aussagen der beiden Polizeibeamten folge. Der angefochtene Bescheid führe zwar die Aussagen der beiden Beamten aus, die Zeugenaussagen der teilnehmenden und niederschriftlich befragten Demonstranten fehlten jedoch völlig. Eine Darlegung, weshalb den Aussagen der Organe der Sicherheitsbehörde Glauben geschenkt werde, fehle. Wenn im angefochtenen Bescheid ausgeführt werde, dass sich der festgestellte Sachverhalt vor allem auf die Aussagen der Meldungsleger, insbesondere jene von K., St. und M. stütze, weil diese Aussagen als in sich schlüssig und logisch nachvollziehbar bewertet worden seien und der Beschwerdeführer keinesfalls die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen habe in Frage stellen können, stelle sich die Frage, weshalb den Aussagen der Meldungsleger mehr Glauben geschenkt worden sei. Insbesondere dann, wenn es widersprüchliche Aussagen der Zeugen gebe, bedürfe es einer Abwägung und Gegenüberstellung der verschiedenen Zeugenaussagen. Es liege in der Natur der Sache, dass es in Fällen, in denen - wie im vorliegenden - Aussage gegen Aussage stünde und keine oder doch nur minder bedeutsame objektive Beweisergebnisse verfügbar seien, erhöhter Beachtung und sorgfältiger Erörterung bedürfe, welcher Darstellung die höhere Glaubwürdigkeit gebühre. Die belangte Behörde hätte mit voller Bestimmtheit angeben müssen, aus welchen Gründen sie welche Tatsachen als erwiesen annehme, und sich nicht mit dermaßen knappen, bloß pauschalen und auf die Verantwortung des Beschwerdeführers überhaupt nicht Bedacht nehmenden Zeugenaussagen begnügen dürfen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Behörde hat in der Begründung ihres Bescheides die Gedankengänge und Eindrücke aufzudecken, die dafür maßgebend sind, dass sie das eine Beweismittel dem anderen vorgezogen und eine Tatsache für wahr oder unwahr gehalten hat. Liegen einander widersprechende Beweisergebnisse vor, muss die Behörde dazu in der Begründung, soll diese dem Gesetz entsprechen, im Einzelnen Stellung nehmen und schlüssig darlegen, was sie veranlasst hat, dem einen mehr Vertrauen entgegen zu bringen als dem anderen. Die maßgebenden Erwägungen hiefür hat sie in der im Rahmen der Bescheidbegründung näher auszuführenden Beweiswürdigung darzulegen (vgl. etwa die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E 102 zu § 60 AVG wiedergegebene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid zur Darlegung der Beweiswürdigung beschränken sich darauf, dass sich der festgestellte Sachverhalt "vor allem" auf die Zeugenaussagen der Meldungsleger gründe. Diese Aussagen seien in sich schlüssig und logisch nachvollziehbar, wogegen der Beschwerdeführer "keinesfalls" mit seinen Angaben die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen habe in Frage stellen können. Weiters verweist die belangte Behörde auf die Aussagen der Zeugen K. und K. und deren begrenzte Wahrnehmungen über die Amtshandlung. Die Aussage des Zeugen T. wird im angefochtenen Bescheid nur insoweit wiedergegeben, der Zeuge hätte gesehen, wie der Beschwerdeführer von einem Polizisten zu Boden gerissen worden wäre und die Hände des Beschwerdeführers auf den Rücken gebracht worden wären. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides führt weiter aus, die Aussagen der Zeugen deckten sich somit "grosso modo" mit denen der Meldungsleger, wobei die Beobachtung des Zeugen T. sich insoweit mit der Aussage des Zeugen RI St. decke, der angegeben habe, dass der Beschwerdeführer nach dessen Herauslösen aus der Gruppe wild um sich geschlagen habe, sodass er am Boden mittels Armwinkelsperre hätte fixiert werden müssen.

Resümierend führt die belangte Behörde aus, den Angaben des Beschwerdeführers, er sei in den Schwitzkasten genommen worden, werde kein Glauben geschenkt.

In der Auseinandersetzung mit den Ermittlungsergebnissen im Rahmen der Beweiswürdigung übergeht die belangte Behörde vorerst die Aussage der Zeugin A. (Seite 141 ff der vorgelegten Verwaltungsakten), die unter anderem bezeugte, sie habe den Beschwerdeführer am Boden liegen gesehen. Er sei am Bauch gelegen, die Hände nach vorne gestreckt. Mindestens ein Polizist sei auf dessen Rücken gewesen, ob kniend oder sitzend könne sie nicht mehr sagen. Auch bezeugte sie, der Kopf des Beschwerdeführers sei "im Schwitzkasten eines Polizisten gewesen". Weiters legt die belangte Behörde die Aussage des Zeugen T. (Seite 154 f der vorgelegten Verwaltungsakten) über dessen Wahrnehmungen betreffend die Amtshandlung am Beschwerdeführer nur verkürzt und damit unvollständig zu Grunde. Dieser Zeuge hat ausgesagt, er habe beobachten können, wie der Beschwerdeführer von Polizisten zu Boden gerissen worden sei. Dies sei in der Art und Weise geschehen, dass die Hände des Beschwerdeführers auf den Rücken gegeben und auf den Boden gedrückt worden seien. Er (der Beschwerdeführer) sei somit am Bauch gelegen, der Kopf sei zur Seite gedreht gewesen. Ein Polizist sei über ihm gewesen, ob er mit dem Knie auf seinem Rücken gewesen sei oder nicht, habe er nicht sehen können.

Dem gegenüber sagte der Zeuge RI M. (Seite 179 der vorgelegten Verwaltungsakten) bei seiner Einvernahme am 13. März 2001 aus, da sich der Beschwerdeführer (bei anderen Personen der Gruppe) noch fester eingehängt habe, habe er ihn mittels Armwinkelsperre aus der Gruppe herausgelöst. Sein Kollege habe das Gleiche gemacht. Der Beschwerdeführer sei - und zwar freiwillig - mit ihnen zu dem ca. fünf bis zehn Meter entfernten Marktwagen gegangen. Sein Kollege und er hätten hiebei den Beschwerdeführer mittels Armwinkelsperre fixiert. Auf dem Weg dorthin habe der Beschwerdeführer flüchten wollen. Er habe eine ruckartige Bewegung nach vorne gemacht, alle drei seien gestolpert, jedoch nicht zu Fall gekommen. Der Beschwerdeführer habe sich beim Kollegen St. von der Armwinkelsperre teilweise lösen können. Der Beschwerdeführer sei während der Amtshandlung nie in den Schwitzkasten genommen worden. Der Zeuge RI St. sagte bei seiner Einvernahme im Zuge derselben Verhandlung (Seite 183 der vorgelegten Verwaltungsakten) aus, der Beschwerdeführer sei der ausgesprochenen Festnahme nach dem VStG nicht nachgekommen. Vorerst hätten die Polizisten versucht, ihn aus der Kette herauszulösen. Dies sei in der Art und Weise geschehen, dass sie ihn an den Oberarmen erfasst und aus der Kette hätten herauslösen können. Der Beschwerdeführer habe hiebei um sich geschlagen und sie hätten ihn am Boden fixiert. Mit der Armwinkelsperre hätten sie ihn ein paar Meter zu einem Fahrzeug gebracht, das in der Nähe gestanden sei. Beim Gang zum Fahrzeug habe der Beschwerdeführer gerissen. Am Fahrzeug sei der Beschwerdeführer einer Personenuntersuchung unterzogen worden.

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde erweist sich insofern als mangelhaft, als sie in ihren Erwägungen die Aussage der Zeugin A., die ausdrücklich davon sprach, der Beschwerdeführer sei in den "Schwitzkasten" genommen worden, gänzlich übergeht und die Aussage des Zeugen T. in einem wesentlichen Teil, nämlich darüber, wie der Beschwerdeführer von Polizisten zu Boden gerissen worden sei, verkürzt zu Grunde legt, wobei diese Aussagen jedoch im Widerspruch zu den von der belangten Behörde als glaubwürdig erachteten Aussagen der "Meldungsleger" standen. Abgesehen davon, dass die belangte Behörde auf Abweichungen in den Aussagen der "Meldungsleger" zueinander nicht einging, führte sie die offenkundigen Widersprüche der Aussagen der Meldungsleger zu den Aussagen der Zeugen A. und T. keiner Klärung zu. Die von A. und T. bezeugten Wahrnehmungen standen schließlich insofern in dem - nicht aufgeklärten - Widerspruch zur Sachverhaltsannahme der belangten Behörde, als diese nur davon ausging, der Beschwerdeführer sei mittels Armwinkelsperre aus der Gruppe herausgelöst worden und in weiterer Folge gestolpert, aber nicht zu Fall gekommen. Die Relevanz der Aussagen der Zeugen A. und T. liegt wiederum darin, dass im Falle der Erweislichkeit ihrer Wahrnehmungen die Vorgangsweise der Polizeibeamten gegenüber dem Beschwerdeführer nicht mehr als notwendig und maßhaltend im Hinblick auf die bezweckte Identitätsfeststellung gewertet werden könnte.

Da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastete, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 24. Juni 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010583.X00

Im RIS seit

09.09.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten