RS OGH 1998/7/16 6Ob144/98i (6Ob147/98f)

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 16.07.1998
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Norm

ABGB §21
ABGB §865
KAG §10 Abs1 Z7
UbG §2

Rechtssatz

Im dem dem "Patiententestament" vergleichbaren sogenannten "Psychiatrischen Testament", das in der österreichischen Rechtsordnung keine eigenständige Regelung erfahren hat, werden vom Patienten vorrangig Elektroschockbehandlungen und die Verabreichung bestimmter Medikamente, etwa Neuroleptika, abgelehnt (Memmer aaO 99 und Anm 2). Der Patient will somit durch eine anzipierte Willenserklärung eine rechtswirksame Verfügung über ärztliche Behandlungsmaßnahmen für den Fall treffen, daß er später seine Entscheidungsfähigkeit verliert. Er übt sein Selbstbestimmungsrecht somit in einem der Behandlung vorgelagerten Zeitpunkt aus und wahrt es gegen die sonst eintretende Fremdbestimmung Dritter. Die Handlungsfähigkeit des Patienten muß aber dabei jedenfalls im Erklärungszeitpunkt, das heißt bei Abfassung und Fertigung seines "Psychiatrischen Testamentes" vorliegen. Die entscheidende Frage, ob der Behandlungsablehnung die "defektfreie" Entscheidung einer konkret einsichtsfähigen und urteilsfähigen Person zugrundeliegt, aus der Perspektive des behandelnden Arztes nicht immer verläßlich zu beantworten ist, handelt es sich doch bei den untergebrachten Patienten ja um Personen, die jedenfalls im Behandlungszeitpunkt erwiesenermaßen psychisch krank sind. Eine allgemeine Vermutung zugunsten der Handlungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Abfassung und Fertigung des "Psychiatrischen Testamentes" kann zumindest dann nicht aufgestellt werden, wenn es sich um eine bereits länger bestehende psychische Krankheit handelt und eine aktuell fehlende krankheitsbedingte Einsichtsfähigkeit und Urteilsfähigkeit realistischerweise schon zu einem früheren Zeitpunkt bestanden haben könnte. In einer solchen Situation des Zweifels kann bei Vorliegen einer anderslautenden schriftlichen Verfügung von einer beachtlichen Behandlungsablehnung nicht gesprochen werden und es wird die Entscheidung des behandelnden Arztes aus Gründen der ganz unterschiedlich gewichteten Haftungsfolgen zugunsten der Behandlung ausfallen müssen.

Entscheidungstexte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1998:RS0110332

Dokumentnummer

JJR_19980716_OGH0002_0060OB00144_98I0000_001
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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