TE Vwgh Erkenntnis 2004/9/21 2003/01/0435

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Veröffentlicht am 21.09.2004
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1968 §38 Abs1;
AsylG 1991 §3;
AsylG 1997 §38 Abs1;
AsylG 1997 §44 Abs1;
AsylG 1997 §44 Abs7 idF 1999/I/004;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §66 Abs4;
B-VG Art129c;
B-VG Art83 Abs2;
FrG 1997 §57;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2003/01/0206 E 21. September 2004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des G in L, geboren 1962, vertreten durch Mag. Thomas Burkowski, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Gerstnerstraße 20, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. April 2003, Zl. 213.316/0- V/14/99, betreffend Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 44 Abs. 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist ägyptischer Staatsangehöriger. Er reiste 1989 nach Österreich ein und beantragte im Juni 1997 die Gewährung von Asyl, weil er wegen einer Geschlechtsumwandlung und wegen seines christlichen Glaubens im islamisch geprägten Ägypten Verfolgung befürchte. Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom 22. Juli 1997 gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung mit dem Primärantrag, den erstinstanzlichen Bescheid dahingehend abzuändern, dass ihm Asyl gewährt werde. Diese Berufung wies der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 30. September 1997 ab, die dagegen an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde wurde mit hg. Beschluss vom 8. September 1999, Zl. 98/01/0116, in Anwendung des § 44 Abs. 3 AsylG (idF vor der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101) zurückgewiesen.

Mit Bescheid vom 22. April 2003 erkannte die belangte Behörde über die gemäß § 44 Abs. 2 AsylG (in der zuvor genannten Fassung) wieder offene Berufung "gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 38 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997" wie folgt:

"In Erledigung der Berufung von (Beschwerdeführer) vom 07.08.1997 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.07.1997, Zl. ... wird der angefochtene Bescheid gem. § 44 Abs. 7 AsylG aufgehoben und die Sache an das Bundesasylamt zurückverwiesen."

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Verfassungsgerichtshof habe im Beschluss vom 8. Oktober 2002, G 142/02-7, zum Ausdruck gebracht, dass das AsylG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 4/1999 eine Verpflichtung zur Refoulement-Prüfung vorsehe. Wörtlich werde dazu im genannten Erkenntnis dargelegt:

"Der Verfassungsgerichtshof kann an der im Prüfungsbeschluss geäußerten Ansicht nicht festhalten, dass dem ersten Satz des § 44 Abs 1 AsylG durch den (mit der Novelle BGBl. I Nr. 4/1999) diesem Paragraphen angefügten Abs 7 materiell derogiert wurde. Dieser Auffassung steht nämlich entgegen, dass sich der erste Satz im Abs 1 auf am 1. Jänner 1998 bei den Asylbehörden anhängige Verfahren, der erste Satz im Abs 7 hingegen auf am 1. Jänner 1999 anhängige derartige Verfahren bezieht. Die erwähnte Novellierung des § 44 hat jedoch eine Einschränkung des Geltungsbereiches des Abs 1 unter zeitlichem Aspekt bewirkt, und zwar dahin, dass sich der erste Satz nur (mehr) auf Verfahren erstreckt, die während des Jahres 1998 (also vor dem im ersten Satz des Abs 7 genannten Datum 1. Jänner 1999) anhängig waren. Diese Einschränkung erfasst auch den mit dem Einleitungsbeschluss in Prüfung gezogenen letzten Satz des Abs 1, weil jener - wie aus dem inhaltlichen Zusammenhang mit dem vorhergehenden zweiten Satz sowie weiters dessen Kontext mit dem ersten folgt - eine vom ersten Satz nicht abtrennbare Regelungseinheit bildet.

Der Annahme einer solchen Einschränkung, nämlich dass in den dem Abs 1 unterliegenden Fällen das AsylG in dessen Stammfassung anzuwenden ist (- also im Gegensatz zu den Fällen des Abs 7, in welchen das AsylG in der Fassung der Novelle BGBl. I 4/1999 in Betracht kommt -), steht nicht entgegen, dass durch die Heranziehung der eine Verpflichtung zur Refoulement-Prüfung begründenden novellierten Fassung der Bundesasylsenat als das Verfahren fortsetzende Berufungsbehörde ohne Vorliegen einer diesbezüglichen erstinstanzlichen Entscheidung befasst wird. Denn dem Bundesasylsenat käme es unter dem verfassungsrechtlichen Aspekt seiner Einrichtung als Berufungsbehörde durchaus zu, mit einer Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Rückverweisung der Sache an die Vorinstanz wegen eines als fehlend anzusehenden non-refoulement-Abspruches vorzugehen."

Im gegenständlichen, nach den Bestimmungen des AsylG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 4/1999 zu Ende zu führenden Verfahren - so die belangte Behörde weiter - liege ein erstinstanzlicher non-refoulement-Abspruch nicht vor. Unter Zugrundelegung der dargelegten Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes sei daher - bei Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Aspektes der Einrichtung des unabhängigen Bundesasylsenates als Berufungsbehörde - der angefochtene erstinstanzliche Bescheid wegen eines als fehlend anzusehenden nonrefoulement-Abspruches aufzuheben und die Sache an das Bundesasylamt zurückzuverweisen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat sich die vom Verfassungsgerichtshof in dem im bekämpften Bescheid genannten Beschluss vom 8. Oktober 2002 vertretene Auffassung zu eigen gemacht, wonach es bei am 1. Jänner 1999 anhängigen Asylverfahren, in denen die Entscheidung der Behörde erster Instanz vor dem 1. Jänner 1998 ergangen ist, ungeachtet des § 44 Abs. 1 letzter Satz AsylG (idF vor der AsylG-Novelle 2003) zu einer non-refoulement-Prüfung zu kommen habe. Sie hat sich insbesondere auf dessen Aussage berufen, dass es ihr unter dem verfassungsrechtlichen Aspekt ihrer Einrichtung als Berufungsbehörde zukomme, mit einer Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Rückverweisung der Sache an die Vorinstanz wegen eines als fehlend anzusehenden non-refoulement-Abspruches vorzugehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bislang eine andere Rechtsmeinung vertreten und aus § 44 Abs. 1 letzter Satz (in der genannten Fassung) abgeleitet, dass in den dort genannten Fällen - auch über den 1. Jänner 1999 hinaus - eine non-refoulement-Prüfung zu unterbleiben habe (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. März 2001, Zl. 2000/20/0458). Die verfassungsrechtliche Notwendigkeit (Einrichtung der belangten Behörde als Berufungsbehörde), in den vom Bundesasylamt vor dem 1. Jänner 1998 entschiedenen Fällen der belangten Behörde die Möglichkeit der Kassation des erstinstanzlichen Bescheides (wegen fehlendem erstinstanzlichen non-refoulement-Abspruch) zu eröffnen, konnte sich davon ausgehend nicht ergeben. Auch unter Zugrundelegung der im bekämpften Bescheid vertretenen Gegenposition ist allerdings, wie im Folgenden dargelegt wird, nicht zu sehen, weshalb es im vorliegenden Fall einer derartigen Kassation bedurfte.

Auszugehen ist von der die non-refoulement-Prüfung regelnden Bestimmung des § 8 AsylG (idF vor der AsylG-Novelle 2003). Demnach hat die Behörde, wenn ein Asylantrag abzuweisen ist, von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 FrG); diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden. § 8 AsylG normiert somit keine unbedingte Verpflichtung der Asylbehörden zur Vornahme einer nonrefoulement-Prüfung. Diese setzt vielmehr nur ein, wenn ein Asylantrag abzuweisen ist, weil andernfalls - im Falle der Gewährung von Asyl - die damit verbundene Rechtsposition eine entsprechende Prüfung erübrigt. Zwar hat im gegenständlichen Fall das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen (nach § 3 Asylgesetz 1991), die belangte Behörde jedoch hat sich entgegen der ihr grundsätzlich nach § 66 Abs. 4 AVG obliegenden Verpflichtung im bekämpften Bescheid mit der Asylfrage selbst überhaupt nicht auseinander gesetzt, sondern nur auf das Fehlen eines erstinstanzlichen § 8-Abspruches Bezug genommen. Sie stellte somit auf eine ihrer Ansicht nach vorliegende - nachträglich eingetretene - Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Bescheides ab, ohne - in Beschäftigung mit dem (primären) Berufungsantrag des Beschwerdeführers, ihm Asyl zu gewähren - die Frage zu prüfen, ob diese Mangelhaftigkeit bei rechtsrichtiger Beurteilung der Asylfrage überhaupt auf ihren Berufungsbescheid durchschlagen könnte. Diese Vorgangsweise erweist sich jedenfalls als rechtswidrig, kann es doch im Rahmen des von der belangten Behörde ausdrücklich herangezogenen § 66 Abs. 4 AVG keinesfalls angehen, gleichsam vorsichtshalber eine Kassation des erstinstanzlichen Bescheides vorzunehmen, wenn noch gar nicht feststeht, dass eine diese Kassation allenfalls erforderlich machende Konstellation überhaupt gegeben ist. Auch dem schon erwähnten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 2002 lässt sich nicht entnehmen, dass er eine derartige antizipative Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung für zulässig oder gar für geboten erachten würde.

Dass der Verfassungsgerichtshof seinerseits Asyl versagende Bescheide der belangten Behörde, die den gemäß seiner Auffassung notwendigen Ausspruch nach § 8 AsylG nicht enthielten, ohne erkennbare Prüfung der Asylfrage ohne Weiteres "zur Gänze" (wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter) aufhob (vgl. etwa sein Erkenntnis vom 11. Dezember 2002, B 872/01-16), vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern, weil dem Verfassungsgerichtshof, anders als der belangten Behörde, nicht die Möglichkeit eröffnet ist, einen Abspruch nach § 8 AsylG durch Asylgewährung obsolet zu machen.

Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid jedenfalls mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 21. September 2004

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Kassation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2003010435.X00

Im RIS seit

19.10.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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