TE Vwgh Erkenntnis 2004/9/28 2001/18/0229

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Veröffentlicht am 28.09.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §15;
FrG 1997 §34 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z2;
MRK Art8 Abs2;
StGB §146;
StGB §147 Abs2;
StGB §169 Abs1;
StGB §277 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des Z, geboren 1969, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. September 2001, Zl. SD 176/01, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 10. September 2001 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer lebe seit November 1990 im Bundesgebiet. Ihm seien laufend Sichtvermerke und Aufenthaltstitel erteilt worden. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 2. Juli 1998 sei er nach den §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt worden. Er habe im Frühjahr 1997 in betrügerischer Absicht eine Versicherung zu einer Leistung in Höhe von S 35.000,-- verleitet. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3. Dezember 1998 sei über den Beschwerdeführer eine Zusatzstrafe in der Dauer von zwanzig Monaten wegen des Verbrechens der versuchten Brandstiftung, teils auch als Beteiligter nach den §§ 15, 169 Abs. 1 und 12 StGB sowie wegen des Verbrechens des verbrecherischen Komplottes nach § 277 Abs. 1 StGB verhängt worden. Der Betreiber eines Spielautomatensalons habe Konkurrenzlokale durch Brandanschläge ausschalten wollen. Der Beschwerdeführer habe sich gegen Bezahlung bereit erklärt, dieses Vorhaben umzusetzen, wobei er sich dazu (auch) seines 17-jährigen Schwagers bedienen wollte. Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, die Tat mit einem Molotow-Cocktail bzw. mit ferngezündeten Rohrbomben zu verwirklichen, sei dem Schwager eine Rohrbombe während einer Fahrt mit dem Moped explodiert. Der Schwager sei dabei lebensgefährlich, seine am Moped mitfahrende Cousine leicht verletzt worden.

Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit in erheblichem Ausmaß. Die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG seien gegeben. Der Beschwerdeführer sei verheiratet und für ein Kind sorgepflichtig. Der Eingriff in das Privat- bzw. Familienleben des Beschwerdeführers sei gerechtfertigt, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, zum Schutz des Eigentums und der körperlichen Unversehrtheit Dritter - dringend geboten und damit im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG zulässig sei.

Dass dem Beschwerdeführer noch am 8. August 2000 durch die Aufenthaltsbehörde ein unbefristeter Aufenthaltstitel erteilt worden sei, stehe der Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht entgegen. Aktenkundig sei, dass die genannte Verurteilung des Beschwerdeführers der Aufenthaltsbehörde (aus welchem Grunde immer) nicht bekannt gewesen sei und diese deshalb den Aufenthaltstitel erteilt habe. Es sei davon auszugehen, dass die Aufenthaltsbehörde in Kenntnis der genannten Verurteilung das Vorliegen des im § 10 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. normierten Versagungsgrundes erkannt und ein Verfahren gemäß § 15 leg. cit. eingeleitet hätte. Aus einer (wenn auch fahrlässigen) Nichtkenntnis der Aufenthaltsbehörde vom Vorliegen eines Versagungsgrundes könne der Beschwerdeführer keine Ansprüche für die Zukunft ableiten.

Bei der gemäß § 37 Abs. 2 FrG durchzuführenden Interessenabwägung sei auf die aus der Dauer des langjährigen rechtmäßigen Aufenthaltes ableitbare Integration des Beschwerdeführers und seiner Familie Bedacht zu nehmen, gleichzeitig jedoch zu bedenken, dass die der Integration zu Grunde liegende soziale Komponente durch sein schwer wiegendes strafbares Verhalten beträchtlich an Gewicht gemindert gewesen sei. Dem stünden die maßgeblichen öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und am Schutz des Eigentums und der körperlichen Unversehrtheit Dritter gegenüber. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers würden nicht schwerer wiegen als das in seinem Fehlverhalten begründete große öffentliche Interesse am Verlassen des Bundesgebietes. Seine Berufstätigkeit könne den privaten Interessen kein überwiegendes Gewicht verleihen. Da sonst keine besonderen, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechende Umstände gegeben seien, könne von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der belangten Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden. Das Aufenthaltsverbot sei unbefristet auszusprechen gewesen, weil nicht vorhergesehen werden könne, wann die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit weggefallen sein werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht sei, unbekämpft. Im Hinblick auf die unbestrittenen rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers vom 2. Juli 1998 und vom 3. Dezember 1998 begegnet diese Beurteilung keinen Bedenken.

1.2. Die Beschwerde bestreitet auch nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen betreffend das den strafgerichtlichen Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers. Gegen die Auffassung der belangten Behörde, dass die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, bestehen im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. März 2000, Zl. 99/18/0343) und an der Verhinderung der Gewaltkriminalität (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 2003, Zl. 2000/18/0074) keine Bedenken.

2. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grund des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde die Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers, seine Bindungen zur Ehegattin und zu seinem Kind sowie seine im Inland ausgeübte Erwerbstätigkeit berücksichtigt. Diese persönlichen Interessen des Beschwerdeführers werden jedoch dadurch relativiert, dass die für eine Integration wesentliche soziale Komponente durch die genannten Straftaten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt ist. Die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot auch unter Bedachtnahme auf die dargestellte persönliche Interessenlage des Beschwerdeführers zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten sei und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes, kann demnach nicht als rechtswidrig erkannt werden.

3.1. Der Beschwerdeführer bringt gegen die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes vor, dass ihm am 8. August 2000 (sohin vor Erlassung des erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotes) durch das Amt der Wiener Landesregierung eine Niederlassungsbewilligung zu jeglichem Aufenthaltszweck auf unbefristete Dauer erteilt worden sei. Dies führt die Beschwerde zum Erfolg.

Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass der Beschwerdeführer in seinem dem Aufenthaltstitel zu Grunde liegenden Antrag ausdrücklich angegeben hat, strafrechtliche Verurteilungen aufzuweisen (Antragsformular Punkt I: "ja"). Mit Schreiben vom 9. August 2001 teilte die belangte Behörde dem für die Erteilung der Niederlassungsbewilligung zuständigen Landeshauptmann von Wien unter Vorhalt der Angaben des Antragstellers mit, dass dessen Verurteilungen im Zeitpunkt der Antragstellung im Strafregister aufgeschienen seien. Es werde um Auskunft ersucht, warum ein unbefristeter Aufenthaltstitel erteilt und der offenkundige Versagungsgrund nicht im Rahmen eines Verfahrens nach § 15 FrG wahrgenommen worden sei, wo doch der Beschwerdeführer selbst auf das Vorliegen von Verurteilungen hingewiesen habe. Mit Schreiben vom 24. August 2001 teilte der Landeshauptmann von Wien mit, dass ihm die Verurteilungen des Beschwerdeführers nicht bekannt gewesen seien. Im Zeitpunkt der Erteilung der gegenständlichen Niederlassungsbewilligung seien obligatorische Strafregisteranfragen noch nicht durchgeführt worden. Die Anfrage im Fremdeninformationssystem habe keine negativen Vormerkungen hervorgebracht. Der Beschwerdeführer habe im Zeitpunkt der Antragstellung alle sonstigen Voraussetzungen für die Erteilung einer Bewilligung erfüllt. Er sei langjährig im Bundesgebiet niedergelassen. Dadurch sei offensichtlich die angeführte Verurteilung übersehen worden.

3.2. Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 oder Z. 2 FrG wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre. Gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 FrG können Fremde, die sich - wie der Beschwerdeführer - auf Grund eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid (nur) ausgewiesen werden, wenn nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre.

Die von der belangten Behörde dem Aufenthaltsverbot zu Grunde gelegten Verurteilungen stellen gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG Versagungsgründe dar. Wenn diese bereits vor Erteilung des genannten Aufenthaltstitels (eingetreten und) der für die Erteilung zuständigen Behörde bekannt geworden sind, ist ein darauf gestütztes Aufenthaltsverbot nicht (mehr) zulässig.

Dies ist hier der Fall. Der Beschwerdeführer hat in seinem Antrag auf Erteilung der weiteren Niederlassungsbewilligung unter Punkt I. die Frage nach bisherigen strafgerichtlichen Verurteilungen bejaht. Damit waren der Niederlassungsbehörde die gegenständlichen Versagungsgründe bereits vor der Erteilung des Aufenthaltstitels hinreichend bekannt geworden, ohne dass es darauf ankäme, dass die Niederlassungsbehörde in der Folge (aus welchem Grund immer) davon Abstand genommen hat, sich näher mit dem den Verurteilungen zur Grunde liegenden Fehlverhalten des Beschwerdeführers zu beschäftigen (vgl. hingegen das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2000/18/0226, wo der antragstellende Fremde die Frage nach bisherigen strafgerichtlichen Verurteilungen verneint hatte).

Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer ist daher im Grund des § 38 Abs. 1 Z. 2 (iVm § 34 Abs. 1 Z. 1) FrG unzulässig.

4. Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Abs. 2 Z. 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000, und der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Der durch Verordnung pauschaliert festgesetzte Schriftsatzaufwand deckt die anfallende Umsatzsteuer, sodass das auf dessen Ersatz gerichtete Begehren abzuweisen war.

Wien, am 28. September 2004

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001180229.X00

Im RIS seit

12.11.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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