Index
E000 EU- Recht allgemein;Norm
31990L0387 ONP-RL Einführung Art3 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Handstanger, Dr. Berger und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde der T AG in W, vertreten durch Cerha Hempel & Spiegelfeld Partnerschaft von Rechtsanwälten in 1010 Wien, Parkring 2, gegen den Bescheid der Telekom-Control-Kommission vom 7. Februar 2000, Zl. Z 18/99-35, betreffend Erlassung einer Entbündelungsanordnung (mitbeteiligte Partei: G OEG in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem angefochtenen Bescheid ordnete die belangte Behörde gemäß § 2 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr zur näheren Bestimmung der Zusammenschaltung (Zusammenschaltungsverordnung), BGBl. II Nr. 14/1998, in Verbindung mit §§ 37, 40 und 41 Abs. 3 des Telekommunikationsgesetzes (TKG), BGBl. I Nr. 100/1997 in der Fassung BGBl. I Nr. 27/1999, den entbündelten Netzzugang der mitbeteiligten Partei zu der Teilnehmeranschlussleitung (TASL) des Endkunden in W, Fgasse 3/8, des öffentlichen Telekommunikationsnetzes der Beschwerdeführerin zu den im Spruchpunkt A näher festgelegten Bedingungen an.
Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass die mitbeteiligte Partei am 7. September 1999 einen Antrag auf Erlassung einer Entbündelungsanordnung gemäß § 2 Abs. 4 der Zusammenschaltungsverordnung in Verbindung mit § 111 Z. 6 TKG gestellt habe, weil es trotz Nachfrage des Zugangs zur entbündelten TASL zu keiner Vereinbarung zwischen den Verfahrensparteien über den besonderen Netzzugang gekommen sei. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin sei die Nachfrage der mitbeteiligten Partei ausreichend konkret gewesen. Die Nachfrage eines Betreibers nach einem Zusammenschaltungsangebot sei grundsätzlich formfrei und könne auch schlüssig erfolgen. Die mitbeteiligte Partei habe sich bei ihrer Nachfrage an den Kriterien eines Vorbescheides orientiert (Name und Anschrift des Nachfragenden, Angaben zum Übertragungsverfahren - wenn auch sehr allgemeiner Natur, Adresse des Endkunden, Standort des Hauptverteilers). Eine weitergehende Detaillierung sei auf Grund der von vornherein ablehnenden Haltung der Beschwerdeführerin, die unter Hinweis auf einen abweichenden Rechtsstandpunkt Verhandlungsführung und Anbotslegung rundweg verweigert habe, nicht geboten gewesen. Der nachfragende Nutzer müsse nicht auf dem gleichen Markt wie der marktbeherrschende Anbieter tätig sein; die auf dem Markt für Internetdienste tätige mitbeteiligte Partei habe daher grundsätzlich einen Anspruch auf entbündelten Netzzugang gegenüber der (auf dem Mietleitungsmarkt) marktbeherrschenden Beschwerdeführerin.
Sachliche Gründe für einen Wegfall der grundsätzlichen Entbündelungsverpflichtung im Sinne des § 37 Abs. 1 Satz 2 TKG habe die Beschwerdeführerin nicht nachweisen können. Die Verwendung hochbitratiger Übertragungsverfahren durch die mitbeteiligte Partei auf der entbündelten TASL führe zu keiner Gefährdung der Netzintegrität im Sinne des Art. 3 Abs. 2 der ONP-Richtlinie 90/387/EWG. Wohl könne angenommen werden, dass die Entbündelung der TASL im Ergebnis zu einem Anstieg hochbitratiger Nutzungen auf Kupferdoppeladern führen werde, doch reiche die bloße Tatsache einer solchen erhöhten Nutzung zu der von der Beschwerdeführerin gewünschten Beschränkung des Netzzugangs nicht aus. Die Beschwerdeführerin habe nämlich nur abstrakte Befürchtungen vorgetragen, ohne ihre Behauptungen konkret zu belegen. So gehe sie nicht auf den vorliegenden Einzelfall und allfällige technische Hinderungsgründe in Bezug auf die Entbündelung der konkreten TASL oder Rahmenbedingungen für eine Verwendung hochbitratiger Übertragungsverfahren auf dieser TASL ein. Überdies widerspreche es dem Diskriminierungsverbot, wenn die Beschwerdeführerin einerseits mit der von ihr angebotenen ADSL-Technologie, bei der es sich ebenfalls um hochbitratige Nutzung von Kupferdoppeladern handle, "in den Massenmarkt will", dafür nämlich intensiv werbe, andererseits den entbündelten Netzzugang der mitbeteiligten Partei mit der Begründung ablehne, die Nutzung hochbitratiger Übertragungsverfahren durch diese auf einer TASL gefährde Netzintegrität und Sicherheit des Netzbetriebs.
Die Beschwerdeführerin habe auch ihre Ausführungen, wonach der derzeit bestehende Mietleitungsmarkt durch einen Zugang konzessionsloser Diensteanbieter wie der mitbeteiligten Partei zu TASL in Form einer Kupferdoppelader ohne weitere technische Einrichtungen und Übernahme der Funktionsherrschaft schwer beeinträchtigt werde, nicht näher belegt, vielmehr ausschließlich den Referenzcharakter der vorliegend beantragten Entbündelungsanordnung abstrakt erörtert und unbelegte Prognosen abgegeben. Unrichtig sei, dass bei der Bejahung einer Entbündelungsverpflichtung der Beschwerdeführerin jeder, der vorgebe, ein Nutzer zu sein, mittels Entbündelung ein eigenes Netz errichten könne. § 2 Abs. 2 ZVO beschränke nämlich - im Einklang mit Art. 16 der Richtlinie 98/10/EG über die Anwendung des offenen Netzzugangs beim Sprachtelefondienst - den besonderen Netzzugang auf diejenigen Nutzer, die ihn als Anbieter von Telekommunikationsdiensten oder Betreiber von Telekommunikationsnetzen nachfragten, um Telekommunikationsdienste anzubieten. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, die beantragte Entbündelung der TASL werde dazu führen, dass durch entbündelte Leitungen qualitativ hochwertige Mietleitungsprodukte von Netzbetreibern ersetzt würden, was zu einer unmittelbaren Konkurrenzierung des lokal geprägten Mietleitungsmarktes führen werde, sei im Hinblick auf den hohen Marktanteil der Beschwerdeführerin von 90 % bei Mietleitungen entgegen zu halten, dass sich eine erhöhte Konkurrenz stimulierend auf den Wettbewerb am Mietleitungsmarkt auswirken und damit dem Regelungsziel des § 1 Abs. 2 Z. 2 TKG entsprechen würde. Auch die Befürchtung der Antragsgegnerin, der zu erwartende Zusatzbedarf für Kupferdoppeladern (bei einer angegebenen derzeitigen Zuwachsrate im Internetsektor von 12-15 % pro Quartal) sei finanziell nicht zu bewältigen, erweise sich als unzutreffend. Die mitbeteiligte Partei unterhalte nämlich mehrere Teilnehmeranschlüsse bei der Beschwerdeführerin, überdies seien mehrere TASL vorhanden, sodass die mitbeteiligte Partei auch bei Entbündelung einer TASL weiterhin auf die von der Beschwerdeführerin im Rahmen des Universaldienstes angebotenen Leistungen zugreifen könne, ohne dass die Herstellung eines zusätzlichen Kupferdoppeladernpaares notwendig sei.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Beschwerdepunkte wurden wie folgt ausgeführt:
"Der bekämpfte Bescheid verletzt die Antragsgegnerin in ihrem subjektiven öffentlichen Recht, nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einer Entbündelungsanordnung unterstellt zu werden.
Er verletzt die Antragsgegnerin weiters in ihrem subjektiven öffentlichen Recht, ausschließlich einer aufgrund eines gesetzmäßigen Verfahrens und einer von der zuständigen Behörde gefällten Entbündelungsanordnung unterzogen zu werden.
Überdies ist die Beschwerdeführerin in ihrem subjektiv öffentlichen Recht verletzt, nur gegenüber einer legitimierten Antragstellerin, nur nach Durchführung des gesetzlich angeordneten - außerbehördlichen - Vorverfahrens, nur innerhalb der Grenzen der Rechtskraft von Bescheiden, nur nach erfolgter Marktabgrenzung und Bestimmung des auf dem relevanten Markt beherrschenden Unternehmens und nur gegenüber einem konzessionierten Netzbetreiber einer Entbündelungsanordnung unterstellt zu werden.
Schließlich ist die Beschwerdeführerin in ihrem subjektiven öffentlichen Recht verletzt, ausschließlich mittels hinreichend konkreter Anordnung (konkreten Bescheidspruches) und durch widerspruchsfreien Bescheid einer Entbündelung unterworfen zu werden."
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
1. Mit hg. Erkenntnis vom 9. September 2003, Zl. 2003/03/0095, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass nach der auch im Beschwerdefall geltenden Rechtslage (TKG idF vor der Novellierung durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 26/2000) gemäß Art. 133 Z. 4 B-VG Angelegenheiten, über die die belangte Behörde entschieden hat, nach österreichischem nationalen Recht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgenommen waren und dass sich die vom EuGH mit Urteil vom 22. Mai 2003 (Rechtssache C- 462/99) aus Art. 5a Abs. 3 der Richtlinie 90/387/EWG idF der Richtlinie 97/51/EG abgeleitete Verpflichtung des Verwaltungsgerichtshofes zur Nachprüfung nur auf den Schutz der dem Einzelnen vom Gemeinschaftsrecht eingeräumten materiellen Rechte, nicht aber auch auf den Schutz bloß im nationalen Recht verankerter individueller Rechte beziehen kann. Daraus folgt, dass auch im Beschwerdefall auf das eine Verletzung lediglich letzterer Rechte betreffende Beschwerdevorbringen nicht einzugehen ist.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 8. September 2004, Zl. 2003/03/0112, dargelegt, dass die - auch hier - vorliegende Entbündelungsanordnung ihre Grundlage nicht im Gemeinschaftsrecht, sondern im TKG in Verbindung mit der ZVO findet. Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass im Gemeinschaftsrecht wurzelnde Rechte den im innerstaatlichen Recht basierenden Anspruch der mitbeteiligten Partei auf Entbündelung beschränken. Die Beschwerdeführerin macht zwar aus dem Gemeinschaftsrecht eingeräumte materielle Rechte nicht ausdrücklich geltend. Die von ihr ins Treffen geführte Bestimmung des § 37 Abs. 1 Satz 2 TKG, wonach ein Betreiber Tatsachen nachweisen kann, "auf Grund derer diese Verpflichtung (zur Entbündelung) im Einzelfall sachlich nicht gerechtfertigt ist", muss aber im Lichte des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 90/387/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 zur Verwirklichung des Binnenmarktes für Telekommunikationsdienste durch Einführung eines offenen Netzzugangs (Open Network Provision - ONP) gesehen werden, findet hier also ihr gemeinschaftsrechtliches Pendant.
Diese Bestimmung lautet:
"Die ONP-Bedingungen dürfen den Zugang zu öffentlichen Telekommunikationsnetzen oder öffentlichen Telekommunikationsdiensten nicht beschränken, es sei denn aus Gründen, die auf grundlegenden Anforderungen beruhen und die in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht stehen. Diese grundlegenden Anforderungen sind:
-
Sicherheit des Netzbetriebs,
-
Aufrechterhaltung der Netzintegrität,
-
Interoperabilität der Dienste, wo dies begründet ist,
-
Datenschutz, wo dies angebracht ist.
Außerdem gelten die im allgemeinen für den Anschluss von Endgeräten an das Netz geltenden Bedingungen."
Die belangte Behörde hat die - zumindest implizit Hindernisse im Sinne des Art. 3 Abs. 2 erster und zweiter Fall RL 90/387/EWG geltend machenden - Einwendungen der Beschwerdeführerin als "bloß abstrakte Befürchtungen" bzw. "unbelegte Prognosen" bewertet; der Beschwerdeführerin sei es nicht gelungen, konkrete Hinderungsgründe darzulegen. Dieser Beurteilung tritt die Beschwerdeführerin nicht konkret entgegen. Sie beschränkt sich in der Beschwerde in diesem Punkt im Wesentlichen auf die Darstellung von möglichen Szenarien, deren Eintritt von einzelnen, nicht näher angeführten Parametern ("Art des physikalischen Aufbaus, Lage der einzelnen Doppeladern" etc.) abhänge. Damit wird sie dem Gebot einer ausreichenden Konkretisierung nicht gerecht. Gerade weil Art. 3 Abs. 2 RL 90/387/EWG ein Abgehen von den Grundsätzen des Kontrahierungszwanges und des offenen Netzzugangs ermöglicht, sind die Voraussetzungen dafür streng zu prüfen und obliegt es demjenigen, der sich auf solche Hindernisse beruft, ausreichende Sachbehauptungen aufzustellen. Die Einhaltung dieses Konkretisierungsgebotes ist schon deshalb erforderlich, weil entsprechend der Erwägungsgründe zur genannten Richtlinie "alle Einschränkungen des Rechts, innerhalb von und zwischen den Mitgliedstaaten Dienstleistungen zu erbringen, objektiv gerechtfertigt sein müssen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten haben, d. h. im Verhältnis zu dem verfolgten Ziel angemessen sein müssen." Schon die damit notwendig werdende Interessenabwägung erfordert also die von der belangten Behörde vermisste Konkretisierung und Darstellung des Einzelfalls.
Wenn die Beschwerdeführerin weiters meint, dass nur Betreibern öffentlicher Telekommunikationsnetze Zugang zu einer entbündelten TASL zu gewähren sei, also nicht der mitbeteiligten Partei, bei der es sich nicht um einen Netzbetreiber, sondern um einen Internetprovider handle, zeigt sie damit keinen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht auf, weil es dem innerstaatlichen Gesetzgeber unbenommen bleibt, eine Entbündelungsverpflichtung auch zugunsten anderer "Nutzer" vorzusehen. Schon deshalb war die Anregung, hinsichtlich § 2 Abs. 2 ZVO ein Verfahren auf Prüfung der Gesetzmäßigkeit einzuleiten, nicht aufzugreifen.
Im Gemeinschaftsrecht begründete Hindernisse für die von der belangten Behörde erlassene Entbündelungsanordnung sind auf dem Boden des Beschwerdevorbringens also nicht zu sehen.
Unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt die Beschwerdeführerin als gemeinschaftsrechtlich relevant die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung, die gemäß Art. 6 EMRK in Verbindung mit § 41 Abs. 3 TKG "zur Klärung des Sachverhalts, vor allem zur rechtlich einwandfreien Beurteilung der technischen Gegebenheiten", erforderlich gewesen wäre. In diesem Zusammenhang wurde vom Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 8. September 2004, Zl. 2003/03/0128, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargestellt, dass mangels Beantragung einer mündlichen Verhandlung durch die Beschwerdeführerin im Verfahren vor der belangten Behörde im Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK nicht zu erkennen ist.
Im Rahmen der zu prüfenden Beschwerdepunkte begegnet also das verwaltungsbehördliche Verfahren vor der belangten Behörde keinen Einwänden.
3. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 19. Oktober 2004
Gerichtsentscheidung
EuGH 61999J0462 Connect Austria VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Bescheide von Kollegialbehörden iSd B-VG Art133 Z4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003030124.X00Im RIS seit
18.11.2004Zuletzt aktualisiert am
04.11.2011