TE OGH 1948/4/21 3Ob114/48

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Veröffentlicht am 21.04.1948
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Norm

ABGB §1112
ZPO §503 Z4

Kopf

SZ 21/90

Spruch

§ 1 der Verordnung vom 28. September 1943, DRGBl. I S. 546: Auf das Recht, die Auflösung des Mietvertrages zu verlangen, kann verzichtet werden. Ein solcher Verzicht wird durch das Fordern und die Entgegennahme des Mietzinses zum Ausdruck gebracht.

Entscheidung vom 21. April 1948, 3 Ob 114/48.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht wies das auf § 1 der Verordnung vom 28. September 1943, DRGBl. I S. 546 gestützte Räumungsbegehren mit der Begründung ab, daß die Klägerinnen von der Beklagten den Mietzins nicht nur entgegengenommen, sondern sogar verlangt und daher durch schlüssige Handlungen ihre Absicht zu erkennen gegeben haben, den Mietvertrag mit der Beklagten fortzusetzen.

Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte sich auf den Standpunkt, daß eine Fortsetzung des kraft Gesetzes erloschenen Mietverhältnisses nicht möglich sei, der Mietvertrag vielmehr erst nach Neuerrichtung des zerstörten Gebäudes oder Instandsetzung der unbrauchbar gewordenen Mieträume neu abgeschlossen werden müsse. Bei Eintreten der Voraussetzungen des § 1 der angeführten Verordnung sei eine zum Mietgebrauch taugliche Sache nicht vorhanden und es könne daher ein Mietvertrag hinsichtlich einer nicht mehr vorhandenen Sache nicht fortgesetzt oder erneuert werden; es widerspreche auch den Erfahrungen des täglichen Lebens, daß ein Hauseigentümer, der zur Wiederherstellung von durch Kriegseinwirkung unbenützbar gewordenen Räumen dem früheren Mieter gegenüber nicht verpflichtet sei, den alten Mietvertrag ohne Baukostenbeitrag übernehme, nachdem er die unbrauchbar gewordenen Mietobjekte mit erheblichen Aufwendungen ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel wieder instandgesetzt habe. Schließlich ergebe sich aus § 2 der Verordnung, wonach zum Abschluß von Mietverträgen über die wiederhergestellten Räume auch mit dem bisherigen Mieter die Zustimmung der Gemeindebehörde notwendig sei, daß diese zwingende Bestimmung nicht durch einen vor der Wiederherstellung geschlossenen Mietvertrag mit dem bisherigen Mieter umgangen werden könne.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und stellte das Urteil des Prozeßgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Meinung der Revision, daß der Bescheid der Feststellungsbehörde das Gericht nicht binde und lediglich ein Beweismittel oder Gutachten darstelle, ist insofern rechtsirrig, als nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1, Abs. 2 der Verordnung das Gericht an den Bescheid der Feststellungsbehörde über die Frage, ob die Voraussetzungen des § 1, Abs. 1, lit. a oder b vorliegen, gebunden ist.

Hingegen ist die Revision im Recht, wenn sie aus dem Revisionsgrund des § 503, Z. 4 ZPO. geltend macht, daß das Gericht darüber, ob der Mietvertrag tatsächlich erloschen sei, im eigenen Wirkungskreis zu entscheiden habe, und daß die Meinung des Berufungsgerichtes, bei Untergang der Bestandsache könne der Mietvertrag nicht fortgesetzt werden, auf einem Rechtsirrtum beruhe. § 1 der Verordnung zielt seinem Inhalte nach, insbesondere im Hinblick auf den Gebrauch des Wortes "nur" im Abs. 1 und nach der Fassung des Abs. 3 offenbar darauf ab, diesonst bestehenden Bestimmungen über den Mieterschutz zugunsten jener Vermieter zu lockern, deren Gebäude durch Kriegeinwirkung zerstört oder doch schwer beschädigt sind. Es wird also dem Vermieter ein Recht gewährt, das ihm sonst nicht zusteht, auf das er aber wie auf jedes andere Privatrecht gültig und wirksam verzichten kann. Ein solcher Verzicht muß aber im vorliegenden Fall angenommen werden; denn unbestrittenermaßen ist der Kriegssachschaden anfangs 1945 eingetreten und es haben die Klägerinnen bis November 1947 den Zins nicht nur von der Beklagten entgegengenommen, sondern auch von dieser verlangt, obwohl die Frist des § 1 bereits anfangs 1946 abgelaufen war und sie jedenfalls vor dem 10. November 1947 (Tag der Ausstellung des Bescheides der Feststellungsbehörde) den Antrag bei der Feststellungsbehörde gestellt habe. Aus diesem Verhalten der Klägerinnen ergibt sich der zwingende Schluß, daß sie der Beklagten gegenüber zu erkennen gegeben haben, auf das ihnen nach § 1 der Verordnung zustehende Recht auf Auflösung des Bestandvertrages zu verzichten und diesen fortzusetzen. Abgesehen davon, daß die Klägerinnen nicht einmal behauptet haben, das Bestandobjekt sei zugrunde gegangen, sondern lediglich vorbrachten, es sei schwer beschädigt, ist auch die Bestimmung des § 1112 ABGB. dispositives Recht und schließt die einverständliche Fortsetzung des bisher bestandenen Mietvertrages keineswegs aus. Das Berufungsgericht ist auch nicht im Recht, wenn es die Meinung vertritt, daß § 2 der Verordnung die Fortsetzung des bisherigen Bestandvertrages ausschließe, da diese Bestimmung sich nur auf den Fall bezieht, als der Vermieter von dem ihm nach § 1 zustehenden Recht, den Bestandvertrag aufzulösen, Gebrauch macht und der Bestandvertrag somit sein Ende findet. Diese Bestimmung hindert aber nicht die einverständliche Fortsetzung des Vertrages mit dem bisherigen Mieter.

Es ist auch im vorliegenden Falle nicht, wie dies das Berufungsgericht vermeint, die Schlußfolgerung abwegig, daß die Klägerinnen den Bestandvertrag erneuern (richtig fortsetzen) wollten, ohne einen Baukostenbeitrag für den aus ihren eigenen Mitteln ohne staatlichen Zuschuß zu bestreitenden Herstellungsaufwand zu begehren. Denn es ist in diesem Rechtsstreit von keinem der Beteiligten die Frage der Höhe der Aufwendungen, eines staatlichen Zuschusses oder eines Baukostenbeitrages aufgeworfen worden. Wenn die Klägerinnen von dem ihnen nach § 1 zustehenden Recht, den Bestandvertrag für aufgelöst zu erklären, hätten Gebrauch machen wollen, so wären sie nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet gewesen, diese Absicht der Beklagten rechtzeitig nach Ablauf der Frist des § 1 der Verordnung bekanntzugeben; dadurch, daß sie dies nicht nur unterlassen und des Mietzins weiter entgegen genommen, sondern den Zins sogar bis zur Klagseinbringung und auch nachher verlangt haben, haben sie in unzweideutiger Weise zu erkennen gegeben, daß sie die Bestimmung des § 1 der Verordnung auf den Mietvertrag mit der Beklagten nicht

Anmerkung

Z21090

Schlagworte

Auflösung des Mietvertrages nach § 1 der, Kriegssachschäden- EinwirkungsV., Verzicht möglich, Konkludente Handlung, Treu und Glauben, Verletzung durch Auflösung eines Bestandvertrages, Verzicht die Auflösung des Mietvertrages gemäß § 1 der, Kriegssachschäden- EinwirkungsVdg. zu begehren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1948:0030OB00114.48.0421.000

Dokumentnummer

JJT_19480421_OGH0002_0030OB00114_4800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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