TE OGH 1950/2/2 4Ob64/49

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.02.1950
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Norm

ABGB §34
ABGB §863
Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897. DRGBl. S. 219 §105
Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897. DRGBl. S. 219 §346
Siebentes Rückstellungsgesetz §1
ZPO §503 Z2

Kopf

SZ 23/21

Spruch

Wenn die Firmeninhaber mehrerer gleichlautender selbständiger offener Handelsgesellschaften unter ihrer Unterschrift eine Verbindlichkeit übernehmen, so haften die einzelnen offenen Handelsgesellschaften nur dann, wenn die Firmeninhaber sich nicht nur persönlich, sondern auch namens bestimmter einzelner dieser Firmen verpflichten wollten.

Wenn Ansprüche nach dem Siebenten Rückstellungsgesetz geltend gemacht werden, so ist nicht das Vertrags-, sondern das Verfolgungsstatut maßgebend.

Entscheidung vom 2. Februar 1950, 4 Ob 64/49.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Julius und Ferdinand S. waren die Inhaber mehrerer gleichlautender offener Handelsgesellschaften, die in Wien, Berlin und in anderen Städten das Verlagsgeschäft betrieben. Im Jahre 1931 wurde der Kläger, der zuletzt in Wien tätig war, pensioniert, Julius und Ferdinand S. sicherten ihm eine lebenslängliche Pension zu. Das Pensionierungsschreiben ist von den beiden Firmeninhabern persönlich gefertigt. Julius und Ferdinand S. sind später aus der Wiener offenen Handelsgesellschaft ausgeschieden; sie ist auf Otto und Tonjes L. übergegangen. Kläger wurde in der deutschen Okkupationszeit in seinen Bezügen gekürzt und verlangt von der Wiener Firma Nachzahlung der gekürzten Pensionsbezüge auf Grund des Siebenten Rückstellungsgesetzes. Die Beklagten haben die Anwendbarkeit des Siebenten Rückstellungsgesetzes bestritten, weil der Pensionsvertrag in Berlin abgeschlossen und ausdrücklich deutsches Recht vereinbart worden ist; auch sei die Passivlegitimation der Wiener Firma nicht gegeben, weil Julius und Ferdinand S. im eigenen Namen die Pension zugesichert hatten.

Die beiden unteren Instanzen haben antragsgemäß verurteilt; der Oberste Gerichtshof hob auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rechtsrüge ist nicht begrundet. Da dem Kläger eine Sozialausgleichsabgabe vorgeschrieben wurde, muß er Jude, Pole oder Zigeuner gewesen sein, da nur diesen Personengruppen diese Sondersteuer vorgeschrieben worden ist. Welcher dieser drei Gruppen er angehört hat, kann dahingestellt bleiben - daher erübrigt sich auch eine Aufhebung zur Feststellung dieses Umstandes -, weil alle drei Gruppen zu den politisch Verfolgten zählen. Damit steht aber der Zusammenhang der Pensionskürzung mit der politischen Verfolgung fest.

Für die Wiedergutmachung wegen einer politischen Verfolgung ist aber nicht das Gesetz maßgebend, nach dem der zugrunde liegende Vertrag zu beurteilen ist, das sogenannte Vertragsstatut, sondern dasjenige Recht, das die in Rede stehende Benachteiligung ermöglicht hat, das sogenannte Verfolgungsstatut, d. h. die Gesetzgebung desjenigen Staates, in dem die nationalsozialistische Machtübernahme diese Maßregel ermöglicht hat. Das ist im vorliegenden Falle das Recht des österreichischen Staates, weil die Firmen dem Kläger, der in Österreich seinen Wohnsitz hätte, wenn Hitler nicht Österreich überfallen hätte, seine Pension nicht hätten einseitig kürzen können, da sie, solange Österreich ein selbständiger Staat war, Gefahr gelaufen wären, daß Kläger den Ferdinand S., der am Wiener Unternehmen damals (1941) noch beteiligt war, auf Grund des Vermögensgerichtsstandes klage und dann auf sein Auseinandersetzungsguthaben bei der Wiener Firma Exekution führe. Die Annexion Österreichs war also eine wesentliche Bedingung der gesetzten Verfolgungsmaßnahme.

Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob nicht auch die Verfolgung im Deutschen Reich (Berlin) zu lokalisieren war, da bei einer Lokalisierung der Verfolgung in mehreren Staaten dem Geschädigten das Wahlrecht zusteht, sein Recht nach dem ihm günstigsten Rechte zu verfolgen. Da also jedenfalls auch das österreichische Recht Verfolgungsstatut ist, war der Kläger berechtigt, seine Ansprüche auf das Siebente Rückstellungsgesetz zu stützen, ganz gleichgültig, ob das etwa daneben noch anwendbare deutsche Rückstellungsrecht der maßgebenden Besetzungszone günstiger oder ungünstiger ist. Der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist daher nicht gegeben.

Dagegen wird der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Zusammenhang mit der Rechtsrüge mit Recht geltend gemacht.

Aus dem Umstand, daß Julius und Ferdinand S. im Zeitpunkte des Vertragsabschlusses vom 5. April 1928 die Alleininhaber der Wiener und der Berliner Firmen gewesen sind, kann an sich nicht der Schluß gezogen werden, daß sie sich nicht nur für sich, sondern auch für ihre Firmen verpflichten wollten. Die offene Handelsgesellschaft und ihre Gesellschafter dürfen im Rechtsverkehr nicht identifiziert werden. Wenn zwei Personen zwei offene Handelsgesellschaften am selben Orte unter verschiedenen Firmennamen grunden, so haftet die eine Firma, z. B. im Konkursfalle, nicht für die Schulden der anderen, auch wenn alle Gesellschafter die Verbindlichkeit eingegangen sind. Es muß daher bei Personen, die mehrere Firmen haben, immer unterschieden werden, ob sie für sich persönlich oder für welche der Firmen sie sich verpflichtet haben.

Der vorliegende Vertrag vom 5. April 1928 spricht nun nicht eindeutig dafür, daß er auch im Namen der Wiener Firma abgeschlossen worden ist.

Der Umstand, daß der Vertrag nicht mit dem Namen einer Firma unterschrieben ist, sondern nur mit dem Namen der Gesellschafter, scheint eher dagegen zu sprechen, daß namens der Wiener oder einer anderen Konzernfirma eine Verpflichtung übernommen wurde, da bei einem Unternehmen vom Rang der S.-Firmen derlei Ungenauigkeiten bei ausgearbeiteten Verträgen kaum zu vermuten sind, zumal da auch das Pensionierungsschreiben so gefertigt ist.

Daß sich die Vertragsgegner des Klägers seine Verwendung auch außerhalb Wiens für andere Konzernfirmen vorbehalten haben, spricht auch nicht gerade dafür, daß Kläger mit einer oder mit mehreren bestimmten Konzernfirmen abgeschlossen hat. Das gilt auch von dem Vorbehalt, daß die Vertragspflichten des Ferdinand und Julius S. auch dann unberührt bleiben sollen, wenn das Wiener oder ein anderes Konzernunternehmen außerhalb Wiens in eine andere rechtliche Form umgewandelt wird.

Der Umstand, daß der Kläger als Prokurist der Wiener Firma handelsgerichtlich registriert war, deutet nicht unbedingt auf ein Angestelltenverhältnis zur Wiener Firma, weil der Prokurist nicht Angestellter des Prinzipals sein muß.

Da es also nach dem Wortlaute des Vertrages keineswegs eindeutig als feststehend angesehen werden kann, daß Kläger in den Diensten der Beklagten gestanden ist, durfte der angebotene Beweis durch Dr. D. als Zeugen darüber, daß die Parteien absichtlich diese Formulierung gewählt haben, um zum Ausdrucke zu bringen, Kläger sei nur bei den Firmeninhabern und nicht bei den Konzernfirmen angestellt, nicht abgelehnt werden.

In der Abweisung dieses Antrages muß daher eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Sinne des § 503 Abs. 2 ZPO. erblickt werden.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß im Akt mehrere Briefe erliegen, denen entnommen werden kann, daß die Beklagte anerkannt hat, zur Zahlung der Pension verpflichtet zu sein, denn ein Anerkenntnis begrundet nach österreichischem Recht keinen Verpflichtungsgrund, sondern verschiebt nur die Beweislast. Es durfte daher der Beklagten durch Nichtzulassung des Zeugen Dr. D. nicht die Führung des ihr obliegenden Gegenbeweises unmöglich gemacht werden.

Aus diesen Gründen konnte der Revision der Erfolg nicht versagt bleiben; es war daher das berufungsgerichtliche Urteil aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung in der Sache nach Durchführung des Beweises durch den Zeugen Dr. D. aufzutragen.

Nur der Vollständigkeit halber sei bemerkt, daß von einer Nichtigkeit des Verfahrens unter keinen Umständen die Rede sein kann, denn der von dem Kläger behauptete Anspruch war - sofern er überhaupt bestanden hat - ein arbeitsrechtlicher Anspruch der nur vor dem Arbeitsgericht geltend gemacht werden kann. Es handelt sich also nicht um die Frage der Qualifikation, sondern der Existenz eines strittigen Ausspruches. In diesen Fällen ist aber das Arbeitsgericht zuständig und muß daher, wenn sich im Beweisverfahren die Existenz der strittigen Ansprüche nicht nachweisen läßt, die Klage abgewiesen und nicht zurückgewiesen werden.

Anmerkung

Z23021

Schlagworte

Ausland, Entziehung im -, 7. RückstellungsG., Entziehung im Ausland, Anwendbarkeit des 7. RückstellungsG., Firma gleichlautende, mehrere Handelsgesellschaften, Haftung, Haftung mehrerer Handelsgesellschaften mit gleicher Firma, Haftung nach dem 7. RückstellungsG. bei Entziehung im Ausland, Handelsgesellschaft offene Haftung bei gleichem Firmenwortlaut mehrerer, -, Internationales Privatrecht, Entziehung im Ausland, Offene Handelsgesellschaft Haftung bei gleichem Firmenwortlaut mehrerer, -, Privatrecht, internationales, Entziehung im Ausland, Rückstellungsgesetz, Siebentes, Entziehung im Ausland, Verfolgungsstatut, bei Entziehung im Ausland, Vertragsstatut bei Entziehung im Ausland

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0040OB00064.49.0202.000

Dokumentnummer

JJT_19500202_OGH0002_0040OB00064_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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