TE OGH 1950/5/3 3Ob210/50 (3Ob211/50)

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Veröffentlicht am 03.05.1950
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Norm

Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897. DRGBl. S. 219 §140
Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897. DRGBl. S. 219 §142
ZPO §13
ZPO §14
ZPO §237

Kopf

SZ 23/134

Spruch

Bei einer notwendigen Streitgenossenschaft haben die von einem Streitgenossen gegen den Willen der anderen vorgenommenen Prozeßhandlungen, wie z. B. eine Klagsrücknahme, keine rechtliche Wirkung.

Entscheidung vom 3. Mai 1950, 3 Ob 210, 211/50.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Der Kläger Hans W., der alleinige persönlich haftende Gesellschafter der aus einem Komplementär und zwei Kommanditisten bestehenden Kommanditgesellschaft W. & Co., brachte gemeinsam mit dem Kommanditisten Dr. Karl P. gegen den zweiten Kommanditisten Dr. Ludwig S. zu 5 Cg 271/49 des Landesgerichtes für ZRS. Graz eine Klage auf Ausschließung aus der Gesellschaft gemäß § 140 HGB. ein. Im Zuge des Rechtsstreites zog Dr. Karl P. die Klage mit Zustimmung des Beklagten zurück und brachte unmittelbar darauf zu 5 Cg 542/49 gemeinsam mit Dr. Ludwig S. gegen Hans W. eine Klage auf Ausschließung und Übernahme des Unternehmens, allenfalls auf Auflösung der Gesellschaft ein. Nun überreichte Hans W. zu 5 Cg 549/49 des Landesgerichtes für ZRS. Graz auch gegen Dr. Karl P. eine Klage, und zwar auf Geschäftsübernahme nach § 142 HGB.; sämtliche Klagen wurden vom Erstgericht zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Hans W. beantragte nach der Klagsrücknahme durch Dr. Karl P. gegen Dr. Ludwig S. die Erlassung einer einstweiligen Verfügung durch das an Dr. Ludwig S. gerichtete Verbot, Geschäftsführungshandlungen jeder Art vorzunehmen, die ihm gesetzlich und vertraglich zustehenden Kontrollrechte in schikanöser Weise auszuüben und darüber hinausgehende Handlungen vorzunehmen, insbesondere die geschäftsabwickelnden Angestellten zu stören, während Dr. Karl P. und Dr. Ludwig S. die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen Hans W. durch das an den letzteren gerichtete Verbot jeder Geschäftsführung in der Firma W. & Co. und durch Bestellung eines einstweiligen Kurators zur Geschäftsführung beantragten.

Das Erstgericht bewilligte die von Hans W. beantragte einstweilige Verfügung gegen Erlag einer Sicherheitsleistung von 20.000 S, wobei dem Antragsgegner das Recht eingeräumt wurde, gegen Erlag eines Betrages von 40.000 S die Aufhebung der einstweiligen Verfügung zu erwirken, und wies den Antrag des Dr. Karl P. und des Dr. Ludwig S. auf Erlassung der einstweiligen Verfügung gegen Hans W. ab.

Das Rekursgericht gab dem Rekurse des Hans W. keine, hingegen dem des Dr. Karl P. und des Dr. Ludwig S. Folge, wies den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen Dr. Ludwig S. ab und hob den erstrichterlichen Beschluß, soweit dieser die Abweisung des Antrages des Dr. Karl P. und des Dr. Ludwig S. auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen Hans W. aussprach, auf und trug dem Erstgerichte die Fortsetzung des Verfahrens über die einstweilige Verfügung und die neuerliche Entscheidung auf, wobei es aussprach, daß das Verfahren erst nach Rechtskraft seines Beschlusses fortzusetzen sei. Das Rekursgericht vertrat die Rechtsmeinung, daß bei einer Klage auf Ausschließung eines Gesellschafters nach § 140 Abs. 1 HGB. sämtliche Gesellschafter als Kläger oder Beklagte an dem Rechtsstreit beteiligt sein müssen, wobei es sich um eine einheitliche und notwendige Streitgenossenschaft handle; da jedoch Dr. Karl P. durch die von ihm vorgenommene Klagsrücknahme aus dem Rechtsstreit ausgeschieden sei, erscheine die Forderung des Gesetzes, daß alle Gesellschafter am Ausschließungsstreit beteiligt sein müssen, nicht mehr erfüllt und daher der Anspruch des Hans W. nicht gegeben. Die Tatsache der Verbindung der drei Rechtsstreite vermag nach Meinung des Rekursgerichtes an dieser Rechtslage nichts zu ändern, da sich die Klagen nicht ergänzen. Hingegen fand das Rekursgericht das Verfahren über die von Dr. Karl P. und Dr. Ludwig S. beantragte einstweilige Verfügung ergänzungsbedürftig, weil sich das Erstgericht mit einer Reihe von Tatbeständen, die im Antrage geltend gemacht wurden, nicht auseinandergesetzt und sich mit den angebotenen Bescheinigungsmitteln nicht befaßt habe.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Hans W. nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Frage, ob bei einer einheitlichen Streitpartei die Klagsrücknahme durch einen Streitgenossen gegen den Willen der anderen überhaupt zulässig und geeignet ist, Rechtswirkungen zu erzeugen, wird von Petschek (Die Zwangsvollstreckung in Forderungen nach österreichischem Recht, S. 256) und Trutter (S. 111) ausdrücklich verneint; Skedl (Das österreichische Zivilprozeßrecht I, S. 204 f.) spricht lediglich von Verzichten, Anerkenntnissen, Vergleichen und Klagsänderungen, die von einem Streitgenossen ohne Zustimmung der übrigen vorgenommen werden, und steht auf dem Standpunkt, daß derartige Prozeßhandlungen weder für den betreffenden noch für die übrigen Streitgenossen Gültigkeit haben, während Schrutka (Grundriß des Zivilprozeßrechtes, S. 84) dies nur auf solche Prozeßhandlungen angewendet wissen will, die die Prozeßlage verschlechtern. Pollak (S. 201) vertritt die Meinung, daß Willenserklärungen der notwendigen Streitgenossen einheitlich abgegeben werden müssen, ohne Rücksicht darauf, ob hiedurch die Prozeßlage verschlechtert wird oder nicht. Neumann (I, S. 440) und Sperl (S. 186) sind der Ansicht, daß bei einer einheitlichen Streitpartei von einem Streitgenossen vorgenommene Prozeßhandlungen nur mit Zustimmung der übrigen wirksam sind bzw. gegen den Willen der übrigen keine Wirkung haben. Lediglich die Entscheidung GlUNF. Nr. 1065 spricht aus, daß die Rücknahme der Klage durch einen Streitgenossen der Fortführung des Rechtsstreites durch den anderen nicht entgegenstehe, doch dürften bei dieser Entscheidung die Bestimmungen der ZPO. vom Jahre 1895 noch nicht zur Anwendung gekommen sein, da sie sich auf einen Rechtsstreit bezieht, der seit dem Jahre 1892 anhängig war. Alle obangeführten Lehrmeinungen stimmen jedenfalls in dem Punkt überein, daß bei einer einheitlichen Streitpartei (notwendigen Streitgenossenschaft), um die es sich bei einer Klage nach § 140 HGB. handelt, von einem Streitgenossen gegen den Willen der anderen vorgenommene Prozeßhandlungen keine Wirkung haben. Nun hat aber Hans W. nach der Klagsrücknahme seitens des Dr. Karl P. gegen diesen eine Klage auf Geschäftsübernahme eingebracht und dadurch zu erkennen gegeben, daß er die Klagsrücknahme als wirksam ansieht und daher genehmigt, weshalb die eingangs angeschnittene Rechtsfrage für die Entscheidung nicht von Bedeutung ist.

Anmerkung

Z23134

Schlagworte

Klagsrückziehung gegen den Willen des notwendigen Streitgenossen, Streitgenossenschaft, notwendige, Prozeßhandlungen eines gegen Willen, des anderen, Zurückziehung der Klage gegen den Willen des notwendigen Streitgenossen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0030OB00210.5.0503.000

Dokumentnummer

JJT_19500503_OGH0002_0030OB00210_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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