TE OGH 1950/5/3 1Ob147/49

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Veröffentlicht am 03.05.1950
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Norm

ABGB §1112
ABGB §1118
Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §56
Bauordnung für Wien §129
Kriegssachschäden- Einwirkungsverordnung vom 28. September 1943. DRGBl. I S. 546 546 §1

Kopf

SZ 23/124

Spruch

Der Auftrag der Baubehörde an den Hauseigentümer, die vermieteten Wohnungen unverzüglich räumen zu lassen, berechtigt diesen, die Räumung mit Klage im Sinne des § 1118 ABGB. zu begehren.

Entscheidung vom 3. Mai 1950, 1 Ob 147/49.

I. Instanz: Bezirksgericht Favoriten; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist das Haus, Wien, K.gasse 42, in dem die Beklagten als Mieter wohnen, zwar bombenbeschädigt, doch ist ein Bescheid im Sinne des § 1 Abs. 2 Verordnung über die Einwirkung von Kriegssachschäden an Gebäuden auf Miet- und Pachtverhältnisse vom 28. September 1943, DRGBl. I S. 546, mit dem die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 lit. b der Verordnung als gegeben festgestellt worden wären, nicht erlassen worden. Die Klägerin stützt das gegen die Beklagte gerichtete Räumungsbegehren darauf, daß ihr von der Magistratsabteilung 37 der Auftrag erteilt wurde, die Wohnungen wegen Gefahr im Verzuge unverzüglich räumen zu lassen. Bei der Streitverhandlung brachte sie noch vor, daß das Gebäude neu aufgeführt werden soll.

Das Prozeßgericht hat das Klagebegehren mit der Begründung abgewiesen, daß eine tatsächliche Einsturzgefahr die Verwaltungsbehörde berechtigen und verpflichten würde, die Räumung selbst zu veranlassen, eine Räumungsklage jedoch nicht rechtfertigen würde. Auch die Tatsache, daß das Gebäude neu errichtet werden soll, könne die Klägerin nicht zum Anlaß einer Räumungsklage nehmen, da sie nicht etwa den Antrag auf Gestattung der Vornahme der notwendigen Bauführung stelle, sondern die Räumung gemäß § 1118 ABGB. begehre. Da es sich um ein kriegsbeschädigtes Gebäude handle, seien die einschlägigen Bestimmungen des § 1118 ABGB. durch die Verordnung vom 28. September 1943, DRGBl. I S. 546, die eine Sonderregelung darstelle, abgeändert.

Das Berufungsgericht hat der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung der Klägerin Folge gegeben und in Abänderung dieses Urteils im Sinne des Klagebegehrens erkannt. In der Begründung wird ausgeführt, daß § 1118 ABGB. durch die Verordnung vom 28. September 1943 nicht aufgehoben wurde, es müsse vielmehr aus dem Zeitpunkt der Entstehung dieser Verordnung und aus ihrem Anlaß gefolgert werden, daß durch sie neben die Fälle des § 1118 ABGB. ein weiterer Räumungsgrund tritt, der den Bestandvertrag von selbst gemäß § 1112 ABGB. zur Auflösung bringt. Die Wirkung des § 1118 ABGB. werde damit keineswegs abgeschwächt. Trete durch die dauernde Unbenützbarkeit der Wohnung die Auflösung des Bestandvertrages ex lege ein, dann befinde sich der Bestandnehmer ohne Rechtstitel im Besitze des Bestandgegenstandes, so daß § 1118 ABGB. zur Anwendung gelangen könne.

Die Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 der erwähnten Verordnung zutreffen, falle nicht ausschließlich in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und habe nur deklarativen Charakter. Die Feststellungsbehörde habe nur auf Antrag des Hauseigentümers oder Mieters zu entscheiden, und ihre Entscheidung sei nicht anfechtbar. Das Gericht könne aber die Frage, wenn die Feststellungsbehörde nicht angerufen wurde, selbst entscheiden. Die Magistratsabteilung 37 habe festgestellt, daß für das von den Beklagten bewohnte Haus Einsturzgefahr und für die Beklagten selbst Lebensgefahr bestehe. Daraus ergebe sich, daß die Bestandräume nicht nur vorübergehend unbenützbar geworden sind, und es seien daher die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 lit. b der Verordnung gegeben, d. h. der Mietvertrag der Beklagten sei aufgelöst.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Laut dem im Akte erliegenden Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Abteilung 37, vom 29. Jänner 1948, wurde in Anwendung des § 56 AVG. den Hauseigentümern des Hauses K.gasse 42 gemäß § 129 Abs. 4 der Wiener Bauordnung der Auftrag erteilt, die Wohnungen der Beklagten 5, 6, 7, 8, 10 und 11 wegen Gefahr in Verzug unverzüglich räumen zu lassen. Einer allfälligen Berufung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Dieser Auftrag ist durch die bezogene Gesetzesstelle gedeckt. Da die Anordnung der Räumung in die ausschließliche Kompetenz der Baubehörde fällt, so ist diese allein zur Entscheidung darüber berufen, ob ein Gebäude noch weiter benützt werden darf oder nicht. Die feststehende Notwendigkeit, die vermieteten Räume sofort zu räumen, rechtfertigt aber das Begehren der Bestandgeberin im Sinne des § 1118 ABGB., die sofortige Aufhebung der Verträge zu verlangen (E. v. 2. Dezember 1936, ZBl. 1937, Nr. 67).

Das Berufungsgericht hat daher die Rechtslage richtig beurteilt, wenn es im Sinne des Klagebegehrens erkannt hat.

Der Revision der Beklagten mußte daher der Erfolg versagt bleiben.

Anmerkung

Z23124

Schlagworte

Auftrag der Baubehörde, Räumungsklage, Baubehörde, Räumungsauftrag, Räumungsklage Auftrag der Baubehörde, Verwaltungsbehörde, baubehördlicher Räumungsauftrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00147.49.0503.000

Dokumentnummer

JJT_19500503_OGH0002_0010OB00147_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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