TE Vwgh Erkenntnis 2005/2/23 2003/08/0039

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Veröffentlicht am 23.02.2005
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §7;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des H in L, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Spittelwiese 8, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 21. Jänner 2003, Zl. LGSOÖ/Abt.4/1282/0975/2003-10, betreffend Verlust von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Linz, Service Versicherungsleistungen, vom 26. November 2002, mit dem der Verlust des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe in der Zeit vom 11. November 2002 bis 5. Jänner 2003 ausgesprochen wurde, abgewiesen.

In der Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe seit 17. September 2002 am Beschäftigungsprojekt P. teilgenommen. Ein Mitarbeiter dieses Projekts habe dem Beschwerdeführer am 11. November 2002 eine Beschäftigung als Autoaufbereiter bei der Firma T. in Linz mit mindestens kollektivvertraglicher Entlohnung und einem möglichen Arbeitsantritt am selben Tag verbindlich angeboten. Am 19. November 2002 habe der Beschwerdeführer niederschriftlich erklärt, der Mitarbeiter des Projekts habe ihn um 11.30 Uhr angerufen und ihm mitgeteilt, der Beschwerdeführer müsse um

12.30 Uhr bei der Firme T. sein. Eine auf seine Mailbox (gemeint wohl: vor 11.30 Uhr) gesprochene Nachricht habe er nicht erhalten. Der Beschwerdeführer habe dem Projektmitarbeiter bei diesem Telefonat gesagt, dass er es zeitlich "nicht schaffe", da er gerade Besuch habe und koche; er müsse sich erst umziehen und mit dem Bus und der Straßenbahn zur Firma T. fahren. Der Projektmitarbeiter habe nicht erwähnt, dass er den Beschwerdeführer hinführen könnte, sondern gemeint, der Beschwerdeführer möge den Ofen abdrehen und das Gekochte am Abend zu sich nehmen, ansonsten werde er eine Meldung über die Arbeitsunwilligkeit des Beschwerdeführers beim Arbeitsmarktservice erstatten.

Nach Wiedergabe der vom Beschwerdeführer in seiner Berufung vorgetragenen Argumente, die im Wesentlichen seinen Angaben in der genannten Niederschrift entsprachen, führte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht aus, dass die Aufnahme des Beschwerdeführers in das Beschäftigungsprojekt P. erfolgt sei, um eine dauerhafte Arbeitsaufnahme zu ermöglichen. Ziel dieses Projektes sei es, Arbeitssuchende sehr persönlich zu betreuen. Dies beinhalte auch, dass eine Arbeitsaufnahme sofort angeboten werden könne. Die angebotene Beschäftigung bei der Firma T. hätte den Zumutbarkeitsbestimmungen des § 9 Abs. 2 und 3 AlVG voll entsprochen. Der Beschwerdeführer habe lediglich angeführt, es zeitlich "nicht geschafft" zu haben, in einer Stunde umgezogen und inklusive Bus- und Straßenbahnfahrt rechtzeitig bei der Firma T. zu sein. Die Fahrt von der S Straße 12 (gemeint offenbar der Wohnadresse des Beschwerdeführers) bis zum B Platz dauere 20 Minuten, wobei der Gehweg von der Wohnung des Beschwerdeführers zur Haltestelle bereits berücksichtigt sei. Selbst bei einer Fahrzeit von insgesamt 30 Minuten wäre dem Beschwerdeführer eine halbe Stunde Zeit geblieben, sich umzuziehen. Der Leistungsbezug setze voraus, dass eine angebotene zumutbare Beschäftigung akzeptiert werde. Dadurch werde die geforderte Arbeitswilligkeit gezeigt. Der vom Beschwerdeführer genannte Grund für die Nichtannahme der Beschäftigung sei lediglich ein zeitliches Problem gewesen, was kein triftiger Grund für die Verweigerung der Annahme einer zumutbaren Beschäftigung sei. Die für einen Leistungsbezug notwendige Arbeitswilligkeit liege nicht vor. Da bereits einmal eine Sanktion gemäß § 10 Abs. 1 AlVG verhängt worden sei, betrage der Ausschlusszeitraum nunmehr acht Wochen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Arbeitswillig ist nach § 9 Abs. 1 erster Fall AlVG, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Wenn sich der Arbeitslose weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder wenn er die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, so verliert er nach § 10 Abs. 1 AlVG für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs (unter bestimmten Voraussetzungen: acht) Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Diese Bestimmungen sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. in diesem Sinn schon das Erkenntnis vom 16. Oktober 1990, Slg. Nr. 13.286/A, und die dort angeführte Vorjudikatur).

Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten (und daher unverzüglich zu entfaltenden) aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits (und deshalb) aber auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern.

Das Nichtzustandekommen eines den Zustand der Arbeitslosigkeit beendenden (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen somit auf zwei Wegen verschuldet (d.h. dessen Zustandekommen vereitelt) werden:

Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermines, Nichtantritt der Arbeit, etc.), oder aber dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht.

Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 4. Juli 1995, Zl. 95/08/0099). Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 20. Oktober 1992, Slg. Nr. 13.722/A, und vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0050).

§§ 9 und 10 AlVG sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung - wie auch den Ausführungen in der Gegenschrift zu entnehmen ist - die im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Angaben des Beschwerdeführers in der Niederschrift vom 19. November 2002 als Sachverhalt zu Grunde. Sie ging weiter davon aus, dass der Beschwerdeführer von seinem Wohnort zur Firma T. mit öffentlichen Verkehrsmitteln 30 Minuten - laut Gegenschrift 35 Minuten - benötige. Auf dieser Basis hat sie das Vorliegen von Arbeitswilligkeit verneint, weil der Beschwerdeführer gemeint habe, er "schaffe es nicht", innerhalb einer Stunde ab seiner Verständigung die angebotene Arbeit bei der Firma T. anzutreten bzw. sich dort vorzustellen; dieses Verhalten sei als Weigerung der Annahme einer zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung zu werten.

Mit dieser Ansicht ist die belangte Behörde nicht im Recht, weil der Beschwerdeführer nicht verpflichtet war, sich ständig derart in Bereitschaft zu halten, dass er in der Lage gewesen wäre, ohne Verzögerung jederzeit eine Beschäftigung antreten zu können (vgl. zum Fehlen der Verpflichtung, sich "auf Abruf " durch den potenziellen Dienstgeber bereit zu halten, das Erkenntnis vom 17. November 2004, Zl. 2002/08/0131).

Die Verpflichtung einer arbeitslosen Person, eine vom Arbeitsmarktservice vermittelte oder sich sonst bietende Beschäftigung innerhalb der Zumutbarkeitsgrenzen des § 9 Abs. 2 bis 4 AlVG anzunehmen, deren Verletzung gemäß § 10 AlVG mit dem Verlust von Geldleistungen durch mindestens sechs Wochen sanktioniert ist, dient zwar dem gerechtfertigten Ziel der Verhinderung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitslosenversicherung und erfordert auch, dass der Arbeitslose für das Arbeitsmarktservice grundsätzlich jederzeit erreichbar ist (§ 7 AlVG). Diese Verpflichtung beinhaltet aber nicht, dass auch ohne weitere Vorankündigung eine "Einweisung" in ein Arbeitsverhältnis von einer Minute auf die andere vorgenommen werden dürfte. Das Gesetz überlässt es vielmehr der arbeitslosen Person selbst, vorerst die näheren Bedingungen der ihr von der regionalen Geschäftsstelle bekannt gegebenen Beschäftigungsmöglichkeit (wie Inhalt der Arbeitsverpflichtung, Arbeitszeit, Entlohnung u.ä.) mit dem potenziellen Arbeitgeber zu besprechen, und verpflichtet sie sodann, dessen Angebot - wenn dies nach den gesetzlichen Kriterien zumutbar ist - anzunehmen. Dies kann nach den Umständen durchaus auch umgehende Bemühungen der arbeitslosen Person erfordern. Das Gesetz ermächtigt die regionale Geschäftsstelle aber nicht, ohne Mitwirkung der arbeitslosen Person ad hoc einen bestimmten Arbeitsbeginn oder Vorstellungstermin bei einem Arbeitgeber festzusetzen, auf den sich die betreffende Person weder der Sache nach entsprechend vorbereiten noch einrichten kann.

Im Hinblick darauf, dass die "Zuweisung" nicht durch die regionale Geschäftsstelle erfolgt ist, kann dahinstehen, ob es sich vorliegend überhaupt um eine unter der Sanktion einer Sperrfrist stehende Zuweisung iSd § 10 Abs. 1 erster Teilstrich AlVG gehandelt hat.

Indem die belangte Behörde von einer Vereitelung ausgegangen ist, hat sie den Sachverhalt rechtlich unrichtig beurteilt. Der angefochtene Bescheid war demnach gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 23. Februar 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003080039.X00

Im RIS seit

23.03.2005

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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