TE OGH 1960/4/4 3Ob123/60

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Veröffentlicht am 04.04.1960
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Ersten Präsidenten Dr. Heller als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dinnebier, Dr. Machek, Dr. Berger und Dr. Überreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Josef F*****, Expeditarbeiter, ***** 2.) Martha F*****, dessen Gattin, ebenda, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Thomich, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Republik Österreich (Post und Telegraphenverwaltung), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien I., Rosenbursenstraße 1, wegen Unzulässigkeit einer Räumungsexekution (Streitwert 1.000 S), infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 19. November 1959, GZ 2 R 862/59, 863/59-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 22. Juli 1959, GZ 10 C 22/59-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil wird aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind wie solche des Berufungsverfahrens zu behandeln.

Text

Begründung:

Der Rechtssache liegt nachstehender unbestrittener Sachverhalt zugrunde: Die Kläger waren Mieter im Hause G*****, E*****-Gasse 15. Auf Grund einer Aufkündigung wurde der Beklagten mit Beschluss des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 1. 4. 1947, 6 C 42/47 (11 E 181/47) die zwangsweise Räumung der Wohnung bewilligt. Die Verpflichteten und nunmehrigen Kläger stellten einen Aussetzungsantrag nach der Schutzverordnung, worauf die betreibende Gläubigerin eine Ersatzwohnung zur Verfügung stellte, die aber von den Verpflichteten als nicht bewohnbar bezeichnet wurde. Das Exekutionsgericht wies den Aussetzungsantrag der Verpflichteten ab, erklärte aber die Fortsetzung des Räumungsverfahrens davon abhängig, dass die angebotene Ersatzwohnung in beziehbarem Zustand zur Verfügung gestellt werde. Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass die Exekution bis zur Erlangung einer geeigneten Ersatzunterkunft, jedoch nicht über den 10. 1. 1948 hinaus, ausgesetzt wurde. Am 6. 4. 1959 beantragte die betreibende Gläubigerin und jetzige Beklagte Fortsetzung des Räumungsverfahrens, welchem Begehren der Exekutionsrichter stattgab.

Die Kläger beantragen Unzulässigkeitserklärung der Räumungsexekution. Sie führen aus, dass der Vertreter der Beklagten, Oberpostrat Dr. K***** am 13. 5. 1947 selbst beim Exekutionsgericht den Antrag gestellt habe, die Räumungsexekution auszusetzen, bis die nunmehrige Beklagte eine Ersatz- oder Tauschwohnung erlange. Damit habe sie auf eine bedingungslose Räumung verzichtet. Dadurch, dass der Hauseigentümer durch 12 Jahre allmonatlich den Zins angenommen habe, sei jedenfalls ein neuer Mietvertrag zustandegekommen. Das Erstgericht erklärte die Räumungsexekution für unzulässig und stellte folgenden Sachverhalt fest: Das Haus, in dem sich die strittige Wohnung befindet gehört der "Neuen Heimat". Die Beklagte war bei Errichtung des Gebäudes Darlehensgeberin und behielt sich hiebei vertraglich das Recht vor, Wohnungen zu vergeben und die Mietverhältnisse zu kündigen. Bis Ende 1953 hob die Beklagte selbst die Zinse ein, übertrug diese Aufgabe aber durch Vollmacht vom 1. 12. 1953 ab 1. 1. 1954 der Hauseigentümerin, wobei diese aufgefordert wurde, der Beklagten allfällige Zinsrückstände bekannt zu geben. Die "Neue Heimat" schrieb im Allgemeinen, wenn einer Partei rechtskräftig gekündigt war, nur ein Benützungsentgelt, sonst aber einen Mietzins vor. Von den Klägern wurde immer ein Mietzins verlangt. Die Kläger betrachteten daher ihre Zahlung als Miete, doch war ihnen der Unterschied zwischen Benützungsentgelt und Zins fremd. Der Erstkläger war der Ansicht, dass er, soferne ihm die Post eine gleichwertige Ersatzwohnung anbiete, ausziehen müsse.

Das Erstgericht kommt zu dem rechtlichen Ergebnis, dass die "Neue Heimat" in Vertretung der Beklagten Zins vorgeschrieben habe. Dadurch, dass sie von den Klägern Mietzins und kein Benützungsentgelt verlangte und diese den Betrag zahlten, sei im Sinne des § 863 ABGB stillschweigend das Mietverhältnis fortgesetzt worden. Das Berufungsgericht vernahm den Zeugen Dr. Anton T***** neuerlich und führte auch die Parteienvernehmung mit der Zweitklägerin, die in erster Instanz nicht abgehört worden war, durch. Es änderte sodann das Ersturteil dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies. Hiebei übernahm die II. Instanz die Feststellung des Erstgerichtes und nahm auf Grund des ergänzten Beweisverfahrens noch folgenden Sachverhalt als erwiesen an: Im Akt der Post- und Telegrafendirektion betreffend das strittige Rechtsverhältnis befindet sich ein Amtsvermerk vom 5. 11. 1947, in welchem festgehalten wird, dass sie sich bemühen werde, für die Kläger eine Ersatzwohnung ausfindig zu machen. Das nächste Aktenstück ist bereits das Schreiben vom 16. 12. 1958, in welchem die Kläger zur Räumung aufgefordert wurden. Der Aussage der Zweitklägerin vor dem Berufungsgericht, dass sich beide übereinstimmend als Mieter der Wohnung betrachtet hätten, wird kein Glaube geschenkt, weil Josef F***** vor dem Erstgericht ausgesagt habe, er habe gemeint, er müsse ausziehen, wenn ihm eine Ersatzwohnung zur Verfügung gestellt werde. Das Berufungsgericht führt aus, dass sich weder aus den Erklärungen der nunmehrigen Beklagten im Exekutionsakt noch aus den sonstigen Feststellungen irgendwie ergebe, dass die Beklagte auf die bedingungslose Räumung der Wohnung verzichtet hätte. Der Umstand, dass die Kläger jahrelang Zins gezahlt haben, sei ohne Bedeutung, weil sie ja selbst der Ansicht gewesen seien, ausziehen zu müssen, wenn sie eine Ersatzwohnung bekämen. Eine stillschweigende Fortsetzung des Mietverhältnisses sei daher nicht anzunehmen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Kläger mit dem Antrag, es dahin abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt werde, oder es aufzuheben und die Sache an eines der Untergerichte zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist begründet.

Die Kläger machen als Revisionsgründe Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend, führen sie aber nicht getrennt aus. Sie bekämpfen die Ansicht der II. Instanz, dass die Entgegennahme des Mietzinses keine stillschweigende Fortsetzung des Mietverhältnisses bilde.

Es ist dem Berufungsgericht darin beizupflichten, dass keine ausdrückliche Erklärung der Beklagten vorliegt, nach welcher sie für immer auf die Fortsetzung des Räumungsverfahrens verzichtet hätte, soferne den Verpflichteten keine Ersatzwohnung beigestellt werde. Es handelte sich um ein Verfahren nach Art 6 SchV. Soweit die betreibende Gläubigerin im Protokoll vom 13. 5. 1947 zu 11 E 181/47-4 des Erstgerichtes von der Fortsetzung der Exekution bis zur Erlangung einer Tauschwohnung abgestanden ist, kann ihre Erklärung nur dahin aufgefasst werden, dass sie vorbehaltlich einer Änderung der Verhältnisse gelte. Diese waren im Jahre 1947, als noch ein erheblicher Teil der Wohnungen von der Besatzungsmacht in Anspruch genommen war und von einem Wiederaufbau kriegszerstörten Wohnungen, wenn überhaupt, nur in geringem Maß die Rede sein konnte, ganz anders als im Jahr 1959. Von einem unbedingten Verzicht der Beklagten auf Räumung kann daher nicht die Rede sein.

Es kann im Allgemeinen dadurch, dass das monatliche Entgelt für die Benützung der Wohnung als Mietzins, nicht als Benützungsentschädigung bezeichnet wurde, auf eine Absicht der Parteien durch Zahlung und Annahme das Mietverhältnis fortsetzen zu wollen, nur dann geschlossen werden, wenn sie sich der Bedeutung dieses Unterschiedes bewusst waren. Vielfach wird auch, nachdem das Mietverhältnis durch Kündigung oder Urteil aufgelöst worden ist, das Entgelt noch als Zins oder Mietzins bezeichnet. Nun verweist das Erstgericht darauf, dass die "Neue Heimat" hierin einen Unterschied gemacht habe. Die Kläger können aber selbst nicht behaupten, dass ihnen dies bekannt gewesen sei, der Erstkläger hat sogar, wie auch das Erstgericht festgestellt hat, angegeben, den Unterschied zwischen Mietzins und Benützungsentgelt nicht zu kennen. Man kann nun die Erklärung einer Partei, mag sie ausdrücklich oder durch schlüssige Handlungen abgegeben worden sein, gegen ihren Willen nicht in einem Sinn deuten, den ihr der Empfänger der Erklärung selbst nicht beigelegt hat, weil man sonst im Widerspruch zu § 914 ABGB käme, dass die Absicht der Parteien maßgebend sei. Es ist daher ohne Belang, dass die "Neue Heimat" das monatliche Entgelt für die Wohnung nicht als Benützungsentschädigung, sondern als Mietzins bezeichnet hat. Die Kläger können sich daher nur mehr auf den Umstand stützen, dass ihnen der Zins durch Jahre hindurch vorgeschrieben wurde, ohne dass die Beklagte erklärt hätte, dass der Räumungstitel aufrecht bleibe. Im Allgemeinen kann allerdings aus der Tatsache allein, dass ein Vermieter, um den Mieter nicht obdachlos zu machen, das Räumungsverfahren nicht betreibt, nicht schon geschlossen werden, er habe damit auf den Titel verzichtet und sei mit der Fortsetzung des Mietverhältnisses einverstanden. Im vorliegenden Fall ist jedoch der Zeitraum zwischen der Aufschiebung der Räumungsexekution und dem Fortsetzungsantrag ungewöhnlich lang, er beträgt mehr als 11 Jahre. Ein solches Verhalten kann, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, nur dahin gedeutet werden, dass das Mietverhältnis fortgesetzt werden sollte. Die Gewährung so langer Räumungsfristen durch den Vermieter ist ungewöhnlich. Denn die praktische Möglichkeit der Durchsetzung eines Räumungstitels hat sich in den letzten Jahren nicht in entscheidender Weise geändert. Was der Beklagten in dieser Hinsicht im Jahre 1959 möglich war, hätte sie auch früher wenn auch nicht im Jahre 1948 tun können. Ein Mieter, dem durch mehr als 10 Jahre Zins vorgeschrieben wird, ohne dass erklärt wird, er müsse jederzeit auf Antrag die Wohnung räumen, kann wohl annehmen, dass er hiezu nicht mehr verpflichtet sei, weil der Vermieter darauf keinen Wert mehr lege.

Das Berufungsgericht begründet seine Rechtsansicht, dass das Mietverhältnis nicht fortgesetzt worden sei, damit, die Kläger hätten ja selbst geglaubt, ausziehen zu müssen, wenn ihnen eine Ersatzwohnung zur Verfügung gestellt werde. Hiezu ist zunächst zu bemerken, dass das Berufungsgericht, worauf die Kläger in der Revision hingewiesen haben, nur die Parteienvernehmung mit Martha F*****, nicht aber auch mit Josef F*****, der bloß vor dem Erstgericht vernommen worden war, durchgeführt hat. Es konnte im Hinblick auf die erstrichterliche Würdigung nicht zu der Tatsachenfeststellung, die Kläger seien nicht der Ansicht gewesen, das Mietverhältnis fortzusetzen, kommen, ohne auch den Erstkläger zu hören. Diese Vorgangsweise verstößt gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit.

Die II. Instanz hätte sich auch nicht damit begnügen dürfen festzustellen, die Kläger hätten geglaubt, ausziehen zu müssen, wenn ihnen eine Ersatzwohnung beigestellt werde. Es geht weder aus der Aussage des Erstklägers noch aus den Feststellungen der Untergerichte hervor, wann sich diese Meinung bei den Klägern gebildet haben soll und worauf sie gegründet ist; auch wäre es notwendig, sie zu befragen, was sie dann gedacht hätten, warum durch 11 Jahre von einer Räumung der Wohnung nicht die Rede war.

Dass die Kläger geglaubt haben mögen, gegen Beistellung einer Ersatzwohnung ausziehen zu müssen, schließt nicht aus, dass sie auch der Meinung gewesen seien, die Räumungsverpflichtung bestehe laut dem Titel nicht mehr und sie seien Mieter. Denn die strittige Wohnung befindet sich in einem Haus, das für Postbedienstete bestimmt ist. Dieser Umstand kann, wenn den Klägern auch die Bestimmung des § 19 Abs 2 Z 7 MietG nicht bekannt sein mag, Ursache dieser Ansicht sein. Da, wie ausgeführt, das Verhalten der Parteien den äußeren Tatbestand einer Fortsetzung des Mietverhältnisses darstellt, steht die Meinung der Kläger, sie müssten doch gegen Beistellung einer Ersatzwohnung ausziehen, der Annahme dieser Rechtsfolge nicht entgegen. Dass aber den Klägern der Unterschied zwischen einer Verpflichtung auszuziehen und der Möglichkeit, das Mietverhältnis erst durch eine neuerliche Kündigung lösen zu können, klar gewesen sei, konnte bisher nicht festgestellt werden.

Das Urteil des Berufungsgerichtes enthält daher auch Feststellungsmängel, die eine unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache darstellen.

Es war also der Revision Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die II. Instanz zurückzuverweisen. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 52, 50 ZPO.

Anmerkung

E75760 3Ob123.60

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1960:0030OB00123.6.0404.000

Dokumentnummer

JJT_19600404_OGH0002_0030OB00123_6000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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