TE OGH 1974/6/11 3Ob112/74

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Veröffentlicht am 11.06.1974
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Norm

ABGB §1090
ZPO §560

Kopf

SZ 47/74

Spruch

Bei Nutzungsverträgen, die nicht dem Mietengesetz unterliegen, sind die §§ 560 ff. ZPO heranziehbar, wenn bei derartigen Verträgen eigener Art oder gemischten Verträgen die Elemente des Bestandvertrages gegenüber jenen anderer Verträgen deutlich überwiegen

OGH 11. Juni 1974, 3 Ob 112/74 (LGZ Graz 3 R 57/75; BGZ Graz 6 C 198/73)

Text

Die wegen unbekannten Aufenthaltes durch einen Abwesenheitskurator vertretene Beklagte ist auf Grund eines mit der Klägerin abgeschlossenen Nutzungsvertrages vom 22. November 1967 Inhaberin einer im Haus G, M-Straße 62 gelegenen Wohnung. Laut § 7 des den üblichen Vereinbarungen zwischen Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften und ihren Mitgliedern als Wohnungsinhabern entsprechenden Nutzungsvertrages ist die Klägerin unter anderem zur Vertragsaufkündigung berechtigt, falls die in Nutzung gegebene Wohnung vom Mitglied - hier der Beklagten - nicht mit seiner Familie selbst bewohnt wird und mit ihm nicht in gerader Linie verwandte Personen (ausgenommen Hausangestellte) in die Wohnung aufgenommen werden.

Mit einem allen Formalerfordernissen des § 565 ZPO entsprechenden, als außergerichtliche Aufkündigung anzusehenden Schreiben der Klägerin vom 12. Oktober 1973 wurde die gegenständliche Wohnung der Beklagten unter Berufung auf § 7 des Nutzungsvertrages vom 22. November 1967 aufgekundigt. Tatsächlich wird die Wohnung weder von der Beklagten noch von einem nahen Angehörigen bewohnt.

Gegen die außergerichtliche Aufkündigung vom 12. Oktober 1973 erhob die durch den Abwesenheitskurator vertretene Beklagte Einwendungen, in welchen sie auch vorbrachte, sie rüge das "Nichtvorhandensein eines Bestandvertrags" sowie die "Nichtanführung von Kündigungsgrunden" - gemeint offenbar solchen im Sinne des Mietengesetzes.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die Beklagte zur Räumung der Wohnung, wobei es ausführte, daß auf den gegenständlichen Nutzungsvertrag die Bestimmungen des Mietengesetzes nicht anwendbar und daher weder eine gerichtliche Aufkündigung noch die Anführung von Kündigungsgrunden im Sinne des Mietengesetzes erforderlich seien.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes mit dem Ausspruch, die Revision werde für zulässig erklärt. Das Berufungsgericht begegnete der in der Berufung vorgetragenen Rechtsansicht, daß mangels Vorliegens eines Bestandvertrages die Bestimmungen der §§ 560 ff. ZPO unanwendbar seien, mit dem Hinweis, daß diese Behauptung der Eventualmaxime unterliege und daher, weil nicht bereits in den Einwendungen vorgebracht, nicht zu erörtern sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zunächst war festzuhalten, daß der bestätigenden Entscheidung des Berufungsgerichtes über eine Aufkündigung, welcher kein den Bestimmungen des Mietengesetzes unterliegendes Bestandverhältnis zugrunde liegt, kein Ausspruch gemäß § 500 Abs. 3 ZPO, sondern ein solcher gemäß § 500 Abs. 2 ZPO beizusetzen gewesen wäre. Der somit verfehlte Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulässigkeit der Revision kann jedoch als Ausspruch, daß der Wert des Streitgegenstandes 50.000 S übersteigt, gewertet und damit die gegenständliche Revision als zulässig behandelt werden (ebenso MietSlg. 21.815, 23.665 u. a.).

Aus denselben Gründen entfällt die Beschränkung der Revision auf den Revisionsgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung; die Frage, ob die in der Revision behauptete unrichtige Anwendung der Eventualmaxime durch das Berufungsgericht dem genannten Revisionsgrund zu unterstellen ist (in diesem Sinn EvBl. 1972/321; MietSlg. 24.384), ist somit hier nicht weiter zu erörtern.

Das bereits wiedergegebene Vorbringen der Beklagten in den Einwendungen, laut welchem (u. a.) das "Nichtvorhandensein eines Bestandvertrages" gerügt wurde, kann, falls es überhaupt relevant sein soll, nur dahin aufgefaßt werden, daß die gegenständliche außergerichtliche Aufkündigung mangels Vorliegens eines Bestandvertrages nicht im Rahmen der §§ 560 ff. ZPO für rechtswirksam erklärt werden könne. Demzufolge hat sich das Berufungsgericht hier bei seiner Ablehnung einer Erörterung bei Heranziehung der genannten Gesetzesbestimmungen zu Unrecht auf die Eventualmaxime berufen.

Hinsichtlich der somit entscheidungswesentlichen Frage, ob im vorliegenden Fall die Bestimmungen der §§ 560 ff. ZPO anwendbar sind, war zunächst festzuhalten, daß es sich bei einem Nutzungsvertrag der gegenständlichen Art um keinen Bestandsvertrag im eigentlichen Sinn, sondern um einen Vertrag sui generis handelt, auf welchen jedenfalls die Bestimmungen des Mietgesetzes keine Anwendung finden (ebenso MietSlg. 16.154, 19.147, 23.190 u. a.). Auch bei derartigen Verträgen eigener Art oder gemischten Verträgen wurde jedoch die Heranziehbarkeit der §§ 560 ff. ZPO stets bejaht, falls bei diesen Verträgen die Elemente des Bestandvertrages gegenüber jenen anderen Verträgen deutlich überwogen (so ausdrücklich MietSlg. 24.591), insbesondere auch bei Nutzungsverträgen der gegenständlichen Art (ebenso Fasching IV, 632/33; JBl. 1933, 430; MietSlg. 4954, 15.648 und 22.659; die angeblich gegenteiligen Entscheidungen SZ 21/75; MietSlg. 4841 und 9919 betrafen keine Nutzungsverträge, sondern Fälle, in denen überhaupt kein gültiger Vertrag bzw. keine einem Bestandvertrag entsprechende Vereinbarung vorlag, die Entscheidungen SZ 38/119 und MietSlg. 9920 ließen diese Frage aus formalen Gründen offen).

Auch der erkennende Senat vertritt bei Berücksichtigung des Umstandes, daß der gegenständliche Nutzungsvertrag die wesentlichen Elemente eines Bestandvertrages aufweist (derartige Nutzungsverträge sind, wie in MietSlg. 19.147 u. a. formuliert, Bestandverträgen "sehr ähnlich"), in Übereinstimmung mit der bereits zitierten Lehre und Rechtsprechung die Auffassung, daß hier die Bestimmungen der §§ 560 ff. ZPO sehr wohl zur Anwendung gelangen.

Anmerkung

Z47074

Schlagworte

Bestandverfahren, Anwendung auf Nutzungsverträge, Nutzungsverträge, Anwendbarkeit der §§ 560 ff. ZPO

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1974:0030OB00112.74.0611.000

Dokumentnummer

JJT_19740611_OGH0002_0030OB00112_7400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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