TE OGH 1978/5/17 8Ob504/78

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Veröffentlicht am 17.05.1978
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Norm

ABGB §313
ABGB §1090
Bundes-Verfassungsgesetz Art138 Abs1
ZPO §190

Kopf

SZ 51/64

Spruch

Ein positiver Kompetenzkonflikt zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde liegt dann vor, wenn das Begehren auf den gleichen Gegenstand gerichtet ist und aus dem selben Sachverhalt abgeleitet wird

Zur Bindung der Gerichte an rechtskräftige Bescheide der Verwaltungsbehörden

Der Mieter erwirbt Rechtsbesitz am Bestandgegenstand und kann als Besitzmittler für den Sachbesitzer (= Eigentümer) neue Besitzrechte erwerben und Ersitzungsbesitz begrunden

OGH 17. Mai 1978, 8 Ob 504/78 (LGZ Graz 1 R 235/77; BGZ Graz 2 C 684/76)

Text

Die Kläger sind Miteigentümer der Liegenschaft EZ 162 KG X, bestehend aus dem Grundstück 284 mit dem Haus Graz, M-Gasse 9, und zwar der Erstkläger zur Hälfte, der Zweitkläger und die Drittklägerin zu je einem Viertel. Die Beklagte ist Eigentümerin der benachbarten Liegenschaft EZ 1313 KG X mit dem Grundstück 282/2. auf dem sich das Haus G-Gasse 12 befindet. Zwischen diesen beiden Häusern liegt eine langgestreckte Hoffläche. Im südwestlichen Teil dieser Hoffläche befindet sich eine zum Haus G-Gasse 12 führende Stiege, ein zu diesem Haus gehörender Müllcontainer und eine an dieses Haus angebaute Kammer.

In dem zu A 17-K-15 184/3-1975 des Magistrates Graz, Baurechtsamt, anhängig gewesenen Baubewilligungsverfahren, das eine Vergrößerung von Kellerluftschächten im Haus M-Gasse 9 zum Gegenstand hatte, wendete die Beklagte gegen die Bauführung ein, daß diese Luftschächte auf ihrem Grund errichtet wurden. Diese Einwendung wies die Baubehörde mit Bescheid vom 4. November 1975 im wesentlichen mit der Begründung zurück, sowohl aus dem Grundbuchsauszug als auch aus dem Lageplan sei ersichtlich, daß das Grundstück Nr. 284 (und somit auch die strittige Hoffläche) zum Gutsbestand der Liegenschaft EZ 162 KG X gehöre. Da der Nachweis des subjektiven Baurechtes als öffentlichrechtliche Frage von der Baubehörde allein zu beurteilen sei, demnach dem nachbarlichen Gründeigentümer kein Mitspracherecht zustehe, sei das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehren die Kläger, die Beklagte schuldig zu erkennen, die genannten Bauwerke und den Müllcontainer von der Hoffläche zu entfernen. Sie stützen dieses Begehren im wesentlichen darauf, daß auf Grund der Entscheidung des Baurechtsamtes des Magistrates Graz feststehe, daß der Hofteil, auf dem sich die Bauwerke befänden bzw. der Müllcontainer aufgestellt sei, zur Liegenschaft der Kläger gehöre. Die Beklagte benütze diesen Hofteil ohne Rechtstitel. Auf eine Aufforderung, die von ihr errichteten Bauwerke bzw. den von ihr aufgestellten Müllcontainer zu entfernen, habe die Beklagte nicht reagiert.

Die Beklagte wendete ein, daß sich die in Frage stehenden Bauwerke schon seit mehr als 30 Jahren auf der Liegenschaft befänden. Die Hoffläche sei von der Beklagten und ihren Rechtsvorgängern schon seit mehr als 30 Jahren ungehindert benützt worden, so daß die Beklagte an dieser Hoffläche Eigentum ersessen habe. Anstelle des Containers seien früher Mülltonnen, noch früher eine Müllgrube vorhanden gewesen. Auf der Liegenschaft der Beklagten sei auf Grund des Tauschvertrages vom 5. April 1913 die Reallast einverleibt, den im Grundteilungsplan vom 26, März 1913 mit a, b, c, d, e, f-a umschriebenen Teil des Grundstücks 282/2 (auf diesem Teil befinden sich die hier in Frage stehenden Bauwerke bzw. der Container) lastenfrei mit den jeweiligen Eigentümern des Grundstücks 284 gegen den im gleichen Plan mit g, h, i-g umschriebenen Teil des Grundstücks 284 zu tauschen. Dieser Tausch sei erst durchzuführen, sobald der vollständige Abbruch des auf dem Grundstück Nr. 284 stehenden Gebäudes erfolgt sein werde. Daraus ergebe sich, daß die Fläche, auf der sich die hier in Frage stehenden Bauwerke und der Müllcontainer befänden, im Eigentum der Beklagten stehe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Zwischen den etwa parallel zueinander stehenden Häusern G-Gasse 12 und M-Gasse 9 besteht die aus dem Lageplan Beilage B ersichtliche, etwa in Nordost-Südwest-Richtung gelegene Hoffläche, die eine Breite von zirka 3 m aufweist und sich im südwestlichen Bereich infolge eines Mauervorsprunges des Hauses G-Gasse 12 etwas verbreitert. In diesem Teil ist an das Haus G-Gasse 12 eine aus fünf Stufen bestehende Betonstiege angebaut, die zu einer Glastür führt. Nordöstlich der Stiege, unmittelbar an diese und an das Haus angebaut, befindet sich eine aus Holz bestehende mit Blech beschlagene Kammer. Südwestlich der Stiege ist an der Mauer des Hauses G-Gasse 12 ein fahrbarer Müllcontainer aufgestellt. An der Grenze zum Grundstück Nr. 281 befindet sich im südwestlichen Teil des Hofes ein zirka 3 m langer und 60 cm breiter Betonstreifen.

In der Verlängerung der nordöstlich-südwestlichen Flucht des Hauses M-Gasse 9 befindet sich ein hölzernes Tor, durch das ein Zugang von der M-Gasse - an der südwestlichen Front des Hauses M-Gasse 9 vorbei - in den Hof führt.

Das Dach des Hauses M-Gasse 9 ragt hofseitig in einer Breite zwischen 40 cm und 1 m vor. Das Haus G-Gasse 12 weist im südwestlichen Bereich keinen Dachvorsprung auf. Dieses Haus hat - neben dem straßenseitigen Eingang einen weiteren, und zwar hofseitig in der Mitte des Hauses gelegenen Eingang.

Mit Tauschvertrag vom 5. April 1913 tauschten die Ehegatten F und M R als damalige Eigentümer der Liegenschaften EZ 162 und 1313 KG X das Haus G-Gasse 12 gegen eine in Gmunden gelegene Liegenschaft.

Punkt 1 dieses Vertrages enthält die Verpflichtung der Vertragspartner L, Le und M P und H R, den im Grundteilungsplan vom 26. März 1913 mit a, b, c, d, e, f-a bezeichneten Teil des Grundstücks Nr. 282/2 - diese Fläche betrifft den südwestlichen Teil des Hofes, auf dem sich die streitgegenständlichen Bauwerke befinden - mit den Ehegatten R oder deren Rechtsnachfolgern bezüglich der Liegenschaft EZ 162 KG X gegen den in demselben Plan mit den Buchstaben g, h, i-g bezeichneten Teil des Grundstück Nr. 284 zu vertauschen, sobald die vollständige Abtragung des auf diesem Grundstück Nr. 284 stehenden Gebäudes erfolgt sein wird. Im Punkt 4 des Vertrages bewilligten L, Le und M P und H R zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Nr. 284 in EZ 1313 der KG X die Einverleibung der Reallast der Verpflichtung, den im Grundteilungsplan vom 26. März 1913 mit a, b, c, d, e, f-a bezeichneten Teil des Grundstücks Nr. 282/2 lastenfrei an die jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Nr. 284 gegen den in demselben Plan mit g, h, i-g bezeichneten, lastenfrei zu übergebenden Teil des Grundstücks Nr. 284 ohne Aufzahlung zu vertauschen. Andererseits bewilligten die Ehegatten R die Einverleibung der Reallast der Verpflichtung, den in demselben Grundteilungsplan mit g, h, i-g bezeichneten Teil des Grundstücks Nr. 284 lastenfrei an die jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Nr. 282/2 gegen den im selben Plan mit den Buchstaben a, b, c, d, e, f-a bezeichneten, lastenfrei zu übergebenden Teil des Grundstücks 282/2 ohne Aufzahlung zu vertauschen, zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Nr. 282/2 in der EZ 162 der KG X. Diese Reallast ist zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Grundstücks 284 in COZ 7 der EZ 1313 KG X einverleibt.

Im Punkt 10 des Tauschvertrages wird festgestellt, daß sich dermalen die zum Haus G-Gasse 12 gehörende Kehrichtgrube auf jenem Teil des Grundstücks Nr. 282/2 befindet, der seinerzeit gegen einen Teil des Grundstücks Nr. 284 zu vertauschen ist und sich ferner derzeit im Haus G-Gasse 12 Fensteröffnungen befinden, die auf den zu vertauschenden Teil des Grundstücks Nr. 282/2 munden.

Die Ehegatten R verpflichteten sich zur ungeteilten Hand für sich und ihre Rechtsnachfolger, eine Kehrichtgrube in derselben Größe und Ausstattung wie die bisherige auf dem abzutretenden Teil des Grundstücks Nr. 284 herzustellen, ferner die vorerwähnten Fensteröffnungen zu vermauern und ebensoviele gleichartige im Haus G-Gasse 12 gegen das dermalige Grundstück Nr. 281 herzustellen. Erst nach vollständiger klagloser Herstellung der Kehrichtgrube und der Fenster sowie Vermauerung der bisherigen Fenster sollten die Eigentümer des Hauses G-Gasse 12 verpflichtet sein, den im Abs. 1 bezeichneten Teil des Grundstücks 282/2 zu übergeben.

Der Hof zwischen den Häusern M-Gasse 9 und G-Gasse 12 wird zumindest seit dem Jahr 1934 von den Parteien des Hauses G-Gasse 12 benützt, die dort Fahrzeuge abstellten und die früher an der Stelle, an der heute der Müllcontainer steht, befindliche Klopfstange benützten. Die von 1946 bis 1962 im Haus G-Gasse 12 beschäftigte Hausbesorgerin J Sch leistete im gesamten Hof Putzarbeiten. Sie spannte auch Wäschestricke im Hof, die teilweise am Haus M-Gasse 9 befestigt wurden und auf denen von den Mietern des Hauses G-Gasse 12 Wäsche aufgehängt wurde. Es ist auch vorgekommen, daß in diesem Haus wohnende Kinder im Hof spielten.

Neben dem Haus M-Gasse 9 bestand schon zumindest seit dem Jahr 1934 ein Holztor, das die Bewohner des Hauses G-Gasse 12 als Durchgang zur und von der M-Gasse benützten. Auf diesem Weg ließen Mieter dieses Hauses Brennmaterial zuführen; auch die Müllabfuhr benützte teilweise den Zugang zu diesem Haus von der M-Gasse her. Das Tor wurde von der Hausbesorgerin Sch über Auftrag des damaligen Eigentümers des Hauses G-Gasse 12 am Abend versperrt und am Morgen aufgesperrt. In der Folge wurde das Tor kaputt, so daß ein freier Durchgang bestand, der auch von Fremden als Verbindung zwischen M-Gasse und G-Gasse benützt wurde. Etwa Mitte der Sechzigerjahre ließ der Gatte der Beklagten das Tor wieder instandsetzen, nachdem er von der Voreigentümerin des Hauses M-Gasse 9, M K, mehrmals hiezu aufgefordert worden war. Den Mietern des Hauses G-Gasse 12 wurden hierauf Schlüssel für das Tor ausgefolgt. Derzeit ist das Tor nicht mehr versperrbar.

Die an das Haus G-Gasse 12 hofseitig angebaute Kammer (Hütte) wurde spätestens im Jahr 1934 vom damaligen Mieter K (mit Zustimmung des damaligen Hauseigentümers St) als Unterstand für einspurige Fahrzeuge errichtet. Diese Kammer blieb bis heute unverändert, abgesehen davon, daß die Tür anläßlich der Errichtung der Stiege von der südlichen an die nördliche Seite verlegt wurde. Derzeit wird die Kammer von dem im Haus G-Gasse 12 wohnenden Mieter St P verwendet. Die Stiege samt Glastür (die ein vorher dort bestandenes Fenster ersetzte) wurde um das Jahr 1967 vom Gatten der Beklagten anläßlich von Umbauarbeiten im Haus G-Gasse 12 errichtet. Gleichzeitig asphaltierte er den nordöstlichen Teil des Hofes.

Etwa zur gleichen Zeit ließ die Beklagte an der vorhin bezeichneten Stelle einen Müllcontainer aufstellen, nachdem die früher dort vorhandene Klopfstange beseitigt und der Betonstreifen angelegt worden war. Der Container ersetzte die früher verwendeten Mülleimer, die zunächst im Keller, dann im Hof nordöstlich der hofseitigen Haustür und zuletzt dort standen, wo sich derzeit der Müllcontainer befindet.

Die Liegenschaft EZ 1313 KG X stand seit 1931 je zur Hälfte im Eigentum des A St und der J St, die sie im Jahr 1954 an die G-Einfuhr-Ges. m. b. H. verkauften. Mit Kaufvertrag vom 4. Mai 1957 wurde das Haus von den Eltern der Beklagten, F und Th R, erworben. Die Beklagte schließlich ist seit 1965, und zwar auf Grund des Übergabsvertrages vom 20. Dezember 1963, Eigentümerin. In all dieser Zeit wurde die Hoffläche zwischen den beiden Häusern von den Eigentümern des Hauses G-Gasse 12 und deren Mietern als zu diesem Haus gehörig angesehen. Gegen die Benützung des Hofes durch die Angehörigen des Hauses G-Gasse 12 wurden niemals irgendwelche Einwendungen erhoben. Vor diesem Rechtsstreit wurde die Hoffläche von den jeweiligen Eigentümern des Hauses M-Gasse 9 nicht beansprucht.

Der Entscheidung des Baurechtsamtes über die Kellerluftschächte der Kläger vom 4. November 1975 lag der vom Ingenieurkonsulenten für das Vermessungswesen Dipl.-Ing. B auf Grund der Unterlagen des Vermessungsamtes verfaßte Lageplan vom 1. Dezember 1975, in dem Stiege, Kammer und Müllcontainer als auf dem Grundstück 284 befindlich eingezeichnet sind, zugrunde. Eine Baubewilligung hinsichtlich Kammer und Stiege wurde nicht erteilt.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß der Magistrat Graz eine das Gericht bindende Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse an der strittigen Grundfläche nicht habe treffen können. Das Gericht sei nur an solche Verwaltungsakte gebunden, die die Besorgung behördlicher Aufgaben betreffen. Dazu gehöre aber nicht die Feststellung des Eigentumsrechtes. Die Beklagte habe an der strittigen Hoffläche Eigentum ersessen, da sie und ihre Rechtsvorgänger diese Grundfläche seit über 30 Jahren als ihre eigene benützt und damit in ihrem Besitz gehabt hätten. Daß die Beklagte unredlich gewesen wäre oder daß der Besitz unecht gewesen sei, hätten die Kläger nicht einmal behauptet. Ihr Klagebegehren sei daher unberechtigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger keine Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteigt.

Das Berufungsgericht verneinte das Vorliegen der von den Klägern behaupteten Verfahrensmängel und übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen als unbedenklich.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus, daß eine Bindung des Gerichtes an Bescheide von Verwaltungsbehörden nur dann angenommen werden könne, wenn diese Bescheide behördliche Aufgaben beträfen. Die Klärung strittiger Eigentumsverhältnisse gehöre nicht zum Aufgabenkreis der Baubehörde. Im vorliegenden Fall sei im Bauverfahren lediglich zur Prüfung der Beteiligtenstellung der Beklagten unter Hinzuziehung eines Lageplanes als Vorfrage geklärt worden, zu welcher Liegenschaft nach der Katastralmappe die strittige Hoffläche gehöre. Dies könne aber über die Eigentumsverhältnisse schon deswegen nichts aussagen, weil im Sinne des § 3 AllgGAG die Grundbuchsmappe nur zur Veranschaulichung der Lage der Liegenschaft bestimmt sei. Für den Eigentumserwerb seien, sofern wie hier ein Grenzkataster noch nicht angelegt sei, andere Kriterien maßgeblich, die nur im Rechtsweg, nicht aber im Verwaltungsweg beurteilt werden könnten. Eine Bindung an den Bescheid des Baurechtsamtes des Magistrates Graz sei daher nicht eingetreten.

Im Hinblick auf die Bestimmungen des Tauschvertrages vom 5. April 1913 könne kein Zweifel daran bestehen, daß die strittige Hoffläche Bestandteil der Liegenschaft EZ 1313 KG X gewesen sei. Das Erstgericht habe zwar keine Feststellungen darüber getroffen, daß von den Rechtsvorgängern der Beklagten schon auf Grund dieses Tauschvertrages Eigentum an dieser Hoffläche erworben worden sei, doch könne kein Zweifel daran bestehen, daß der Besitz der Beklagten und ihrer Rechtsvorgänger an der Hoffläche redlich gewesen sei, da sich alle diese Eigentümer auf Grund der Bestimmungen des Tauschvertrages und der eingetragenen Reallast für Eigentümer dieser Hoffläche halten konnten. Sie hätten die strittige Hoffläche stets als ihr Eigentum betrachtet und auch den Besitz wie Eigentümer ausgeübt. Das Eigentumsrecht an der strittigen Hoffläche stehe daher den Beklagten zu, weshalb das Klagebegehren mit Recht abgewiesen worden sei.

Der Oberste Gerichtshof wies den Antrag der Kläger, das Verfahren zu unterbrechen und den VfGH den Kompetenzkonflikt zwischen der Baubehörde und den Gerichten anzuzeigen, ab und gab ihrer Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Was zunächst den Antrag der Kläger anlangt, das Verfahren zu unterbrechen und dem VfGH den Kompetenzkonflikt zwischen der Baubehörde und den Gerichten anzuzeigen, ist ihnen zu entgegnen:

Die Kläger verkennen offenbar das Wesen des positiven Kompetenzkonfliktes, wenn sie ausführen, daß ein bejahender Kompetenzkonflikt entstehen würde, wenn im vorliegenden Verfahren eine andere Entscheidung über das Eigentumsrecht an der strittigen Grundfläche getroffen werden sollte als im Verfahren vor der Baubehörde.

Ein positiver Kompetenzkonflikt zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde liegt dann vor, wenn beide Behörden die Entscheidung der gleichen Sache für sich in Anspruch nehmen. Ob ein Kompetenzkonflikt vorliegt, muß nach dem Parteienbegehren beurteilt werden. Dazu ist nicht nur der Wortlaut des Sachantrages, sondern auch der vorgebrachte Tatbestand zu berücksichtigen. Ebenso wie etwa bei der Frage der Streitanhängigkeit muß auch beim Kompetenzkonflikt geprüft werden, ob der geltend gemachte Anspruch derselbe ist. Das kann nur dann angenommen werden, wenn das Begehren auf den gleichen Gegenstand gerichtet ist und in beiden Fällen aus demselben Sachverhalt abgeleitet wird. Für die Beurteilung der Identität der Sache sind also die behaupteten Tatsachen und das daraus abgeleitete Begehren entscheidend (Fasching, Kommentar I, 6 f.).

Während nun die Kläger im vorliegenden Rechtsstreit behaupten, Eigentümer der strittigen Hoffläche zu sein und daraus ihr Begehren ableiten, die Beklagte schuldig zu erkennen, die dort errichteten Bauwerke und den dort aufgestellten Müllcontainer zu entfernen, betraf das Verfahren vor dem Magistrat Graz, das zur Erlassung des Bescheides vom 4. November 1975 führte, das Ansuchen der Kläger um Baubewilligung bezüglich der Vergrößerung von Kellerfenstern in ihrem Haus M-Gasse 9. In der letzten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 26. April 1977 haben die Kläger behauptet, beim Baupolizeiamt "den Antrag auf Entfernung der kostenlos errichteten Bauwerke eingebracht zu haben". Hier handelt es sich offenbar um die Beseitigung des Stiegenaufganges und der Kammer, die die Kläger deswegen bei der Baubehörde beantragten, weil sie nach ihrer Behauptung ohne Baubewilligung errichtet wurden.

Ein positiver Kompetenzkonflikt zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde ist all dem nicht zu entnehmen. Zwischen dem vorliegenden Rechtsstreit und dem beim Magistrat anhängig gewesenen Baubewilligungsverfahren bestand schon deswegen keine Identität, weil der Sachantrag in beiden Verfahren ein verschiedener ist; überdies ist dieses Verwaltungsverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen. Fraglich kann hier nur das Problem der Bindung des Gerichtes an den bereits ergangenen Verwaltungsbescheid sein; dies ist aber kein Kompetenzkonflikt im Sinne des Art. 138 BVG. In dem nach der Behauptung der Kläger später anhängig gemachten Verwaltungsverfahren wegen angeblich konsensloser Errichtung der Bauwerke und dem vorliegenden Rechtsstreit mag der Sachantrag weitgehend gleich sein; hier fehlt es aber wieder an der Identität des rechtserzeugenden Sachverhaltes. Während nämlich in einem Fall der Anspruch auf Entfernung der Bauwerke aus einem Eingriff in das behauptete Eigentumsrecht der Kläger abgeleitet wird, wird er im anderen Fall aus der Behauptung der Errichtung dieser Bauwerke ohne baubehördliche Bewilligung gefolgert. Auch hier kann ein positiver Kompetenzkonflikt nicht vorliegen.

Es läßt sich somit aus den Behauptungen der Kläger das Vorliegen eines positiven Kompetenzkonfliktes zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde in keiner Weise erkennen. Ihr Antrag, das Verfahren zu unterbrechen und dem VfGH den Kompetenzkonflikt zwischen der Baubehörde und dem Gericht anzuzeigen, war daher abzuweisen, ohne daß es weiterer Erörterungen darüber bedurfte, welche prozessuale Vorgangsweise gemäß § 42 VfGG bei tatsächlichem Vorliegen eines solchen positiven Kompetenzkonfliktes einzuhalten gewesen wäre.

Im übrigen ist die Revision nicht berechtigt.

In ihrer Rechtsrüge versuchen die Kläger in umfangreichen Ausführungen darzutun, daß infolge der Bindungswirkung des rechtskräftigen Bescheides des Baurechtsamtes Graz vom 4. November 1975, A 17-K-15 184/3-1975, das Gericht im vorliegenden Rechtsstreit davon ausgehen müsse, daß die fragliche Hoffläche im Eigentum der Kläger stehe.

Es trifft zu, daß die Gerichte an rechtskräftige Bescheide der Verwaltungsbehörden gebunden sind, und zwar selbst dann, wenn diese Verfertigungen unvollständig oder fehlerhaft sein sollten (vgl. SZ 23/176; EvBl. 1959/285) und daß eine inhaltliche Überprüfung eines Verwaltungsbescheides durch das Gericht nicht stattzufinden hat (vgl. Fasching, Kommentar II, 912). Es ist aber nur das, was die Verwaltungsbehörde verfügt hat, für das Gericht verbindlich, nicht aber auch die Begründung des Verwaltungsbescheides (Fasching a. a. O., 928; JBL. 1952, 499; MietSlg. 4403; EvBl. 1976/192).

Im vorliegenden Fall hat die Baubehörde im Spruch des oben zitierten Bescheides keinesfalls über das von der Beklagten im Bauverfahren behauptete Eigentum an der strittigen Grundfläche abgesprochen - dazu wäre sie auch nicht berechtigt gewesen -, sondern sie hat das Vorbringen der Beklagten, daß die den Gegenstand des Bauverfahrens bildenden Kellerluftschächte auf ihrem Grund errichtet würden, als unzulässig zurückgewiesen. Aus dem Spruch dieses Bescheides läßt sich somit in keiner Weise eine Sachentscheidung der Verwaltungsbehörde über das von der Beklagten behauptete Eigentumsrecht an der strittigen Grundfläche entnehmen. Die Begründung dieses Bescheides bindet aber, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, das Gericht nicht.

Die Kläger führen weiter aus, es sei denkunmöglich, daß die Beklagten Eigentum an einem Teil des Grundstücks Nr. 284 ersessen haben könnten, wenn dieses Grundstück zum Gutsbestand der im Eigentum der Kläger stehenden EZ 162 gehöre. Die Kläger verkennen hier offensichtlich die Bedeutung der Grundbuchsmappe, die gemäß § 3 AllgGAG zur Veranschaulichung der Lage der Liegenschaft bestimmt ist. Daß die strittige Grundfläche ein Teil eines in einem Grenzkataster eingetragenen Grundstückes sei, so daß im Sinne des § 50 VermessG eine Ersitzung ausgeschlossen wäre, wurde weder behauptet noch festgestellt. Im übrigen bildet die Grundbuchsmappe keinen Beweis für die tatsächliche Ausdehnung und die natürlichen Grenzen eines Grundstückes (EvBl. 1967/101 u. v. a.). Die Darstellung des Grundstücks Nr. 284 in der Grundbuchsmappe steht also der von den Vorinstanzen angenommenen Ersitzung der strittigen Hoffläche durch die Beklagte nicht entgegen.

Die Kläger argumentieren weiter, es sei nicht möglich, aus den Bestimmungen des Tauschvertrages vom 5. April 1913 (Beilage 2) den guten Glauben der Beklagten und ihrer Rechtsvorgänger abzuleiten.

Die Kläger übersehen hier zweierlei: Da nach § 328 ABGB eine gesetzliche Vermutung zugunsten der Redlichkeit besteht, hat nicht der, der sich auf die Ersitzung beruft, seinen guten Glauben, sondern sein Gegner die Schlechtgläubigkeit zu beweisen (Klang in Klang[2] VI, 581). Die Behauptungs- und Beweislast für eine Schlechtgläubigkeit des Ersitzungsbesitzers trifft also seinen Gegner. Die Kläger haben aber im Verfahren erster Instanz überhaupt keine Tatsachenbehauptungen aufgestellt, aus denen sich eine Unredlichkeit der Beklagten oder ihrer Rechtsvorgänger ableiten ließe. Im übrigen ergibt sich aber gerade aus dem Tauschvertrag vom 5. April 1913 ganz eindeutig, daß dort die gesamte Hoffläche zwischen den beiden Häusern M-Gasse 9 und G-Gasse 12 als zum Haus G-Gasse 12 gehörig behandelt wurde und daß mit diesem Tauschvertrag die dort erwähnten Rechtsvorgänger der Beklagten, nämlich L, Le und M P und H R, einen Rechtstitel zum Eigentumserwerb auch an dieser Hoffläche erhielten. Es wurden allerdings keine Feststellungen getroffen, aus denen sich der rechtsgeschäftliche Erwerb des Eigentumsrechtes durch die Ehegatten F und M R an dieser Hoffläche ableiten ließe. Doch ergibt sich aus den Bestimmungen dieses Tauschvertrages und aus den auf Grund dieses Tauschvertrages erfolgten bücherlichen Eintragungen durchaus kein Anhaltspunkt in der Richtung, daß die Beklagte und ihre Rechtsvorgänger im Eigentum der Liegenschaft EZ 1313 KG X Gründe gehabt hätten, die strittige Hoffläche nicht für die ihre zu halten. Irgendwelche Zweifel an der Redlichkeit der Beklagten und ihrer Rechtsvorgänger werden somit durch die Revisionsausführungen nicht begrundet.

Der letzte Einwand der Kläger geht dahin, daß die Beklagte und ihre Rechtsvorgänger nicht im Haus G-Gasse 12 gewohnt hätten, die Mieter eines Mietwohnhauses könnten kein Eigentum ersitzen. Auch dieser Einwand ist unberechtigt. Der Mieter erwirbt Rechtsbesitz am Bestandgegenstand und kann als Besitzmittler auch für den Sachbesitzer (= Eigentümer) neue Besitzrechte erwerben, sofern sie nach ihrer äußeren Erscheinung zum Bestandgegenstand gehören und ihm wirtschaftlich zugeordnet sind (Schey, Klang in Klang[2] II, 80 f.; RZ 1967, 164). Die wirtschaftliche Verbindung der Hoffläche mit dem Bestandgegenstand, nämlich dem Haus G-Gasse 12, kann hier, ausgehend von den Feststellungen der Vorinstanzen, nicht bezweifelt werden. Es vermochten daher auch die Mieter dieses Hauses als Besitzmittler durch ihre Besitzhandlungen Ersitzungsbesitz für die Hauseigentümer zu begrunden.

Soweit die Kläger rechtliche Schlußfolgerungen aus der Behauptung ableiten, der Gatte der Beklagten habe eigenmächtig eine Tafel mit der Aufschrift, daß der Hof zum Haus G-Gasse 12 gehöre, anbringen lassen, nachdem er vom Zeugen P aufmerksam gemacht worden sei, "daß die Fahrradhütte auf einem anderen Grund stehe", kann dazu nicht Stellung genommen werden, weil derartige Tatsachenfeststellungen von den Vorinstanzen nicht getroffen wurden.

Die Revisionsausführungen der Kläger vermögen somit einen dem Berufungsgericht unterlaufenen Rechtsirrtum nicht aufzuzeigen. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen haben die Vorinstanzen mit Recht im Sinne der §§ 1470, 1477 ABGB das Eigentum der Beklagten an der strittigen Hoffläche bejaht und demgemäß das Klagebegehren abgewiesen.

Anmerkung

Z51064

Schlagworte

Bindungswirkung vom Bescheid, Kompetenzkonflikt positiv zuständiger Gerichte und Verwaltungs-Behörden, Mieter, Rechtsbesitz am Bestandsobjekt, Rechtsbesitz des Mieters

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0080OB00504.78.0517.000

Dokumentnummer

JJT_19780517_OGH0002_0080OB00504_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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