TE OGH 1982/9/14 4Ob84/82

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Veröffentlicht am 14.09.1982
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Wurzinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Friedl und Dr. Kuderna sowie die Beisitzer Dr. Alfred Kepl und Dr. Gerald Mezriczky als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert R*****, vertreten durch Dr. Robert A. Kronegger, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei G***** AG, Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Manfred Thorineg, Rechtsanwalt in Graz, wegen 21.169,05 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 16. März 1982, GZ 2 Cg 14/82-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichts Graz vom 8. Jänner 1982, GZ 3 Cr 118/81-5, unter Berücksichtigung einer Klagsausdehnung bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.900,70 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind 480 S an Barauslagen und 171,90 S an Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Folgender Sachverhalt steht außer Streit (AS 7):

Der Kläger war bei der beklagten Partei vom 14. 10. 1948 bis 30. 6. 1980 angestellt. Auf dieses Arbeitsverhältnis war der Kollektivvertrag für die Dienstnehmer der Verkehrsbetriebe der Grazer Stadtwerke Aktiengesellschaft anzuwenden. Der Kläger hatte einen Urlaubsanspruch von zuletzt 30 Werktagen pro Jahr. Er trat am 6. 11. 1978 in den Krankenstand und wurde mit Wirkung vom 1. 7. 1980, nachdem ihm eine Berufsunfähigkeitspension (nach dem ASVG) zuerkannt worden war, von der beklagten Partei in den Ruhestand versetzt. Der Kläger hatte in den letzten drei Jahren seines Arbeitsverhältnisses keinen Urlaub verbraucht.

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger von der beklagten Partei die Zahlung einer restlichen Urlaubsentschädigung in der Höhe von 21.154,05 S brutto samt Anhang (AS 15 f, 23) mit der Begründung, er habe infolge seiner Krankheit den Urlaub der letzten drei Jahre (1978 bis 1980) nicht verbrauchen können, so dass ihm ein Anspruch auf Urlaubsentschädigung für 90 Urlaubstage in der Gesamthöhe von 92.211,30 S brutto zustehe. Da er von der beklagten Partei hiefür nur einen Betrag von 71.057,25 S brutto erhalten habe, hafte der Klagsbetrag noch aus.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung. Dem Kläger sei infolge seiner langdauernden Krankheit ein Urlaubsanspruch nicht zugestanden und er wäre gar nicht in der Lage gewesen, den Urlaub zu verbrauchen. Wenn die gesamte Arbeitsleistung in einem Urlaubsjahr so geringfügig sei, dass der Urlaub „in keinem gesunden Verhältnis" zur Arbeitsleistung stehe, sei die Geltendmachung eines Urlaubsanspruchs sittenwidrig. Im Übrigen sei ein allfälliger Urlaubsanspruch des Klägers nach dem § 141 KV entschädigungslos verfallen. Die Ruhestandsversetzung sei unter den in § 9 UrlG taxativ aufgezählten Auflösungstatbeständen nicht enthalten, so dass auch aus diesem Grund dem Kläger ein Anspruch auf Urlaubsentschädigung nicht zustehe. Schließlich sehe die Bestimmung des § 136 KV, dessen Bestimmung über den Urlaub in ihrer Gesamtheit günstiger seien als jene des Urlaubsgesetzes, eine Urlaubsentschädigung nicht vor. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, dass die beklagte Partei dem Kläger jeweils einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen für die Jahre 1978 und 1979 sowie von 15 Tagen für das Jahr 1980 ohne Berücksichtigung der Sonderzahlungen abgegolten habe. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, die Krankheit des Klägers sei auf seinen Urlaubsanspruch ohne Einfluss. Aus dem § 9 Abs 1 UrlG ergebe sich, dass dem Arbeitnehmer eine Urlaubsentschädigung in allen jenen Fällen einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses gebühre, in denen den Arbeitnehmer kein Verschulden treffe. Die Versetzung des Klägers in den Ruhestand sei einer Kündigung gleichzusetzen, so dass der Anspruch auf Urlaubsentschädigung unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen gebühre.

In der Berufungsverhandlung dehnte der Kläger das Klagebegehren um 15 S an restlicher Wohnungsbeihilfe auf den Betrag von 21.169,05 S brutto samt Anhang aus. Die Höhe dieses Betrags wurde von den Parteien außer Streit gestellt (AS 66).

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und sprach dem Kläger auf der Grundlage des außer Streit stehenden Sachverhalts den (ausgedehnten) Klagsbetrag zu. Es vertrat die Rechtsauffassung, eine Sittenwidrigkeit der Klagsführung liege nicht vor, weil der Kläger nur einen ihm nach dem Gesetz zustehenden Anspruch ohne jede Schädigungsabsicht geltend mache. Die Verfallsbestimmung des Kollektivvertrags widerstreite der Unabdingbarkeitsbestimmung des § 12 UrlG und sei daher unanwendbar geworden. Ein Untergang des Urlaubsanspruchs im Falle der Erkrankung könne dem Gesetz nicht entnommen werden. Es widerspräche dem Erholungszweck des Urlaubs, diesen während einer Krankheit zu verbrauchen. Wenn aber dem Arbeitnehmer nicht zugemutet werden könne, den Urlaub während seiner Dienstverhinderung zu verbrauchen, dann gehe sein Naturalanspruch bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 9 UrlG in einen Geldanspruch über. Die im § 9 Abs 1 leg cit taxativ aufgezählten Auflösungstatbestände seien alle von einem Verschulden des Arbeitnehmers unabhängig. Eine ausdehnende Auslegung dieser Tatbestände durch Analogie sei jedoch dann geboten, wenn der in der Norm nicht angeführte Fall (hier: Versetzung in den Ruhestand) alle motivierenden Merkmale enthalte und das Prinzip der Norm auch in einem ähnlichen Fall Beachtung verlange. Die Versetzung in den Ruhestand sei einer Kündigung durch den Arbeitgeber gleichzusetzen, so dass die gleichen Rechtsfolgen eintreten. Daraus folge, dass dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Urlaubsentschädigung zustehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im klagsabweisenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass die Revision zulässig ist. Eine bestätigende Entscheidung des Berufungsgerichts im Sinne des § 502 Abs 3 Satz 1 ZPO (in Verbindung mit § 23a ArbGG) liegt dann nicht vor, wenn das Berufungsgericht, wie hier, nicht nur über die Berufung gegen das erstgerichtliche Urteil, sondern auch über einen erstmals im Berufungsverfahren neu erhobenen Anspruch (Klagsausdehnung) zu erkennen hatte (Arb 9556, 8487, jeweils mit weiteren Hinweisen, uva). Einen Verfahrensmangel erblickt der Kläger in der Unterlassung verschiedener Feststellungen. Da es sich hiebei in Wahrheit um die Behauptung einer infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung unterlassenen Feststellung von Sachverhaltselementen handelt, wird im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge darauf eingegangen werden. In der Rechtsrüge hält die beklagte Partei an ihrer Auffassung fest, der Kläger habe während seines Krankenstands einen Urlaubsanspruch nicht erworben, weil eine Erholung von der (nicht erbrachten) Arbeitsleistung nicht möglich gewesen sei. Der Urlaub müsse „in einem gesunden Verhältnis zur tatsächlich geleisteten Arbeit stehen", widrigens ein Urlaubsanspruch nicht erworben werde. Diese Auffassungen finden jedoch im Urlaubsgesetz keine Stütze. Der Urlaubsanspruch entsteht vielmehr unter den im Gesetz, insbesondere im § 2 UrlG, geregelten Voraussetzung, die eine Beschränkung, wie sie von der beklagten Partei vertreten wird, nicht kennen. Die von der beklagten Partei in diesem Zusammenhang zitierte deutsche Literatur steht nicht auf dem Boden der durch das Urlaubsgesetz geregelten österreichischen Rechtslage und kann daher als Stütze für die Auffassung der beklagten Partei nicht herangezogen werden. Die österreichische Rechtslage wird, soweit es für die Entscheidung dieses Rechtsstreits von Bedeutung ist, durch die Bestimmung des § 9 UrlG über die Urlaubsentschädigung bestimmt (zu der - in der Revision nicht mehr bekämpften - Anwendung dieser Bestimmung auf den gegenständlichen Fall der Ruhestandsversetzung kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffende Begründung des Berufungsgerichts verwiesen werden). Der Anspruch auf Urlaubsentschädigung besteht demnach ohne Rücksicht darauf, aus welchem Grund der Urlaub nicht verbraucht wurde und ob er zwischen seiner Entstehung und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überhaupt verbraucht werden konnte sowie ob es dem Arbeitnehmer zumutbar gewesen wäre, den Urlaub zu verbrauchen (Klein-Martinek, Urlaubsrecht 111; Arb 9693). Der Urlaubsentschädigungsanspruch gebührt nämlich nicht etwa aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes oder der Vorteilsausgleichung; er beruht vielmehr auf der in der Freistellung von der Arbeit während der Urlaubszeit und in der Fortzahlung des Entgelts für diesen Zeitraum bestehenden Doppelnatur des Urlaubsanspruchs. Ist die Verwirklichung des Anspruchs auf Freistellung von der Arbeit, wie im vorliegenden Fall, nicht möglich, dann bleibt unter den Voraussetzungen des § 9 UrlG der Anspruch auf Fortsetzung des Entgelts bestehen (Arb 9693 mit weiteren Hinweisen). Der Kläger hat daher, wie die Untergerichte richtig erkannt haben, auch während der Zeit seiner durch Krankheit hervorgerufenen Arbeitsunfähigkeit - ohne Rücksicht auf die Möglichkeit eines Verbrauchs - einen Urlaubsanspruch erworben, der im Hinblick auf die vor seinem Verbrauch erfolgte Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Geldanspruch (Urlaubsentschädigung) übergegangen ist. Aus den bereits dargelegten Gründen kommt der von der beklagten Partei vermissten Feststellung, es sei dem Kläger möglich gewesen, seinen Urlaub während des Krankenstands zu verbrauchen, keine rechtliche Bedeutung zu. Von einer Sittenwidrigkeit der Geltendmachung dieses dem Kläger nach dem Gesetz zustehenden Anspruchs kann, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, keine Rede sein. Dem Einwand der beklagten Partei, der Urlaubsanspruch des Klägers sei gemäß dem § 141 KV verfallen, stehen die Bestimmung des § 12 UrlG über die Unabdingbarkeit des Urlaubsanspruchs sowie der Umstand entgegen, dass das Urlaubsgesetz nur Bestimmungen über eine Verjährung (§ 4 Abs 5), nicht aber über einen Verfall enthält (vgl dazu Klein-Martinek aaO, 132; Cerny, Urlaubsrecht, 74 f). Der Auffassung, der beklagten Partei, die kollektivvertragliche Regelung sehe lediglich vor, unter welchen Voraussetzungen ein Urlaubsanspruch in das Folgejahr übertragen werden könne, so dass ein Widerspruch zu § 12 UrlG nicht bestehe, kann nicht zugestimmt werden, weil die Bestimmung des § 141 Satz 4 KV, auf den die beklagte Partei ja ihre Einwendung stützt, ausdrücklich einen Verfall bei Nichteinhaltung der vorerwähnten Übertragung des Urlaubsanspruchs vorsieht. Diese Bestimmung ist jedoch, weil sie dem § 12 UrlG widerstreitet, rechtsunwirksam. Dem - erstmals in der Revision - unternommenen Versuch der beklagten Partei, in der Nichtgeltendmachung des Urlaubsanspruchs des Klägers einen stillschweigenden Verzicht zu erblicken, steht ebenfalls die Unabdingbarkeitsvorschrift des § 12 UrlG entgegen. Eine Feststellung darüber, dass der Kläger nie einen Urlaubsantrag gestellt hat, konnte daher mit Recht unterbleiben. Das gleiche gilt für die von der beklagten Partei ebenfalls vermisste Feststellung, die beklagte Partei hätte den Kläger schon früher in den Ruhestand versetzen können. Der Beurteilung des Klagsanspruchs ist der tatsächliche Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und nicht etwa ein möglicher früherer, fiktiver, Zeitpunkt zu Grunde zu legen.

Da die angefochtene Entscheidung mit der Rechtslage übereinstimmt, muss der Revision ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41, 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E925264Ob84.82

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1982:0040OB00084.82.0914.000

Zuletzt aktualisiert am

07.01.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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