TE OGH 1985/10/15 4Ob513/84

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Veröffentlicht am 15.10.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurzinger als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl, Dr. Resch und Dr. Kuderna als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin A B Gesellschaft

m. b.H., 3435 Zwentendorf, vertreten durch DDr.Walter Barfuß, Rechtsanwalt in Wien, wider die Antragsgegnerin R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien, wegen Festsetzung einer Enteignungsentschädigung (S 7,213.998.293,04 s.A.), infolge Revisionsrekurses der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Kreisgerichtes St.Pölten als Rekursgerichtes vom 15.März 1984, GZ R 56/84-22, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Tulln vom 3. Februar 1982, GZ 1 Nc 114/81-14, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

1)

Das Revisionsrekursverfahren wird unterbrochen.

2)

Gemäß Art 140 Abs. 1 B-VG wird an den Verfassungsgerichtshof der Antrag gestellt, den § 1 des Gesetzes vom 15.12.1978, BGBl 676/78, über das Verbot der Nutzung der Kernspaltung für die Energieversorgung in Österreich ("Atomsperrgesetz") als verfassungswidrig aufzuheben.

Text

Begründung:

A) Die Antragstellerin, A B

Ges.m.b.H. (C) begehrt eine Enteignungsentschädigung unter Berufung darauf, daß Zweck dieser Gesellschaft der Bau und der Betrieb von Gemeinschaftskraftwerksanlagen im Tullnerfeld und die Abgabe der gesamten erzeugten elektrischen Energie an ihre Gesellschafter sei, sie zu diesem Zweck das Kernkraftwerk Zwentendorf bereits technisch fertig errichtet und wegen Erfüllung aller erteilten Auflagen einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Betriebsbewilligung erworben habe, aber wegen des § 1 des Gesetzes vom 15.12.1978, BGBl 676/78 über das Verbot der Nutzung der Kernspaltung für die Energieversorgung in Österreich (sogenannt: Atomsperrgesetz) diese Anlagen nicht in Betrieb genommen werden dürfen, sodaß dieses Gesetz eine Enteignung bewirkt habe. Der Antrag wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Tulln vom 3.2.1982, 1 Nc 114/81-14, abgewiesen; mit Beschluß des Kreisgerichtes St.Pölten vom 15.3.1984, R 56/84-22, wurde dem Antrag dahin stattgegeben, daß ausgesprochen wurde, daß die Antragsgegnerin, R*** Ö***, der Antragstellerin eine angemessene

Schadloshaltung zu leisten habe. Gegen diesen Beschluß erhob die Antragsgegnerin einen Revisionsrekurs, über den der Oberste Gerichtshof zu entscheiden hat. Dieser hat hiebei insbesondere zu prüfen, ob das Atomsperrgesetz eine einer Enteignung gleichzuhaltende Eigentumsbeschränkung bewirkte, für die eine Entschädigung zu leisten ist. Der Oberste Gerichtshof hat damit das Atomsperrgesetz - unabhängig davon, wie er diese Fragen beantwortet - "anzuwenden". Seine Legitimation zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof auf Überprüfung des § 1 des Atomsperrgesetzes ist daher gegeben (Art. 140 B-VG; siehe auch Pkt. 2.1 des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 16.12.1983, G 46/82-15).

Rechtliche Beurteilung

B) Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis den Antrag

des Kreisgerichtes St.Pölten auf Aufhebung des § 1 des Atomsperrgesetzes wegen Verfassungswidrigkeit abgewiesen. Er ist hiebei davon ausgegangen, daß eine Enteignung im eigentlichen (engeren) Sinn nicht vorliege, weil das Atomsperrgesetz das Eigentum der Antragstellerin an ihrer Liegenschaft samt Aufbauten an sich unangetastet lasse, vielmehr nur die Inbetriebnahme und damit die künftige wirtschaftliche Nutzung des errichteten Werkes verhindere. Ein Verstoß gegen das durch Art. 5 StGG (in Verbindung mit Art. 149 Abs. 1 B-VG) gewährleistete Grundrecht der Unverletzlichkeit des Eigentums liege daher nicht vor (Pkt. 2.2.2.1 bis 2.2.2.3.); es sei somit auch Art. 1 Abs. 1 des (1.) ZP zur MRK nicht anwendbar (Pkt. 2.2.2.4.1.). Die durch das Atomsperrgesetz verfügte Beschränkung der aus dem Eigentum fließenden Rechte der Antragstellerin gehe auch nicht so weit, daß der gesetzesfeste Wesensgehalt der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie verletzt werde, weil das Verbot der Nutzung der Kernspaltung für die volkswirtschaftliche Energieversorgung die weitgespannten Möglichkeiten der Energiegewinnung im Grunde nur partiell einenge (Pkt. 2.2.2.4.2.). Zum Einwand, das Atomsperrgesetz stehe im Widerspruch zu Art. 5 StGG, weil es keine - verfassungsrechtlich grundsätzlich gebotene - Entschädigungspflicht statuiere, verwies der Verfassungsgerichtshof darauf, daß aus dieser Verfassungsnorm eine Entschädigungspflicht für Enteignungen - und so jedenfalls auch für Eigentumsbeschränkungen - nicht ableitbar sei (Pkt. 2.2.2.4.3.). Der Verfassungsgerichtshof verneinte auch den behaupteten Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 B-VG, der darin gesehen wurde, daß eine Ungleichbehandlung der sogenannten Atomkrafterzeugungsanlagen für die Energieversorgung gegenüber jenen für andere Zwecke sachlich nicht gerechtfertigt sei, weil die Atomkraft entweder gefährlich sei oder nicht. Der Verfassungsgerichtshof hielt dem entgegen, daß die offenkundige Annahme, daß sich die typische und derzeit einzig übliche großtechnologische Verwendung der Atomenergie zur volkswirtschaftlichen Energieversorgung allein unter dem Gesichtspunkt der vornehmlich ihr zugemessenen Umweltgefährlichkeit von anderen Verwendungsformen geringeren Umfanges (z.B. zu Versuchs- oder Forschungszwecken) klar unterscheide (Pkt. 2.2.2.4.4.).

C) Offen ließ der Verfassungsgerichtshof die Frage, ob das Atomsperrgesetz deswegen verfassungswidrig sei, weil es unter Statuierung eines "Sonderopfers" (weitgehende Eigentumsbeschränkung eines Einzelnen oder einer Gruppe von Personen bei Vorteilen oder Nutzen für die Allgemeinheit oder auch andere Personengruppen ohne gleichzeitige Festlegung eines Entschädigungsanspruches des Betroffenen) das Gleichbehandlungsgebot des Art. 7 B-VG verletzt. Der Verfassungsgerichtshof verwies dazu ausdrücklich darauf, daß dieser Gesichtspunkt im Antrag des Kreisgerichtes St.Pölten nicht geltend gemacht worden sei und der Verfassungsgerichtshof das Prüfungsverfahren auf die vorgebrachten Bedenken zu beschränken habe (Pkt. 2.2.2.4.3. Abs. 2 und Pkt. 2.2.4.).

D) Aus diesem bisher nicht geltend gemachten und daher nicht

geprüften Gesichtspunkt bestehen aber Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 1 des Atomsperrgesetzes, jedenfalls gegen dessen Satz 2, sodaß ein nochmaliger Überprüfungsantrag geboten erscheint. Dazu ist festzuhalten, daß der Oberste Gerichtshof gemäß Art. 89 Abs. 2 B-VG zur Stellung eines solchen Antrages nicht erst dann verpflichtet ist, wenn er von der Verfassungswidrigkeit des anzuwendenden Gesetzes überzeugt ist, ihn diese Verpflichtung vielmehr schon dann trifft, wenn gegen die Verfassungsmäßigkeit Bedenken bestehen (OGH v. 9.4.1980, 6 Ob 18/79 = JBl. 1981, 423, s. a. Fasching a.a.O.). Diese Bedenken bestehen aber auf Grund folgender Überlegungen:

a) Das Bundesgesetz vom 15.9.1978 über das Verbot der Nutzung der Kernspaltung für die Energieversorgung in Österreich, BGBl. Nr. 676/1978, lautet:

"§ 1: Anlagen, mit denen zum Zwecke der Energieversorgung elektrische Energie durch Kernspaltung erzeugt werden soll, dürfen in Österreich nicht errichtet werden. Sofern jedoch derartige Anlagen bereits bestehen, dürfen sie nicht in Betrieb genommen werden.

§ 2: Die Vollziehung dieses Bundesgesetzes obliegt der Bundesregierung."

b) Zur sogenannten "Sonderopfer"-Theorie verweist Korinek in seiner Abhandlung "Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz und Raumplanung", Linz 1977, (S. 35 f), darauf, daß der Verfassungsgerichtshof in den "Wohnsiedlungsgesetz-Erkenntnissen" (VfSlg. 6.884/1972 und 7.234/1973) eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes darin sah, daß Grundstückseigentümer durch einfaches Gesetz zur Abtretung von Grundstücken für Zwecke des Straßenbaues ohne Entschädigung verpflichtet wurden. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, der unter Hinweis auf seine Judikatur davon ausging, daß der Gleichheitsgrundsatz dem Gesetzgeber verbietet, Differenzierungen zu schaffen, die sachlich nicht begründbar sind, war es in diesen Fällen durchaus zu rechtfertigen, daß gerade der Grundstückseigentümer einer bestimmten Liegenschaft zur Abtretung verhalten wurde, es gab aber nach den Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes keine sachliche Begründung dafür, daß die Abtretung ohne Entschädigung erfolgen muß, daß also eine Vermögenseinbuße in unterschiedlichem Umfang (nicht bloß eine Vermögensumschichtung) statuiert wird, sodaß der eine mehr, der andere weniger oder gar kein Vermögen an Gegenwert für die Aufschließungsvorteile hingeben muß. Korinek verweist auch (vor und in Anmerkung 75) darauf, daß der Verfassungsgerichtshof damit einen Gedanken aufgenommen habe, den grundsätzlich schon Zeiller formuliert habe, als er ausführte, daß die öffentlichen Lasten von allen Bürgern verhältnismäßig getragen werden sollen und der Eigentümer mit Recht fordern könne, daß ihm für die Überlassung seines Eigentums eine dem Wert desselben angemessene Schadloshaltung geleistet werde. Schließlich führt Korinek noch aus, daß dieser Gedanke insbesondere in der deutschen und schweizerischen Literatur und Rechtsprechung als "Sonderopfer-Theorie" entwickelt (vor und in Anmerkung 76) und dessen Anwendbarkeit für die österreichische Rechtslage von der jüngeren Lehre postuliert wurde (vor und in Anmerkung 77).

c) Wenngleich - oder gerade weil - in dieser Frage - soweit ersichtlich - noch keine gefestigte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes besteht (vgl. dazu VfSlg. 7.759/1976), lassen seine Ausführungen in den angeführten Entscheidungen und die erwähnten Literaturhinweise wegen der beim Obersten Gerichtshof gegen das anzuwendende Gesetz entstandenen verfassungsrechtlichen Bedenken es geboten erscheinen, diese Frage zur Prüfung im Zusammenhang mit § 1 des Atomsperrgesetzes an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Diese Bestimmung ist nach diesen Ausführungen als verfassungswidrig anzusehen, wenn sie ein "Sonderopfer" statuiert, also die Lasten aus dem intentional der Sicherheit und dem Schutz der Bevölkerung, deren Angst vor Atomkraft bei Verwendung im Megawatt-Bereich es Rechnung trägt (VfGH-Erkenntnis vom 16.12.1983, Pkt. 2.2.2.4.1.), dienenden Gesetz in unsachlicher Weise einem Einzelnen (oder einer Gruppe) eine weitgehende (in der Wirkung an eine Enteignung heranreichende) Eigentumsbeschränkung auferlegt (siehe dazu Pkt. 2.2.2.4.2. am Ende des VfGH-Erkenntnisses vom 16.12.1983), ohne zugleich einen Ausgleich durch Gewährung eines Entschädigungsanspruches festzulegen (s.a. Spielbüchler in Rummel ABGB Rdz 9 zu § 365).

d) Bei der Beurteilung der Frage, ob das Atomsperrgesetz ein "Sonderopfer" festlegt, ist davon auszugehen, daß nach dem Bericht des Handelsausschusses (1134 Blg NR 14. GP) mit diesem Gesetz dem Ergebnis der Volksabstimmung vom 5.11.1978, das ohne Zweifel "als Auftrag zur Nichtinbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf zu werten" sei, Rechnung getragen wurde; die Volksabstimmung erfolgte gemäß BGBl. Nr. 628/1978 über den Gesetzesbeschluß des Nationalrates vom 7.7.1978 betreffend das "Bundesgesetz vom 7.7.1978 über die friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich (Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf)". Diese Entstehungsgeschichte und die Begründung des Atomsperrgesetzes sowie der Umstand, daß offenkundig in Österreich außer der Antragstellerin niemand zur Errichtung von Atomkraftwerken befugt war und außer dem von dieser Gesellschaft errichteten Atomkraftwerk Zwentendorf kein weiteres bestand, lassen keinen Zweifel daran, daß durch das Atomsperrgesetz gerade und nur die Antragstellerin und das von ihr errichtete Werk getroffen werden sollten und auch getroffen wurden. Da dieses Gesetz somit nach Inhalt und Zielsetzung nur auf eine Gesellschaft - die Antragstellerin - Anwendung finden konnte, bestehen verfassungsrechtliche Bedenken schon in der Richtung, daß es sich dabei um ein verfassungsrechtlich unzulässiges "Maßnahmengesetz" oder - wie die Antragstellerin (AS 54) behauptet - um ein "Individualgesetz" handelt. Jedenfalls hatte damit die Antragstellerin alle Lasten, welche dieses Gesetz zur Folge hatte, allein zu tragen, während der durch das Gesetz angestrebte und erreichte Nutzen, nämlich die Befriedigung des durch die Angst der Bevölkerung vor der Verwendung von Atomkraft im Megawatt-Bereich ausgelösten Schutz- und Sicherheitsbedürfnisses der Allgemeinheit zugute kam. Es hätte aber dem Gleichheitsgebot entsprochen, daß die durch eine im allgemeinen Interesse gelegene und der Allgemeinheit zugute kommende Maßnahme entstehenden Lasten auch auf die Allgemeinheit (oder den durch eine sachgerechte Differenzierung bestimmten Teil der Allgemeinheit) aufgeteilt würden (vgl. dazu VfSlg. 7.234/1973 unter Punkt II/2). Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichverteilung verletzt den Gleichheitsgrundsatz auch dann, wenn der Vorteil der Nichtbelasteten ("nur") darin besteht, daß sie eben zu dieser Last nichts beitragen brauchen. Eine derartige Verletzung des Gleichheitsgebotes im Extrem bedeutet es, wenn - wie hier - die sachlich die Allgemeinheit treffenden Lasten nur einer einzigen (natürlichen oder juristischen) Person zugeordnet werden. Diese Wirkung kommt dem Atomsperrgesetz trotz seiner formal allgemein gehaltenen Fassung gegenüber der Antragstellerin zu. Die eher theoretische Frage, ob das Atomsperrgesetz auch wegen der Auswirkungen auf andere (künftige) Kernkraftwerkserrichter oder -betreiber verfassungswidrig sein könnte (was wohl zu verneinen wäre), kann unerörtert bleiben, weil die verfassungsrechtlichen Bedenken gerade in die Richtung gehen, daß mit diesem Gesetz seinem Inhalt und der Zielsetzung nach nur die Antragstellerin getroffen werden sollte und dieser allein wegen der Nichtfestlegung eines Entschädigungsanspruches alle daraus entspringenden Lasten ohne ausreichende sachliche Grundlage auferlegt wurden, diese also für einen für die Allgemeinheit angestrebten Nutzen allein aufkommen muß. Zu den Ausführungen im Bericht des Handelsausschusses vom 12.12.1978, 1134 Blg NR 14. GP, wonach das Atomsperrgesetz den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt, weil es in den (dem einfachen Gesetzgeber ... zustehenden) rechtspolitischen Spielraum falle, darüber zu befinden, ob Kernkraftwerke für Zwecke der Energieversorgung zulässig sein sollen oder nicht, ist darauf zu verweisen, daß diese Überlegungen darüber nichts besagen, ob ein Verbot der Errichtung und/oder der Inbetriebnahme solcher Anlagen (auch) ohne Entschädigung für davon Betroffene verfassungskonform ist.

e) Die Auffassung, daß bei dieser Sachlage die Beschränkung des Eigentums der Antragstellerin durch das Atomsperrgesetz über das von vielen Gesetzen vorgesehene und von den Betroffenen auch ohne Entschädigung hinzunehmende Maß (z.B. VfSlg. 5.208/1966 [Beschränkung des Auspflanzens von Weinreben], 6.735/1972 und 6.780/1972 [Beschränkungen durch Grundverkehrsgesetze], 7.306/1974 [Beschränkung durch Denkmalschutz] u.a.) hinausgehe, ist durchaus vertretbar (vgl. auch VfGH-Erkenntnis vom 16.12.1983, Pkt. 2.2.2.4.2. am Ende). Ob diese Auffassung tatsächlich zutrifft, ist erst und nur durch die Anwendung des Atomsperrgesetzes zu entscheiden. Die Möglichkeit, daß dabei diese Frage bejaht wird, besteht jedenfalls. Um aber das Gesetz (auch nach diesem Kriterium) als verfassungsrechtlich unbedenklich ansehen zu können, müßte eindeutig feststehen, daß sich die Eigentumsbeschränkungen im vom Betroffenen auch ohne Entschädigung hinzunehmenden Rahmen halten, die gegenteilige Auffassung also offenkundig unrichtig und unvertretbar (denkunmöglich) wäre. Die bloße Möglichkeit, daß das Gesetz ohnehin "verfassungskonform" ausgelegt wird, reicht - wenn auch eine solche Auslegung im Zweifel geboten erscheint - solange nicht aus, Bedenken gegen dessen Verfassungsmäßigkeit zu beseitigen, als auch die "verfassungswidrige" Auslegung bei der Anwendung des Gesetzes in Frage kommt. Es ist nicht nur ein Gebot der Rechtssicherheit, sondern auch ein Erfordernis des Verständnisses der Rechtsordnung als umfassende Einheit, daß bei Legalenteignungen Bedenken, ob bei der Erlassung des betreffenden Gesetzes verfassungsmäßige Grundrechte verletzt wurden, nicht von den ordentlichen Gerichten als Vorfrage bei der Entscheidung über ein Entschädigungsbegehren, sondern durch den Verfassungsgerichtshof geprüft und beurteilt werden (vgl. Morscher, JBl. 1981 S. 316, Anderluh, JBl. 1963, S. 611). Dies trägt auch dem Rechnung, daß die Enteignung selbst öffentlich-rechtlichen Charakter hat, während die Entschädigungsfrage privatrechtlich zu beurteilen ist (VfGH

v. 3.12.1980, B 206/75, JBl. 1981, S. 313 unter Hinweis auf VfSlg. 8.065/1977).

f) Diese Überlegungen gelten auch bei der Beurteilung des Umstandes, daß im Atomsperrgesetz über die Entschädigungsfrage nichts enthalten ist. Der Auffassung, daß das Gesetz im Zweifel "verfassungskonform" - und damit im Sinn einer Bejahung eines Entschädigungsanspruches - auszulegen sei und sich der Entschädigungsanspruch bei Fehlen einer besonderen Regelung bereits aus § 365 ABGB ergebe, muß entgegengehalten werden, daß auch für die gegenteilige Auffassung beachtliche Gründe geltend gemacht werden können. Zur Beseitigung der verfassungsrechtlichen Bedenken wäre aber auch hier erforderlich, daß zweifelsfrei feststeht, daß diese gegenteilige Auffassung als offenbar unrichtige und unvertretbare (denkunmögliche) Auslegung bei der Anwendung des Gesetzes außer Betracht zu bleiben habe. Auch eine "verfassungskonforme Auslegung" eines Gesetzes muß ihre Grundlage im Gesetz selbst haben. Die Auslegung kann die fehlende gesetzliche Grundlage - also "das" oder "das andere" (fehlende) Gesetz - nicht ersetzen (vgl. auch Morscher JBl. 1981, 315 "... das demokratische Grundprinzip verbietet es auch, generelle Normen letztlich durch 'Interpretation' entstehen zu lassen ..." und Korinek a.a.O. 28 f, wonach die "nachprüfende Kontrolle", ob der einfache Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen beachtet hat, dem Verfassungsgerichtshof zukommt). Es ist auch ein wesentlicher Unterschied, ob ein Entschädigungsanspruch, der aus einem anderen Gesetz durch Auslegung abgeleitet werden soll, oder die Frage zu prüfen ist, ob die Enteignung oder die Eigentumsbeschränkung ohne Verletzung verfassungsrechtlich gewährter Grundrechte überhaupt in einem einfachen Gesetz vorgesehen werden durfte. Die Prüfung dieser letztangeführten und für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes entscheidenden Frage fällt aber grundsätzlich in die Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes (vgl. Morscher, JBl. 1981, 316). Wollte man sie durch "verfassungskonforme" Auslegung lösen, müßten nicht nur die ordentlichen Gerichte Verfassungsfragen als bloße Vorfragen prüfen, es müßte vielmehr bei durch den (einfachen) Gesetzgeber statuierten Enteignungen oder Eigentumsbeschränkungen sein Schweigen in der Entschädigungsfrage verschieden ausgelegt werden, je nachdem, ob in der entschädigungslosen Enteignung oder Eigentumsbeschränkung im konkreten Fall eine Verletzung eines Grundrechtes gesehen wird oder nicht. Zu der im Schrifttum (Korinek a.a.O. 43 f; Aicher, Grundfragen der Staatshaftung bei rechtmäßigen hoheitsrechtlichen Eigentumsbeeinträchtigungen S. 430; Rummel-Schlager, Enteignungsentschädigung, S. 58 f u.a.) vertretenen Auffassung, daß bei besonders qualifizierten Eigentumseinschränkungen ein Entschädigungsanspruch zustehe, ist darauf zu verweisen, daß damit noch nichts für die Frage gewonnen ist, ob die Prüfung und Entscheidung dieser Frage dem ordentlichen Gericht als Vorfrage bei der Beurteilung eines geltend gemachten Entschädigungsanspruches oder dem Verfassungsgerichtshof bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer ohne Festlegung eines Entschädigungsanspruches gesetzlich angeordneten Eigentumsbeschränkung zukommen soll. Die bereits angeführten Gründe sprechen für die letztangeführte Auffassung.

g) Gegen die Auffassung, ein Entschädigungsanspruch könne bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung bereits aus § 365 ABGB, wonach ein Mitglied des Staates gegen eine angemessene Schadloshaltung selbst das vollständige Eigentum einer Sache abtreten muß, abgeleitet werden, bei deren Richtigkeit die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Atomsperrgesetz aus dem Gesichtspunkt eines "Sonderopfers" wegfielen, werden nicht zu übersehende Gründe gelten gemacht. Anderluh (JBl. 1963, S. 609) verweist darauf, daß in Artikel 5 des StGG, wonach eine Enteignung gegen den Willen des Eigentümers nur in den Fällen und in der Art eintreten kann, welche "das Gesetz" bestimmt, der Ausdruck "das Gesetz" nicht auf § 365 ABGB bezogen werden könne, weil es zur Zeit der Erlassung des StGG auch andere Gesetze als den § 365 ABGB gab, die Enteignungen vorsahen, und dann, wenn als "das Gesetz" § 365 ABGB gemeint gewesen wäre, weitere besondere Enteignungsgesetze überflüssig gewesen wären. Art. 5 StGG hatte aber gerade den Zweck, Enteignungen nur mehr auf Grund (oder durch) besondere Gesetze zuzulassen (s. VfGH E v. 3.10.1980,

B 206/75, JBl. 1981 S. 305 ff [309]; auch VfGH vom 16.12.1983, Pkt. 2.2.2.2.). Es wäre aber dann, wenn sich ein Entschädigungsanspruch bereits aus § 365 ABGB ableiten ließe, auch überflüssig, in späteren Enteignungsgesetzen ausdrücklich einen Entschädigungsanspruch festzulegen. Dies ist jedoch z.B. in den Verstaatlichungsgesetzen (§ 1 Abs. 2, BGBl. Nr. 168/1946 und § 2, BGBl. Nr. 81/1947) dennoch geschehen. Zu bedenken ist dazu auch, daß es sich bei diesen Gesetzen um Enteignungen im eigentlichen (engeren) Sinn handelte, während das Atomsperrgesetz nur eine Eigentumsbeschränkung verfügt. Auf (bloße) Eigentumsbeschränkungen ist aber § 365 ABGB schon nach seinem Wortlaut nicht (unmittelbar) anwendbar ("... vollständiges Eigentum ..."). Dafür aber, daß Enteignungen im engeren Sinne und (bloße) Eigentumsbeschränkungen nicht ohne weiteres gleichgestellt werden können, gibt Art. 1 des

(1.) ZP zur MRK (BGBl. Nr. 210/1958) einen Anhaltspunkt, da dort ausdrücklich Enteignungen im eigentlichen Sinn und Eigentumsbeschränkungen verschieden behandelt werden (vgl. VfGH vom 16.12.1983, Pkt. 2.2.2.4.1.). Wollte man anerkennen, daß ein Entschädigungsanspruch auch bei Eigentumsbeschränkungen, die eine "materielle Enteignung" bedeuten, aus § 365 ABGB abgeleitet werden kann, dann wären für die Entschädigungspflicht die von der Literatur doch geforderten besonderen Qualifikationen der Eigentumsbeschränkung als Voraussetzung für die Bejahung des Entschädigungsanspruches nicht erforderlich; der Entschädigungsanspruch stünde jedenfalls zu. Die als Qualifikationskriterien angeführten Gesichtspunkte hätten nur Bedeutung für die Frage, ob überhaupt eine "materielle" Enteignung vorliegt. Das spricht wieder dafür, daß diese Frage im Bereich der Enteignung selbst, somit dem des öffentlich-rechtlichen, und nicht als Vorfrage für den dem Privatrecht zugeordneten Entschädigungsanspruch zu prüfen und zu entscheiden ist. Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 3 Ob 500/60 vom 22.11.1961 (EvBl. 1962/55) ausgesprochen, daß dem Enteigneten ein Entschädigungsanspruch bei einer Enteignung, die das Gesetz selbst verfügt, nur dann zusteht, wenn dieses oder ein besonderes Gesetz eine Entschädigungspflicht ausspricht; da dies im dort anzuwenden gewesenen Gesetz (Art. 23 des Staatsvertrages) nicht geschehen sei, bestehe der Entschädigungsanspruch nicht. Der Oberste Gerichtshof bezog sich - allerdings nur zur Bekräftigung seiner allgemein ausgesprochenen Rechtsansicht - für den damals zu entscheidenden Fall auch noch auf die amtlichen Erläuterungen zu dieser Gesetzesstelle, wonach erst nach einer Klarstellung der durch den Verzicht getroffenen Forderungskategorien sich beurteilen lassen werde, inwieweit österreichische Staatsangehörige zu entschädigen sein werden. Der Oberste Gerichtshof verwies auch ausdrücklich darauf, daß § 365 ABGB nicht hindere, daß ein späteres Gesetz eine Enteignung ohne Entschädigung zulasse.

Da das im vorliegenden Fall anzuwendende Atomsperrgesetz ebenfalls nichts über eine Entschädigung der von der Maßnahme Betroffenen sagt, können diese Überlegungen durchaus auch hier zum Tragen kommen, sodaß die Möglichkeit, es im Sinne einer Verneinung des Entschädigungsanspruches auszulegen, gegeben ist. Dafür, daß der Gesetzgeber eine Entschädigung für die durch das Atomsperrgesetz Betroffenen nicht vorsehen wollte - wohl deswegen, weil er in dieser Maßnahme keine Enteignung und auch keine eine Entschädigungspflicht auslösende Eigentumsbeschränkung sah - können aus dem Bundesgesetz vom 18.12.1979 betreffend die Sanierung der Österreichischen Elektrizitätswirtschafts-AG (Verbundgesellschaft), Anhaltspunkte gewonnen werden. Mit diesem Gesetz wurde verfügt, daß die dem Bund als Hauptaktionär der Tauernkraftwerke AG und der Österreichischen Donaukraftwerke AG aus Aktienkapitalherabsetzungen bei diesen Gesellschaften zufließenden Beträge zur teilweisen Abdeckung des Bilanzverlustes der Verbundgesellschaft zu verwenden sind, der dieser auf Grund der Nichtinbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf erwächst. In der Begründung dieser gesetzlichen Maßnahme wird darauf verwiesen, daß die Verbundgesellschaft mit 50 % an der hier als Antragstellerin einschreitenden Gesellschaft beteiligt, vom Atomsperrgesetz am stärksten betroffen ist und der dadurch bewirkte Verlust das Eigenkapital der Verbundgesellschaft aufzehren und den Tatbestand der Überschuldung im Sinne des § 69 Abs. 1 KO ergeben würde; daraus ergebe sich die Notwendigkeit, daß der Bund als Alleinaktionär der Verbundgesellschaft eine Sanierung der Verbundgesellschaft vornehme. Durch diese Vorgangsweise wurde der Hauptgesellschafterin - der antragstellenden Gesellschaft - wenn auch nicht formellrechtlich, so doch bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine Entschädigung gewährt, die überflüssig gewesen wäre, hätte das Atomsperrgesetz ausdrücklich oder auch nur stillschweigend einen Entschädigungsanspruch der antragstellenden Gesellschaft vorgesehen. Da jedoch die Sanierung nur einen Gesellschafter der antragstellenden Gesellschaft betraf, die übrigen aber nicht berücksichtigt wurden, kann auch nicht mit der zur Verneinung der verfassungsrechtlichen Bedenken erforderlichen Sicherheit gesagt werden, daß durch dieses Sanierungsgesetz die im Atomsperrgesetz offengelassene Entschädigungsfrage bereits im vom Gesetzgeber für nötig und gerechtfertigt gehaltenen Umfang gelöst sei und daher - weil die damit vorgesehene Entschädigung als ausreichend und somit als verfassungsrechtlich unbedenkliche Lösung zu beurteilen sei - ein "Sonderopfer" nicht vorliege. Auch diese Fragen müßten erst bei der Anwendung des Atomsperrgesetzes entschieden werden.

h) Aus Artikel 13 VEG kann ein Entschädigungsanspruch nicht abgeleitet werden, weil diese Bestimmung nur das Verfahren betrifft und diese Frage "gänzlich losgelöst" von der Frage ist, welche materiell-rechtliche Bedeutung dem Fehlen einer eine Entschädigung vorsehenden gesetzlichen Bestimmung zukommt, die Anwendbarkeit des Artikels 13 VEG also über den Bestand des Entschädigungsanspruches nichts aussagt (OGH v. 9.12.1975, 5 Ob 241/75; ÖRZ 1977, 239 ff unter Hinweis auf VfSlg. 2.431/1952).

i) Bei dieser Sachlage ist die Möglichkeit, daß das Atomsperrgesetz bei seiner Anwendung dahin ausgelegt wird, daß ein Entschädigungsanspruch zu verneinen ist, durchaus gegeben, wodurch aber im Zusammenhalt mit den bereits oben angeführten Gesichtspunkten eines "Sonderopfers" Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 1 des Atomsperrgesetzes bestehen. Allenfalls wäre die Ansicht vertretbar, daß die Bedenken nur hinsichtlich des zweiten Satzes dieser Gesetzesstelle gerechtfertigt sind, der das bereits errichtete Kernkraftwerk Zwentendorf unmittelbar betrifft und damit die eigentliche wirtschaftliche Beeinträchtigung der Antragstellerin bewirkt, während der erste Satz nur zur Folge hat, daß die antragstellende Gesellschaft kein weiteres Kernkraftwerk errichten darf. Da damit aber ihr allleiniger statutarischer Zweck verhindert würde, scheint auch hinsichtlich dieser Gesetzesstelle die Annahme eines unzulässigen "Sonderopfers" begründet und die Bestimmung daher verfassungsrechtlich bedenklich. Jedenfalls bestehen die bereits angeführten Bedenken, daß es sich beim Atomsperrgesetz um ein verfassungsrechtlich unzulässiges "Maßnahmengesetz" handelt, hinsichtlich des ganzen Gesetzes.

Anmerkung

E07045

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0040OB00513.84.1015.000

Dokumentnummer

JJT_19851015_OGH0002_0040OB00513_8400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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