TE OGH 1986/1/21 2Ob675/85

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Veröffentlicht am 21.01.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Andreas H***, geboren am 26. Jänner 1977, infolge Revisionsrekurses der Mutter Elisabeth B***, Lehrerin, Trausdorf, Feriensiedlung II/2/14, vertreten durch Dr. Walter Langer, Rechtsanwalt in Eisenstadt, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Eisenstadt als Rekursgerichtes vom 24. Oktober 1985, GZ. R 405/85-12, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Eisenstadt vom 30. August 1985, GZ. P 100/83-9, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Ehe der Eltern des Minderjährigen wurde am 13. Mai 1983 rechtskräftig geschieden. Mit Beschluß vom 7. November 1983 sprach das Erstgericht auf Grund einer außergerichtlichen Einigung der Eltern aus, daß die aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen den Eltern und dem minderjährigen Kind erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten dem Vater zustehen. Am 11. Juni 1985 beantragte die Mutter, daß der Minderjährige in ihre Pflege und Erziehung komme. Das Erstgericht gab dem Antrag statt. Nach seinen Feststellungen befand sich der Minderjährige an Wochentagen überwiegend bei der Mutter, weil der Vater berufstätig ist. An den Wochenenden war der Minderjährige meistens beim Vater. In letzter Zeit wiederholte er der Mutter gegenüber seinen Wunsch, ein richtiges Zuhause bei ihr zu haben, um mehr Zeit mit ihr verbringen zu können. Die Mutter ist wieder verheiratet und lebt mit ihrem Ehemann und der gemeinsamen einjährigen Tochter in Trausdorf. Sie wird nach dem Ende des Karenzurlaubes eine halbe Lehrverpflichtung annehmen und kann sich so auch wochentags um die Erziehung der Kinder kümmern.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes entspräche eine Pflege und Erziehung des Minderjährigen durch die Mutter besser dem Wohl des Kindes.

Das Rekursgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichtes im Sinne einer Abweisung des Antrages der Mutter mit der Begründung ab, daß ein Wechsel in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen nur erfolgen solle, wenn wichtige Gründe eine Änderung geboten erscheinen ließen. Solche Gründe seien nicht ersichtlich. Der an einem bestimmten Tag und in besonderer Umgebung geäußerte Wunsch des erst 8 1/2 Jahre alten Kindes nach einem richtigen Zuhause könne eine Änderung nicht rechtfertigen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs der Mutter ist berechtigt.

Beizupflichten ist dem Rekursgericht darin, daß ein Wechsel der Pflege- und Erziehungsverhältnisse nur vorgenommen werden kann, wenn wichtige Gründe eine Änderung geboten erscheinen lassen, wenn etwa auf Grund wesentlich geänderter Verhältnisse eine Verbesserung der Lage des Kindes und seiner Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten zu erwarten ist (SZ 53/142 mwN). Auch bei der Entscheidung, ob eine Änderung in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen vorgenommen werden soll, steht aber das Wohl des Kindes im Vordergrund, und ihm gegenüber hat der Grundsatz der Kontinuität der Erziehung allenfalls zurückzutreten (6 Ob 583/83 ua.; vgl. auch EFSlg. 33.621). Richtig ist auch, daß der Wunsch des Kindes allein nicht entscheidend sein kann, bei der Entscheidung ist aber der Wunsch des Kindes nach Maßgabe seines Alters entsprechend mit zu berücksichtigen (SZ 53/142 mwN).

Ob nach diesen Grundsätzen die von der Mutter angestrebte Änderung gerechtfertigt ist, läßt sich auf Grund der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Die Pflege und Erziehung bildet einen wesentlichen Teil der elterlichen Rechte und Pflichten und umfaßt insbesondere die im § 146 ABGB aufgezählten Funktionen. In welchem Umfang diese vom Vater gegenüber dem bereits schulpflichtigen Kind tatsächlich wahrgenommen werden oder mit Rücksicht auf seine Berufstätigkeit nicht wahrgenommen werden können, kann den bisherigen Feststellungen nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden. Auf Grund der Feststellungen kann insbesondere aber auch nicht beurteilt werden, inwieweit der Vater dem Kinde einen Lebensbereich bietet, den das Kind als Mittelpunkt seiner Lebensführung - aus der Sicht des Kindes "als richtiges Zuhause" - betrachten kann oder ob nicht die Mutter nach ihren nunmehrigen Wohn- und Familienverhältnissen nicht eher in der Lage ist, dem Kind einen solchen Lebensbereich zu bieten. Zur Beurteilung dieser Frage sind die Umstände beim einen Elternteil und die beim anderen Elternteil einander in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen, wobei neben den materiellen Voraussetzungen der Unterbringung und Verpflegung des Kindes besonderes Gewicht auch den Möglichkeiten der Erziehung und Beaufsichtigung zukommt (vgl. EFSlg. 43.356). Im fortgesetzten Verfahren sind daher die näheren Lebensverhältnisse der Eltern zu ermitteln, der tatsächliche Pflege- und Erziehungsablauf beim Vater festzustellen und diesem der hypothetische Pflege- und Erziehungsverlauf bei der Mutter gegenüberzustellen. Insbesondere wird auch klarzustellen sein, aus welchem Grund sich der Minderjährige bisher an Wochentagen "überwiegend" bei der Mutter befand (vgl. das Vorbringen des Vaters ON 10).

Demgemäß ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben.

Anmerkung

E07615

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00675.85.0121.000

Dokumentnummer

JJT_19860121_OGH0002_0020OB00675_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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