TE OGH 1987/2/24 14ObA24/87

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Veröffentlicht am 24.02.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Walter Schaffelhofer und Franz Erwin Niemitz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Magnus R***, Kraftfahrer, Lustenau, Binsenfeldstraße 13 a, vertreten durch Dr. Helmuth Mäser, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagten Parteien 1.) Fritz S***, Transportunternehmer, 2.) Heinz S***, Transportunternehmer, beide Lustenau, Grüttstraße 15-17, und vertreten durch Dr. Lothar Giesinger, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen restl. S 45.200,70 brutto sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 11. November 1986, GZ. Cg a 35/86-23, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Arbeitsgerichtes Feldkirch vom 18. Juni 1986, GZ. Cr 417/85-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen die mit S 3.112,72 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 282,97 Umsatzsteuer) zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei den beklagten Parteien bis 10. August 1985 als Fernfahrer beschäftigt. Er machte mit der vorliegenden Klage vom 11. November 1985 Lohnansprüche in Höhe von S 56.119,-- brutto sA geltend. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr eine Gegenforderung von S 60.135,10, die die Beklagten am 27. Jänner 1986 und 2. Juni 1986 mit der Begründung zur Aufrechnung einwendeten, der Kläger habe im Mai 1985 in England grob fahrlässig einen Verkehrsunfall verschuldet, bei dem der Anhänger des von ihm gelenkten LKW's infolge falscher Beladung umgestürzt sei. Der Kläger erwiderte, er habe den Unfall (jedenfalls) nicht grob fahrlässig verschuldet, so daß der aufrechnungsweise eingewendete Schadenersatzanspruch gemäß § 6 DHG verfristet sei. Das Erstgericht stellte fest, daß die Forderung des Klägers mit S 45.200,70 sA zu Recht und die Gegenforderung der Beklagten "in Höhe von insgesamt S 60.135,10" nicht zu Recht besteht, und sprach dem Kläger daher S 45.200,70 brutto sA zu; die Abweisung des Mehrbegehrens von S 10.918,30 brutto sA blieb unbekämpft. Das Berufungsgericht verhandelte die Rechtssache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem und bestätigte das Ersturteil. Es traf zur Gegenforderung der Beklagten folgende wesentliche Feststellungen:

Der Kläger, der seit 22 Jahren Berufskraftfahrer ist, hatte für die Beklagten regelmäßig mit einem LKW-Zug, bestehend aus einem Zugfahrzeug und einem Dreiachsanhänger, von Vorarlberg nach England zu fahren. Vor der strittigen Fahrt wurden entsprechend den Anweisungen der Spedition G*** W*** in Lauterach (für die die Beklagten ausschließlich tätig sind) in der Schweiz Teppichrollen im Gesamtgewicht von etwa 2,5 bis 3 Tonnen auf den Anhänger des LKW-Zugs im vorderen und mittleren Bereich geladen. Im Betriebsgelände der genannten Spedition wurde dann die restliche Ware - und zwar Beschläge der Fa. B*** in Höchst - im hinteren Drittel des Anhängers und auf das Zugfahrzeug zugeladen. Diese Ware war auf Paletten geschichtet und bandagiert, sodaß sie nicht heruntergenommen werden konnte. Der Kläger hatte die Anweisung, die bandagierte Ware nicht zu öffnen.

Der vom Kläger verwendete Anhänger war ein älteres Modell, bei dem der sogenannte Drehkranz bereits ausgeschlagen war und ein gewisses Spiel hatte. Der Kläger hatte die Beklagten darauf vor dem Unfall aufmerksam gemacht. Sie erklärten, daß die Reparatur zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen werde.

Der Kläger lieferte entsprechend den Anweisungen des Disponenten der Spedition G*** W*** zunächst die Teppichware in Liverpool ab. Bei der Empfängerfirma war kein (zum Laden und Verschieben) von Paletten geeigneter Hubstapler vorhanden. Die Beklagten hatten dem Kläger auch kein Handstapelgerät, mit dem er die restliche Ware auf dem LKW hätte verschieben können, zur Verfügung gestellt. Nach dem Abladen der Teppichrollen setzte der Kläger seine Fahrt in Richtung London fort. Er fuhr zunächst zur Autobahn und mußte dabei auch mehrmals einen Kreisverkehr und Auffahrten passieren. Als der Kläger auf der M 6 (Autobahn) mit einer Geschwindigkeit von 70 bis 75 km/h fuhr, bemerkte er auf einem völlig geraden Straßenstück plötzlich, daß der Anhänger ohne erkennbaren äußeren Anlaß nach links zum Fahrbahnrand umkippte. Die Fahrbahn wies teilweise Spurrinnen auf, die aber nicht durchgehend und nicht besonders ausgeprägt waren. Bevor es zum Kippen des Anhängers kam, hatte der Kläger keinerlei besondere Wahrnehmungen zur Verkehrssicherheit des LKW-Zuges gemacht. Das Fahren mit einem LKW-Zug, dessen Anhänger nur im letzten Drittel beladen ist, ist umso gefährlicher, je höher die eingehaltene Geschwindigkeit ist. Durch das Beladen des hinteren Teils wird die Vorderachse entlastet. Dies kann so weit gehen, daß auf der Vorderachse weniger Gewicht als im unbeladenen Zustand liegt. Die Räder der Vorderachse des Anhängers haben dadurch keine Seitenführungskräfte mehr. Wenn der Anhänger, wie etwa bei Weggehen vom Gas oder bei Betätigen der Motorbremse, nicht gesondert gebremst werden, schiebt er sich Richtung LKW-Zug. Treten noch weitere Umstände wie unebene Fahrbahn und dergleichen hinzu, so kann es zu einem Abheben der Vorderachse und zu einem seitlichen Ausbrechen und Umkippen des Anhängers kommen. Ein ausgeschlagener Drehkranz kann die Neigung dazu verstärken. Einem erfahrenen Berufskraftfahrer muß die Gefährlichkeit dieser Situation bekannt sein; ein Anfänger vermag dieses Risiko unter Umständen noch nicht abzuschätzen. Der Schaden und die Person des Schädigers waren den Beklagten spätestens Ende Mai 1985 bekannt.

Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß den Kläger an der Herbeiführung des Unfalles kein grobes Verschulden treffe. Sein Verschulden bestehe nur darin, daß er eine zu hohe Geschwindigkeit eingehalten habe, wobei nicht einmal feststehe, in welchem Ausmaß die Geschwindigkeit überhöht gewesen sei. Bei der Beurteilung des Grades des Verschuldens des Klägers sei auch zu berücksichtigen, daß er die Ladung nicht selbst verteilt habe, daß ihm seine Arbeitgeber kein Gerät zum Verschieben der Ladung im Fahrzeug zur Verfügung stellten und auch beim Empfänger in Liverpool, wo die Teppichrollen abgeladen wurden, kein solches Gerät zur Verfügung gestanden sei. Der Kläger habe bis zum Unfallsort eine Strecke von etwa 10 km zurückgelegt und bis dorthin keine Gefahren bemerkt, obwohl er vorher Auffahrten und mehrmals einen Kreisverkehr passieren mußte. Sein Verhalten sei eine Fahrlässigkeitshandlung, wie sie insbesondere im Straßenverkehr immer wieder vorkomme. Sie sei ihm unter Würdigung der besonderen Umstände des Falles nicht besonders schwer vorzuwerfen. Der auf einem minderen Grad des Versehens beruhende Schadenersatzanspruch sei erst in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 27. Jänner 1986 gerichtlich geltend gemacht worden und daher gemäß § 6 DHG verfristet.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Vorinstanzen haben, ohne dies allerdings zu begründen, die Frage der Dienstnehmerhaftpflicht des Klägers zutreffend nach österreichischem Recht beurteilt. Gemäß § 44 Abs 1 IPRG sind Arbeitsverträge nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich verrichtet. Verrichtet der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich in mehr als einem Staat oder hat er keinen gewöhnlichen Arbeitsort, so ist gemäß § 44 Abs 2 IPRG das Recht des Staates maßgebend, in dem der Arbeitgeber seinen gewöhnlichen Aufenthalt (seine Niederlassung, § 36 zweiter Satz) hat. Da der Beklagte als Fernfahrer (vgl dazu Schwimann in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 44 IPRG) infolge der regelmäßigen Verwendung für Auslandsfahrten seine Arbeit gewöhnlich in mehr als einem Staat zu verrichten hatte, ist sein Arbeitsvertrag nach österreichischem Recht zu beurteilen, weil die Arbeitgeber ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben. Das nach § 44 IPRG maßgebliche Arbeitsvertragsstatut gilt für alle (privatrechtlichen) Fragen des Arbeitsverhältnisses (Schwimann aaO Rz 1; ders, Grundriß des IPR 137; 14 Ob 200/86). Damit richten sich auch allfällige Beschränkungen der Dienstnehmerhaftung trotz Verursachung des Schadens im Ausland nach den österreichischen Vorschriften (so schon vor Inkrafttreten des IPRG auf Grund anderer Anknüpfungsmerkmale RdA 1973, 74; SZ 42/79; auch Dirschmied, DHG 2 3 f; RdW 1986, 184; 14 Ob 200/86). Andere Anknüpfungsmerkmale ergeben sich auch nicht aus dem Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht, BGBl 1975/387, das nur die außervertragliche zivilrechtliche Haftung aus einem Straßenverkehrsunfall betrifft (Art 1 Abs 1 des Übereinkommens; Koziol, Haftpflichtrecht 2 II 376; Schwimann, Probleme des Haager Straßenverkehrsabkommens, ZVR 1978, 161 [164]; RdW 1986, 184). Im Fall einer Konkurrenz von Vertrags- und Deliktshaftung (vgl. dazu Schwimann, ZfRV 1975, 229 ff [232]) ist zwar die Anwendung des Übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht möglich, doch geht bei der Dienstnehmerhaftung das Arbeitsstatut prinzipiell dem Deliktsstatut vor (Schwimann-Schlemmer, Österreichisches Arbeitskollisionsrecht, RdA 1984, 281 [286] mwN; Martiny in MünchKomm Rz 195 vor Art 12 EGBGB; Rebhahn, Österreichisches Arbeitsrecht bei Auslandsberührung, FS Strasser 76; RdW 1986, 184).

Nicht anzuwenden ist allerdings die von der Revision zitierte Bestimmung des § 61 Abs 1 StVO 1960, die nur für öffentliche Straßen im Inland gilt, was aber der Sache nach nichts daran ändert, daß der Kläger schon auf Grund der Arbeitsvertrages - die weitergehenden, gegenüber der Öffentlichkeit bestehenden Verkehrssicherungspflichten sind im vorliegenden Fall nicht relevant - dazu verpflichtet war, die Ladung am Fahrzeug so zu verwahren, daß sein sicherer Betrieb nicht beeinträchtigt war.

Eine auffallende Sorglosigkeit des Beklagten bei der Zufügung des Schadens liegt aber entgegen der Ansicht der Revision nicht vor. Grobe Fahrlässigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann anzunehmen, wenn der Schädiger die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlicher und darum auffallender Weise vernachlässigt. Es muß sich um ein Versehen handeln, das sich aus der Menge der unvermeidlichen Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens auffallend heraushebt und den Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich vorhersehbar macht (Arb 9.702 mwN uva) und auch subjektiv schwer vorzuwerfen ist (ZVR 1984/326 ua; zuletzt 14 Ob 200/86).

Das Lenken des LKW-Zuges, dessen restliche Ladung sich nur mehr im letzten Drittel des Anhängers befand, war zwar infolge der Entlastung der Vorderachse objektiv sehr gefährlich, doch ist dem Kläger das Weiterfahren unter diesen Bedingungen wegen der Umstände, durch die er in diese Lage kam, subjektiv nicht schwer vorwerfbar. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausführte, war die Ladung nicht von ihm selbst verteilt worden. Die ungünstige Unterbringung der Restladung ergab sich vielmehr dadurch, daß der Kläger beim Einsammeln und Abliefern der von verschiedenen Absendern stammenden und für verschiedene Empfänger bestimmten Waren die Anweisungen seiner Dienstgeber und der Spedition G*** W***, für die die Beklagten ausschließlich tätig werden, zu befolgen hatte. Nach dem Abladen der Teppichrollen in Liverpool unterließ der Kläger eine günstigere Verteilung der Restladung weder aus Unkenntnis der damit verbundenen Gefahren, noch aus Bequemlichkeit. Da ihm seine Dienstgeber kein Handstapelgerät zur Verschiebung der Ladung auf dem LKW zur Verfügung stellten und ein geeignetes Gerät auch bei der Empfängerfirma in Liverpool nicht vorhanden war und der Kläger die Anweisung hatte, die auf Paletten geschlichtete und bandagierte Ware nicht zu öffnen, kam auch eine Veränderung der Lage der Restladung von Hand nicht in Betracht. Es wäre ihm daher nur die in der Revision erwähnte Möglichkeit geblieben, von seinem Dienstgeber Weisungen einzuholen. Wenn er dies unterließ und mit der Restladung weiterfuhr, um seinen Zeitplan einzuhalten - die Beklagten werfen dem Kläger Beschwerden der Spedition G*** W*** wegen Verspätung vor -, so ist ihm dies subjektiv nicht schwer vorzuwerfen, zumal er bei der Weiterfahrt bis zum Kippen des Anhängers keine besonderen Wahrnehmungen über die Verkehrssicherheit des LKW-Zuges machte, obwohl er vor dem Erreichen der Autobahn mehrmals Kreisverkehr und Auffahrten befuhr. Bemerkte aber der Kläger beim Weiterfahren während der ersten 10 km keine Gefahr - daß schon das auf Unachtsamkeit zurückzuführen gewesen wäre, kam nicht hervor -, so kann auch darin, daß er auf dem anschließenden geraden Autobahnstück mit nicht besonders ausgeprägten Spurrillen die - vom Sachverständigen als "bedenklich" bezeichnete - Geschwindigkeit von 70 bis 75 km/h einhielt, eine grobe Fahrlässigkeit nicht erblickt werden. Die anstandslose Bewältigung der ersten 10 km konnte dazu führen, daß der Kläger die ihm an sich bekannte Gefahr unterschätzte. Soweit die Revision die Gefahr des Weiterfahrens mit der ungünstig verteilten Restladung auch noch mit dem Drehkranzspiel des Anhängers begründet, auf das der Kläger bereits aufmerksam gemacht hatte, versucht sie, ihn für Risken verantwortlich zu machen, gegen die sie selbst keine Vorsorge getroffen hat. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E10517

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:014OBA00024.87.0224.000

Dokumentnummer

JJT_19870224_OGH0002_014OBA00024_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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