TE OGH 1987/3/24 11Os18/87

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Veröffentlicht am 24.03.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.März 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Cortella als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Werner S*** wegen des Verbrechens nach den §§ 12 Abs 1 SuchtgiftG, 15 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4.Dezember 1986, GZ 6 e Vr 11.636/86-28, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 28.Mai 1953 geborene beschäftigungslose Werner S*** des (teils im Deliktsstadium des Versuches gebliebenen) Verbrechens nach den §§ 12 Abs 1 SuchtgiftG, 15 StGB (A des Schuldspruches) und des Vergehens nach dem § 16 Abs 1 SuchtgiftG (B des Schuldspruches) schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, in der Zeit zwischen September 1986 und 5.Oktober 1986 in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider eine große Menge Suchtgift in Verkehr gesetzt bzw. in Verkehr zu setzen versucht zu haben, indem er an den gesondert Verfolgten Franz T*** etappenweise insgesamt 10 Gramm Heroin verkaufte (A 1 des Urteilssatzes) und am 5. Oktober 1986 weitere 3 Gramm Heroin zu verkaufen versuchte (A 2 des Urteilssatzes). Überdies hatte er in dem genannten Zeitraum wiederholt unberechtigt Heroin erworben und besessen (B des Urteilssatzes). Zu einem weiteren Anklagevorwurf erging ein Freispruch.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil wird vom Angeklagten im Schuldspruch (und zwar inhaltlich nur wegen des Verbrechenstatbestandes) mit einer ausdrücklich auf die Z 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und im Strafausspruch mit Berufung bekämpft. Den Begründungsmangel erblickt der Angeklagte darin, daß das Erstgericht auf Grund seines Eingeständnisses, er habe vor dem Verkauf Heroin guter Qualität im Verhältnis 1 : 1 mit Milchzucker gestreckt, für erwiesen hielt, die in Rede stehende Suchtgiftmenge von 13 Gramm erreiche die mit 5 Gramm Heroin in Reinsubstanz angenommene Grenzmenge (= große Menge) des § 12 SuchtgiftG. Nach Auffassung des Beschwerdeführers müsse

vielmehr - erfahrungsgemäß - davon ausgegangen werden, daß das (vom Angeklagten) zum Verschnitt mit Milchzucker verwendete Heroin guter Qualität nur etwa zur Hälfte reine Wirksubstanz enthalten habe, sodaß die den Gegenstand des Schuldspruches zu A bildenden Taten insgesamt lediglich rund 3,3 Gramm reines Heroin umfaßten, womit der Tatbestand des § 12 Abs 1 SuchtgiftG nicht erfüllt sei. Vorweg ist zu prüfen, ob die Mängelrüge eine entscheidende Tatsache betrifft:

Das Schöffengericht ging davon aus, daß dem Tatbestandsmerkmal der "großen Menge" (§ 12 SuchtgiftG) im Fall des Suchtgiftes Heroin bei etwa 5 Gramm Reinsubstanz entsprochen sei. Es stützte sich dabei auf das Gutachten des Beirates zur Bekämpfung des Mißbrauches von Alkohol und anderen Suchtmitteln (in der Folge kurz: Beirat) vom 10. Mai 1985 (siehe S 216 des Aktes). Dieser Rechtsansicht vermag sich der Oberste Gerichtshof aus folgenden Erwägungen nicht anzuschließen:

Nach der Legaldefinition im zweiten Satz des § 12 Abs 1 SuchtgiftG (nF) ist eine Suchtgiftmenge dann als groß anzusehen, "wenn die Weitergabe einer solchen Menge geeignet wäre, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen". Eine solche Gefahr ist dann gegeben, wenn sie einer großen Zahl von Menschen droht. In diesem Sinn ist das Merkmal "in großem Ausmaß" zu interpretieren (s. JA-Bericht 4). Wenngleich der Begriff der großen Zahl von Menschen einer absoluten ziffernmäßigen Bestimmung nicht zugänglich ist, so wird [in Relation einerseits zu der nach herrschender Meinung mit einem Richtwert ab 10 Personen angenommenen "größeren Zahl von Menschen" (LSK 1984/146) und anderseits zu dem über eine große Zahl hinausgreifenden Begriff "viele Menschen" - vgl. hiezu § 169 Abs 3 StGB] davon ausgegangen werden können, daß 30 bis 50 Personen eine "große Zahl von Menschen" im Sinn des § 12 Abs 1 SuchtgiftG bilden, womit insoweit an die bisherige Rechtsprechung angeknüpft werden kann (siehe Leukauf-Steininger, Strafrechtliche Nebengesetze 2 ,

2. Ergänzungsheft 1985 S 45). Dies umso mehr, als auch das Gutachten des Beirates - wie noch näher darzulegen sein wird - auf solcher Annahme beruht. Nun sind des weiteren, wie in diesem Gutachten selbst ausgeführt, die darin als "große Menge" (im Sinn des § 12 SuchtgiftG) angegebenen (Tabellen-)Werte kein Ergebnis wissentschaftlicher Erkenntnis. Die Werte bei Opiaten (zu denen auch das Heroin zählt) wurden ausgehend von der Einzeldosis beim Ungewöhnten sowie der Tagesdosis des Gewöhnten und unter Berücksichtigung eines Gefährdungsfaktors definiert. Der Gefährdungsfaktor wurde unter Bedachtnahme auf die bisherige Judikatur (Gefährdung von 30 bis 50 Personen) mit einem mittleren Wert von 40 angenommen. Die jeweilige "große Menge" wurde demnach aus dem Mittelwert des (geringeren) Wertes der Einzeldosis des Ungewöhnten zuzüglich des (geringeren) Wertes der Tagesdosis nach Gewöhnung, multipliziert mit dem genannten Gefährdungsfaktor, berechnet.

Diese Wertermittlung - möglicherweise für andere Suchtgifte (was hier nicht näher untersucht werden soll) brauchbar - erachtet der Oberste Gerichtshof für den Fall des Suchtgifts Heroin nicht für vertretbar.

Die Mengenangabe für Heroin in der letzten Spalte der vom Beirat erstellten Tabelle (siehe bei Foregger-Litzka, SGG 2 , S 111; Kodek, SGG, S 50; Leukauf-Steininger, aaO, S 50) mag seiner Wirksamkeit im Vergleich zu anderen Opiaten entsprechen. Sie trägt aber nicht der besonderen Gefährlichkeit Rechnung, die darin zu erblicken ist, daß gerade bei Heroin in 80 bis 90 % der Fälle schon die erste Dosis süchtig macht (G. Hofmann, Die Persönlichkeit des Süchtigen und die Praxis der Behandlung von Drogenabhängigen, Tagung des Bundesministeriums für Inneres, Abteilung II/8, am 27. und 28. Februar 1979 in Attersee; s. auch Broschüre des Bundesministeriums für Inneres "9. Arbeitstagung f. Suchtgiftreferenten und -sachbearbeiter vom 8. bis 9.Oktober 1985 in Mayrhofen/Tirol", S 112 und 114). Dieser Umstand charakterisiert Heroin im besonderen Maß und muß daher auch bei der Auslegung des Begriffes der großen Menge (mit-) beachtet werden. Nun kann dem Postulat, die - nach dem Gesagten im hohen Grad der suchtauslösenden Wirkung bei bereits einmaliger Berührung liegende - spezielle Gefährlichkeit von Heroin zu berücksichtigen, dadurch Rechnung getragen werden, daß man die Werte, welche für die an das Suchtgift bereits Gewöhnten gelten, bei Berechnung der Grenzmenge vernachlässigt, dafür aber den hier bekannten Wert für die Wahrscheinlichkeit einer Suchtauslösung einbezieht. Geht man dabei selbst von dem für den Standpunkt des Rechtsbrechers günstigsten Wert, nämlich der höchsten Tagesdosis für Ungewöhnte (0,03 Gramm) aus und berücksichtigt man den Umstand, daß (zumindest) vier von fünf der eine solche Dosis erstmals Konsumierenden suchtgiftabhängig werden, ergibt sich unter Einbeziehung des erwähnten Gefährdungsfaktors ein Wert von 1,5 Gramm (in Zahlen ausgedrückt:

0,03 x 40 x 5 : 4 = 1,5).

Diese Überlegungen entsprechen im Ergebnis auch den Ausführungen des Universitätsprofessors Dr. M*** in seinem Vortrag am 9. Oktober 1985 anläßlich der 9. Arbeitstagung für Suchtgiftreferenten und -sachbearbeiter, denen zu entnehmen ist, daß der Experte es vom rein medizinischen Standpunkt vorzöge, im Fall Heroin bei dem bisher als Grenzmenge angenommenen Wert (0,5 Gramm) zu verbleiben, jedenfalls aber ausdrücklich und entschieden der Auffassung widerspricht, Mengen zwischen 1 und 3 Gramm Heroin (Reinsubstanz) als groß im Sinn des § 12 Abs 1 SuchgiftG (nF) noch in Frage zu stellen (siehe die hiezu veröffentlichte Broschüre des Bundesministeriums für Inneres, Abt. II/8, 1985, S 112 f). Der Oberste Gerichtshof kommt demnach zum Schluß, daß nach der derzeitigen Gesetzeslage und bei gebührender Berücksichtigung der auch im Gutachten des Beirates dargelegten medizinischen Erfahrungswerte die verbrechensqualifizierende Grenzmenge für das Suchtgift Heroin nicht höher als mit 1,5 Gramm anzunehmen ist. Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies, daß auch unter Zugrundelegung der Beschwerdebehauptungen die Grenzmenge des § 12 Abs 1 SuchtgiftG (nF) um mehr als das Doppelte überschritten wäre. Da der vermeintliche Begründungsmangel somit keine für die (materiell-) rechtliche Einordnung des Sachverhaltes (oder für die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes) bedeutsame Tatsache betrifft, ist auf das Vorbringen sachlich nicht einzugehen. In Wahrheit wird also vom Rechtsmittelwerber keiner der in den Ziffern 1 bis 11 des § 281 Abs 1 StPO angeführten Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß dem § 285 d Abs 1 Z 1 StPO in Verbindung mit dem § 285 a Z 2 StPO bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (vgl. dazu ua 11 Os 119/86, 9 Os 101/85, 10 Os 108/85, 12 Os 133/85, 13 Os 152/86). Mangels Sachentscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde fehlt es aber an der Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofes zur Erledigung der Berufung (EvBl 1981/46 uva).

Über sie wird das Oberlandesgericht Wien zu erkennen haben. Die Kostenentscheidung beruht auf der zitierten Gesetzesstelle.

Anmerkung

E10640

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0110OS00018.87.0324.000

Dokumentnummer

JJT_19870324_OGH0002_0110OS00018_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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