TE OGH 1987/5/20 14ObA39/87

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Veröffentlicht am 20.05.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Mag. Ernst Löwe als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Helmut K***, Arbeiter, Kemeten, Bergen 48, vertreten durch Dr. Wolfgang Steflitsch, Rechtsanwalt in Oberwart, wider die beklagte Partei Anton L*** & Co Baugesellschaft mbH, Wien 23., Schwarzenhaidestraße 110, vertreten durch Dr. Otto Pichler, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 124.076,50 sA (Revisionsstreitwert S 41.366,40 sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 20. November 1986, GZ 13 Cg 28/86-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Oberwart vom 9. Juli 1986, GZ Cr 47/84-28, zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 12.279,45 (darin S 999,95 Umsatzsteuer und S 1.280,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 3.309,75 (darin S 257,25 Umsatzsteuer und S 480,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 11. Juli 1960 bis 18. Juli 1976 bei der beklagten Partei als Arbeiter beschäftigt. Als er gekündigt wurde, erhielt er keine Zusage auf Wiedereinstellung. Am 4. Oktober 1976 wurde er wieder eingestellt; dieses Beschäftigungsverhältnis endete am 7. November 1982.

Mit der Behauptung, er sei zu Unrecht entlassen worden, begehrt der Kläger den Zuspruch einer Abfertigung von S 124.076,50 samt Anhang.

Die beklagte Partei beantragt, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger sei am 23. September 1982 wegen schwerer Trunkenheit entlassen worden. Ohne auf die Geltendmachung der Entlassungsfolgen zu verzichten, sei ihm auf seine Bitte noch ein Urlaub bis 7. November 1982 gewährt worden. Der Kläger habe seinerseits mit Erklärung vom 29. Oktober 1982 auf sämtliche weiteren Ansprüche verzichtet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab; es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Mitte September 1982 traf der Geschäftsführer der beklagten Partei Ing. Josef P*** den Kläger alkoholisiert auf einer Baustelle an. Ing. P*** verwarnte den Kläger und drohte ihm für den Fall der Wiederholung die Entlassung an. Am 23. September 1982, einem Donnerstag, war der Kläger während der Arbeit wieder alkoholisiert. Ing. P*** verwies auf seine Verwarnung und teilte dem Kläger mit, daß er mit sofortiger Wirkung entlassen sei und sich am Freitag seine Papiere im Lohnbüro abholen könne. Der Kläger arbeitete aber ungeachtet der Entlassung bis Freitag weiter. Um ihm entgegenzukommen, wurde unter Aufrechterhaltung der Entlassung vereinbart, daß der Kläger noch seinen Resturlaub von zwei Wochen verbrauchen dürfe. Da er aber bereits am ersten Urlaubstag einen Unfall hatte, befand er sich vorerst bis 26. Oktober 1982 im Krankenstand und konsumierte im Einverständnis mit der beklagten Partei anschließend den Urlaub. Die beklagte Partei meldete ihn mit 7. November 1982 bei der Gebietskrankenkasse ab.

Am 29. Oktober 1982 erhielt der Kläger seine Arbeitspapiere. Er unterfertigte eine Bestätigung, daß seine Lohnansprüche voll erfüllt worden seien und er keine Forderungen mehr habe. Auf allfällige Abfertigungsansprüche verzichtete er aber nicht.

Rechtlich meinte das Erstgericht, daß die Entlassung des Klägers im Sinne des § 82 lit c GewO 1859 gerechtfertigt erfolgt sei. Es sei zwar kein "Trunkenheitsexzess" vorgelegen, doch sei einem Arbeitgeber nicht zumutbar, weiterhin einen Arbeiter zu behalten, der trotz Verwarnung bei Verrichtung der Arbeit alkoholisiert sei. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Kläger einen Teilbetrag von S 41.366,40 samt Anhang zusprach und das Mehrbegehren abwies. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und traf die gleichen Feststellungen wie das Erstgericht. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Voraussetzungen einer gerechtfertigten Entlassung nach § 82 lit c GewO 1859 nicht vorliegen. Der Kläger sei wohl zweimal alkoholisiert an der Arbeitsstelle angetroffen worden; seine Arbeitsfähigkeit sei dabei zwar jeweils eingeschränkt, aber doch noch gegeben gewesen. Daraus lasse sich weder eine Sucht des Klägers nach Alkohol ableiten noch sei dem gesetzlichen Erfordernis einer "wiederholten" fruchtlosen Verwarnung entsprochen worden. Sein Abfertigungsanspruch bestehe daher dem Grunde nach zu Recht. Dessen Höhe errechne sich nach dem Gesetz und dem Kollektivvertrag im Ausmaß des dreifachen von 80 % des monatlichen Nettoeinkommens, zumal die vor dem 4. Oktober 1976 gelegene Beschäftigungszeit nicht berücksichtigt werden könne.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit einem auf die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils zielenden Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die beklagte Partei kann sich zur Rechtfertigung der Entlassung des Klägers zwar nicht auf die Generalklausel des "wichtigen Grundes" nach § 1162 ABGB berufen, da diese Bestimmung eine Konkretisierung durch sondergesetzliche Tatbestände, wie etwa durch die taxativ aufgezählten Entlassungsgründe der Gewerbeordnung 1859, erfahren hat (Krejci in Rummel, ABGB, § 1162 Rz 1); ihren Revisionsausführungen kommt aber im Ergebnis Berechtigung zu. Der von den Vorinstanzen geprüfte Tatbestand des § 82 lit c GewO 1859 setzt, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, wiederholte Trunkenheit voraus, die bereits einen Hang zum Alkoholismus erkennen läßt. Bei der im Gesetz angeführten "Trunksucht" handelt es sich um einen Dauerzustand, der so beschaffen ist, daß durch den regelmäßigen Alkoholkonsum des Dienstnehmers dem Dienstgeber die Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden kann (Kuderna, Entlassungsrecht 59; Martinek-Schwarz, Abfertigung-Auflösung des Arbeitsverhältnisses 147). Weiteres Tatbestandserfordernis dieses Entlassungsgrundes ist eine wiederholte, sohin mindestens zweimalige, fruchtlose Verwarnung des Dienstnehmers. Nach den Feststellungen ist der Kläger aber weder in den Dauerzustand der "Trunksucht verfallen" noch ist er wiederholt verwarnt worden.

Damit kann aber die Prüfung der Rechtfertigung der Entlassung nicht sein Bewenden haben. Die beklagte Partei nahm nämlich zur Begründung der von ihr ausgesprochenen Entlassung nicht auf eine bestimmte Gesetzesstelle der Gewerbeordnung Bezug, sondern lediglich auf das der Entlassung vorangegangene Verhalten des Klägers. Unter der Voraussetzung der Beharrlichkeit kann aber eine Alkoholisierung, wenn sie mit Pflichtenverletzung einhergeht, auch den Entlassungstatbestand des § 82 lit f GewO 1859, zweiter Tatbestand, begründen (Kuderna aaO 60).

Die Revisionswerberin verweist zutreffend auf verschiedene, dem Arbeitnehmerschutz dienende gesetzliche Vorschriften, die sich mit der Vermeidung von Alkohol am Arbeitsplatz befassen. Sie zitiert in diesem Zusammenhang insbesondere § 11 Z 4 des Kollektivvertages für Bauindustrie und Baugewerbe, wonach während der Arbeitszeit der Genuß "geistiger Getränke" ausnahmslos verboten ist. Unter Pflichtenvernachlässigung im Sinne des § 82 lit f GewO 1859 ist aber die Nichterfüllung oder die nichtgehörige Erfüllung der dem Dienstnehmer aus dem Dienstvertrag, der Arbeitsordnung, dem Kollektivvertrag oder Gesetz treffenden, mit der Ausübung des Dienstes verbundenen und ihm zumutbaren Pflichten zu verstehen (Kuderna aaO 71). Es bedarf keiner Erörterung, daß die merkliche Alkoholisierung eines Dienstnehmers, die bereits seine Arbeitsfähigkeit einschränkt, geeignet ist, die auf einer Baustelle ohnehin schon vorhandenen Gefahren zu erhöhen. Der Kläger hat durch seine wiederholte nicht unerhebliche Alkoholisierung daher die ihm auch durch den Kollektivvertrag auferlegte Pflicht (§ 43 Abs 3 ASGG), sich während der Arbeitszeit des Alkohols zu enthalten, schuldhaft verletzt. Diese Pflichtverletzung ist auch als "beharrlich" anzusehen, da der Kläger anläßlich einer solchen Alkoholisierung unter Androhung der Entlassung ernsthaft verwarnt wurde (Kuderna aaO 72, Martinek-Schwarz aaO 164) und es dennoch binnen Wochenfrist wieder zu einem neuerlichen schwerwiegenden Rückfall gekommen ist.

Der Einwand des Klägers, die beklagte Partei habe auf die Geltendmachung des Entlassungsgrundes dadurch verzichtet, daß sie das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fortgesetzt habe, ist verfehlt, weil die Entlassung unverzüglich ausgesprochen und nie zurückgenommen, sondern lediglich auf Wunsch und im Interesse des Klägers einvernehmlich unter Aufrechterhaltung aller Rechtsfolgen befristet wurde (Kuderna aaO 21; Kuderna, Die befristete Entlassung in DRdA 1972, 53 ff 58; Krejci in Rummel aaO Rz 30; Arb. 10.178 mwH). Wurde aber, allein um dem Kläger entgegenzukommen, der Entlassung einvernehmlich eine befristete Wirkung zugelegt, damit der Kläger noch seinen Urlaub verbrauchen könne, kann daraus kein Entlassungsverzicht der beklagten Partei abgeleitet werden. Da die Entlassung des Klägers sohin gerechtfertigt erfolgte, hat er keinen Abfertigungsanspruch.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E11150

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:014OBA00039.87.0520.000

Dokumentnummer

JJT_19870520_OGH0002_014OBA00039_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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