TE Vwgh Erkenntnis 2005/9/15 2004/07/0135

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Veröffentlicht am 15.09.2005
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1332;
AVG §17;
AVG §33 Abs3;
AVG §41 Abs2 idF 1998/I/158;
AVG §42 Abs1 idF 1998/I/158;
AVG §42 Abs3 idF 1998/I/158;
AVG §63 Abs5;
AVG §68 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1 idF 1998/I/158;
AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 idF 1998/I/158;
AVG §8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Bumberger, Dr. Beck, Dr. Hinterwirth und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Chlup, über die Beschwerde des Mag. AM in K, vertreten durch Dr. Ferdinand Lanker, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Waagplatz 6, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 24. Juni 2004, 8-Allg-356/48-2004, betreffend Parteistellung in einem wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren und Zurückweisung einer Berufung (mitbeteiligte Partei: Stadt K, Abteilung Entsorgung, N-Platz 1, K) zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft K (BH) vom 17. November 2003 wurde der Stadt K die wasserrechtliche Bewilligung zur Sanierung des Polsterteiches und zum hochwassersicheren Ausbau des Kerbaches gemäß dem Projekt der Donau Consult Zottl & Erber, welches einen integrierenden Bestandteil des Bescheides darstellt, unter gleichzeitiger Vorschreibung von Bedingungen und Auflagen erteilt.

Im Zuge des Ermittlungsverfahrens war für den 9. September 2003 am Gemeindeamt L eine mündliche Verhandlung anberaumt worden, zu welcher der Beschwerdeführer als Miteigentümer des Grundstückes EZ. 38 GB S als Partei geladen wurde. Die Kundmachung wurde ihm am 1. September 2003 durch Hinterlegung am Postamt K zugestellt. Auf der Kundmachung befand sich unmittelbar vor der Angabe von Verhandlungsort und -zeit folgende Belehrung:

"Die Kundmachung hat gemäß § 42 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 AVG idgF, BGBl. Nr. 158/1998, zur Folge, dass eine Person ihre Stellung als Partei verliert, soweit sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Wasserrechtsbehörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt."

Die zweite Seite der Kundmachung weist unter der Überschrift "Rechtsgrundlagen" eine weitere Rechtsbelehrung auf:

"Als sonst Beteiligter beachten Sie bitte, dass Einwendungen gegen den Gegenstand der Verhandlung, die nicht spätestens am Tag vor der Verhandlung der Behörde bekannt gegeben oder während der Verhandlung vorgebracht werden, keine Berücksichtigung mehr finden und angenommen wird, dass Sie dem Gegenstand der Verhandlung zustimmen."

Der Beschwerdeführer erhob weder vor noch während der mündlichen Verhandlung am 9. September 2003, zu der er persönlich erschienen war, Einwendungen. Aus dem Verhandlungsprotokoll ergibt sich, dass er sich vor Ende der mündlichen Verhandlung ohne Abgeben einer Stellungnahme entfernt hat.

Am 5. Dezember 2003 wurde dem Beschwerdeführer der Bewilligungsbescheid der BH zugestellt. Nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten wurden keine Berufungen erhoben.

Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2003, zur Post gegeben am 19. Dezember 2003, beantragte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter die "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung von Einwendungen" und brachte gleichzeitig eine Berufung gegen den wasserrechtlichen Bewilligungsbescheid ein.

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages brachte der Beschwerdeführer vor, er sei blind und daher darauf angewiesen, dass ihm Schriftstücke vorgelesen werden. Seine nicht rechtskundige Gattin habe ihm aus dem Inhalt der Kundmachung der mündlichen Verhandlung lediglich den Termin der mündlichen Verhandlung, nicht jedoch den Umstand, dass Einwendungen spätestens in der mündlichen Verhandlung zu erheben seien, vorgelesen. Darüber sei er auch in der mündlichen Verhandlung nicht aufgeklärt worden. Erst nach Zustellung des Bescheides der BH sei ihm bekannt geworden, dass die bescheiderlassende Behörde davon ausgehe, dass mit den Parteien Übereinstimmung über die geplante Inanspruchnahme ihrer Grundstücke erzielt worden sei. Aus diesen Darstellungen ergebe sich, dass es ihm bislang nicht möglich gewesen sei, Einwendungen gegen die Durchführung des gegenständlichen Projekts zu erheben. Er sei mit dem gegenständlichen Projekt jedoch nicht einverstanden, da unzulässigerweise in sein Eigentumsrecht und seine Wasserrechte eingegriffen würde. Diese Umstände rechtfertigten eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Als Beweis für sein Vorbringen bot der Beschwerdeführer seine Einvernahme und die seiner Ehegattin an.

In seiner Berufung gegen den wasserrechtlichen Bewilligungsbescheid brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, dass dieser von einer nicht zuständigen Behörde erlassen worden sei. Der K-Bach befinde sich in K-V und damit im Zuständigkeitsbereich des Magistrates der Stadt K. Das Verfahren sei daher nichtig.

Mit Bescheid vom 29. Jänner 2004 wies die BH den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 71 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4, 72 Abs. 4 und 42 Abs. 1 AVG ab und begründete dies damit, dass der Beschwerdeführer weder im Vorfeld zur mündlichen Verhandlung auf schriftlichem oder mündlichem Wege, noch während der mündlichen Verhandlung Einwendungen erhoben habe und dadurch seine Stellung als Partei im anhängigen Wasserrechtsverfahren gemäß § 42 Abs. 1 AVG verloren habe. Da gemäß § 71 Abs. 1 leg. cit. lediglich einer Partei der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen sei und hiefür gemäß § 72 Abs. 4 AVG die BH als erste Instanz zuständig sei, sei der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuweisen.

Der Beschwerdeführer berief und machte geltend, der Bescheid leide einerseits an Verfahrensmängeln, da weder er noch seine Ehegattin von der BH vernommen worden sei, andererseits habe die BH auch den Sachverhalt nicht richtig beurteilt. Zur Begründung wiederholte er sein Vorbringen aus dem Wiedereinsetzungsantrag und entgegnete den Ausführungen der erstinstanzlichen Behörde, wonach lediglich einer Partei der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen sei, damit, dass er einen "Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung von Einwendungen als Partei" eingebracht habe.

Mit Bescheid vom 24. Juni 2004 gab die belangte Behörde in Spruchteil I. der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der BH vom 29. Jänner 2004, mit dem der Antrag auf Wiedereinsetzung abgewiesen worden war, gemäß § 66 Abs. 4 AVG nicht Folge. In Spruchteil II. wies sie die Berufung des Beschwerdeführers gegen den wasserrechtlichen Bewilligungsbescheid der BH vom 17. November 2003 gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurück.

Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und Zitierung des § 42 Abs. 1 bis 3 AVG kam die belangte Behörde zu dem rechtlichen Schluss, dass die Versäumung der Frist zur Erhebung von Einwendungen nach § 42 leg. cit. den Verlust der Parteistellung des Beschwerdeführers zur Folge gehabt hätte. Nach der Zitierung des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG setzte sich die belangte Behörde damit auseinander, ob im vorliegenden Fall ein Wiedereinsetzungsgrund vorliege und der Beschwerdeführer durch die nachträgliche Erhebung von Einwendungen die Parteistellung wiedererlangt habe. Sie gelangte dabei zu der Auffassung, dass der Umstand, dass dem Beschwerdeführer von seiner Gattin vom Inhalt der Kundmachung lediglich der Verhandlungstermin, nicht jedoch die Belehrung, dass Einwendungen spätestens in der mündlichen Verhandlung zu erheben seien, vorgelesen worden sei, kein unabwendbares Ereignis darstelle. Der Beschwerdeführer hätte dafür Sorge tragen müssen, dass ihm der Inhalt der Kundmachung rechtzeitig zur Kenntnis gelange. Darüber hinaus liege auch kein unvorhergesehenes Ereignis vor, weil sich aus dem am 21. Mai 1993 ausgestellten Behindertenpass des Beschwerdeführers ergebe, dass dieser nicht plötzlich erkrankt sei. Der Beschwerdeführer sei zur mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf die Rechtsfolgen unterlassener Einwendungen rechtzeitig geladen worden, weshalb keine weitere diesbezügliche Manuduktionspflicht der Behörde bestanden habe. Mangels Vorliegens eines unvorhergesehenen und unabwendbaren Ereignisses habe der Beschwerdeführer daher durch die nachträgliche Erhebung von Einwendungen die Parteistellung nicht wiedererlangt. Der Berufung gegen die ablehnende Erledigung seines Wiedereinsetzungsantrages durch die BH sei sohin nicht Folge zu geben gewesen. Da das Recht der Berufung nur Parteien zustehe, sei auch die Berufung des Beschwerdeführers gegen den wasserrechtlichen Bewilligungsbescheid der BH als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers zur Unzuständigkeit der BH entgegnete die belangte Behörde, dass sich das gegenständliche Projekt auf Grundstücke beziehe, die in den Katastralgemeinden R (Wirkungsbereich der BH) und Stein (Wirkungsbereich des Magistrates der Stadt K) gelegen seien. Diese beiden Behörde hätten sich bereits am 14. Februar 2002 darauf geeinigt, dass für bezirksübergreifende Maßnahmen die BH zuständig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtwidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Die mitbeteiligte Partei erstattete ebenfalls eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 42 Abs. 1 bis 3 AVG lauten:

"§ 42. (1) Wurde eine mündliche Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und in einer in den Verwaltungsvorschriften vorgesehenen besonderen Form kundgemacht, so hat dies zur Folge, dass eine Person ihre Stellung als Partei verliert, wenn sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt; § 13 Abs. 5 zweiter Satz ist nicht anwendbar. Wenn die Verwaltungsvorschriften über die Form der Kundmachung nichts bestimmen, so tritt die im ersten Satz bezeichnete Rechtsfolge ein, wenn die mündliche Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und in geeigneter Form kundgemacht wurde. Eine Kundmachungsform ist geeignet, wenn sie sicherstellt, dass ein Beteiligter von der Anberaumung der Verhandlung voraussichtlich Kenntnis erlangt.

(2) Wurde eine mündliche Verhandlung nicht gemäß Abs. 1 kundgemacht, so erstreckt sich die darin bezeichnete Rechtsfolge nur auf jene Beteiligten, die rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten haben.

(3) Eine Person, die glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, rechtzeitig Einwendungen zu erheben, und die kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, kann binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses, jedoch spätestens bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung der Sache bei der Behörde Einwendungen erheben. Solche Einwendungen gelten als rechtzeitig erhoben und sind von jener Behörde zu berücksichtigen, bei der das Verfahren anhängig ist."

Der Beschwerdeführer begehrte im vorliegenden Fall nicht - wie die BH meinte - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 71 Abs. 1 AVG, sondern die "Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung von Einwendungen" nach § 42 Abs. 3 AVG. Die belangte Behörde zitiert zwar im angefochtenen Bescheid diese Bestimmung, scheint sich aber in der Bescheidbegründung eher mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG zu befassen.

§ 71 Abs. 1 Z 1 AVG fand im vorliegenden Fall aber keine Anwendung, weil der Beschwerdeführer durch die Nichterhebung von Einwendungen spätestens im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung seine Parteistellung verloren hatte.

§ 42 Abs. 3 AVG sieht nun für diese Fälle eine "Quasi-Wiedereinsetzung" vor. Die Notwendigkeit dieser besonderen Anordnung resultiert eben daraus, dass die Wiedereinsetzung nach § 71 AVG ein Parteirecht ist, und daher von einer Person, die die Parteistellung verloren hat, nicht geltend gemacht werden kann. Für diese Personen musste daher eine Sonderregelung getroffen werden, um der unverschuldeten Versäumung von Einwendungen entgegen zu wirken (vgl. die Erläuterungen im Ausschussbericht zur AVG-Novelle, 1167 BlgNR, XX GP, 31).

Vor dem Hintergrund der genannten Erläuterungen wird weiters klar, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass die Parteistellung - bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 42 Abs. 3 AVG - durch die nachträgliche Einwendung ex nunc neuerlich erworben wird. Zwischen dem Ende der Verhandlung und der nachträglichen Einwendung ist der Betroffene nicht Partei, hat aber schon vor der Erhebung nachträglicher Einwendungen bestimmte Parteienrechte, wie z.B. das Recht auf Akteneinsicht (vgl. das zu einer ähnlichen Konstellation im Steiermärkischen Baugesetz ergangene hg. Erkenntnis vom 19. November 1998, 98/06/0058).

Der Erfolg des vorliegenden Antrags des Beschwerdeführers war daher nur an § 42 Abs. 3 AVG zu messen.

Dieser sieht Befristungen vor; Einwendungen können nur binnen zwei Wochen ab Wegfall des Hindernisses und nur bis zur Rechtskraft des Bescheides erhoben werden. Nun meint die mitbeteiligte Partei in ihrer Gegenschrift, der Antrag des Beschwerdeführers sei verspätet, weil im Zeitpunkt der Antragstellung (19. Dezember 2003) bereits Rechtskraft des Bescheides erster Instanz vorgelegen sei.

Damit irrt die mitbeteiligte Partei. Der Bescheid der BH vom 17. November 2003 wurde den Verfahrensparteien gegenüber am 5. Dezember zugestellt; die Rechtsmittelfrist für diese Parteien lief somit bis zum 19. Dezember 2003. Ein Rechtsmittelverzicht wurde nicht abgegeben. Berufungen durch andere Verfahrensparteien wurden nicht erhoben.

Die Rechtskraft eines Bescheides, gegen den ein ordentliches Rechtsmittel zulässig ist, tritt nicht mit der Zustellung dieses Bescheides sondern erst mit dem ungenützten Verstreichen der der Partei zur Verfügung stehenden Rechtsmittelfrist ein. Der Bescheid der BH vom 17. November 2003 wurde daher mit Ablauf des 19. Dezember 2003 rechtskräftig.

Die zweiwöchige Frist des § 42 Abs. 3 AVG ist eine verfahrensrechtliche Frist; die Tage des Postenlaufes sind nach § 33 Abs. 3 AVG nicht einzurechnen (vgl. auch dazu die bereits zitierten Erläuterungen im Ausschussbericht). Die am 19. Dezember 2003, somit am letzten Tag der Frist, zur Post gegebenen nachträglichen Einwendungen des Beschwerdeführers nach § 42 Abs. 3 AVG erweisen sich daher nicht als verspätet.

§ 42 Abs. 3 AVG stellt nun - wie § 71 Abs. 1 Z 1 AVG - darauf ab, dass seitens der Partei glaubhaft gemacht wird, dass die Versäumung durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eintrat und kein Verschulden vorlag oder nur ein minderer Grad des Versehens vorgeworfen werden konnte. Es kann daher hinsichtlich des Vorliegens dieser Voraussetzungen nach § 42 Abs. 3 AVG auf die zu § 71 Abs. 1 Z 1 AVG entwickelte Rechtsprechung zurückgegriffen werden.

Ein Ereignis ist dann unabwendbar, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden konnte. Es ist als unvorhergesehen zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte.

Anders als das Tatbestandsmerkmal des "unabwendbaren" erfasst jenes des "unvorhergesehenen" Ereignisses die subjektiven Verhältnisse der Partei, sodass nicht der objektive Durchschnittsablauf, sondern der konkrete Ablauf der Ereignisse maßgebend ist. Unvorhergesehen ist ein Ereignis dann, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und seinen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. September 1992, 92/04/0194, u.a.). Das im Begriff der "Unvorhergesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, dass die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" unterläuft.

Von einem minderen Grad des Versehens kann nicht mehr gesprochen werden, wenn der Wiedereinsetzungswerber die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Februar 1994, 93/16/0020).

Die belangte Behörde erachtete die Angabe des Beschwerdeführers, seine Gattin habe ihm die Rechtsbelehrung hinsichtlich der Folgen des § 42 Abs. 1 AVG nicht vorgelesen, als glaubwürdig. Somit kam dem Beschwerdeführer die Rechtsbelehrung nicht zur Kenntnis. Der Rechtsbelehrung kommt aber eine wesentliche Funktion zu, wie sich schon daran zeigt, dass das AVG den Verlust der Parteistellung nur eintreten lässt, wenn diese Belehrung Teil der Verständigung (Kundmachung) über die Anberaumung der Verhandlung ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 2004, 2003/05/0086). Im Nichtvorlesen der Rechtsbelehrung liegt daher im vorliegenden Fall ein "Ereignis" im Sinne des § 42 Abs. 3 AVG.

Folgt man den Angaben des Beschwerdeführers, so liest ihm seine Ehegattin regelmäßig alle Schriftstücke, auch behördliche Schriftstücke, vor; er ist auf sie als Übermittlerin des Inhaltes schriftlicher Informationen angewiesen. Mangels entsprechender Anhaltspunkte kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer Anlass hatte, an der Gewissenhaftigkeit seiner Gattin im Umgang mit behördlichen Schriftstücken zu zweifeln. Ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden kann ihm daher nicht zur Last gelegt werden.

Es kann daher im gegenständlichen Fall davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer das "Ereignis" (des nicht vollständigen Vorlesens) tatsächlich nicht miteinberechnet hat und seinen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte. Dass er sich bei seiner Gattin nicht nochmals über den genauen Inhalt der Kundmachung informiert hat bzw. dass er keine weiteren Erkundigungen bei anderen dritten Personen eingeholt hat, stellt daher kein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden des Beschwerdeführers dar.

Im konkreten Fall ist daher das Vorliegen eines unvorhergesehenen und vom Beschwerdeführer unverschuldeten Ereignisses zu bejahen. Wenn die belangte Behörde ausführt, der Umstand, dass dem Beschwerdeführer von seiner Gattin die Kundmachung nur unvollständig vorgelesen wurde, stelle kein unabwendbares Ereignis dar; der Beschwerdeführer hätte dafür Sorge tragen müssen, dass ihm der Inhalt der Kundmachung rechtzeitig zur Kenntnis gelangt, so übersieht sie, dass der Beschwerdeführer durchaus dafür Sorge getragen hat, dass ihm der Inhalt der Kundmachung zur Kenntnis gelangte (insofern unterscheidet sich dieser Fall von dem dem von der belangten Behörde zitierten hg. Erkenntnis vom 7. April 1995, 95/02/0017 zu Grunde gelegenen Fall). Er ließ sich die Kundmachung ja von seiner Gattin vorlesen. Damit, dass ihm diese die Kundmachung nur unvollständig zur Kenntnis bringen würde, konnte der Beschwerdeführer - wie schon ausgeführt - aber nicht rechnen.

Da ein Wiedereinsetzungsgrund nach § 42 Abs. 3 AVG vorliegt, war die Berufung gegen den wasserrechtlichen Bewilligungsbescheid nicht wegen fehlender Parteistellung des Beschwerdeführers zurückzuweisen.

Aus diesen Gründen belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Angesichts dessen erübrigte sich ein näheres Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die BH - entgegen der Ansicht der Beschwerde - sehr wohl zur Erlassung des erstinstanzlichen wasserrechtlichen Bewilligungsbescheides zuständig war. Aus § 101 Abs. 1 WRG 1959 ergibt sich nämlich, dass sich dann, wenn sich geplante Anlagen wie im vorliegenden Fall über den örtlichen Wirkungsbereich mehrerer Behörden erstrecken, die jeweiligen in Betracht kommenden Behörden über die Zuständigkeit zur Durchführung des Verfahrens und zur Fällung der Entscheidung zu einigen haben. Andernfalls hat die Oberbehörde eine zuständige Behörde zu bestimmen.

Im gegenständlichen Fall haben sich die zuständigen Behörden, nämlich die BH und der Magistrat der Stadt K - nach dem Inhalt eines im Akt erliegenden Aktenvermerks - am 14. Februar 2002 darüber geeinigt, dass für bezirksübergreifende Maßnahmen - wie die hier in den Katastralgemeinden R und S vorliegende Maßnahme - die BH zuständig ist. Der Umstand dieser Einigung wurde vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Von der Unzuständigkeit der Bewilligungsbehörde kann daher nicht gesprochen werden.

Der Ausspruch über die Kosten stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Mehrbegehren der beschwerdeführenden Partei war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im Pauschalbetrag bereits enthalten ist.

Wien, am 15. September 2005

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Parteibegriff - Parteienrechte Allgemein diverse Interessen Rechtspersönlichkeit Parteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger Zustellung Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Verfahrensrecht AVG

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004070135.X00

Im RIS seit

18.10.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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