TE OGH 1987/11/24 2Ob60/87

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Veröffentlicht am 24.11.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Huber als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Emilie E***, Pensionistin, Kalkkögelweg 453, 6100 Seefeld, vertreten durch Dr. Martin Stoll, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. Josef K***, Goldschmied, Andreas-Hofer-Straße 29, 6020 Innsbruck,

2. G*** W*** V***-AG, 8020 Graz,

Herrengasse 18-20, beide vertreten durch Dr. Günter Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 226.531,50 s.A. bzw. S 59.300,50 s. A. infolge Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 26.August 1987, GZ 4 R 54/87-20, womit infolge Berufungen der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 17.Dezember 1986, GZ 8 Cg 302/86-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Keiner der Revisionen wird Folge gegeben.

Die beklagten Parteien haben der Klägerin zur ungeteilten Hand die mit S 9.345,44 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 772,35 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die Klägerin hat den beklagten Parteien die mit S 3.737,09 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 339,74 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde am 5.1.1984 um ca. 18,30 Uhr als Fußgängerin auf der Innsbrucker Straße außerhalb von Seefeld von dem vom Erstbeklagten gelenkten und gehaltenen, bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Kennzeichen T 10.457 erfaßt und niedergestoßen, wodurch sie schwere Verletzungen erlitt. In der vorliegenden Klage wird das Alleinverschulden des Erstbeklagten am Unfall behauptet und Schadenersatz in der Höhe von S 324.882 s.A. sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für die künftigen Unfallsschäden der Klägerin begehrt, und zwar bei der zweitbeklagten Partei eingeschränkt auf die Versicherungssumme.

Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung. Die Klägerin treffe ein Mitverschulden am Unfall von 75 %, weil sie versucht habe, unmittelbar vor dem Fahrzeug des Erstbeklagten die Fahrbahn zu überqueren. Dieser habe lediglich verspätet reagiert. Der unfallsbedingte Fahrzeugschaden von S 10.380 werde aufrechnungsweise eingewendet.

Das Erstgericht stellte die Klagsforderung mit S 185.941,50, die eingewendete Gegenforderung mit S 2.595 fest und sprach der Klägerin demgemäß einen Betrag von S 183.346,50 s.A. zu. Dem Feststellungsbegehren gab es im Ausmaß von 75 % statt, und zwar bei der zweitbeklagten Partei eingeschränkt auf die Versicherungssumme. Das Leistungs- und Feststellungsmehrbegehren wies es ab. Das Berufungsgericht gab den von allen Streitteilen erhobenen Berufungen nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, S 300.000 übersteige. Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung erheben sowohl die Klägerin als auch die beklagten Parteien auf den Revisionsgrund des § 503 Abs.1 Z 4 ZPO gestützte Revisionen. Die Klägerin beantragt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne der vollen Klagsstattgebung. Die beklagten Parteien beantragen Abänderung dahin, daß der Klägerin lediglich ein Betrag von S 6.815,50 s.A. zuerkannt und dem Feststellungsbegehren nur im Ausmaß von 25 % stattgegeben werde. Hilfsweise stellen die Revisionswerber Aufhebungsanträge.

In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen die Streitteile jeweils, der gegnerischen Revision nicht Folge zu geben. Keine der Revisionen ist gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach dem für die Zivilgerichte gemäß § 268 ZPO bindenden rechtskräftigen strafgerichtlichen Urteilsspruch des Bezirksgerichtes Innsbruck (10 U 525/84) hat der Erstbeklagte die Klägerin als Fußgängerin auf der Innsbrucker Straße außerhalb des Ortsgebietes von Seefeld durch mangelnde Aufmerksamkeit und Sorgfalt zu spät wahrgenommen, mit seinem PKW erfaßt und niedergestoßen und solcherart schwer verletzt. Die Fahrbahn dieser Straße ist im Unfallsbereich 5,4 m breit. Zur Unfallszeit herrschte Finsternis, die Straße, die in Fahrtrichtung des Erstbeklagten eine leichte Rechtskurve mit einer Sichtweite von mindestens 80 m beschreibt, war unbeleuchtet und die Sicht durch Schneefall behindert. Der Erstbeklagte näherte sich der nicht genau feststellbaren Unfallsstelle mit eingeschaltetem Abblendlicht und einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 40 km/h. Ca. 4 Sekunden vor dem Unfall befand sich sein PKW ca. 42 m vom Unfallspunkt entfernt. Die Klägerin hätte den beleuchteten PKW des Erstbeklagten wahrnehmen können, ist jedoch in dessen Fahrlinie verblieben oder noch in diese hineingegangen, möglicherweise hat sie vor der Kollision eine Körperwendung durchgeführt. Ihre Gehlinie ist nicht feststellbar. Beim Unfall erlitt die Klägerin ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit offener temporal-basaler Schädelfraktur links, Orbita-Bodenfraktur, eine Gehirnprellung und eine Verletzung des dritten Hirnnervs sowie eine Trümmerfraktur des linken Oberschenkels mit Verletzung des Kniegelenkes. In der Folge trat unfallskausal ein Verschluß der linken mittleren Hirnarterie mit der Entwicklung eines Hirninfarktes ein. An Dauerfolgen bestehen eine Parese des dritten Hirnnervs rechts mit Doppelsichtigkeit, eine leichte Beeinträchtigung der Motorik der rechtsseitigen Extremitäten, eine leichte Sprachstörung, eine Merkfähigkeitsschwäche sowie eine Affektlabilität. Diese Verletzungsfolgen bedingen in ihrer Gesamtheit eine dauernde Teilinvalidität im Ausmaß von 75 %. Das Auftreten allfälliger unfallskausaler Spätschäden kann nicht ausgeschlossen werden. Die Klägerin hatte komprimiert bis zum 5.11.1986 drei Wochen starke, 8 Wochen mittlere und 12 bis 14 Wochen leichte Schmerzen zu ertragen. Weitere Schmerzen können im Hinblick auf die Schädel-Hirn-Trauma-Folgen und die möglicherweise gegebene Notwendigkeit des Tragens einer Gelenksprothese nicht ausgeschlossen werden. Die Klägerin war vom 5.1. bis 19.5.1984 in stationärer Behandlung, wurde sodann weiter ambulant behandelt und für die Zeit vom 5.11. bis 8.11.1984 wiederum stationär von der unfallchirurgischen Abteilung zur Stiftentfernung aufgenommen. Bis Ende Juni 1986 konnte die Klägerin ihre Arbeit im Haushalt teils überhaupt nicht, teils nicht allein verrichten. Dem Erstbeklagten ist an seinem Fahrzeug unfallsbedingt ein Schaden in der Höhe von S 10.380 entstanden.

In seiner rechtlichen Beurteilung erklärte das Erstgericht, das Verschulden des Erstbeklagten am Unfall stehe gemäß § 268 ZPO bindend fest. Das Mitverschulden der Klägerin ergebe sich daraus, daß sie trotz der für sie erkennbaren Annäherung des PKW in dessen Fahrlinie verblieben oder in diese gegangen sei. Im Falle eines von ihr durchgeführten Überquerungsmanövers habe sie gegen die Vorschrift des § 76 Abs.5 StVO, im Falle einer Gehlinie entlang der Fahrbahn gegen § 76 Abs.1 StVO verstoßen, weil sie am Fahrbahnrand hätte gehen müssen. Das Mitverschulden der Klägerin sei mit 25 % festzusetzen, das von ihr begehrte Schmerzengeld von S 250.000 erscheine der Höhe nach angemessen. Die übrigen Leistungsansprüche bestünden mit den im einzelnen festgestellten Beträgen zu Recht. Im Berufungsverfahren wurde außer Streit gestellt, daß im Unfallsbereich kein Gehweg vorhanden war. Im weiteren traf das Berufungsgericht nach teilweiser Beweiswiederholung noch die ergänzende Feststellung, daß sich die Klägerin zum Kollisionszeitpunkt mindestens ca. 1,20 m vom westlichen (für den Erstbeklagten also rechten) Fahrbahnrand entfernt auf der Fahrbahn befunden hat. Davon ausgehend lastete das Berufungsgericht der Klägerin einen Verstoß gegen § 76 Abs.1 StVO an, weil sie nicht den äußersten Fahrbahnrand benützt habe. Dieses Fehlverhalten sei nicht so geringfügig, daß es gegenüber jenem des Erstbeklagten zur Gänze vernachlässigt werden könne. Die erstgerichtliche Verschuldensteilung von 1 : 3 zu Gunsten der Klägerin erscheine demnach gerechtfertigt. Die Ansicht der beklagten Parteien, die Klägerin treffe das überwiegende Verschulden am Unfall, könne nicht geteilt werden. Selbst dann, wenn bei einem Zusammenstoß eines Kraftfahrzeuges mit einem Fußgänger keine Verschuldens-, sondern nur eine Halterhaftung dem Verschulden des Fußgängers gegenüberstehe, werde in der Rechtsprechung in aller Regel die Schadensteilung nicht ungünstiger als im Verhältnis 1 : 2 zu Lasten des Fußgängers vorgenommen. Im gegenständlichen Falle sei schon wegen der Bindungswirkung des Strafurteiles von einer Verschuldenshaftung des Erstbeklagten auszugehen. Verschuldensteilungen im Verhältnis von 1 : 1 seien dann vorgenommen worden, wenn der Fußgänger die Fahrbahn plötzlich überquert habe. Vorliegendenfalls könne ein Überquerungsmanöver der Klägerin nicht zugrunde gelegt werden, vielmehr sei davon auszugehen, daß sie nicht am äußersten Fahrbahnrand gegangen sei. Im Falle der Entscheidung ZVR 1978/131 sei eine Verschuldensteilung von 3 : 1 zu Lasten des PKW-Lenkers vorgenommen worden, der den Bremsentschluß zu spät gefaßt habe, wogegen der Fußgänger unvorsichtig und ohne Beachtung des Fahrzeugverkehrs auf die Fahrbahn getreten sei. Eine solche Verschuldensteilung sei nach den Umständen des Falles auch hier gerechtfertigt. Der erstgerichtliche Schmerzengeldzuspruch sei ebenfalls nicht zu beanstanden.

In ihrer Revision bringt die Klägerin vor, den Erstbeklagten treffe ein Reaktionsverzug von 3 Sekunden, dagegen könne ihr im Hinblick auf die winterlichen Verhältnisse kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie nicht streng am Fahrbahnrand gegangen sei. Möglicherweise habe sie aber angesichts des entgegenkommenden PKWs überhaupt nur eine Fehlreaktion gesetzt.

Die beklagten Parteien vertreten in ihrer Revision die Ansicht, die Klägerin treffe der Vorwurf der Unaufmerksamkeit in größerem Maße als den Erstbeklagten, da der Auffälligkeitswert des beleuchteten PKWs für sie sehr groß gewesen sei. Der Erstbeklagte habe auch nur eine geringe Reaktionsverzögerung zu vertreten. An Schmerzengeld sei lediglich ein Betrag von S 200.000 angemessen. Weder die Revisionsausführungen der Klägerin noch jene der beklagten Parteien erweisen sich als stichhaltig.

Die Behauptung der Klägerin, dem Erstbeklagten falle ein Reaktionsverzug von 3 Sekunden zur Last, ist feststellungswidrig und daher unbeachtlich. Bei der rechtlichen Beurteilung ist vom bindenden strafgerichtlichen Urteilsspruch auszugehen, wonach der Erstbeklagte aus Unaufmerksamkeit und durch Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt die Klägerin zu spät wahrgenommen und dadurch den Unfall verschuldet hat. Er hatte bereits 4 Sekunden vor dem Unfall auf die Klägerin Sicht, nahm sie aber erst im letzten Augenblick wahr und konnte solcherart keine unfallsverhindernde Maßnahme mehr treffen. Diesem ins Gewicht fallenden verkehrswidrigen Verhalten des Erstbeklagten steht gegenüber, daß die Klägerin bei Finsternis 1,2 m innerhalb der Fahrbahn ging und dadurch im Sinne der zutreffenden Ausführungen der Unterinstanzen gegen die Bestimmung des § 76 Abs.1 StVO verstieß. Die Revisionsbehauptung der Klägerin, sie sei wegen "winterlicher Verhältnisse" genötigt gewesen, innerhalb der Fahrbahn zu gehen, sodaß ihr wegen dieser Gehlinie kein Vorwurf gemacht werden könne, entbehrt jeder Feststellungsgrundlage. Zu einer Schreckreaktion ihrerseits und dadurch erfolgtem Hineintreten in die Fahrlinie des PKW hatte der Erstbeklagte keinen Anlaß gegeben, da er nach den berufungsgerichtlichen, auch auf die Ergebnisse des Strafverfahrens gestützten Ausführungen einen nicht zu beanstandenden Seitenabstand von einem Meter zum rechten Fahrbahnrand einhielt; die Streifung an der Klägerin erfolgte mit einer Überdeckungsbreite von 0,2 m. Unter den gegebenen Umständen tritt das Fehlverhalten der Klägerin, welche sich ca. einen halben Meter zu weit innerhalb der Fahrbahn bewegte, gegenüber jenem des Erstbeklagten, der die Klägerin erst im letzten Augenblick wahrnahm, erheblich zurück. Die unterinstanzliche Schadensteilung von 1 : 3 zugunsten der Klägerin ist somit zu billigen.

Hinsichtlich des von den beklagten Parteien bekämpften Schmerzengeldzuspruches ist auf die oben dargestellten schweren Verletzungen und Verletzungsfolgen, welche eine 75 %-ige Invalidität der Klägerin zur Folge hatten, zu verweisen. Von einem überhöhten Zuspruch kann keinesfalls die Rede sein.

Demgemäß war keiner der Revisionen Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E12534

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00060.87.1124.000

Dokumentnummer

JJT_19871124_OGH0002_0020OB00060_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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