TE OGH 1988/9/7 3Ob540/88

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Veröffentlicht am 07.09.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Kellner als Richter in der Pflegschaftssache für die mj. Catherine Sophie B***, geboren 18.10.1984, wohnhaft bei der Mutter in Graz, Merangasse 23, infolge Revisionsrekurses des Vaters Werner B***, Presseattache (ursprüngl. Berufungsbezeichnung), Übersetzer oder Student, wohnhaft in Venise, CH-6900 Lugano 1, Schweiz, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz als Rekursgerichtes vom 10.Juni 1988, GZ 2 R 171/88-147, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 19.Februar 1988, GZ 13 P 225/85-123, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die mj. Catherine Sophie B***, geb. 18.10.1984, ist österreichische Staatsbürgerin und schweizerische Staatsangehörige. Sie ist eine eheliche Tochter des schweizerischen Staatsangehörigen Werner B***, der in der Schweiz wohnhaft ist und sich im Rahmen seiner Tätigkeit im diplomatischen Dienst in verschiedenen Staaten aufhält, und der in Graz wohnhaften Dr. Ursula S***, welche wie das Kind sowohl die österreichische Staatsbürgerschaft als auch die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt. Im Frühjahr 1985 verließ die Mutter mit dem Kind den damals in Moskau lebenden Vater und hält sich seither mit dem Kind in Graz auf. Die Ehe der Eltern wurde mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 17.1.1986 geschieden. In einem beim Bezirksgericht für ZRS Graz durchgeführten Pflegschaftsverfahren wurde dem Vater zunächst bis zur endgültigen Klärung des Sorgerechtes ein vorläufiges Besuchsrecht eingeräumt, das er etwa in der Zeit von Frühjahr 1986 bis Frühjahr 1987 mehr oder weniger klaglos ausübte.

Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 12.8.1986 wurde ausgesprochen, daß die elterlichen Rechte und Pflichten der Mutter zukommen.

Seit Frühjahr 1987 scheitert ein persönlicher Verkehr des Vaters mit dem Kind daran, daß die Mutter und die mütterlichen Großeltern keine Besuche mehr gestatten.

Erstmals am 25.5.1987, präzisiert am 15.6.1987, und in mehreren späteren Eingaben wiederholt, beantragte der Vater, ihm wieder alle 14 Tage ein Besuchsrecht einzuräumen. Weiters stellte er den Antrag auf Bewilligung gemeinsamer Winterferien.

Mit Beschluß vom 19.2.1988 wies das Erstgericht den Antrag des Vaters ab. - Das Gericht zweiter Instanz bestätigte den Beschluß des Erstgerichtes.

Die Vorinstanzen nahmen kurz zusammen gefaßt folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Am 6.10.1985 versuchte der Vater, das Kind gegen den Willen der Mutter mit sich zu nehmen. Bei den später stattfindenden Besuchen verhielt sich der Vater gegenüber den mütterlichen Großeltern und der Mutter zunehmend provozierend und beleidigend. Es kam zu Beschimpfungen, eigenmächtigen Eingriffen in der Wohnung und einer unerwünschten Mitnahme von Katzen. Der Vater überhäufte das Kind bei den Besuchen mit Geschenken, gestattete ihm sonst eher unübliche Verhaltensweisen und redete immer auf das Kind ein, es solle mit ihm mitgehen, er würde ihm alle Wünsche erfüllen, was dazu führte, daß das Kind sogar weinte, daß es nicht mit dem Vater mitgehen dürfe. Seit Frühjahr 1987 schickt der Vater dem Kind Karten und Briefe und versichert ihm seine Liebe, andererseits beschimpft er die Mutter und die mütterlichen Großeltern. Durch die Besuche und die Beeinflussungsversuche des Vaters wurde die Beziehung des Kindes zur Mutter und den mütterlichen Großeltern schwer beeinträchtigt. Das Verwöhnen des Kindes führte zu einer Verunsicherung und Gefährdung der Erziehung. Bei einer weiteren Aufrechterhaltung dieser Konfliktsituation drohen nicht wieder gutzumachende seelische Schäden. Immer wieder drohte der Vater an, er werde das Kind letztlich in seinen Haushalt bringen, weshalb die Mutter weiterhin eine Entführung besorgt.

In rechtlicher Hinsicht gingen die Vorinstanzen davon aus, daß österreichisches Recht anzuwenden sei, und nahmen im wesentlichen an,das Wohl des Kindes und die Gefahr einer unerträglichen Störung der Beziehungen des Kindes zur Mutter rechtfertigten bei der gegebenen Sachlage den vollen Entzug des Besuchsrechtes. In seinem Revisionsrekurs macht der Vater,wenn man seine großteils polemischen Ausführungen auf ihren sachlichen Gehalt reduziert, in verfahrensrechtlicher Hinsicht das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit geltend und weist darauf hin, daß das Kind eigentlich nicht vertreten sei, weil sich seine Interessen nicht mit denen der beiden Elternteile decken müßten. Inhaltlich erblickt er in der Vorgangsweise der Vorinstanzen eine Rechtsverweigerung und einen offenbaren Verstoß gegen das Grundrecht des Vaters auf Zugang zu seinem Kind und des Kindes auf Erhaltung des Kontaktes zu beiden Elternteilen. Weiters rügt er die Anwendung des österreichischen Rechtes.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Nach § 16 Abs 1 AußStrG findet bei Bestätigung der Entscheidung des Erstgerichtes durch das Obergericht die Beschwerde an den Obersten Gerichtshof nur im Falle einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit oder einer begangenen Nullität statt. Keiner dieser im Gesetz taxativ aufgezählten Rechtsmittelgründe wird im Revisionsrekurs des Vaters aufgezeigt.

Da Österreich und die Schweiz Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens vom 5.10.1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen sind (BGBl 1975/446), richtet sich die inländische Jurisdiktion vor allem nach diesem Übereinkommen. Nach den Art 1, 2 und 13 des Haager MjSchÜbk genügt als Anknüpfungspunkt der in Österreich gelegene gewöhnliche Aufenthalt des minderjährigen Kindes, welcher im Gegensatz zum sog. Wohnsitz nach rein tatsächlichen Momenten zu beurteilen ist. Die in Art 4 des Haager MjSchÜbk vorgesehene zusätzliche Zuständigkeit zu Schutzmaßnahmen für den Heimatstaat des Minderjährigen - im vorliegenden Fall neben Österreich allenfalls auch die Schweiz - kommt schon deshalb nicht zum Tragen, weil die schweizerischen Behörden das inländische Pflegschaftsgericht bisher nicht davon verständigt haben, daß sie eine bestimmte Maßnahme getroffen haben.

Die Bestimmungen des Wiener Übereinkommens vom 18.4.1961 über die diplomatischen Beziehungen (BGBl 1966/66) stehen der Durchführung des inländischen Pflegschaftsverfahrens nicht entgegen. Nach Art 37 Abs 1 WrDiplKonv genießen nur zum Haushalt eines Diplomaten gehörende Familienmitglieder die im Übereinkommen bezeichneten Vorrechte und Immunitäten. Es muß daher nicht untersucht werden, ob und in welchem Umfange der Vater persönliche Immunität genießt und ob er sich auf eine solche allenfalls iSd Art 32 Abs 3 WrDiplKonv nicht berufen könnte, weil er - trotz jeweils angemeldeter Vorbehalte - letztlich doch selbst das inländische Pflegschaftsverfahren angestrengt hat (vgl dazu EvBl 1977/220).

Die Ansicht des Vaters, bei widerstreitenden Anträgen von Vater und Mutter über die Besuchsregelung müsse ein Kollisionskurator für das Kind bestellt werden, entspricht nicht der österreichischen Rechtsordnung. Dem noch unmündigen Kind kommt im Pflegschaftsverfahren keine Parteistellung zu (SZ 38/216). Die Wahrung der Interessen des Kindes überantwortet der Gesetzgeber dem Pflegschaftsgericht, das dabei gemäß § 2 Abs 1 Z 5 AußStrG von Amts wegen alle Umstände und Verhältnisse, welche auf die richterliche Verfügung Einfluß haben, zu untersuchen hat. Darüber hinaus hat das Gericht gemäß § 148 Abs 1 ABGB erforderlichenfalls die Bezirksverwaltungsbehörde anzuhören, die nach den §§ 21 f JWG bei den Aufgaben des Pflegschaftsgerichtes mitzuwirken hat, wie dies übrigens im vorliegenden Fall ohnedies geschehen ist. Die Bestellung eines gesonderten Kindeskurators wurde zwar im Schrifttum verschiedentlich als sinnvolle Gesetzesänderung vorgeschlagen, ist aber derzeit nicht geltendes Recht. Es fehlte daher nicht an einer gesetzlichen Vertretung des Kindes.

Eine Nullität (= Nichtigkeit des Verfahrens) ist somit nicht erkennbar.

Aktenwidrigkeiten werden im Revisionsrekurs nicht angedeutet. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nicht vor. Diese ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nur in jenen Fällen unrichtiger rechtlicher Beurteilung gegeben, in denen entweder ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde, oder in denen das Gericht gegen ein Grundprinzip des Rechtes, etwa im Pflegschaftsverfahren die gänzliche Außerachtlassung des Wohles des Pflegebefohlenen, verstoßen hat oder willkürlich vorgegangen ist, nicht aber bei bloßen Ermessensentscheidungen (EFSlg 52.757 bis 52.760). Offenbare Gesetzwidrigkeit ist also mit unrichtiger rechtlicher Beurteilung nicht gleichbedeutend (EFSlg.47.209, 49.935).

Gemäß Art 2 des Haager MjSchÜbk hat das Gericht das inländische Sachrecht anzuwenden. § 148 Abs 1 ABGB bestimmt aber, daß zwar der Elternteil, dem nicht die Pflege und Erziehung des minderjährigen Kindes zusteht, das Recht hat, mit dem Kind persönlich zu verkehren, und das Gericht über Antrag die Ausübung dieses Rechtes in einer dem Wohl des Kindes gemäßen Weise zu regeln hat, diese aber nötigenfalls, besonders wenn die Beziehungen des Kindes zu dem Elternteil, bei dem es aufwächst, unerträglich gestört würden, auch ganz zu untersagen hat.

Ohne Zweifel gehört das Besuchsrecht zu den Grundrechten der Eltern-Kind-Beziehung und im Regelfall erfordert das Wohl des Kindes den Kontakt zu beiden Elternteilen (EFSlg 51.146, 51.147). Eine gänzliche Entziehung des Besuchsrechtes kommt daher nur ausnahmsweise und bei Vorliegen besonders schwerwiegender Gründe in Betracht (EFSlg.51.199).

Die Vorinstanzen haben sich an diese Grundsätze gehalten und genau begründet, warum sie der Ansicht sind, daß es derzeit dem Wohl des Kindes widerspricht, wenn der persönliche Verkehr mit dem Vater aufrecht erhalten bleibt, und haben insbesondere berücksichtigt, daß dadurch im Sinne der angeführten Gesetzesstelle die Beziehungen des Kindes zur Mutter unerträglich gestört würden.

Eine Willkür ist nicht erkennbar. Es wurden jeweils alle Beteiligten angehört, Gutachten eingeholt, die Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde herangezogen. Die Vorwürfe des Vaters gegen den Sachverständigen oder das Erstgericht können schon durch den Hinweis entkräftet werden, daß ursprünglich Erstgericht und Sachverständiger durchaus eine eintretende Beruhigung und die Entwicklung einer positiven und gesunden Vater-Kind-Beziehung voraussetzten.

Auf die Interessen des Kindeswohles wurde entsprechend Bedacht genommen. Es fanden jeweils Hausbesuche durch die Organe der Jugendfürsorge statt, es wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt, es wurden Zeugen vernommen. Nicht zuletzt dienten auch Eingaben und Briefe des Vaters selbst als Handhabe. Ob im konkreten Fall die von den Vorinstanzen getroffene Entscheidung dem Wohle des Kindes auf Dauer gesehen wirklich am besten entspricht, kann naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantwortet werden. Ohne Zweifel liebt der Vater sein Kind und bemüht sich unter größtem Einsatz, mit ihm in Kontakt zu bleiben oder zu kommen. Etwaige Entführungspläne droht der Vater zwar ungeschickterweise immer wieder an, hat aber seit den Vorkommnissen vom Oktober 1985 nie mehr wirkliche Anstalten dazu unternommen. Ob es einem Kind schadet, wenn es während des Besuches des Vaters etwas verwöhnt wird, steht auch nie mit Sicherheit fest. Selbst die ständigen Beeinflussungsversuche durch den Vater müssen mit zunehmendem Alter des Kindes nicht notwendig zu einer seelischen Schädigung beim Kind führen. Gleiches gilt für die an sich unverständliche Neigung des Vaters, die sich in allen seinen Eingaben ans Gericht oder in Briefen ans Kind oder Angehörige des Kindes widerspiegelt, die nächsten Angehörigen des Kindes herabzusetzen und zu beschimpfen. Andererseits liegt aber auch auf der Hand, daß ein Kind bei so gespannten Beziehungen zwischen den Eltern, wie sie im vorliegenden Fall festgstellt wurden, auf die Dauer in einen unlösbaren seelischen Konflikt geraten kann, der zu schwersten psychischen Schädigungen führen kann. Die Annahme der Voraussetzungen des § 148 Abs 1 ABGB ist also durchaus naheliegend und jedenfalls vertretbar. Damit kann keine offenbare Gesetzwidrigkeit nach § 16 Abs 1 AußStrG angenommen werden. Eine Prüfung der Richtigkeit der Entscheidung der Vorinstanzen außerhalb des Bereiches einer offenbaren Gesetzwidrigkeit steht aber dem Obersten Gerichtshof nicht zu.

Anmerkung

E14843

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0030OB00540.88.0907.000

Dokumentnummer

JJT_19880907_OGH0002_0030OB00540_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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