TE OGH 1988/9/8 13Os91/88

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Veröffentlicht am 08.09.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.September 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller (Berichterstatter), Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Manquet als Schriftführers in der Strafsache gegen Josefine D*** wegen des Verbrechens der Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengerichts vom 6.April 1988, GZ 13 Vr 3172/87-41, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Hauptmann, und des Verteidigers Dr. Proksch, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen der Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Die am 15.April 1944 geborene Sozialhilfeempfängerin Josefine D*** ist des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB schuldig erkannt worden. Sie hat am 3.Oktober 1987 in Graz Herbert B*** durch einen Messerstich in den Oberkörper verletzt, wobei die Tat (am 28.November 1987) dessen Tod zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Schuldspruch hat die Angeklagte eine auf § 281 Abs 1 Z. 5, 5 a, 9 lit a und 10, inhaltlich auch Z. 9 lit b, StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde erhoben. Soweit das Vorbringen zur Z. 5 a "vorsichtshalber" auch unter dem Gesichtspunkt einer Nichtigkeit nach der Z. 5 StPO geltendgemacht wird, verkennt die Angeklagte, daß eine Urteilsbegründung nicht auf logisch zwingenden Ableitungen beruhen muß. Auch in freier Beweiswürdigung gezogene Wahrscheinlichkeitsschlüsse sind zur Begründung von Tatsachenfeststellungen geeignet, soferne nur der solcherart getroffenen Konstatierung die richterliche Überzeugung von der Richtigkeit der "wahrscheinlichen" Tatsache im Sinn des § 258 Abs 2 StPO zugrundeliegt; eine Beschränkung auf geradezu zwingende Beweise wäre mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht vereinbar (Mayerhofer-Rieder2, § 258 StPO, ENr. 26 bis 31; § 281 Abs 1 Z. 5 StPO, ENr. 149). Der Sache nach sind damit die Beschwerdeausführungen betreffend die Vereinbarkeit der gerichtsmedizinischen Gutachten der Sachverständigen Univ.Prof. Dr. Wolfgang M*** (ON. 34 in Verbindung mit S. 327) und Oberarzt Dr. Peter L*** (S. 318 f.) mit der Verantwortung der Angeklagten ausschließlich als Feststellungsrüge (Z. 5 a) anzusehen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt ihnen aber ebensowenig Berechtigung zu: Nach den Ausführungen des Sachverständigen Oberarzt Dr. L*** ergibt sich auf Grund der Ausformung des Stichkanals eine hohe - fast den Grad der Undenkbarkeit erreichende (S. 321 oben) - Unwahrscheinlichkeit der Version der Angeklagten, derzufolge sie sich bei dem Vorfall nicht einmal bewußt gewesen sein will, das (angeblich unmittelbar zuvor bei Küchenarbeiten verwendete) Messer während der tätlichen Auseinandersetzung mit B*** noch in der Hand gehalten und daher auch die Zufügung eines Stichs gegen den Genannten nicht sogleich wahrgenommen zu haben. Der Umstand, daß das Messer in der Ebene des Einstichkanals wieder (nach unten) herausgezogen worden sein muß, legt vielmehr eine bewußte Vorgangsweise der Angeklagten nahe. Damit steht auch das Gutachten des Sachverständigen Univ.Prof. Dr. M***, wonach für den Stich "so gut wie keine Wucht nötig" war und die Stichverletzung durch "Herumfuchteln" mit dem Messer, aber auch durch Hineintaumeln des Opfers gegen das (von der Angeklagten) in der Hand gehaltene Messer verursacht worden sein könnte (S. 281 in Verbindung mit S. 327), nicht im Widerspruch. Hat sich doch dieser Sachverständige auftragsgemäß (S. 3 d vso) nur mit den Ursachen des Eindringens des Messers in den Körper des Opfers befaßt, nicht aber damit, ob die von medizinischer Seite feststellbare Art der Entfernung dieses Messers aus der Stichwunde mit der Verantwortung der Angeklagten in Einklang zu bringen ist. Diesbezügliche Schlußfolgerungen wurden erst in der Hauptverhandlung vom Sachverständigen Oberarzt Dr. L*** gezogen; hiefür war die von der Angeklagten in diesem Zusammenhang vermißte Erörterung ihrer Gehbehinderung und des Körpergewichts des Opfers ohne Bedeutung und daher nicht erforderlich.

Selbst eine der Tat unmittelbar vorangegangene Verwendung des Messers für Küchenarbeiten stünde der Annahme eines spontan gefaßten Vorsatzes, mit dieser Waffe eine Körperverletzung zuzufügen, keineswegs entgegen. Die auf den Zweck der Ansichnahme des Messers bezüglichen Ausführungen der Beschwerde betreffen somit keine für die rechtliche Unterstellung der Tat oder die Anwendung eines bestimmten Strafsatzes maßgebende - im Sinn der Z. 5 a wie auch der Z. 5 entscheidende - Tatsache.

Daß weder die Tiefe des Stichkanals - im Hinblick auf die zitierten Ausführungen des Sachverständigen Univ.Prof. Dr. M*** über die möglicherweise geringe Wucht der Stichführung (S. 281 in Verbindung mit S. 327; siehe auch das Gutachten des Sachverständigen Oberarzt Dr. L***, S. 319, Anfang des zweiten Absatzes) - noch das Verhalten der Angeklagten nach der Tat bei isolierter Betrachtung eine für die Angeklagte günstigere Lösung der Schuldfrage ausschlössen, vermag keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellung des Verletzungsvorsatzes zu begründen, den das Gericht nicht allein aus diesen Umständen, sondern vor allem aus dem eine lebensnahe Würdigung der Verfahrensergebnisse in ihrer Gesamtheit bewertenden Gutachten des Sachverständigen Oberarzt Dr. L*** abgeleitet hat.

Der Rechtsrüge (Z. 9 lit a) zuwider kann aus der Konstatierung, daß sich die Angeklagte gegen Herbert B*** zur Wehr setzte (S. 333 oben, 335, 339), nicht gefolgert werden, daß ihr "weder Vorsatz" (im Sinn des § 83 Abs 1 StGB) "noch die notwendige Fahrlässigkeit" (in Ansehung der im § 86 StGB bezeichneten Folge) zur Last liegt; denn auch ein vorsätzlicher Verletzungsakt von vorhersehbarer Lebensgefährlichkeit kann zum Zweck der Abwehr eines Angreifers gesetzt werden.

Jene - inhaltlich auf Z. 9 lit b gestützten - Rechtsrügen, in welchen die Angeklagte den Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB), allenfalls eine nicht auf Fahrlässigkeit beruhende Überschreitung des gerechtfertigten Maßes der Verteidigung (§ 3 Abs 2 StGB) für sich in Anspruch nimmt, weil "festgestelltermaßen" ein rechtswidriger Angriff des Herbert B*** auf ihre Gesundheit und körperliche Unversehrtheit unmittelbar gedroht habe, sind nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt. Ein solcher unmittelbar drohender Angriff wurde im Urteil nicht angenommen; er war nach den Verfahrensergebnissen, die nur Anhaltspunkte für gegnseitige harmlose Tätlichkeiten ("Schupfer") bieten (insbesondere S. 312, 315 bis 317), auch nicht indiziert. Insoweit ist daher dem Erstgericht kein Feststellungsmangel (Z. 9 lit b) unterlaufen.

Als zur Gänze nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt erweist sich schließlich die auf eine Beurteilung der Tat nach § 80 StGB abzielende Rechtsrüge (Z. 10), in welcher die Angeklagte von ihrer eigenen - abgelehnten - Version einer vorsatzlosen (ihr nicht einmal sogleich bewußt gewordenen) Zufügung der Stichverletzung ausgeht, sohin von der tatrichterlichen Feststellung des bewußten Einsatzes des Messers gegen das Opfer (S. 331 unten ff., 337 ff.) abweicht. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über die Angeklagte nach § 86 StGB eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. Dabei waren erschwerend die vier einschlägigen, allerdings schon etliche Jahre zurückliegenden Vorstrafen, mildernd hingegen eine gewisse Provokation durch den (nachfolgend) Getöteten.

Mit ihrer Berufung strebt die Angeklagte eine Herabsetzung des Ausmaßes der Strafe und deren gänzliche oder teilweise bedingte Nachsicht an.

Auch die Berufung versagt.

Soweit die als mildernd reklamierten Aspekte nicht ohnehin schon vom Erstgericht so gewertet wurden (siehe oben), verdienen sie nur teilweise Berücksichtigung. Daß infolge der Provokation eine einem Schuldausschließungs- oder gar Rechtfertigungsgrund nahekommende Situation gegeben gewesen wäre, kann nach der Aktenlage ("Schupfer") füglich nicht behauptet werden. Unerfindlich bleibt, worin ein Bemühen der Angeklagten gelegen sein sollte, "den verursachten Schaden gutzumachen" (S. 353), zumal ein anderer die Rettung verständigt hat (S. 18 f., 53 f., 188, 324). Auch wenn die Angeklagte viele Jahre straffrei geblieben ist, können doch die einschlägigen Vorstrafen nicht außer acht bleiben, wenn sie auch, wie in der Strafbemessung durch den Schöffensenat (siehe oben), nur vermindert ins Gewicht fallen.

Die Berufungswerberin ist chronische Alkoholikerin (S. 325 f.) und hat die Tat im Zustand einer hochgradigen Alkoholisierung begangen. Es ist ihr bei der vom Sachverständigen attestierten alkoholbedingten Wesensveränderung mit Affektlabilität, egozentrischer Einstellung und deutlichen sozialen Anpassungsstörungen (S. 326) eine beträchtliche Verminderung der Fähigkeit, sich von der aktuellen Situation zu distanzieren, zuzubilligen, was gewiß auf eine faßbare Minderung der Zurechnungsfähigkeit hinausläuft. Bei dem durch den chronischen Alkoholmißbrauch bedingten Persönlichkeitsabbau kann der Angeklagten daher nur ein eingeschränkter Vorwurf im Hinblick auf den Genuß von Alkohol gemacht werden, der die durch die Alkoholisierung bedingte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit nur teilweise, nicht aber, wie die Berufungswerberin vermeint, überhaupt nicht aufwiegt (§ 35 StGB). Diesem sonach geprüften Berufungsvorbringen bleibt indes ein Erfolg versagt, weil die bei dem von einem Jahr bis zu zehn Jahren reichenden Strafrahmen (§ 86 StGB) im untersten Bereich geschöpfte Sanktion den aufgezeigten Aspekten angemessen Rechnung trägt. Bei dem verhängten Strafmaß ist § 43 StGB unanwendbar. Eine teilbedingte Freiheitsstrafe (§ 43 a Abs 4 StGB) ist ausgeschlossen, weil es nach der weitgehend abgebauten Persönlichkeit der Angeklagten und deren in eine soziale Randzone abgeglittenen Lebensführung - sie lebt "unter geradezu unvorstellbar elenden Verhältnissen" (S. 331) - an einer hohen Wahrscheinlichkeit fehlt, daß es zu keinem Rückfall mehr kommen wird.

Anmerkung

E15110

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0130OS00091.88.0908.000

Dokumentnummer

JJT_19880908_OGH0002_0130OS00091_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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